30. KAPITEL

»Tatsache ist, dass Miss Patricia eine sehr intelligente Frau ist«, sagte Edmund. Zorn und Frust unterstrichen jedes seiner Worte. »Warum erkennt sie nicht selbst, dass keiner aus der Schar scharwenzelnder Dandys der Richtige für sie ist? Die eine Hälfte hat es auf ihr Erbe abgesehen, und die andere Hälfte ist von ihrer Schönheit geblendet. Kein Einziger liebt sie wirklich.«
»Falls Sie von mir erwarten, ich solle Ihnen erklären, was eine Frau in einem Ehemann sucht und warum, dann sind Sie an den Falschen geraten.« Caleb goss sich einen Sherry ein. »Fragen Sie mich lieber nach etwas Einfachem wie nach der Wahrscheinlichkeit, dass ein irrer Wissenschaftler namens Basil Hulsey in diesem Moment an einer neuen Version der Formel des Gründers arbeitet. In solchen Fragen bin ich gut.«
Er musste sich innerlich auf den Sherry einstimmen, da er Sherry verabscheute, insbesondere die klebrig süße Sorte, die Lucinda offenbar bevorzugte, doch die Auswahl an Getränken war begrenzt. Er und Edmund befanden sich in Lucindas Bibliothek, und Sherry war die einzige zur Verfügung stehende Option. Lucinda und Patricia kleideten sich im Obergeschoss für den Ball an. Victoria war bei ihnen und überwachte die letzten Einzelheiten.
Edmund hatte ruhelos den Raum durchmessen. Nun blieb er einen Augenblick abgelenkt stehen. »Hatten Sie Glück bei der Suche nach Hulsey?«
»Ein wenig.« Caleb ließ sich seitlich auf Lucindas Schreibtisch nieder. »Aber nicht annähernd genug.« Er zog seine Taschenuhr heraus. »Für heute Nacht erhoffe ich mir mehr Erfolg.«
»Was wollen Sie heute in Erfahrung bringen?«
»Ich bin mit dem zweiten Kidnapper verabredet.«
»Sie haben ihn gefunden?« Erregung trat kurz an die Stelle des brodelnden Unmuts in Edmunds Augen. »Er war einverstanden, sich mit Ihnen zu treffen?«
»Nicht ganz. Der junge Kit suchte mich vor einer Stunde auf und berichtete, der Mann würde sich seit dem Tod seines Kumpans allabendlich in einer gewissen Kneipe einen Vollrausch antrinken. Ich plane, ihn heute zu stellen, und hoffe, dass das Überraschungselement zu meinen Gunsten wirkt.«
Edmund furchte die Stirn. »Sie sollten nicht allein hingehen. Nehmen Sie mich mit.«
»Nein. Sie müssen Patricia und Lucinda im Auge behalten.«
»Dann nehmen Sie jemand anderen mit. Einen Ihrer Vettern etwa.«
»Laut Kit ist der Mann ein nervöses Wrack. Den Tod seines Partners mit ansehen zu müssen, hat er wohl nicht verkraftet. Höchstwahrscheinlich würde er die Flucht ergreifen und in der Nacht verschwinden, wenn er merkt, dass zwei Unbekannte sich ihm nähern wollen. Ich müsste mich dann von Neuem an seine Spur heften. Nein, solche Situationen erfordern ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl.«
»Wenn Sie meinen.« Edmund war nicht ganz zufriedengestellt, doch er verfolgte das Thema nicht weiter. Er nahm seine Wanderung wieder auf. »Glauben Sie wirklich, dass Lady Milden weiß, was sie mit ihrer Kuppelei anrichtet?«
»Keine Ahnung.« Er nippte an seinem schlechten Sherry, gab es dann ganz auf und stellte das Glas ab. »Sie ist ja noch nicht lange in dem Geschäft, zu kurz jedenfalls, als dass man ihre Geschicklichkeit beurteilen könnte.«
»Es kann Jahre dauern, bis sich herausstellt, ob sie für die Vermittlung von Ehen geeignet ist. Inzwischen könnte Miss Patricia an einen Rohling oder an einen Mitgiftjäger geraten, und ihr Leben wäre ruiniert. Diesen Riverton halte ich für besonders niederträchtig. Er würde vor nichts zurückschrecken, um eine Erbin zu heiraten.«
Caleb ließ sich dies eine Weile durch den Kopf gehen, während Edmund den Teppich strapazierte.
»Miss Patricia ist eigentlich keine Erbin«, sagte er sodann gelassen. »Meines Wissens wird sie zwar ein nettes Einkommen erben, aber sicher kein großes Vermögen.«
»Ich weiß nur, dass ihr Einkommen, ob groß oder klein, auf Riverton sehr verlockend wirkt. Wenn ich mir noch einmal anhören muss, wie er ihr von seiner Leidenschaft für Archäologie vorschwärmt, werfe ich ihn aus dem nächstliegenden Fenster, das schwöre ich.«
»Miss Patricias künftiges Glück scheint Ihnen ja sehr am Herzen zu liegen«, bemerkte Caleb. »Ich hatte anfangs den Eindruck, dass Ihnen ihre Einstellung zur Ehe ziemlich gefühlskalt erschien.«
Edmunds Miene verfinsterte sich. »Genau das ist es. Miss Patricia ist keine kalte Frau. Ganz im Gegenteil. Man muss befürchten, dass sie aus Angst, sich von Gefühlen irreleiten zu lassen, gegen ihre warmherzige Natur entscheidet. Dieser sogenannte wissenschaftliche Weg, einen passenden Ehemann zu finden, ist Unsinn. Haben Sie die verdammte Anforderungsliste gesehen, die sie Lady Milden gab?«
»Ja, ich glaube, sie erwähnte ihre Kriterien.« Er überlegte mit zusammengekniffenen Augen. »Offenbar hat sie diese Idee von Miss Bromley.«
Bromley & Jones. Wie zum Teufel war Lucinda darauf gekommen? Sie war viel zu intelligent, um seinen Antrag misszuverstehen. Warum sagte sie es nicht rundheraus, wenn sie ihn nicht heiraten wollte? Warum dieser Humbug, dass sie Partnerin in seiner Firma werden wollte?
Es sei denn, sie hatte ihn missverstanden. Allmächtiger! War es denn möglich, dass er sich nicht klar genug ausgedrückt hatte?
»Der Mann, den sie sucht, existiert nicht«, verkündete Edmund.
»Was?« Caleb zwang sich, Edmund zuzuhören. »Ach so. Die Liste. Offenbar hatte Lady Milden keine Mühe, eine stattliche Anzahl passender Bewerber zusammenzubekommen.«
»Aber die passen alle nicht zu Miss Patricia, kein Einziger«, zeigte Edmund sich beharrlich.
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher. Ich halte es für meine Pflicht, Miss Patricia zu retten, sie aber will nicht auf mich hören. Ich schwöre, dass sie mich wie einen Wachhund behandelt. Entweder gibt sie mir Befehle oder sie streichelt mich.«
»Sie streichelt Sie?«
»Bildlich gesprochen.«
»Ich verstehe.«
Caleb bekam das unbehagliche Gefühl, von ihm würde ein reifer und hilfreicher Rat unter Männern erwartet, doch ihm wollte nichts einfallen. Möglicherweise, weil er noch immer bemüht war, für sich selbst einen guten Rat auf dem gleichen Gebiet zu finden.
Bromley & Jones.
Vielleicht war diese verdammte Liste das eigentliche Problem. Er wollte ja gern zugeben, dass er nicht allen Anforderungen entsprach, die Lucinda an einen Ehemann stellte, doch sie hatte immerhin zugegeben, dass sie ein ausgezeichnetes Team darstellten. Und sie schien sich auch körperlich zu ihm hingezogen zu fühlen.
War es denn möglich, dass diese Faktoren nicht ausreichten, um sie zu einem Kompromiss zu bewegen? Musste er jede verdammte Eigenschaft besitzen, die sie auf der dummen Liste angeführt hatte? Zum Teufel, musste er sich etwa ein fröhliches und positives Wesen angewöhnen? Manche Dinge waren auch für das stärkste Talent unerreichbar.
Eine Affäre mochte für kurze Zeit schön und gut sein, doch ihm behagte das Element der Unsicherheit nicht, das Beziehungen dieser Art prägte. Was, wenn eines Tages ein Mann auf der Bildfläche erschien, der Lucindas Anforderungen hundertprozentig entsprach, und sie mit verführerischem Geplauder über die Rätsel der Farn-Fortpflanzung oder die sinnlichen Aspekte von Griffeln und Bestäubung für sich gewann?
Victoria fegte herein, ihr dicht auf den Fersen Lucinda und Patricia.
»Wir sind fertig, Gentlemen«, verkündete sie im Ton eines Befehlshabers, der seine Truppen in den Kampf schickt.
Caleb richtete sich automatisch vom Schreibtisch auf. Ganz vage gewahrte er, dass Edmund abrupt stehen blieb und sich zu den Damen umdrehte.
Nun trat totale Stille ein, während sie beide die Damen anstarrten.
Lucinda runzelte die Stirn. »Ist etwas, Mr Jones?«
Nun erst merkte er, dass er sie anstarrte. Er konnte nicht anders. Sie sah in ihrem Kleid hinreißend aus. Die violette Ballrobe schmückten Samtbänder und diskret angebrachte Kristalle, in denen sich das Licht fing. Lange, eng anliegende Handschuhe betonten die anmutige Form ihrer Arme. Auch auf einem Samtband um ihren Hals blitzten unzählige Kristalle.
Da wusste er, dass es ihm für den Rest seines Lebens bestimmt war, die Erregung zu verspüren, die die Energie und Intimität erzeugten, wenn sie einen Raum betrat. So ist es recht. Du gehörst zu mir. Zur Hölle mit deinem perfekten Ehemann. Sollte er so dämlich sein, jemals aufzutauchen, werde ich dafür sorgen, dass er wieder verschwindet.
Lieber Gott, jetzt hörte er sich an wie Fletcher. Aber ihm waren seine Worte ernst, doch jetzt war vermutlich nicht der richtige Zeitpunkt, sie laut auszusprechen.
Im Zweifelsfall waren gute Manieren stets ein Rückhalt.
Er riss sich zusammen, ging auf Lucinda zu und ergriff mit einer Verbeugung ihre Hand.
»Nein«, sagte er. »Es ist nichts. Ich war nur einen Moment sprachlos. Sie und Miss Patricia sehen umwerfend aus. Meinen Sie nicht auch, Mr Fletcher?«
Edmund zuckte zusammen, als wäre auch er aus einer Trance erwacht. Er trat vor, um Patricias Hand zu ergreifen, und brachte eine förmliche Verbeugung zustande.
»Ganz reizend«, sagte er. Er hörte sich an, als sei ihm plötzlich die Kehle eng geworden. »Ihr blaues Kleid macht Sie zu einer Märchenprinzessin.«
Paricia errötete. »Danke, Mr Fletcher.«
Victoria räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. »Mr Fletcher, Sie werden Patricia und mich in meinem Wagen begleiten. Mr Jones fährt mit Lucinda. In Anbetracht des letzten Artikels im Flying Intelligencer ist es sehr wichtig, dass man sieht, wie er Lucinda heute in den Ballsaal geleitet.«
Lucinda verzog das Gesicht. »Wirklich, ich glaube nicht, dass es nötig ist.«
»Lassen Sie sich mit einem Experten nie in Debatten ein«, sagte Caleb und zog ihren Arm mit festem Griff unter seinen.
Sie gingen in die Eingangshalle, wo Mrs Shute die Tür öffnete. Die zwei Kaleschen warteten auf der Straße. Caleb folgte Lucinda in das dunkle Innere ihres kleinen Gefährtes und setzte sich ihr gegenüber.
»Was ist passiert?«, fragte Lucinda sofort.
»Was?«
»Ich spürte, dass sich etwas zugetragen hat«, sagte sie. »Deine Aura enthält eine neue Art von Spannung. Du hast doch heute Abend noch eine Tasse oder zwei meiner Mischung getrunken?«
»Ich fürchte, dass deine Teemischung, so bemerkenswert sie ist, wenig Wirkung auf die momentane Quelle meiner Anspannung ausüben wird.«
»Aber du sagtest, dass sie beruhigend wirkt.«
»Das ist sie auch, wenn es sich um den Umgang mit Gift handelt. Was ich aber jetzt empfinde, hat mit dem verdammten Notizbuch nichts zu tun.«
»Was ist es denn dann? Vielleicht habe ich auch dagegen ein Mittel.«
Er lächelte. »Tatsächlich hast du eines. Leider habe ich nur Zeit für eine ganz kleine Dosis.«
Er beugte sich vor und küsste sie; ein schneller, harter, besitzergreifender Kuss.
»Das muss für den Moment reichen«, sagte er und setzte sich zurecht, ehe sie auch nur annähernd Zeit zu einer Reaktion hatte. »Ich habe eine Neuigkeit.«
Er berichtete ihr von Kits Nachricht und von seiner Absicht, sich mit dem Entführer zu treffen. Sofort erwachte ihre Besorgnis.
»Du darfst nicht allein hingehen«, sagte sie. »Nimm doch Mr Fletcher mit.«
»Er machte schon denselben Vorschlag. Und ich werde dir antworten, was ich auch zu ihm sagte. Seine Aufgabe ist es, dich und Miss Patricia zu bewachen. Ich komme allein zurecht.«
»Bist du bewaffnet?«
»Ja. Aber ich bin sicher, dass eine Waffe nicht nötig ist. Sei meinetwegen unbesorgt. Ich werde dich in den Ballsaal begleiten, und wir werden eine Runde tanzen, damit uns alle sehen, ehe ich mich für etwa eine Stunde davonmache. Ich werde rechtzeitig zurück sein, um dich nach Hause zu bringen.«
»Du bist für einen Ball gekleidet und nicht für ein Treffen mit einem Ganoven in einer Hafenkneipe.«
»Ob du es glaubst oder nicht, daran habe ich gedacht und Mantel und Hut mitgenommen, die meine Abendgarderobe verhüllen.«
»Der Plan gefällt mir nicht.« Im Licht der Kutschenlampe wirkte ihr Gesicht vor Besorgnis verschattet. »Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl.«
»Billige mir ein wenig Talent zu, meine Süße. Ich schätze die Wahrscheinlichkeit, dass das Treffen mit dem Entführer ereignislos verlaufen wird, auf dreiundneunzig Prozent.«
»Bleiben sieben Prozent Raum für einen Irrtum.« Sie umfasste ihren Fächer ganz fest. »Versprich mir, dass du vorsichtig sein wirst, Caleb.«
»Nicht nur das … du hast mein Wort, dass ich rechtzeitig zur Stelle sein werde, um mit dir noch einen Walzer zu tanzen, bevor ich dich nach Hause bringe.«
Suesses Gift Der Liebe
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