23. September 1961 - Vatikan
In seinem Arbeitszimmer im zweiten Stockwerk des großen Gebäudes neben dem Petersdom legte seine Eminenz Kardinal Benino Campisi das Dokument aus der Hand, das er soeben überflogen hatte. Er schnaubte vor Ärger. Manche Bischöfe schienen in ihm, dem Präfekten der Sacra Congregatio Sancti Officii, die Sammelstelle für all ihre kleinen Wehwehchen zu sehen. Über den Rand seiner Lesebrille hinweg blickte er seinen jungen Untersekretär, Pater Leonardo Corsetti, missmutig an.
»Dem Heiligen Offizium obliegt es, die Glaubens-und Sittenlehre zu schützen und die Welt vor der Krankheit des Kommunismus zu bewahren, aber nicht eine Hexenjagd auf einen kleinen angehenden Priester zu veranstalten, der in weinseliger Laune Unsinn von sich gibt, von dem er am nächsten Tag schon nichts mehr weiß. Ist dieser junge Mensch Kommunist? Nein! Hat er kommunistische Parolen verbreitet? Nein! Sagen Sie also diesem Bischof Dittler, er soll mich in Zukunft nicht mehr mit solchen Lappalien behelligen. Die Kirche hat sich um weitaus schwerwiegendere Probleme zu kümmern als um einen jungen Priesteranwärter, der sich vor seinen Freunden ein wenig aufspielen möchte. Kommen wir zum nächsten Punkt…«
Kurze Zeit später saß Pater Corsetti wieder hinter seinem Schreibtisch, die Augen auf das große, zweiflügelige Fenster gerichtet. Ein eigenartiges Gefühl hatte ihn beschlichen, eine dunkle Ahnung von heraufziehendem Unheil. Ohne Zweifel war der katholischen Kirche mit dem Kommunismus eine feindliche Macht erwachsen, die nicht zu unterschätzen war. Ausgehend von der Sowjetunion, die nach dem Zweiten Weltkrieg schnell zur Supermacht geworden war, hatte sich der Marxismus und mit ihm der Atheismus wie ein Lauffeuer verbreitet. Kardinal Campisi hatte deshalb das Heilige Offizium zu einer Art antikommunistischen Polizei ausgebaut. Er war besessen von dem Gedanken, den Kommunismus auszurotten. Übersah er so aber nicht andere, vielleicht nicht minder große Gefahren? Corsetti nahm sich vor, ein längeres Gespräch mit Bischof Dittler zu führen. Er griff zum Hörer.