25
Wir fanden weder Indianer Joe noch Lester, aber es dauerte nicht lange, da steckten wir in einer Sackgasse oder zumindest in einer Spalte, durch die wir nicht durchkamen. Die Spuren führten geradewegs hindurch, wir hatten also keine Abbiegung oder Abzweigung verpasst. Von der Öffnung im Dach der Quarzgrotte führte die Spalte direkt hierher. Es war uns auch vorgekommen, als führte der Weg leicht bergan, was in uns die Hoffnung geweckt hatte, wir würden uns in Richtung Erdoberfläche bewegen. Nach allem, was wir wussten, waren wir in diesem Augenblick vielleicht nur gut hundert Meter von einem Ausgang entfernt sein – es konnten aber genauso gut hundert Kilometer sein.
»Na, eines ist jedenfalls sicher«, sagte Art verdrießlich. »Wir wissen, dass das hier nicht die Abdrücke des Sheriffs sind. Es sei denn, er wäre hier gewesen, als er noch vierzig Kilo leichter war.«
»Und was jetzt? Gehen wir wieder runter und versuchen, uns zur Kirche durchzugraben, oder graben wir uns zum Hintereingang durch, oder bleiben wir hier, bis wir so dünn geworden sind, dass wir da durchpassen?«
»Ich weiß es nicht, Bill. Ich bin mit meiner Weisheit am Ende.«
Ich besah mir die Spalte genauer. Das Problem war im Grunde nicht, dass wir zu dick waren, obwohl es keinem von uns geschadet hätte, zehn Kilo abzunehmen. Fett jedoch ließ sich durch fast jede Öffnung quetschen, das hatten Sheriff Kitchings und sein stattlicher Bauch an dem Tag, an dem wir die Leiche aus der Grotte geborgen hatte, eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Unser Problem war nicht Fett, unser Problem waren Knochen – die unbiegsame Struktur unseres Skeletts. Wo kein Platz war, war kein Platz.
Ich betrachtete die Geometrie des Spalts. Die breiteste Stelle – etwas über hüfthoch gelegen – war etwa dreißig Zentimeter breit. Über und unter diesem Punkt verjüngte sich der Schlitz leicht; in Höhe meiner Brust und meiner Knie war er etwa fünfzehn Zentimeter breit. Wenn wir es seitlich versuchten, konnten wir uns in der Mitte vielleicht sogar hindurchzwängen.
Ich beugte mich aus der Hüfte vor, bis mein Oberkörper parallel zum Boden war, dann drehte ich den Oberkörper, bis meine Schultern senkrecht übereinander standen, wie der Schlitz. Vorsichtig bewegte ich mich vorwärts und schob langsam und unbeholfen den Kopf in den Schlitz. Er passte hindurch, wenn auch denkbar knapp, was äußerst unbehaglich war. Ich neige zu Klaustrophobie, also war die Vorstellung, mich in diesen schmalen Spalt zu zwängen – der in unbekannte Dunkelheit führte – nur wenig anziehender als der Gedanke, dort gefangen zu bleiben, wo wir waren. Denk nach, Mann, denk nach, sagte ich mir.
Ich kannte meine Schädelmaße – um zu demonstrieren, wie man mit einem Greifzirkel umging, hatte ich meinen Schädel in unzähligen Proseminaren vermessen lassen. Von der Mitte des Augenbrauenbogens bis zum Hinterkopf maß mein Schädel 187 Millimeter. Die Breite jedoch betrug nur 165 Millimeter. Ich wusste also, dass in keiner Richtung die Gefahr bestand, mit dem Kopf stecken zu bleiben. Das Problem kam weiter unten, im Bereich des Brustkorbs. Ich würde die Schultern drehen müssen, um sie durch den senkrechten Schlitz zu schieben, und ich war mir nicht sicher, ob die Öffnung breit genug war für meinen Brustkorb. »Ich wüsste zu gerne, ob Babys solche Überlegungen anstellen müssen, um durch den Geburtskanal zu passen«, murmelte ich, »oder ob sie einfach durch die Gebärmutterkontraktionen und jede Menge Schleim rausgequetscht werden.«
»Ich würde unsere Chancen höher einschätzen, wenn wir ein großes Glas Vaseline hätten, mit der wir dich einreiben könnten«, sagte Art. »Aber das habe ich gestern Abend aus dem Beweismittelsicherungs-Set genommen, um ein Hühnchen zu braten. Und dann habe ich glatt vergessen, es wieder reinzutun.«
Klaustrophobie hin oder her, alles Zögern brachte uns nicht weiter, also beugte ich mich vor und schob mühelos den Kopf durch den Spalt. Sobald ich den Rumpf um neunzig Grad gedreht hatte, passten Schultern und Arme ebenfalls leicht hindurch. Jetzt zum Brustkorb; wenn ich das schaffte, würden Becken und Beine ein Kinderspiel sein. »Okay, Art, es könnte sein, dass ich hier gleich deine Hilfe brauche«, ächzte ich und schob mich voran. Ich hatte kaum das Schlüsselbein durchgeschoben, da blieb ich schon stecken. Panik packte meine Brust so fest wie der Fels. »Ich glaube, ich schaffe es nicht«, sagte ich und zwängte mich wieder raus.
»Versuch so viel auszuatmen wie möglich«, schlug Art vor. »Dann ist der Brustkorb zusammengezogen.«
»Und ich ersticke«, sagte ich.
»Nicht, wenn ich dich durchschiebe.«
»Und wenn das nicht geht?«
»Na, wenn du dir ganz sicher bist, dass du nicht durchpasst, dann schlag einfach die Hacken zusammen und sag: ›Daheim ist’s doch am schönsten‹, dann ziehe ich dich ganz schnell wieder raus.«
»Und was ist, wenn ich mich nicht rühren kann? Wenn ich nicht atmen kann und du mich nicht rausgezogen kriegst, habe ich kaum mehr als eine oder zwei Minuten.«
»Ich krieg dich schon da raus. Vertrau mir.«
Ich versuchte es mir bildlich vorzustellen, doch alles, was ich vor meinem geistigen Auge sehen konnte, waren abwechselnd zwei Bilder: Auf dem einen Bild wackelte ich auf der einen Seite des Spalts wie wild mit Kopf, Schultern und Armen; auf dem anderen strampelten meine Beine verzweifelt auf der anderen Seite des Spalts, während Art vergeblich schob und zerrte. Meine auseinander genommenen Hälften sahen dabei aus wie Bilder aus einem Comic oder auf einem altmodischen Fernsehbildschirm, auf dem das Bild bis zur Mitte verrutscht war. Schließlich verscheuchte ich die Bilder aus meinem Kopf und beruhigte meine zitternde Stimme so gut als möglich. »Denkst du, es ist unsere einzige Chance, Art?«
Eine Weile herrschte Schweigen. »Ja, Bill, das denke ich.«
»Okay. Sobald ich Kopf und Schultern durch habe, zählst du bis drei, während ich meine Lunge leere, und dann hebst du meine Beine hoch und schiebst, was das Zeug hält.«
Ich zog meine Jacke aus und warf sie durch den Spalt; das machte mich ganze zweieinhalb Millimeter schlanker, und ich wusste, dass die Grenze zwischen Erfolg und Scheitern womöglich exakt so schmal war. Ich erwog, auch das Hemd auszuziehen, wollte aber nicht mit der nackten Haut über die Felsen schrammen. Dann atmete ich tief ein, hielt ein paar Sekunden die Luft an, spannte Brust- und Bauchmuskulatur feste an und setzte meiner Lunge so viel Druck aus, wie möglich war, ohne ohnmächtig zu werden. Indem ich wie ein Perlentaucher mehr Sauerstoff in mein Blut zwängte, konnte ich es länger aushalten, ohne wieder einzuatmen.
So hoffte ich zumindest.
Nach vier oder fünf Sekunden schürzte ich die Lippen und atmete feste aus, bis meine Lunge sich vollkommen leer anfühlte. Dann schloss ich die Lippen, betätigte Wangen und Kiefer als Blasebalg und schaffte es so, noch ein bisschen mehr Luft aus der Brust in den Mund zu befördern. Rasch zwängte ich sie durch die Lippen hinaus und wiederholte das ganze Manöver zwei Mal. Inzwischen war ich kurz vor dem Implodieren. Ich schob mich in die Öffnung, zog mich so gut ich konnte in mich zusammen, während Art vorschoss und meine Beine packte.
Ich spürte, wie ich zwei Zentimeter vorrutschte, drei, vier, fünf … und dann stecken blieb. Mein Brustkorb steckte im tödlichen Griff eines Schraubstocks. Verzweifelt versuchte ich, die Hacken zusammenzuschlagen, doch irgendetwas – vielleicht der Fels, vielleicht auch Art – hielt sie fest. O Gott, was für eine Art zu sterben, dachte ich, als ich ohnmächtig wurde.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, eine Lokomotive rammte gegen meine Knie. Unwillkürlich riss ich den Mund auf, um zu schreien, doch dazu hatte ich keine Luft. Meine Brust und meine Wirbelsäule schrammten vorwärts, und ich glaubte, mehrmals etwas brechen zu hören, und dann lag ich als Haufen auf dem Boden, mit offenem Hemd und zerschrammten und abgerissenen Knöpfen. Ich war wie zerschlagen, aber ich war auf der anderen Seite. Und ich konnte atmen. Ich schloss die Augen, sog eine riesige, herzzerreißende, köstliche Portion Luft ein, ließ sie mir gierig munden und stieß sie mit einem Stöhnen wieder aus.
Als ich die Augen aufschlug, zuckte ich zusammen. Aus wenigen Zentimetern Entfernung schien mir ein blendender Lichtstrahl direkt in die Augen. Von meiner Seite des Spalts, nicht von Arts Seite. »Hallo, Doc«, polterte eine vertraute Stimme. »Sieht aus, als wäre ich gerade zur rechten Zeit gekommen.«
Ich schirmte die Augen ab und starrte zu dem großen Mann hinauf, der über mir kauerte. Es konnte kein Zufall sein, dass er hier war. Ich war gegenüber Waylon und seinem schlichten Geschwätz viel zu vertrauensvoll gewesen, erkannte ich jetzt; er hatte mich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt, abgewartet und den richtigen Moment abgepasst, um zuzuschlagen. Ich wusste nicht, ob er auf eigene Rechnung handelte oder auf Jim O’Conners Anweisung hin, aber ich wusste, dass das Glück uns verlassen hatte.
»Hallo, Waylon«, sagte ich mit ausdrucksloser Stimme, zu mutlos, um noch zu flehen. »Ich schätze, Sie sind hier, um sich um uns zu kümmern, was?«
»Na, so könnte man es nennen. Ich mache nur meine Arbeit.«
»Richtig«, sagte ich. »Das ist nicht persönlich, das ist rein geschäftlich, was?«
»Genug gequatscht, Doc. Schaffen wir Sie und Art lieber so schnell wie möglich an einen besseren Ort.«
»Einen besseren Ort? Sie sprechen vom Himmel? Ach, kommen Sie, Waylon, wenn Sie uns umbringen wollen, verschonen Sie uns doch bitte mit Ihren Sonntagsschul-Euphemismen.«
»Mit was? Wie, Sie umbringen wollen? Wovon zum Teufel reden Sie da, Doc? Sie haben sich doch in der Höhle da unten nicht den Kopf gestoßen?«
»Sie sind nicht hier, um uns umzubringen? Was machen Sie dann hier? Was ist mit den Explosionen, den Einstürzen?«
Er stellte die Lampe auf eine Felsplatte und zeigte auf sich. Wie immer steckte er von Kopf bis Fuß in Tarnkleidung. Er streckte die Arme aus, die Handflächen nach oben, wahrscheinlich um mir zu zeigen, dass er unbewaffnet war, obwohl ich wusste, dass in seinen vielen Taschen wahrscheinlich etliche Waffen steckten. »Big Jim hat mich gebeten, Ausschau nach Ihnen zu halten und dafür zu sorgen, dass Sie nicht in Schwierigkeiten geraten, mit denen Sie nicht zurechtkommen. Und als ich hörte, Sie wären oben an der Cave-Springs-Kirche, bin ich hingefahren, um nach Ihnen zu sehen. Als ich hinkam, war der Zugang verschüttet. Ich wusste nicht, ob Sie den anderen Zugang kannten – zum Teufel, ich wusste ja nicht mal, ob Sie noch am Leben waren –, und mir fiel nichts Besseres ein, als so schnell wie möglich hier reinzugehen, zu rufen und zu schauen, ob jemand auf mein Rufen reagierte. Ich dachte mir, wenn ich so nah an Sie rankomme, kriege ich Sie auch irgendwie raus.«
Ich schämte mich in Grund und Boden. Von wegen zu vertrauensselig, ich war viel zu misstrauisch gewesen. »Also, ich bin draußen, aber ich glaube nicht, dass Art sich da durchquetschen kann. Haben Sie eine Idee, wie wir ihn da rausholen?«
»Im Kofferraum habe ich ein paar Sprengkapseln, aber das kommt mir hier ein wenig riskant vor – das Dach sieht ein bisschen instabil aus.«
Sprengkapseln? Vielleicht war ich doch nicht misstrauisch genug gewesen. »Waylon«, sagte ich, »von Sprengungen haben wir jetzt wirklich die Nase voll.«
»Ja, schätze schon. Ich glaube, wir müssen ihn auf die altmodische Weise rausholen.«
Arts Stimme tönte hohl von der anderen Seite des Spalts: »Wollt ihr mich etwa so lange hungern lassen, bis ich da durch passe? Das könnte ungefähr sechs Monate dauern.«
Waylon lachte. »Nein, so viel Zeit haben wir nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass Sie beide bald wieder an die Arbeit gehen können.« Er angelte im hinteren Quadranten seiner geräumigen Hose herum und förderte einen Schlägel und einen kräftigen Meißel heraus. Der Mann war wie ein wandelndes Schweizer Messer. »Ein paar ordentliche Schläge mit dem Ding hier sollten reichen. Sie möchten sicher zurücktreten, für den Fall, dass ich meine Kraft unterschätze.« Art und ich machten ihm reichlich Platz.
Waylon schob sich das Gummiband einer Hochleistungsstirnlampe über den Schädel, schaltete sie ein und beugte sich zu einer Seite des Spalts. Ich hörte ein tiefes Summen, und dann fing Waylon erstaunlicherweise an zu singen. Er hatte einen reichen Bassbariton, der die Höhle mit einem unglaublichen Lied erfüllte: »In the deep dark hills of eastern Kentucky, that’s the place where I trace my bloodline. And it’s there I read on a hillside gravestone, you’ll never leave Harlan alive’.«
Funken flogen, während im Takt der traurigen Ballade Hammerschläge erklangen. Alle fünf oder sechs Schläge brach ein Felsbrocken ab und polterte zu Boden. »Where the sun comes up« – Dong! – »About ten in the morning« – Dong! – »The sun goes down« – Dong! – »About three in the day« – Dong! – »You fill your cup« – Dong! – »And spend your life diggin’ coal« – Dong! – »from the bottom of your grave.«
Waylon machte eine Pause und verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, um sich an der anderen Wand zu schaffen zu machen. Aus Haaren und Bart tropfte der Schweiß. »Zum Glück müssen wir nur ein kleines Stück erweitern«, schnaufte er. »Viel größer, und ich würde womöglich den John Henry geben und mit dem Hammer in der Hand sterben.«
Das bezweifelte ich doch sehr.
Nach zehn Minuten und zwei Country-Balladen trat Waylon zurück und betrachtete sein Werk. »Art, kommen Sie mal näher und schauen Sie, ob Sie sich da durchschieben können. Ich habe an den schmalsten Stellen ein paar Knubbel weggehauen. Wenn das nicht reicht, ist es viel mehr Arbeit, den ganzen Durchschlupf zu erweitern. Aber vorsichtig – da sind jetzt ein paar scharfe Kanten.«
Art schob sich in den Spalt, und nach einigem Hin- und Herrutschen und ein paar Verrenkungen – kaum mehr als Sheriff Kitchings gebraucht hatte, um seinen Bauch in die Kristallgrotte zu hieven –, plumpste er durch. Waylon grinste, Art stöhnte, und dann machten wir uns auf den Weg durch einen ungefähr hundert Meter langen, langsam ansteigenden Tunnel. An dessen Ende wurde ein unregelmäßig ovales Licht immer größer und heller. »Oh, oh«, sagte Art hinter mir.
»Was ist? Wir sind gleich draußen.«
»Wir nähern uns einem strahlend weißen Licht. Das letzte Mal, als mir das passiert ist, mussten sie ein Starthilfekabel an mein Herz anschließen. Vielleicht hatten wir in der zweiten Höhle doch nicht so viel Glück, wie wir gedacht haben.«
»Wenn wir tot wären, würden wir eine breite Marmortreppe hinaufsteigen.«
»Marmor? Hey, wir sind in einem Berg in Cooke County; ich nehme doch stark an, dass hier auch das Leben nach dem Tode ein bisschen rustikaler ist.«
Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, traten wir blinzelnd und die Augen zukneifend in einen gleißend hellen Nachmittag Ende September. Über unseren Köpfen schimmerte der Himmel elektrisierend blau; um uns herum loderten die Blätter der Hartriegel und Tulpenbäume in Rot- und Gelbtönen. Wir kletterten aus einem kleinen Schlundloch und überquerten einen rund vierhundert Meter breiten Hang, dann kletterten wir an einem Ende der Steilwand hinter der Cave Springs Primitive Baptist Church herunter. Die Kirche sah noch genauso aus, wie wir sie verlassen hatten. Mein Pick-up jedoch war mit einer frischen Schicht Kalksteinstaub überzogen.
Waylons Wagen parkte neben meinem. Er sah frischgewaschen aus. Falls er ihn nicht nach der Explosion irgendwie abgewaschen hatte, dann sagte Waylon die Wahrheit: Als er gekommen war, war die Sprengung des Höhleneingangs schon so lange her gewesen, dass der Staub sich wieder gelegt hatte.
»Sehen wir zu, dass wir aus Dodge City verschwinden«, sagte Art.
»Warte mal ’ne Sekunde … ich habe da eine Idee. Hast du noch dein Beweismittelsicherungs-Set?«
»Machst du Witze? Nachdem du so ein Theater darum gemacht hast, den Koffer an deinem Schnürsenkel hoch zu hieven, konnte ich mir doch ausrechnen, dass du mir ewig damit in den Ohren liegen würdest, wenn ich ihn zurückließe. Warum?«
»Komm mal mit.«
Ich führte ihn zum Eingang der Höhle. Genau wie ich erwartet hatte, war im Staub neben der Quelle ein frisches Paar Stiefelabdrücke. Sie führten in den Eingang der Höhle und verschwanden unter den frisch herabgestürzten Felsbrocken.
»Heureka«, sagte Art, kniete sich hin und machte sich daran, von dem deutlichsten der vielen Abdrücke einen Abguss zu machen. »Kommt dir der bekannt vor?« Das nicht, aber es konnte durchaus ein bekanntes Paar Füße in einem unbekannten Paar Stiefel gewesen sein.
Ich sah mich um. Soweit ich sagen konnte, führte die Spur in die Höhle, aber nicht mehr heraus. »Glaubst du, er ist noch da drin? Ist bei seiner eigenen Sprengung draufgegangen?«
Art zuckte die Achseln. »Vielleicht. Ich hoff’s fast. Aber vielleicht ist er auch zur Hintertür raus, bevor er die zweite Sprengung gezündet hat. Vielleicht kommt er auch auf demselben Weg raus wie wir.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Wenn er mit uns da drin gewesen wäre, hätte er uns doch gesucht. Wer Sprengstoff mit sich führt, hat bestimmt auch eine Waffe. Er hätte uns erschossen, bevor wir aus der Grotte klettern konnten. Was ich aber einfach nicht kapiere, ist, warum er uns nicht direkt erschossen hat.«
»Zu verdächtig. Der Einsturz wäre vielleicht als Unfall durchgegangen. Einschusslöcher sind schwerer zu erklären – die könnten leicht einen wütenden Haufen Professoren von der University of Tennessee auf den Plan rufen, die zur Bürgerwehr formiert auf Rache aus sind. Aber wenn der Plan mit dem Einsturz der Höhle funktioniert hätte, wären unsere Leichen jetzt womöglich unter hundert Tonnen Felsbrocken begraben. Dann würden wir als ›vermisst, vermutlich tot‹ gelten oder so was in der Art.« Ich begriff allmählich, welchen Ruf Cooke County unter meinen Kollegen von der Strafverfolgungsbehörde genoss. »Hey, willst du deine Schnürsenkel wiederhaben? Oder gefällt dir die Bewegungsfreiheit, die du genießt, wenn deine Füße in den Stiefeln herumrutschen?«
Das hatte ich glatt vergessen. Ich nahm die Schnürsenkel, hockte mich auf die hintere Stoßstange meines Pick-ups und fädelte sie wieder in meine Stiefel. Als ich sie band, warf ich noch einmal einen Blick auf das gemauerte Schild vor der Kirche, und dort sah ich etwas, was mir vorher nicht aufgefallen war. Unter dem Namen der Kirche stand eine Zeile, die so verblasst war, dass man sie kaum lesen konnte. Ich rief Art und zeigte darauf. Über meine Schulter hörte ich seinen leisen erstaunten Pfiff.
»Hol mich doch der Teufel«, sagte ich.
»Könnte passieren«, stimmte er mir zu. »Aber ich glaube, da wärst du nicht der Einzige. Wahrscheinlich leistet dir da unten der eine oder andere Kitchings am Feuer Gesellschaft.«
Die blassrote Zeile lautete, »Thomas Kitchings, Sr. Pfarrer«.