Prolog

Dereham Court, Norfolk, England 1814

Du bist ein bösartiges kleines Mädchen!“

Die achtjährige Grace Merridew drückte sich in die Zimmerecke und ließ die geifernde Hasstirade ihres Großvaters über sich ergehen.

„Du wirst dein Leben allein und ungeliebt in Schmutz und Elend verbringen, und wenn du eines Tages stirbst, werden sogar die Würmer dein verdorbenes Fleisch verschmähen!“ „Ich werde sehr wohl geliebt werden“, stieß Grace trotzig hervor. „Das hat mir meine Mama versprochen.“

Er fluchte. „Diese Hure von Babylon, Grace wusste nicht genau, was eine Hure war, aber bestimmt etwas Schlechtes. Sie stemmte die Hände in die Hüften und konterte aufgebracht: „Meine Mama war keine Hure! Sie ist ein Engel! Sie wacht jetzt über uns, und vor ihrem Tod hat sie uns allen - mir und meinen Schwestern - versprochen, dass wir eines Tages Liebe, Lachen, Sonnenschein und Glück finden werden. Deshalb wird es genau so kommen. Und du kannst es nicht verhindern, Großvater, weil ein Engel viel stärker ist als ein schrecklicher alter Mann, der geifert, flucht und stinkt! “

In seine Augen trat ein unheilvolles Funkeln. Er baute sich bedrohlich vor ihr auf und ballte die großen, gichtigen Fäuste. Grace stand wie angewurzelt da und war entsetzt über ihre eigene Kühnheit. Er würde sie umbringen, daran zweifelte sie nicht. Noch nie hatte sie ihm derart die Stirn geboten. Sie bereitete sich innerlich auf die Schläge vor, die jetzt unweigerlich folgen würden.

Das Schweigen zog sich unerträglich in die Länge.

Als er dann endlich sprach, war das umso furchterregender, weil er nicht brüllte. Seine Stimme klang sanft, beinahe zärtlich. „Deine liederliche Mutter mag deinen älteren Schwestern Liebe und Glück versprochen haben, Grace, aber dir nicht.“

Grace schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht an ihre Mutter erinnern, aber ihre Schwestern hatten ihr oft von Mamas Versprechen erzählt. „Doch“, murmelte sie.

„Nein, denn das konnte sie gar nicht. Den anderen schon, aber nicht dir“, sagte er mit kalter, beunruhigender Sicherheit.

Ein Schauer des Zweifels überlief sie. „Warum nicht mir?“ Sie zuckte zusammen, als er ihr die Hand mit geheuchelter Zuneigung auf den Kopf legte. „Weil du deine Mama umgebracht hast, Grace. Eine Frau verspricht solche Dinge nicht der Tochter, die sie das Leben gekostet hat.“

Fassungslos starrte sie ihn an.

Er wiederholte seine letzten Worte mit sichtlichem Genuss. „Der Tochter, die sie das Leben gekostet hat!“

Eine eiskalte Hand legte sich um ihr Herz. „Ich habe meine Mutter nicht umgebracht.“

„Du warst noch ein Baby und kannst dich daher nicht mehr daran erinnern, aber trotzdem hast du sie getötet. Du hast diese babylonische Hure getötet und bist danach zu deinem Großvater gekommen. Deswegen bist du jetzt mein Geschöpf und nicht das deiner Mutter.“ Lange, knotige Finger strichen ihr über das Haar.

Grace wich erschrocken zurück und presste sich die Faust vor den Mund, als wollte sie ihr aufsteigendes Entsetzen zurückdrängen. Das konnte nicht stimmen, das war unmöglich. „Ich frage meine Schwestern. Ich habe meine Mutter nicht getötet, niemals.“

„Glaubst du wirklich, sie würden dir die grausame Wahrheit erzählen? Ihre geliebte kleine Schwester grundlos aufregen? Du kannst deine Mama nicht wieder zurückholen, nicht wahr?“ Er lachte rau. „Natürlich werden sie dir sagen, dass ich lüge. Doch das tue ich nicht, kleine Grace, ganz gewiss nicht.“ Er lächelte verschlagen.

Grace war so übel, dass sie glaubte, sich jeden Moment übergeben zu müssen.

„Du bist Schuld am Tod deiner Mutter, Grace.“ Er lächelte verzerrt und zeigte seine verfärbten, schlechten Zähne. „Und genau deshalb wirst du irgendwann allein und ungeliebt sterben