6. KAPITEL
Der aus den Reihen der Kapuzenträger aufsteigende
Dunst krankhafter Erregung war so schwer, dass er die düstere
Atmosphäre im Inneren des uralten Gemäuers noch zu verdunkeln
schien. Die von den Leuchten geworfenen wandernden Schatten
erschienen Calebs angespannten Sinnen als lebende, atmende
Wesenheiten, die in grausigen Rhythmen zuckten und pulsierten,
sonderbare Raubtiere auf der Lauer, sich an dem verheißenen Blut zu
laben.
Mit größter Willensanstrengung unterdrückte er
seine lebhaften Phantasien. Leicht fiel es ihm nicht. Die
Fähigkeit, gefährliche Muster und dunkle Verbindungen zu entdecken,
wo andere nur Zufälle sahen, stellte seine Begabung dar. Sie war
aber auch sein Fluch. Seine Fähigkeit, intuitive Gedankensprünge
aufgrund vager Hinweise oder Spuren zu machen, war zwar sehr
nützlich, hatte aber auch unglückliche Nebenwirkungen. Neuerdings
fürchtete er, dass die blendenden, multidimensionalen Irrgärten,
die er im Geist konstruierte, wenn er an einem Problem arbeitete,
nicht nur Produkt seines starken Talents waren, sondern echte, von
einem fiebrigen Gehirn hervorgerufene Halluzinationen.
Von seiner Position in der zweiten Reihe bot
sich ihm freie Sicht auf den Altar und den gewölbten, von einem
Vorhang verhüllten Eingang auf der gegenüberliegenden Seite. Ein
Junge von zwölf oder dreizehn lag ausgestreckt auf der
Steinplatte. Handgelenke und Fesseln waren mit einem Seil gebunden.
Er war wach, aber benommen, entweder vor Angst oder nach einer
starken Dosis Opium. Wahrscheinlich Letzteres, dachte Caleb und
sprach ein stilles Dankgebet. Der Junge war nicht imstande, die
Gefahr zu erfassen.
Er hatte die Sache ganz anders angehen wollen,
doch zu dem Zeitpunkt, als ihn die Nachricht seines Informanten
erreicht hatte, war es zu spät gewesen, sich einen anderen Plan
zurechtzulegen. Unter den gegebenen Umständen blieb ihm kaum Zeit
für einen Rettungsversuch.
Die Gerüchte von der Existenz dieses Kults waren
ihm erst vor wenigen Tagen zu Ohren gekommen. Als ihm klar geworden
war, dass der Mann, der ihn eingeführt hatte, über ein mächtiges
Talent verfügte und möglicherweise gefährlich geistesgestört war,
hatte er unverzüglich Gabe zu Rate gezogen, aber sie hatten beide
keine Möglichkeit gesehen, den Fall in diesem Stadium der Polizei
zu übergeben, da es noch zu keiner Gewalttat gekommen war. Sie
waren sich einig, dass die Agentur Jones keine andere Wahl hatte,
als zu handeln.
Leiser Gesang setzte in der ersten Reihe der
Kapuzengestalten ein und griff rasch auf die zweite und dritte
über. Es war ein Gemisch aus verballhorntem Latein und wirkungsvoll
eingestreuten griechischen Wörtern. Caleb bezweifelte, dass auch
nur ein Einziger der Anwesenden den Sinn verstand. Die Altardiener,
junge Männer unter zwanzig, kamen nach ihrem Akzent zu schließen
von der Straße.
Er hatte sie rasch gezählt, als er und die
anderen den Raum hintereinander betreten hatten. Es waren fünfzehn
in Fünferreihen
vor dem Altar stehende Gestalten. Zwei weitere Altardiener standen
zu beiden Seiten des Tisches, der eine etwas größer als der andere
und von massiverem Körperbau. Ein Mann, kein Jüngling. Der Anführer
und seine engsten Gefährten waren noch nicht erschienen.
Das raue Grollen des Gesanges wurde stärker und
lauter. Caleb lauschte gedankenverloren, während er den Vorhang vor
dem Eingang im Auge behielt.
»… großer Charun, o
dämonischer Geist, wir streben nach der Kraft, die du jenen
verheißt, die dem wahren Pfad folgen …
… Heil unserem Herrn, dem
Diener Charuns, der über die Mächte der Finsternis gebietet
…«
Die schwarzen Samtportieren vor der Bogentür
wurden abrupt weggezogen. Ein Jüngling in einem wallenden grauen
Gewand, das für ihn viel zu groß war, trat feierlich ein. Er hielt
den Griff eines mit Edelsteinen besetzten Dolches in beiden Händen.
Das Licht der Leuchten schien höher aufzuflammen und ließ die
tödliche Waffe aufblitzen. Kraft glitt zischend durch Calebs
Sinne.
Kein Zweifel, dachte er, die Gruppe hat den
Dolch gefunden, der bei dem uralten etruskischen Kult angewendet
worden war. Ein gefährlicheres paranormales Artefakt war nicht
denkbar.
Stille senkte sich über die Anwesenden. Die
krankhafte Energie unheiliger Lust war nun verstärkt im Raum
spürbar. Caleb griff in die Falten seines Gewandes und umfasste den
Griff seines Revolvers. Die Waffe wäre gegen diese große Gruppe
kräftiger junger Männer nur von begrenztem Nutzen. Ein Schuss oder
zwei - dann würden die Altardiener ihn
überwältigen. Er zweifelte nicht daran, dass die ihrem Führer
bedingungslos Ergebenen nicht zögern würden, sich für diesen zu
opfern. Davon ganz abgesehen, war das Allerletzte, was er wollte,
der Tod eines armen Burschen, der das Pech hatte, unter den
hypnotischen Einfluss des Großmeisters des Kultes zu geraten.
»Sehet den Diener Charuns und erweist ihm alle
Ehren«, psalmodierte der Junge mit dem Dolch ein wenig brüchig.
»Heute blicken wir hinter den Schleier, um große Kräfte zu
gewinnen.«
Wieder erschien eine Gestalt im Eingang, groß,
schmal, in ein schwarzes Gewand gehüllt, mit großen, blitzenden
Ringen an den Fingern. Die Gesichtszüge wurden von der Kapuze
verdeckt.
Die vom Diener ausgehende dunkle, krankhafte
Energie war noch an Calebs Standort in der zweiten Reihe
spürbar.
Die Altardiener fielen auf die Knie, Caleb
folgte zögernd ihrem Beispiel.
Der Diener Charuns blickte den Jungen mit dem
Dolch an.
»Ist das Opfer bereit?«
»Ja, Mylord«, sagte der Junge.
Der zum Opfer Bestimmte erwachte aus seinem
Drogenschlaf.
»Was soll das?«, lallte er mit schwerer Zunge.
»Wo zum Teufel bin ich?«
»Still«, befahl der Junge mit dem Dolch.
Das Opfer zwinkerte, noch immer desorientiert.
»Bist du das, Arnie? Was soll diese dämliche Aufmachung?«
»Still«, kreischte Arnie. Er klang sehr jung und
sehr verängstigt.
»Genug«, ordnete der Führer an. »Er hätte einen
Knebel und eine Augenbinde tragen sollen. Es ziemt sich nicht, dass
das Opfer das Antlitz des Dieners Charuns schaut.«
Gutes Personal ist Mangelware, dachte Caleb.
Fast hätte er Mitleid empfunden. Er wusste gar nicht mehr, wie
viele Haushälterinnen er in den letzen Jahren verbraucht
hatte.
»Ja, Mylord«, sagte Arnie hastig. »Ich kümmere
mich darum.«
Er zögerte, ratlos, was er nun mit dem Dolch tun
sollte, dann legte er ihn auf den Altar.
»Reiche mir den Dolch«, befahl der Diener
Charuns.
Der Größere der beiden mit Kapuzen verhüllten
Altardiener machte eine kleine Bewegung, als wolle er nach der
Klinge greifen und sie dem Führer reichen. Als seine Hand die Waffe
streifte, verschwamm die Atmosphäre um die Klinge ganz leicht wie
in einem Nebel. Im nächsten Moment war das Artefakt völlig
verschwunden.
Sekundenlang rührte sich keiner. Alle, auch der
Diener Charuns, starrten zu der Stelle hin, wo einen Herzschlag
zuvor der Dolch gelegen hatte. Caleb nützte die allgemeine
Verwirrung, um sich aufzurichten und rasch zum Altar zu
gehen.
Noch immer verwirrt blickte der Diener Charuns
auf und sah Caleb auf sich zukommen. Endlich schien er zu
begreifen, dass die Situation kompliziert wurde.
»Wer bist du?«, rief er zurückweichend, eine
Hand erhoben, als gelte es, einen Dämon abzuwehren.
Caleb zeigte ihm seine Waffe. »Eine kleine
Progammänderung.«
Der Diener starrte die Knarre an. »Nein.
Ausgeschlossen. Charun lässt nicht zu, dass mir ein Leid
geschieht.«
Der Junge auf dem Altar setzte sich benommen
auf. Die Seile, die seine Hände und Fesseln gebunden hatten, waren
durchschnitten.
»Was ist hier los?«, fragte er.
Der Dolch erschien wieder in der Hand des großen
Altardieners.
»Wir gehen«, sagte der Altardiener.
Er hob den Jungen hoch, warf ihn über seine
Schulter und verschwand zwischen den Vorhängen des Eingangs.
»Haltet ihn!«, rief der Diener Charuns.
Es gab ein irres Gedränge, als mehrere
Kapuzengestalten zugleich durch den Eingang wollten.
Glas zerschellte auf Stein, Caleb sah, dass
einer der Leuchter zu Boden gefallen war. Ein Unheil verkündendes
Zischen ertönte. Flammen züngelten hoch und leckten gierig an
Gewändern.
»Feuer!«, schrie ein Junge.
Heisere Schreckensrufe hallten durch den Raum
und wurden von den Steinwänden zurückgeworfen. Es folgte donnerndes
Getrampel von Schuhen und Stiefeln, als die entsetzten Altardiener
zu den einzigen zwei Ausgängen stürzten, die nun völlig verstopft
waren.
Ein in Panik geratener Junge, der fliehen
wollte, stieß so heftig gegen Caleb, dass der Aufprall ihn stürzen
ließ. Die Waffe entglitt seiner Hand und schlitterte über den
Boden, außer Reichweite.
»Schweinehund«, stieß Caleb hervor. Es lief gar
nicht gut.
Er kam rechtzeitig auf die Beine, um zu sehen,
wie der
Diener zum Eingang stürzte. Ein Hechtsprung, und er bekam die
Hinterseite der Kapuze des Mannes zu fassen. Er zog fest
daran.
Der Diener Charuns ging nicht zu Boden, sondern
taumelte rücklings gegen den Altar. Seine Kapuze glitt herunter und
enthüllte das Adlerprofil eines Mannes Anfang dreißig. Seine Hand
verschwand in den Falten seines Gewandes und tauchte mit einer
Pistole wieder auf.
»Verdammt«, brüllte er. »Ich werde dich lehren,
dich Charuns Diener in den Weg zu stellen.«
Er wollte abdrücken, doch er war in Panik und
kämpfte um das Gleichgewicht, so dass es kein Wunder war, dass er
weit danebenschoss. Noch ehe er ein zweites Mal abdrücken konnte,
war Caleb über ihm.
Sie schlugen auf dem Boden auf, dass man Knochen
krachen hörte. Die dämpfenden und verwickelten Gewänder
verhinderten gezielte Hiebe. Im aufflammenden Licht des Feuers sah
Caleb die Pistole seines Gegners auf dem Boden.
Der Führer des Kults wehrte sich wie ein Mensch
im Griff einer dämonischen Besessenheit, planlos und wild um sich
schlagend und brüllend, und stieß dabei merkwürdige Flüche
aus.
»Du wirst in Charuns
Feuerverließ brennen, Ungläubiger.«
»Bei der Macht Charuns, ich
befehle dir zu sterben.«
Der Mann ist verrückt, dachte Caleb. Das war
nicht eines jener gewöhnlichen kriminellen Talente, das sich zum
Oberhaupt eines Kultes aufgeschwungen hatte. Der Diener glaubte
wirklich an den dämonischen Herrn, den er sich in seinem Wahn
geschaffen hatte.
»Wir müssen hier fort«, drängte Caleb und
versuchte einen Rest Vernunft im verwirrten Gehirn des Mannes
anzusprechen.
»Es ist Charun.« Der Mann kämpfte sich auf die
Knie hoch, plötzlich fasziniert von den Flammen. »Er ist da.« Im
Feuerschein zeichneten sich in seiner Miene Ehrerbietung und
euphorische Verwunderung ab. »Er ist gekommen, um mich von dir zu
befreien. Du bezahlst mit deiner Seele, weil du es wagtest, einen
Diener des Dämons anzugreifen.«
Die Flammen hatten einen mit Stoff drapierten
Tisch erreicht. Das schwarze Tuch fing rasch Feuer. Dichter Qualm
wälzte sich durch den Raum. Der Führer schien wie gebannt von dem
Inferno, das sich schnell ausbreitete.
Caleb hob seine Waffe auf und schlug mit dem
Griff fest auf den Hinterkopf des Mannes ein.
Der Führer sackte nach vorne zusammen.
Caleb steckte die Waffe in die Tasche. Um den
Rauchschwaden zu entgehen, duckte er sich und zog ein großes
Taschentuch heraus, das er sich vor Mund und Nase hielt. Ein
rascher Blick in die Runde zeigte ihm, dass er sich nun mit dem
Mann allein im Raum befand.
Wieder fasste er nach der Kapuze des Dieners und
benutzte sie, um den Bewusstlosen über den Steinboden zu
zerren.
Er zog seine Last hinter den schwarzen
Samtvorhang. Die Luft auf der anderen Seite war viel besser, doch
der Gang war unbeleuchtet. Finsternis dräute vor ihnen.
Er ließ das Taschentuch fallen und drückte eine
Hand an die Wand des Steintunnels. Hinter ihm ertönte wieder ein
gefährliches Brausen, als der Samtvorhang ein Opfer der Flammen
wurde. Er warf keinen Blick zurück. Die alten Steine und den
Geruch von Frischluft als Wegweiser nutzend, tastete er sich bis
ans Ende des Tunnels, den Führer hinter sich her zerrend.
Vor ihm verdrängte Licht die Dunkelheit. Gleich
darauf sah er eine Gestalt. Das grelle gelbe Licht fiel auf ein
bekanntes Gesicht.
»Dachte ich mir’s doch, dich hier zu treffen,
Vetter«, sagte Caleb.
»Was hat dich aufgehalten?« Gabriel Jones bückte
sich und half ihm mit dem Bewusstlosen. »Laut Plan hättest du mit
Fletcher und dem Jungen herauskommen sollen.«
»Ich wollte nicht riskieren, diesen Schuft zu
verlieren.« Caleb sog die frische Luft begierig ein. »Dann gab es
ein Problem mit einem Feuer.«
»Ja, das sehe ich. Wer ist das?«
»Sein Name ist mir nicht bekannt. Er nannte sich
Diener Charuns. Wer immer er ist, er ist total irre. Fletcher und
der Junge sind in Sicherheit?«
»Ja. Sie erwarten uns draußen. Ebenso Spellar
und ein paar Konstabler. Sie haben ein paar Anhänger des Kultes
zusammengetrieben.«
»Eine Festnahme ist sinnlos. Es sind junge,
leichtgläubige Straßenjungen. Falls Sie an die Macht ihres
dämonischen Herrn glaubten, ist dieser Glaube jetzt sicher
erloschen.«
Sie traten aus dem dunklen Gang und sahen ein
paar verängstigte Altardiener und eine stattliche Anzahl von
Polizisten im Hof einer alten, verlassenen Spelunke, die als Tempel
des Kultes gedient hatte. Leuchten erhellten die chaotische
Szene.
Edmund Fletcher eilte herbei, ihm dicht auf den
Fersen der gerettete Junge.
»Alles in Ordnung, Sir?«, fragte Edmund.
Er strahlte erregenden Überschwang aus. Caleb
erkannte die Nachwirkungen, die so oft ein knappes Entkommen aus
Gefahr begleiten, zumal wenn man starke Erregung empfand, nachdem
man sein Talent bis an die Grenzen ausgeschöpft hatte. Ihn selbst
überkam nun ein ähnliches Gefühl.
Es war nicht das erste Mal, dass er diese Art
nervösen Rausches erlebte. Allerdings wusste er nicht, warum er
plötzlich an Lucinda Bromley denken musste.
»Mir fehlt nichts«, sagte Caleb. Er unterdrückte
einen Hustenreiz und schlug Edmund auf die Schulter. »Sie haben
eben ganze Arbeit geleistet, indem Sie uns unauffällig durch die
vielen verschlossenen Türen schleusten und den Jungen sicher
herausbrachten. Großartig gemacht.«
Edmund grinste. »Glauben Sie, dass Sie noch
andere Aufträge für mich haben werden?«
»Keine Sorge. Sicher wird die Agentur Jones
einen Mann Ihrer Begabung immer wieder einsetzen.«
Der Junge blickte zu ihm hoch. »Entschuldigung,
Sir, aber Mr Fletcher und ich sprachen von Ihrer Detektiv-Agentur.
Das scheint mir eine interessante Arbeit zu sein. Brauchen Sie
einen Agenten mit meinen Fähigkeiten?«
Caleb blickte auf ihn hinunter. »Wie heißt
du?«
»Kit, Sir. Kit Hubbard.«
»Und welche Fähigkeiten hast du, Kit
Hubbard?«
»Na ja, ich kann Dinge nicht verschwinden lassen
wie Mr Fletcher«, sagte Kit ernsthaft, »aber ich bin sehr gut im
Aufstöbern von Sachen.«
»Was meinst du damit?«
»Seit letztem Jahr habe ich das Talent. Vorher
konnte ich es nicht, jedenfalls nicht so wie jetzt.«
Starke psychische Begabungen zeigten sich meist
in der Pubertät.
Caleb wechselte einen Blick mit Gabe. Bis vor
Kurzem war die Mitgliedschaft in der Arcane Society auf jene
beschränkt, die hineingeboren worden waren oder eingeheiratet
hatten. Jahrhundertelang war Geheimhaltung für das Überleben der
Organisation von höchster Bedeutung gewesen, da Menschen mit
paranormalen Fähigkeiten der Hexerei beschuldig worden waren. Diese
Gefahr hatte die Gruppe davon abgehalten, mit übernatürlichen
Begabungen ausgestattete Außenstehende ungeachtet ihrer sozialen
Herkunft zu rekrutieren.
Aber die Welt hatte sich geändert. Ein neues
Zeitalter war angebrochen, und das derzeitige Oberhaupt der Society
war ein Mann mit modernen Ansichten.
Gabe musterte den Jungen. »Du hast ein sehr
interessantes Talent, Kit.«
Kit deutete auf den juwelenbesetzten Dolch, den
Edmund Fletcher noch immer in der Hand hielt. »Ich habe die Klinge
für Mr Hatcher gefunden.«
Alle sahen zu dem Kapuzenmann hin, der sich
allmählich zu regen begann.
»Heißt er so?«, fragte Caleb. »Hatcher?«
»Arnie nannte ihn so«, erwiderte Kit. »Arnie
arbeitet für ihn, müssen Sie wissen. Er sagte zu mir, wenn ich den
Dolch Mr Hatcher brächte, würde ich mehr Geld kriegen, als ich im
ganzen Leben zu sehen bekäme. Also fand ich den Dolch für
ihn, in einem alten Haus an der Skidmore Street. Der Besitzer war
schon lange tot, und seither hatte kein Mensch den Keller
ausgeräumt. Als Nächstes wachte ich auf einer Steinplatte auf, und
Arnie hielt mir den verdammten Dolch an den Kopf.«
»Ich möchte mehr über dein Talent erfahren,
Kit«, sagte Caleb. »Ich bin fast sicher, dass meine Agentur einen
jungen Mann mit deinen Fähigkeiten brauchen könnte.«
Kit grinste. »Zahlen Sie gut, Sir?«
»Sehr gut. Frag Mr Fletcher.«
Edmund lachte und zauste Kits Haar. »Ein Auftrag
für die Agentur Jones bringt dir die Miete für einige Monate. Es
bleibt sogar noch etwas … für einen hübschen Hut für deine
Mutter.«
»Ach, das wird Ma aber freuen«, frohlockte
Kit.
»Viel wahrscheinlicher ist, dass sie glaubt, du
hättest die kriminelle Laufbahn eingeschlagen«, sagte Caleb. »Was
der Wahrheit ziemlich nahe kommt.«
Spellar tauchte aus dem Dunkel auf und nickte
Gabe zu.
»Ich dachte, Sie sollten wissen, dass die
Nachricht bereits nach außen drang, Sir«, sagte er. »Die Herren von
der Presse müssten jeden Augenblick aufkreuzen. In den nächsten
Tagen wird diese Geschichte als Sensationsmeldung gehandelt. Gewiss
wollen Sie nach Möglichkeit vermeiden, die Society und den Namen
Jones hineinzuziehen.«
Die Zeiten hatten sich zwar gewandelt, dachte
Caleb, doch gab es noch immer gute Gründe, im Umgang mit der Presse
Vorsicht walten zu lassen.
»Danke, Inspektor«, sagte Gabe. »Es ist höchste
Zeit, dass die Agenten der Agentur Jones sich empfehlen.« Er sah
Kit
und Edmund an. »Ihr beide kommt mit uns. Wir bringen euch nach
Hause. Sicher ist Kits Mutter vor Sorge schon außer sich.«
Kit sah zu Hatcher hin. »Was wird aus ihm?
Landet er im Knast?«
Hatcher wählte diesen Moment, um Spellar lallend
etwas zu sagen.
»Charun kam zu meiner Rettung«, sagte er. »Er
ließ einen großen Feuersturm aufflammen. Doch ein Geist von der
anderen Seite wagte ihm die Stirn zu bieten.« Er starrte Caleb mit
aufgerissenen und vor Wut fieberglänzenden Augen an. »Erbebe vor
Angst, Phantom. Bald wirst du den Zorn des Dämons zu spüren
bekommen.«
Spellar schaute Kit an. »Ich halte es für
wahrscheinlicher, dass dieser Gentleman im Irrenhaus landet.«
Die zu Kopf steigende Energie, die Caleb erfüllt
hatte, nahm ab. Eisiges Schaudern trat an ihre Stelle.
»Ein Los ärger als der Tod«, sagte er
leise.