10. Kapitel

Manchmal ist es tröstlich, seine Sorgen mit jemandem zu teilen.

Pierre Corneille

Am späten Nachmittag spürte Grace allmählich, wie anstrengend dieser Tag war. Das Beantworten der vielen Fragen und das Lösen von Problemen hatten sie müde gemacht. Je mehr sie sich umsah, desto mehr Arbeit schien es noch zu geben. Ihre Arme und Beine taten ihr weh. Es war heiß, sie war schmutzig, staubig und erschöpft. Sie sehnte sich nach einem ausgiebigen, heißen Bad, aber auch das hätte erst wieder organisiert werden müssen. Wasser musste heiß gemacht werden, und das nahm Zeit in Anspruch. Außerdem gab es nur eine kleine Sitzwanne, und Grace wollte ganz im warmen Wasser versinken. Und dann all diese Fragen, die man ihr unweigerlich stellen würde, warum sie am helllichten Tag baden wollte. Noch dazu war nicht einmal Samstag!

Nein, ein Bad war zu umständlich. Was sie allerdings tun konnte ... Genau, warum sollte sie nicht zum Schwimmen gehen? Sie konnte schwimmen. Als ihre Schwester Faith mit ihrem frischgebackenen Ehemann aus Frankreich zurückgekehrt war, hatte sie allen Merridew-Mädchen erzählt, wie herrlich es sei, im Meer zu schwimmen. Im darauffolgenden Sommer hatten sie es dann alle gelernt. Es war in der Tat himmlisch, und die zwölfjährige Grace war schon bald geschwommen wie ein Fisch. Seitdem hatte sie jeden Sommer Gelegenheiten gefunden, baden zu gehen, auch wenn diese Sportart als ein wenig skandalös für Damen galt.

Wenn sie sich jetzt davonschlich, würde das gar niemand bemerken. Zu dieser Zeit am Nachmittag waren alle noch sehr beschäftigt. Und Lord D’Acre war geschäftlich nach Ludlow geritten und somit in sicherer Entfernung.

Sie klopfte an Sir Johns Schlafzimmertür, trat ein und knickste. „Sir John, Miss Pettifer. Wie geht es Ihnen heute, Sir John?“ Insgeheim fand sie, dass er womöglich noch schlechter aussah. Er war dünner und blasser denn je. Sie warf einen Blick auf das Tablett mit seinem Mittagessen. Der Teller Hühnersuppe und die dünnen Scheiben Brot mit Butter waren nicht angerührt worden. Melly fing ihren Blick auf und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sir John hatte noch immer keinen Bissen herunterbringen können.

„Ich kann nicht klagen, Greystoke.“ Er versuchte, sich anders hinzulegen, und verzog dabei vor Schmerzen das Gesicht. „Ich werde alt, das ist alles. Sind Sie gekommen, um mit uns Karten zu spielen? Ich knöpfe meiner Tochter langsam ihr ganzes Taschengeld ab.“

„Vielen Dank, nein. Ich wollte nur eben das Tablett abholen und Miss Pettifer daran erinnern, dass sie heute Nachmittag ein wenig spazieren gehen wollte.“

„Eine gute Idee, ab mit dir, Melly“, sagte er sofort. „Du brauchst wirklich nicht in einem stickigen Krankenzimmer bei deinem alten Vater zu sitzen. Geh an einem so schönen Tag lieber nach draußen.“

Melly schüttelte heftig den Kopf. „Nein, im Moment ist es noch viel zu heiß, um sich im Freien aufzuhalten. Ich gehe lieber am Abend spazieren, wenn es kühler ist.“

Ihr Vater lächelte sie nachsichtig an. „Du machst dir Sorgen um deinen Teint, stimmt’s, Kleines? Nun ja, einen so zarten Teint muss man ja auch schützen, nicht wahr, Greystoke? Nicht viele von den feinen Londoner Damen können in der Hinsicht mit Melly mithalten.“ Er sah Grace mitleidig an. „Sie sollten auch besser auf Ihren Teint aufpassen, kleine Greystoke. Vielleicht kann Melly Ihnen ja ein paar Ratschläge geben.“

Melly unterdrückte ein Kichern. Sie hatte Grace am vergangenen Abend geholfen, deren Sommersprossen wieder aufzufrischen.

„Ja, Sir John, vielen Dank.“ Grace knickste und nahm das Tablett.

Wenn Melly keine Ausrede wünschte, um für eine gute Stunde einmal nach draußen zu kommen, konnte sie das auch nicht ändern. Sie brachte das Tablett in die Küche und verließ anschließend gut gelaunt das Haus. Jetzt war sie frei und konnte tun, was sie wollte. Zum Beispiel zu dem Teich gehen, von dem Granny Wigmore ihr erzählt hatte und der magische Kräfte haben sollte - magische, von Sommersprossen befreiende Kräfte. Egal. Viel wichtiger war: Grace konnte schwimmen, und niemand würde davon etwas mitbekommen. Und ihren Sommersprossen konnte nichts passieren. Mittlerweile hatte Grace sie richtiggehend lieb gewonnen.

Sie hatte früher keine Ahnung gehabt, wie sehr sommersprossige Mädchen zu leiden hatten. Jeder hatte einen Ratschlag parat, wie man die Dinger loswerden konnte. Mrs Parry hatte ihr Buttermilch geschickt. Granny Wigmore schwor auf das Wasser von Gwydions Teich. Sogar Mrs Tickel hatte ihr Zitronen geschickt mit der Empfehlung, dass Grace zweimal täglich ihr Gesicht mit Zitronensaft waschen sollte.

Und Männer mit verschmitzten goldbraunen Augen dachten laut darüber nach, wo sie sonst noch Sommersprossen haben könnte...

Eine Stunde später verließ Dominic Ludlow wieder. Es war ein sengend heißer Nachmittag, und als Dominic schließlich in Lower Wolfestone eintraf, hatte er einen gewaltigen Durst. Er war so durstig, dass er sich sogar nach einem großen Humpen mit dem bitteren Ale vom „Wolfestone Arms“ sehnte. Er wollte nicht zugeben, nicht einmal im Stillen, dass ihm das Gebräu allmählich zu schmecken anfing.

Ganz in Gedanken verloren bahnte er sich einen Weg durch die Leute, die im Schankraum versammelt waren. Ihm fiel flüchtig auf, dass das Lokal ziemlich voll war, fragte sich aber nicht weiter nach dem Grund. Eine Stimme holte ihn aus seinen Grübeleien.

„Wolfe! Dominic Wolfe! Ich fasse es nicht!“ Jemand hieb ihm so fest auf den Rücken, dass er beinahe nach vorn gestolpert wäre.

Er drehte sich um und sah einen schlaksigen jungen Mann vor sich, der eine taubengraue Hose, eine hellgrau und weiß gestreifte Weste und ein elegantes schwarzes Jackett trug, das an den Aufschlägen kaum merklich verschlissen war. Dominic riss die Augen auf. „Frey - bist du das? Gütiger Gott!“ Er packte die Hand des Mannes und schüttelte sie überschwänglich. „Frey Netterton! Ausgerechnet hier! Komm mit nach draußen und wir trinken etwas!“

Sein Freund sah sich im Schankraum um und rümpfte die lange Nase. „Gern. Ich nehme an, Seife muss von unseren Gefährten hier wohl noch erfunden werden.“

Dominic grinste. Manche Dinge änderten sich zum Glück nie, und dazu gehörte auch Frey. Sein Freund mochte so arm sein wie die sprichwörtliche Kirchenmaus, aber er war so .eitel wie eh und je. „Ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich hier bist, Frey. Was hat dich denn in die Wildnis von Shropshire verschlagen? Ich bin mir sicher, du hast nicht gewusst, dass ich auch in dieser Gegend bin. Das wissen nur ganz wenige.“

„Ja, du verdammter Einsiedler. Wenn ich bedenke, wie sehr der alte Jenkins immer von deiner Schreibkunst geschwärmt hat, so ist es eine Schande, dass du sie nie benutzt, um mit deinen alten Freunden in Kontakt zu bleiben.“ Er lockerte mit einem Finger ganz vorsichtig seinen Kragen, damit das perfekt gebundene Halstuch nicht verrutschte. „Ganz zu schweigen davon, dass du sie bei dieser verdammten Hitze verdursten lässt.“

Dominic lachte und veranlasste, dass ihnen die Getränke zu der im Schatten stehenden Bank vor dem Gasthaus gebracht wurden. „Ich fürchte, es gibt nur Ale. Feine Kundschaft ist man hier nicht gewohnt. “

Frey griff nach dem randvollen Zinnhumpen und trank einen großen Schluck. „Ah, jetzt geht es mir besser. Wen meinst du denn mit ,feiner Kundschaft, Lord D’Acre, Eigentümer von alldem hier?“ Er sah sich um. „Das Dorf gehört doch zu dem Besitz, nicht wahr?“

Dominic starrte in seinen Humpen und verzog das Gesicht. „Ja, aber eigentlich gehört mir das alles noch nicht. Ich muss den Besitz erst noch erwerben.“

Frey runzelte die Stirn. „Was soll das heißen, erwerben? Dein Vater ist doch tot, oder? Und du bist sein einziger Sohn.“ „Schon, aber sein Testament ist etwas ... kompliziert.“

Frey schnaubte. „Du meinst, er versucht noch immer, dich nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, sogar noch vom Grab aus! “ Dominic entspannte sich. Er hätte wissen müssen, dass Frey einer der wenigen Menschen war, die das verstanden. „Ja, du hast es auf den Punkt gebracht. Mein Vater versucht noch vom Grab aus die Strippen zu ziehen, und so muss ich mir mein Erbe erst noch verdienen.“

Frey nahm nachdenklich einen weiteren Schluck von seinem Ale. „Ein verdammt gutes Ale ist das. Und wie sollst du es dir verdienen?“

„Indem ich ganz der pflichtbewusste Sohn und Erbe bin. Indem ich das Mädchen heirate, das er freundlicherweise für mich ausgesucht hat, als ich sechzehn war.“

Frey sperrte den Mund auf. „Das hast du mir nie erzählt!“ „Er hat es mir ja auch nie gesagt. Ich habe es erst vor wenigen Wochen herausgefunden. “ Er verzog das Gesicht. „Er will, dass ich Söhne für Wolfestone zeuge, aber das tue ich nicht.“

„Du weigerst dich, zu heiraten?“ Er zuckte die Achseln. „Auch gut. Schließlich bist du nicht auf das Land und ein zusätzliches Einkommen angewiesen. “

Dominic schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde heiraten, verdammt soll er sein. Ich werde nicht zulassen, dass dieser Bastard mich aller meiner Rechte beraubt! Aber ich werde nicht in allem nach seiner Pfeife tanzen!“

„Also hat jetzt der Pfaffe das Sag...“ Frey verstummte abrupt und hüstelte wenig überzeugend. „Ich meine, nun wartet der heilige Stand der Ehe auf dich! Wer ist die Glückliche? Ist sie hübsch? Liebt sie dich jetzt schon?“

„Ganz und gar nicht. Sie ist unauffällig, langweilig und heiratet mich nur wegen des Geldes.“

Sein Freund starrte ihn an. „Ach, du meine Güte! Warum halst du dir eine solche Frau auf? Wenn ich mir eine Ehefrau aufhalsen müsste, dann würde ich dafür sorgen, dass sie wenigstens bildhübsch ist. Nicht, dass ich das könnte - mir eine Ehefrau aufhalsen, meine ich. Nicht, solange mein verdammter Onkel noch lebt.“

„Hält er immer noch den Geldbeutel zu?“

„Eisern“, bestätigte Frey finster. „Meiner Mutter, meinen Schwestern und mir stehen nur die allernötigsten Mittel zur Verfügung. Wie er darauf kommt, dass wir von seinen Almosen leben und das Geld für das Debüt der Mädchen zusammenkratzen können, ist mir schleierhaft.“

Dominic nickte mitfühlend. Freys Onkel verwaltete das riesige Familienvermögen mit einer rechtschaffenen Knauserigkeit, als wäre Armut eine Tugend. „Lass uns hier nicht über solche Dinge reden.“ Er nickte mit dem Kopf zum Gasthaus, von dem aus ihnen jeder zuhören konnte. „Warum kommst du nicht mit hinauf nach Wolfestone?“ Er runzelte die Stirn. „Das hast du mir noch gar nicht gesagt - wenn du gar nicht gewusst hast, dass ich hier bin, aus welchem Grund bist du dann hergekommen?“

Frey sah ihn betreten an. „Der Pfarrer von St. Stephen’s ist alt und krank und ist zu seiner Tochter nach Leeds gezogen.“ Dominic konnte ihm nicht recht folgen. „Und was hat dieser Pfarrer mit dir zu tun? Ist er ein Verwandter von dir?“ Er nahm einen kräftigen Schluck von seinem Ale. Er kam wirklich allmählich auf den Geschmack.

Frey zupfte einen unsichtbaren Fussel von seinem Jackett. „Hm, nein. Kein Verwandter.“ Erst nach einer Weile fuhr er leicht verlegen fort. „Ehrlich gesagt, ich bin der neue Pfarrer von St. Stephen’s - sag mal, hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man einen Pfarrer nicht mit Ale bespucken darf? Das ist respektlos. Zum Glück kann ich mich als dein neuer geistiger Hirte deiner annehmen.“ Er wischte die Aletropfen weg, die auf ihm gelandet waren, als Dominic vor Überraschung losgeprustet hatte.

„Du bist Pfarrer? Du? Du machst Witze!“

„Etwas mehr Respekt vor einem Mann der Kirche, du Heide!“, gab Frey würdevoll zurück. „Lass dir gesagt sein, dass ich schon vor Jahren vom Erzbischof von Canterbury persönlich zum Priester geweiht worden bin.“

Dominic lachte auf. „Der arme Kerl muss blind gewesen sein! Ein Wolf wie du im Schafspelz!“

„Schafspelz?“ Frey zupfte gekränkt an den Aufschlägen seines Jacketts. „Das mag zwar nicht für mich maßgeschneidert worden sein, aber es ist aus allerfeinster Wolle, du Banause! Und die Rolle des Wolfs hast in unserem Rudel immer du besetzt.“

Dominic schüttelte den Kopf. „Du - ein Pfarrer? Aber warum, Frey, warum?“

Sein Freund zuckte die Achseln. „Mit irgendetwas muss ich ja mein Geld verdienen. Ich hatte nie einen Sinn für Geschäfte, im Krieg wollte ich auch nicht fallen - dann wären Mama und die Mädchen vollkommen mittellos gewesen -, und für einen Diplomaten bin ich zu schusselig. Also blieb nur die Kirche übrig.“

Dominic lachte erneut. „Ich kann es immer noch nicht fassen. Du, der neue Pfarrer von ... wo, sagtest du?“

„St. Stephen’s. Nur für ein paar Monate, wie ich hoffe, bis man jemanden gefunden hat, der dauerhaft bleiben will. Es soll eine der ärmsten Gemeinden in Shropshire sein.“

„Und wo genau befindet sich diese Kirche St. Stephen’s?“ Frey schüttelte gespielt vorwurfsvoll den Kopf. „Genau hier in deinem Dorf, du Heide!“

„Großer Gott!“

„In der Tat. Ich freue mich, dass du wenigstens den kennst“, bemerkte sein Freund streng. Er stellte seinen Humpen ab und erhob sich. „Vielen Dank für das Ale, Dom. Jetzt muss ich weiter, zum Pfarrhaus. Am Sonntag halte ich meine erste Predigt. Du kommst natürlich auch.“

Dominic verdrehte die Augen, wobei er schwer seufzte. „Ausgezeichnet.“ Frey klopfte ihm auf die Schulter. „Ich wusste doch, du würdest einen alten Freund nicht im Stich lassen.“ Er streckte die Hand aus und fügte sanft hinzu: „Weißt du, es ist wirklich verdammt gut, dich wiederzusehen, alter Freund. Ich habe dich vermisst.“

Wortlos schüttelte Dominic seine Hand. Ja, er freute sich auch über alle Maßen, dass sein Freund wieder da war. Sein Blick fiel auf einen Stapel Gepäck, das man auf eine Handkarre geladen hatte. Sie war schäbig, altmodisch, trug aber dennoch das Familienwappen der Nettertons, also konnte sie nur Frey gehören. „Bist du nicht mit deinem offenen Zweispänner gekommen?“ Das war immer Freys ganzer Stolz gewesen.

Frey schüttelte den Kopf und schlug den salbungsvollen Tonfall eines Geistlichen an. „Ein Dorfpfarrer kann nicht in einem Gefährt herumfahren, das sich eher für den Sport als für seelsorgerische Besuche eignet.“ Er fuhr mit normaler Stimme fort. „Ich bin mit der Postkutsche gekommen. Den Zweispänner und die beiden Pferde musste ich ohnehin verkaufen. Herrliche Traber, du hättest sie mal sehen sollen, Dom. Aber ..." Er seufzte. „Ich brauchte das Geld. Und daher leiht mir der Bischof seinen uralten Einspänner.“ Er sagte das mit unüberhörbarem Abscheu, und als sein Freund auflachte, schnitt er eine Grimasse. „Er sollte irgendwann diese Woche gebracht werden.“

„Und bis dahin?“

„Gehe ich zu Fuß“, gab Reverend Netterton würdevoll zurück. „Und bezahle Einheimische dafür, das für mich zu tragen, was ich allein nicht tragen kann. Weißt du, dass ein verflixter Bengel versucht hat, mir mein Gepäck abzuringen, als ich gerade aus der Postkutsche gestiegen war? Er wollte einen Sixpence dafür! Das ist ja fast wie in London. Na, den habe ich aber abblitzen lassen!“

„Du bist mit der Postkutsche gekommen!“ Dominic war schockiert. Freys Lage musste schlimmer sein, als er gedacht hatte.

Frey seufzte. „Anweisung vom Bischof. Entbehrungen sollen angeblich gut für meinen Charakter sein. Obwohl ich nicht verstehe, wie jemand zu einem besseren Menschen wird, nur weil er im Elend lebt. Ich dachte immer eher, die Leute werden dadurch gemein und verzweifelt - aber erzähl das mal dem Bischof.“

Dominic lachte und ging zu seinem Pferd, das an einem Pfosten im Schatten festgebunden war. „Hier, nimm mein Pferd, für heute wenigstens.“ Er warf seinem Freund die Zügel zu.

„Brauchst du es denn nicht selbst?“

„Nein, ich nehme die Abkürzung durch den Wald, da bin ich in nur einer Viertelstunde auf dem Schloss. Du kannst Hex für deine Besuche in der Gemeinde behalten, bis dein Einspänner eintrifft.“

„Also gut - zur Hölle mit den Anweisungen des Bischofs. Aber ... Hex?“ Frey zog die Augenbrauen hoch. „Du befasst dich doch nicht etwa mit Hexerei, Dom? Das ginge dem Bischof dann sicher doch zu weit.“

Dominic lächelte. „Nein. Das Pferd ist einfach ein stures Vieh. Gut aussehend, aber nicht allzu klug. Sein vollständiger Name lautet Hexton.“

Frey sah sich das Tier genauer an - und grinste plötzlich. „Ein Wallach, wie ich sehe. Wenn ich Hexton das nächste Mal treffe, erzähle ich ihm, dass du ein Pferd nach ihm benannt hast.“

„Nur zum Teil.“

Frey prustete vor Lachen. „Hexton ist ein aufgehender Stern in der Regierung, musst du wissen.“

„Siehst du? Ich habe ihm schon in der Schule prophezeit, dass es schlimm mit ihm enden wird, und ich habe recht gehabt.“ Dominic streckte sich. „Komm zum Schloss und iss heute mit uns zu Abend. Dann kannst du selbst sehen, was mir mein seniler Vater hinterlassen hat - oder auch nicht, in diesem Fall. Essenszeit wie auf dem Lande üblich und spartanische Umgebung, das dürfte deinen Bischof freuen. Ich nehme an, der besagte Bischof ist dein Onkel.“

Frey nickte finster. „Ja, Onkel Ceddie. Er hatte schon immer etwas gegen mich, seit ich ihm Leim in seine Mitra gekippt habe. Kein Funken Humor! Ich hatte keine Ahnung, dass er im Alter noch schrecklicher werden würde. Ich hätte ihm lieber eine Viper in die Mitra legen sollen!“

Grace folgte Grannys Wegbeschreibung zum Teich und fand den Pfad dorthin ohne Schwierigkeiten. Er war schmal, weiches Laub bedeckte den Boden. Im Wald war es ganz still, wahrscheinlich schliefen seine Bewohner in der Nachmittagshitze. Sie ging leise, um den Frieden nicht zu stören.

So sehr sie es auch genoss, die Truppen in der Schlacht um Wolfestone Castle zu befehligen, so herrlich war es auch, den endlosen Fragen einmal entkommen und mit ihren Gedanken ganz für sich sein zu können.

Die Buchen standen hier dichter, und in den einzelnen goldenen Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach fielen, tanzten Staubteilchen. Vor dem dunklen Grün sah das wunderschön aus.

Allmählich wichen die Buchen Erlen, und Grace wusste von Grannys Beschreibung her, dass sie sich ihrem Ziel näherte. Und dann lag der Teich plötzlich vor ihr, die eine Hälfte davon dunkel im Schatten, während die andere im Schein der Nachmittagssonne glitzerte.

Der Teich wurde gespeist von einem kleinen Bach, der über ein paar Felsen am gegenüberliegenden Ufer hinabsprudelte. Das Wasser sah sauber, kühl und einladend aus - in der Tat, ein Teich wie aus einem Märchen. Laut Granny Wigmore sollte sie ihr Gesicht bei Neumond darin baden, dann würden ihre Sommersprossen verschwinden.

Es war zwar noch nicht Neumond, aber das kümmerte sie nicht. Sie wollte ausgiebig schwimmen und nicht nur ihr Gesicht mit dem Wasser benetzen, daher hoffte sie, dass die Sommersprossen aus Henna das Bad überlebten. Wenn nicht, würde sie sie später wieder neu aufmalen müssen.

Sie setzte sich an das schmale Ufer mit dem weichen grünen Gras und zog ihre Schuhe und Strümpfe aus. Dann legte sie rasch den Rest ihrer Kleidung ab, bis auf ihr Hemd und die Pantalons. Sie erschauerte genüsslich, als das Wasser ihre Knöchel umspülte. Der Grund des Teichs war angenehm weich, und Grace grub wohlig ihre Zehen in den Schlamm. Sie ging ein paar Schritte weiter. Plötzlich zuckte sie zusammen, als das kalte Wasser auf ihre erhitzte Haut traf. Es kam ihr eisig vor, doch aus Erfahrung wusste sie, dass es sich nicht mehr so kalt anfühlen würde, sobald sie mit dem ganzen Körper untergetaucht war. Ihre Schwestern ließen sich immer endlos Zeit, wenn sie ins Wasser gingen, und wateten langsam Zoll für Zoll weiter hinein. Nicht so Grace, sie war kein Mädchen für halbe Sachen. Sie schloss die Augen, holte tief Luft, hielt sich die Nase zu und tauchte unter.

Prustend kam sie wieder an die Oberfläche, ihre Haut prickelte. Es war herrlich, aber kalt, und so beschloss sie zu den Felsen auf der anderen Seite hinüberzuschwimmen, wo die Sonne noch hinschien. Mit raschen Zügen durchquerte sie den Teich, erreichte die Felsen und kletterte aus dem Wasser. Die Steine waren vom Wasser im Lauf der Zeit glatt und zu eigenartigen, fließenden Formen geschliffen worden, um sie herum wuchsen Farne und Moose. Sie schöpfte das sprudelnde Wasser des Bachs in ihre Hände und trank durstig. Es war das köstlichste Wasser, das sie je getrunken hatte.

Eine ganze Weile blieb sie auf den Felsen sitzen, ließ die Füße im Teich baumeln und genoss den Gegensatz der heißen Steine und des kühlen Wassers. Zu lange durfte sie sich allerdings nicht in der Sonne aufhalten, schließlich wollte sie keine echten Sommersprossen bekommen. Also ließ sie sich wehmütig wieder in den Teich gleiten.

Auf halber Strecke hörte sie auf zu schwimmen und ließ sich auf dem Rücken treiben. Das Gefühl der Schwerelosigkeit war himmlisch.

Wie heiß es Melly in all den Kleidungsstücken sein musste. Grace überlegte, ihr das Schwimmen beizubringen. Ihr Vater würde ihr niemals erlauben, im Meer zu baden, aber hier in der Einsamkeit des Waldes würden sie ungestört sein. Und Sir John brauchte nie etwas davon zu erfahren.

Wie tief der Teich wohl war? Granny hatte gemeint, er wäre bodenlos. Grace holte tief Luft und tauchte so weit sie konnte nach unten, doch den Grund erreichte sie nicht. Tatsächlich, bodenlos. Vielleicht war der Ort ja wirklich verzaubert. Sie ließ sich wieder treiben.

Es war heiß, und seine Reitstiefel waren zum Wandern nicht geschaffen. Dominic zog seinen Mantel aus und hängte ihn sich über die Schulter. Im Wald war es schattig, doch nicht der kleinste Lufthauch bewegte die Blätter der Bäume. Neben ihm trottete hechelnd seine Hündin. Sie fand einen kaum zu erkennenden Pfad, der vom Weg abzweigte. Sheba rannte ihn ein Stück weit entlang, blieb stehen und sah sich dann nach Dominic um.

„Ach, das willst du also, ja?“, meinte Dominic.

Sheba wedelte hechelnd mit dem Schwanz.

„Ja, du hast recht, es ist sehr heiß. Nun denn, wenn du unbedingt darauf bestehst ... “