10. KAPITEL
»Es tut mir ja so leid, dass ich dir so einen
Riesenschrecken einjagte, Lucy.« Patricia nahm sich Eier vom
silbernen Servierteller auf dem Sideboard. »Ich entschuldige mich
aufrichtig.«
»Deine Entschuldigung wäre akzeptabler, wenn du
dabei nicht lachen würdest«, grollte Lucinda. »Fast hättest du
meine Nerven auf dem Gewissen.«
»Unsinn«, sagte Patricia. »Du bist aus härterem
Holz geschnitzt. Wenn ich schwanger und auf verzweifelter Suche
nach einem Ehemann auf deiner Schwelle gelandet wäre, hättest du
keine Zeit verloren, einen für mich zu finden. Meinen Sie nicht
auch, Mr Jones?«
»Ich bin sicher, Miss Bromley ist mehr als
befähigt, jede Aufgabe zu erfüllen, die sie sich vornimmt«, sagte
Caleb, der eine Scheibe Tost mit Butter bestrich.
Lucinda sah ihn über die ganze Länge des Tisches
hinweg unfreundlich an. Es war ein Fehler gewesen, ihn zum
Frühstück einzuladen, doch sie hatte nicht anders gekonnt, da er
sich ausschließlich auf seine eiserne Willenskraft verließ, um
seine Erschöpfung sowie die Folgen des nächtlichen Abenteuers und
die sonderbare Disharmonie seiner Aura wieder in Ordnung zu
bringen, obwohl er gutes Essen und viel Schlaf brauchte. Ersteres
konnte sie ihm bieten. Die Heilkundige in ihr ließ nichts anderes
zu.
Dennoch hatte sie erwartet, er würde ihre
Einladung zum Frühstück ablehnen. Zu ihrer Verwunderung hatte er so
bereitwillig angenommen, als speise er regelmäßig bei ihr. Nun saß
er am Kopf der Tafel, erfüllte das sonnige Morgenzimmer mit der
Aura seiner maskulinen Vitalität und vertilgte Rühreier und Toast,
als wäre er völlig ausgehungert.
Sicher klatschten die Nachbarn jetzt schon, doch
in Anbetracht des schlechten Rufes, den dieses Haus schon hatte,
war ein mysteriöser männlicher Besucher eine Bagatelle.
»Ich glaube, wir haben das delikate Thema nun
zur Genüge abgehandelt«, sagte sie streng. »Sprechen wir von etwas
anderem. Von irgendwas. Du hast deinen kleinen Spaß gehabt,
Patricia.«
»Tja, eigentlich war es kein Scherz,
Lucy.«
»Was meinst du damit?« Patricia trug ihren
vollen Teller zum Tisch und setzte sich. »Ich werde dich nicht mehr
mit dem Missverständnis bezüglich meines gar nicht delikaten
Zustands aufziehen, doch es war ernst, als ich sagte, dass ich hier
bin, um einen Ehemann zu finden. Ein Monat sollte doch reichen,
oder?«
Lucinda ließ beinahe ihre Tasse fallen. Am Ende
des Tisches schluckte Caleb wieder eine Gabelladung Eier, was ihn
nicht hinderte, Patricia voller Interesse zu beäugen.
»Wie wollen Sie die Sache angehen?«, fragte er
neugierig. »Nun, so wie Kusine Lucy natürlich.« Patricia goss sich
Kaffee nach. »Sehr effektiv und logisch.«
Caleb blickte Lucinda an.
»Es war eine Katastrophe«, stieß Lucinda
ungehalten hervor. »Sicher ist es deiner Aufmerksamkeit nicht
entgangen, dass ich nicht nur nicht verheiratet bin, sondern dass
mein
Verlobter vergiftet wurde und man mich für die Schuldige
hält.«
»Nun ja, ich weiß wohl, dass die Dinge sich
nicht nach Plan entwickelten«, sagte Patricia beschwichtigend. »Das
bedeutet aber nicht, dass die zugrundeliegende Methode falsch
war.«
Nun war Caleb vollends fasziniert. »Schildern
Sie mir die Methode, Miss Patricia.«
»Die war sehr direkt«, sagte Patricia, sich für
das Thema erwärmend. »Lucy legte eine Liste der Eigenschaften an,
die sie von einem Ehemann erwartete. Diese Liste gab sie ihrem
Vater, der sodann die Herren seines Bekanntenkreises und deren
Söhne durchging, um festzustellen, wer den Anforderungen am ehesten
entsprach.«
»Der Kandidat, den Papa und ich auswählten, war
Ian Glasson«, sagte Lucinda kalt. »Er erwies sich als alles andere
als geeignet.«
»Ich verstehe.« Patricia ließ sich nicht
beirren. »Aber ich glaube, dass das Problem darin bestand, dass du
eines auf deiner Liste vergessen hast.«
»Was war das?«
»Psychische Kompatibilität«, erklärte Patricia
mit einer Miene bescheidenen Triumphs. »Das war die fehlende
Zutat.«
»Und wie hätte ich diese Erfordernis überprüfen
sollen?«, wollte Lucinda wissen.
»Das ist es eben«, sagte Patricia. »Du konntest
es nicht. Du hast in diesem Bereich blind agiert. Aber Mama sagte,
es gäbe in der Society nun eine
Ehestifterin, die eben diese Eigenschaft erkennen kann.«
Caleb nickte. »Lady Milden.«
Lucinda und Patricia wandten sich ihm zu.
»Sie kennen sie?«, fragte Patricia
aufgeregt.
»Gewiss. Sie ist die Großtante meines Vetters
Thaddeus Ware.« Caleb legte die Stirn in Falten. »Damit ist sie mit
mir irgendwie verwandt, wenn ich auch nicht weiß, wie.«
»Würden Sie so gut sein und mich ihr
vorstellen?«, fragte Patricia.
Caleb genehmigte sich einen Bissen von seinem
Räucherlachs. »Ich verständige sie noch heute davon, dass Sie ihre
Dienste in Anspruch nehmen wollen.«
Patricia glühte vor Aufregung. »Das ist sehr
gütig, Sir.«
Lucinda war die Sache nicht geheuer. »Patricia,
ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«
»Ich finde das sehr vernünftig«, sagte Caleb. Er
sah Patricia an. »Was sind die von Ihnen geforderten
Eigenschaften?«
»Ach, ich nahm einfach Lucindas Liste«, erklärte
Patricia. »Und ergänzte sie um den Faktor psychische
Kompatibilität.«
»Und was stand auf Miss Bromleys ursprünglicher
Liste?«
»Nun, unter anderem müssen die Kandidaten vor
allem moderne Ansichten über die Gleichberechtigung der Frau
haben«, sagte Patricia.
Caleb nickte, offenbar in voller Übereinstimmung
mit dieser Erfordernis.
»Weiter«, drängte er.
»Passende Kandidaten müssen auch geistige
Interessen haben, die meinen entsprechen«, fuhr Patricia fort.
»Schließlich
werden wir viel Zeit miteinander verbringen. Ich erwarte von
meinem Ehemann, dass er nicht nur über Archäologie an sich Bescheid
weiß, sondern auch über die paranormalen Aspekte des Themas.«
»Sehr sinnvoll«, pflichtete Caleb ihr bei.
»Er muss außerdem bei guter Gesundheit sein,
körperlich wie geistig.«
»Eine legitime Forderung, wenn man an Nachwuchs
denkt«, warf Lucinda rasch ein, als sie sah, dass Caleb die Stirn
runzelte.
»Er muss auch sehr großzügig sein, was mein
Talent betrifft«, sagte Patricia. »Nicht jeder Mann ist bereit,
eine Frau zu tolerieren, die starke psychische Fähigkeiten hat, wie
ich leider sagen muss.«
»In diesem Fall wäre es am besten, einen Partner
innerhalb der Society zu suchen«, schlug Caleb vor.
»Das war auch mein Plan«, gab Patricia ihm
recht. »Und schließlich, nicht unwichtig, muss der Kandidat eine
positive und fröhliche Disposition haben.«
»Das versteht sich von selbst«, sagte
Lucinda.
Calebs neugierige Miene war schlagartig
verschwunden und einem harten Ausdruck gewichen. »Die anderen
Forderungen kann ich verstehen, aber warum eine positive fröhliche
Natur?«
»Also wirklich, Sir«, sagte Lucinda forsch. »Das
ist doch klar. Ein umgängliches Wesen ist eine sehr wichtige
Eigenschaft bei einem Ehemann. Allein der Gedanke, sich mit einem
Mann abzugeben, der zu Melancholie und Trübsinn neigt, weckt in
jeder intelligenten Frau den Wunsch, eine alte Jungfer zu
werden.«
Calebs Kinn spannte sich. »Ein Mann hat ein
Recht auf gelegentliche Verdrossenheit.«
»In der Tat«, sagte Lucinda. »Doch kommt es auf
das Wort gelegentlich an. Keine Frau sollte
gezwungen sein, ein derartiges Benehmen gewohnheitsmäßig zu
ertragen.«
»Am besten vermeidet man das Problem von Anfang
an und wählt den richtigen Ehemann«, sagte Patricia. »Eine
fröhliche, positiv gestimmte Natur ist eine wichtige
Bedingung.«
»Hmm.« Caleb widmete sich sichtlich verstimmt
wieder den Eiern.
Lucinda fiel auf, dass seine Laune sich
entschieden zum Schlechteren gewendet hatte. Sie sah Patricia an.
»Die zusätzliche Forderung psychischer Übereinstimmung ist eine
hervorragende Idee. Und ich gebe dir recht, dass es sehr klug ist,
eine professionelle Eheanbahnung in Anspruch zu nehmen. Das große
Hindernis, dem du dich gegenübersiehst, bin leider ich.«
Patricia starrte sie an. »Wie meinst du
das?«
Lucinda seufzte. »Du hast mit deinen Eltern den
größten Teil der letzten anderthalb Jahre in Italien und Ägypten
verbracht. Dir ist nicht klar, wie sich seit dem Tod meines Vaters
und seines Partners, meines Verlobten, für mich alles verändert
hat. Ich meine damit die Giftmordgerüchte.«
»Was ist damit?«, fragte Patricia. »Sag bloß
nicht, deine Freunde und Nachbarn glauben diesen Unsinn.«
»Leider glauben es die meisten«, sagte Lucinda
einfach. »Mehr noch - ich wage die Behauptung, dass Lady Milden
dich als Klientin ablehnen wird, solange du mit mir in enger
Verbindung stehst. Es mit den Gerüchten aufzunehmen, die
sich um dieses Haus ranken, stellt für jede Heiratsvermittlerin
eine unüberwindliche Herausforderung dar.«
Caleb blickte von seinen Rühreiern auf. »Da
kennen Sie Lady Milden schlecht.«