44. KAPITEL

»Zum Schluss war Thaxter wahnsinnig, aber sonderbar klar«, sagte Caleb. »Er war der Führer des Siebenten Kreises der Kraft. Wie es beim Dritten Kreis der Fall war, gibt es kein sichtbares Verbindungsglied zu den andere Kreisen oder zu den oberen Rängen der Verschwörung.«
Er befand sich mit Gabe in seiner Bibliothek und dem Labor, und er bemühte sich, seinem Vetter einen vollständigen Bericht darüber zu liefern, was sich bislang ergeben hatte, doch ein wachsendes Gefühl des Unbehagens nagte an ihm. Es war nicht nur das Gefühl der Unruhe, das ihn immer beschlich, wenn er wusste, dass er ein wichtiges Stück des Puzzles übersehen hatte. Diesmal war es anders und stand irgendwie in Zusammenhang mit Lucinda.
»Wir müssen davon ausgehen, dass wir nicht alle Unterlagen und Papiere Stilwells fanden«, sagte Gabe. »Es sind noch andere Kopien der Formel in Umlauf. So gelangten die Verschwörer in den Besitz der Rezeptur.«
»Der Geist ist aus der Flasche, Gabe.«
»Ja.« Gabe verschränkte die Arme. »Hulsey änderte die Mischung mit der Absicht, Norcross und Thaxter zu töten und so den Tod von Mrs Daykin zu rächen.«
»Sie war seine langjährige Geliebte, seine Geschäftspartnerin und die Mutter seines Sohnes. Er kam dahinter, dass der Siebente Kreis Norcross beauftragt hatte, sie zu ermorden. Sein Verlangen nach Rache ist verständlich.«
»Du weißt noch immer nicht sicher, wie viele Mitglieder Thaxters Kreis hatte?«
»Im Auftragsbuch des Juweliers ist die Bestellung von drei Schnupftabakdosen vermerkt. Die ersten zwei wurden vor einem halben Jahr bestellt, die dritte wurde einen Monat später gekauft. Offenbar gab Thaxter sie den Mitgliedern seines Kreises.«
»Drei Dosen bedeuten, dass es drei Mitglieder im Siebenten Kreis gab«, sagte Gabe geduldig.
»Bislang wissen wir nur von zwei Schnupftabakdosen, wo sie gelandet sind. Bei Norcross und Thaxter.«
»Hulsey muss die dritte haben. Wenn wir ihn erwischen, haben wir auch das Döschen.«
Das Bedürfnis, zu Lucinda zu gehen, wurde immer drängender. »Ich bin zu siebenundneunzig Prozent sicher, dass Hulsey die dritte Dose nicht hat«, sagte er. Beruhige dich. Sie ist zu Hause in Sicherheit.
»Wieso glaubst du das?«
»Für Thaxter war Hulsey gesellschaftlich nicht ebenbürtig. Für ihn war Basil Hulsey nicht mehr als ein unentbehrlicher Experte. Er behauptete, der Orden der Smaragdtafel nähme nur Mitglieder mit entsprechendem gesellschaftlichem Hintergrund auf.«
»Das heißt also, dass Thaxter sehr wohl gewillt war, einen Mann wie Hulsey seiner Fähigkeiten wegen zu beschäftigen, nicht aber, ihn in den Kreis einzuladen?«
»Für ihn wäre es so, als würde er seinen Gärtner oder Kutscher auffordern, seinem Klub beizutreten. Ich kann mir nicht denken, dass er Hulsey eine teure Schnupftabakdose gab, die seiner Auffassung nach für einen Gentleman geschaffen worden war.«
»Vielleicht bestand Hulsey darauf, wie ein Ebenbürtiger im Kreis behandelt zu werden, und forderte die Dose als Teil seines Honorars«, mutmaßte Gabe.
»Nach allem, was ich von seinem Wesen weiß, glaube ich nicht, dass Hulsey sich aus gesellschaftlichem Status etwas macht. Aber noch etwas gibt mir zu denken. Die dritte Dose wurde vor fünf Monaten bestellt. Damals hatte Hulsey mit dem Siebenten Kreis noch nichts zu tun.«
»Wenn das stimmt, dann gibt es noch ein drittes Mitglied des Kreises, von dem wir nichts wissen.«
»Und noch einen unaufgeklärten Pflanzendiebstahl.« Caleb warf einen Blick auf das Papier, das er auf dem Arbeitstisch ausgebreitet hatte. »Es muss eine Verbindung zu Bromleys letzter Expedition zum Amazonas bestehen.«
»Was hast du da?«
»Lucindas Namensliste der Botaniker, die gleich nach der Rückkehr Bromleys und Woodhalls vom Amazonas die mitgebrachten Pflanzen besichtigten.«
»Was suchst du?«
»Die Person, die vor anderthalb Monaten die erste Pflanze mitgehen ließ. Hast du eine Ahnung, wie viel Mühe es erfordert, um festzustellen, ob sich eine bestimmte Pflanze an einem bestimmten Datum vor anderthalb Jahren in London befand?«
»Hört sich schwierig an«, musste Gabe eingestehen.
»Mehr als schwierig. Fast unmöglich. Ich werde mehr Hilfe brauchen, Gabe. Und mehr Geld.«
»Nur um den zweiten Pflanzendieb zu finden?«
»Nicht nur, sondern auch für die Agentur. Die Kunden zahlen für die Ermittlungen, aber auch die Jagd auf den Rest des Kreises im Orden und die Entlarvung der Initiatoren der Verschwörung erfordern eine Reihe von zusätzlichen Beratern. Und die sind kostspielig, wie sich zeigt.«
»Ich dachte, wir hätten uns auf ein Budget für die Agentur geeinigt.«
»Das muss erhöht werden.«
Ein Pochen an der Tür unterbrach sie.
»Ja, Mrs Perkins, was gibt es?«, rief er.
Die Haushälterin öffnete die Tür. »Inspektor Spellar ist da, Sir.«
»Schicken Sie ihn sofort herauf.«
»Er ist schon da, Sir.« Mrs Perkins richtete sich zur vollen Größe auf. »Sie erinnern sich gewiss, Mr Jones, dass ich gekündigt habe. Ende der Woche gehe ich.«
»Ja, ja, Mrs Perkins«, murmelte Caleb. »Sie sprachen davon.«
»Dann erwarte ich meinen Lohn, Sir.«
»Keine Sorge, Mrs Perkins. Sie bekommen Ihr Geld.«
»Mr Jones.« Spellar betrat locker den Raum. Er kaute an einem Stück Backwerk. Erst sah er Caleb an, dann Gabe. »Und Mr Jones. Guten Tag, Ihnen beiden. Wie Sie sehen, war Mrs Perkins so nett und gab mir einen Happen.«
»Gibt es etwas Neues, Spellar?«, fragte Caleb.
Spellar schluckte den Rest der Nascherei und streifte die Krümel von den Händen. »Ich dache, es würde Sie interessieren, dass ich endlich Allister Norcross’ Adresse ausfindig machen konnte. Und zwar über seinen Schneider.«
»Der Schneider konnte sich an ihn erinnern?«, fragte Gabe.
»Schneider erinnern sich immer an ihre finanzkräftigen Kunden«, sagte Spellar. »Dieser nun erzählte mir, dass er die Rechnungen für Norcross an Nummer vierzehn, Ransley Square schickte.«
Caleb runzelte die Stirn. »Das ist eine Gegend mit großen Häusern, keine Straße, in der man Mietwohnungen findet.«
»Norcross wohnte bei seinem Onkel, der sehr krank sein muss. Als ich um eine Vorsprache bat, wurde mir gesagt, dass der Herr des Hauses zu hinfällig sei, um Besucher zu empfangen.« Spellar lächelte. »Vielleicht ist es für einen Jones einfacher, ins Haus zu gelangen.«
Caleb warf einen Blick auf die Liste mit den Namen und Adressen. Plötzlich waren auch die letzten Gänge des Irrgartens erhellt.
»Ransley Square«, sagte er. »Der Halunke soll im Sterben liegen. Wenn er Hulseys letzte Version der Formel einnahm, dann stirbt er wirklich.«
Er hatte zu Lucinda gesagt, dass er die Handlungsweise der Menschen nicht immer begriff, wohl aber ihre Motive. Rache war einer der Beweggründe. Und mehr war einem Mann in Ellerbecks Lage nicht geblieben.
Er war auf den Beinen und ging ohne zu überlegen und nur seiner Intuition folgend zur Tür.
»Aus dem Weg, Spellar«, knurrte er.
»Wohin gehst du?«, rief Gabe ihm nach.
»Zum Ransley Square. Lucinda ist dort.«
Suesses Gift Der Liebe
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