14. Kapitel

Liebe sucht nicht sich selbst zu erfreuen, noch hat sie für sich selbst eine Klage, aber für den anderen gibt sie so leicht und baut einen Himmel in der Hölle Plage.

William Blake

Meine Stiefel sind ruiniert“, sagte Dominic grollend zu Jake Tasker. Die Besichtigung des Besitzes dauerte viel länger, als er erwartet oder gewollt hatte. An jedem Bauernhof und an jeder Kate musste er vom Pferd steigen und zu Fuß jeden einzelnen Schritt des verdammten Besitzes abklappern.

Tasker betrachtete die Stiefel ohne sonderliches Interesse. „Für mich sehen sie noch ganz gut aus. Ein wenig schmutzig vielleicht, aber Schmutz kann man abbürsten. So, und nun erzähle Lord D Acre, was du mir letzte Woche erzählt hast, Seth.“ Dominic hörte zu, während der Pächter namens Seth ihm seine Ideen für den Wiederaufbau des Besitzes unterbreitete.

Tasker hatte alle Bauern und Pächter, die sie aufsuchten, aufgefordert, ausführlich mit Dominic zu sprechen - über Probleme, Bedürfnisse und mögliche Lösungen. Gegen seinen Willen hatte Dominic alles faszinierend gefunden. Allmählich erkannte er ein Muster und fing an zu planen, wie man den Besitz wieder zu Leistung und Wohlstand bringen konnte.

Wahrscheinlich wäre er zu genau den gleichen Schlüssen gekommen, wenn er die Geschäftsbücher durchgesehen und mit Tasker gesprochen hätte. Außerdem wäre es verdammt viel einfacher gewesen, die nötigen Entscheidungen zu treffen. Genau aus dem Grund wollte er Abdul an seiner Seite haben. Abdul konnte sich für die Dinge interessieren, Abdul konnte sich die Probleme anhören und über Lösungen diskutieren. Abdul war ein gewiefter Geschäftsmann. Er konnte die schwierigen Entscheidungen übernehmen, denn er würde beim Anblick von zerlumpten Kindern und dünnen, erschöpften Müttern nicht von Schuldgefühlen und Zorn geplagt werden.

Es würde Abdul nicht jedes Mal innerlich zerreißen, wenn irgendeine alte Frau warmherzig von Dominics Mutter erzählte, was für eine süße junge Braut sie gewesen war und wie sie den Müttern immer Obst gebracht hatte, wenn ein Baby zur Welt gekommen war.

Und wenn Abdul noch einer weiteren jungen Frau begegnete, die man auf den Namen Beth getauft hatte, „nach Ihrer gütigen Mutter, Mylord“, würde sich ihm die Kehle nicht so zuschnüren, dass er nichts mehr sagen konnte. Abdul würde nur die Rundungen der jungen Frauen begutachten und versuchen, mit ihnen zu flirten.

Er würde kein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit diesen verfluchten Leuten empfinden, verdammt! Er würde den Besitz einfach nur schonungslos wieder in einen Zustand versetzen, in dem er sich gut verkaufen ließ.

Dominic wünschte, er wäre niemals hergekommen. Es war, als würden mühsam verheilte Wunden wieder aufgerissen. Auf die denkbar freundlichste Art und Weise. Es war unerträglich.

Um ein Uhr erfand er eine Ausrede, um im Dorfgasthaus einkehren zu können, und lehnte das Angebot einer Mahlzeit in der Kate eines seiner Pächter ab. Er hatte keinen Hunger. Bei jedem Besuch hatte man ihm eine Erfrischung vorgesetzt. Er brauchte nur etwas zu trinken, und eine Atempause von all den ... was immer es auch sein mochte, das ihn so aufgewühlt hatte. Außerdem - und das war seine Ausrede - musste er noch Briefe abschicken.

Der Postmeister des Dorfs betrachtete die Umschläge neugierig. „Ich finde es immer so aufregend, wenn Briefe auf den Weg gebracht werden, Mylord“, vertraute er ihm an. „Wenn ich mir vorstelle, dass etwas, das ich in den Händen gehalten habe, in ... o Gott, in Italien ankommt!“ Er sah prüfend auf die nächsten Briefe. „Und in Ägypten ... in New South Wales und, was haben wir hier, ach, nur London“, meinte er enttäuscht.

Aber auch die Post und die Mittagspause nahmen nicht ewig Zeit in Anspruch, dann hieß es wieder den Besitz weiter zu besichtigen.

Es war schon fast dunkel, als Dominic müde nach Wolfestone zurückritt. Er hatte noch nicht einmal die Hälfte des Besitzes gesehen, und schon jetzt schwirrte ihm der Kopf vor Berichten, Namen und Gesichtem, vor Leuten, die ihn angelächelt, seine Hand berührt und ihn willkommen geheißen hatten. Unerträglich.

Unerträglich, weil er zwar darauf vorbereitet war, als der Erbe von Wolfestone angesehen zu werden, aber nicht darauf, dass sich noch so viele an seine Mutter erinnerten, ihn mit aufrichtiger Freundlichkeit nach ihr fragten und Trauer und Mitgefühl wegen ihres Todes vor so vielen Jahren zum Ausdruck brachten.

Er hatte nie seinen Kummer mit irgendjemandem geteilt, nur in Briefen an ein paar wenige Freunde hatte er ihren Tod erwähnt. Keiner von ihnen hatte sie gekannt.

Und nun, in einem Land fern von dem, in dem sie gestorben war, an einem Ort, an dem er sie so unglücklich gewähnt und den er zu hassen gelernt hatte - da musste er feststellen, dass ihr Leben gefeiert worden war, wahrhaftig gefeiert auf eine bescheidene, herzergreifende Art.

Kinder waren nach ihr benannt worden, man erinnerte sich an ihre freundlichen Gesten, und ihrem Sohn erzählte man Geschichten von ihr. Ihr Tod ging den Leuten noch so nah, als hätte erst an diesem Tag die Beerdigung stattgefunden.

Dominic hatte diese Besichtigungsrunde nicht gewollt. Er hatte sich auf Feindseligkeit, Habgier und Forderungen gefasst gemacht. Auf Freundlichkeit, Mitgefühl... und das überwältigende Gefühl der Dazugehörigkeit war er nicht vorbereitet gewesen.

Es zerriss ihn innerlich.

Er überließ Hex einem Stallburschen, sah flüchtig nach dem Fohlen und betrat das Schloss durch einen Seiteneingang. Ihm war nicht nach Gesellschaft.

Er war gerade ein halbes Dutzend Schritte gegangen, da kam sie um die Ecke geeilt, beladen mit irgendwelchen Stoffballen. Er blieb wie angewurzelt stehen und sah sie an. Er erstarrte. Dennoch versuchte er, sich nichts von seinen Gefühlen anmerken zu lassen und zu verbergen, wie sehr er am Ende war.

Grace nahm mit einem Blick die Anspannung seines Körpers, die zusammengepressten Lippen und die geballten Fäuste wahr. Alles an ihm verriet ihr, dass er momentan keine Gesellschaft wünschte. Sie wollte schon kehrtmachen und gehen, als sie seine Augen sah. Goldbraun. Schmerzgeplagt. Verwundet.

Das verbannte jeden anderen Gedanken aus ihrem Kopf. Sie stieß einen erstickten Laut aus, ließ den Stoff fallen, rannte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals.

Wortlos schlang er die Arme um sie. Er konnte nicht sprechen, nichts tun, nur sie in den Armen halten. Schweigend und wortlos kämpfte er gegen seinen lange verdrängten und frisch wieder aufgewühlten Schmerz an.

Grace sagte ebenfalls nichts. Sie umarmte den kleinen Jungen, der von allem, was er kannte und liebte getrennt worden war, den Jüngling, der seitdem ein Getriebener ohne Ziel geworden war. Den Mann, der nirgendwo hingehört hatte.

Bis zu diesem Tag.

„Es tut mir leid“, murmelte er. „Ich bin nur ..."

Sie küsste ihn auf das Kinn, auf den Mund. Er erwiderte ihren Kuss mit verzweifelter Leidenschaft. Plötzlich hob er sie hoch, trug sie in den kleinen Salon, ohne den Kuss zu unterbrechen, und trat die Tür mit dem Fuß zu.

Während er sie fest an sich gedrückt hielt, ließ er sich halb sitzend, halb liegend mit ihr auf einem langen Sofa nieder. Immer noch sagte er kein Wort, sondern barg nur schwer atmend das Gesicht an ihrem Hals. Grace hielt ihn fest, strich ihm über das Haar, seinen Nacken und die Schultern. Sie konnte seine große, warme Hand spüren, mit der er sie hielt, streichelte und liebkoste, gleichzeitig Trost suchend und spendend.

Die Zeit verging, Grace verlor jegliches Gefühl dafür. Es reichte ihr, einfach nur mit ihm zusammen zu sein, zu spüren, wie die Wärme seines Körpers in ihren überging. Und es reichte ihr, seine starken Arme um sich zu wissen.

Freys Enthüllungen über Dominics Leben hatten ihr das Herz gebrochen. Dieser Mann, dieser große, starke und ungewöhnliche Mann war den Großteil seines Lebens einsam gewesen. So weit sie verstanden hatte, musste er sich schon als Kind um seine zerbrechliche Mutter gekümmert haben. Dann war der junge Dominic plötzlich in ein anderes Land gebracht worden. In der Schule war er anders als die anderen und fremdartig gewesen. Und in den Ferien war er aus seiner eigenen Familie ausgeschlossen worden, ohne die Erlaubnis, wenigstens von einer anderen Familie aufgenommen zu werden.

Ganz allein hatte er sich einen Platz in der Welt geschaffen, eine ganze Flotte von Handelsschiffen aufgestellt und sich unabhängig gemacht von allem - außer von seiner Vergangenheit. Da war diese Rache, die er im Namen seiner toten Mutter üben wollte. Schuldgefühle konnten eine schwere Last sein. Machte er sich etwa auch den Tod seiner Mutter zum Vorwurf?

Grace wusste von ihrer ältesten Schwester Prudence, dass es sich einem Kind tief in die Seele brannte, wenn man ihm zu früh Verantwortung aufbürdete. Es hatte Jahre gedauert, bis Prudence aufgehört hatte, sich für das Glück und das Wohlergehen ihrer Schwestern verantwortlich zu fühlen. Noch immer verfiel sie gelegentlich in diese Rolle, und die anderen mussten sie in die Realität zurückholen.

Aber wenigstens waren Prudence’ Schwestern alle noch am Leben.

Schließlich lockerte er seine Umarmung und hob den Kopf. „Es tut mir leid“, sagte er knapp. Grace sah ihm an, dass er verlegen war. „Es war ein ... schwieriger Tag. Unerwartet.“

Sie schmiegte sich an ihn und rieb ihre Wange an seiner. „Erzähl mir davon.“ Ohne es zu merken war sie zum Du übergegangen.

Unwillkürlich drückte er sie wieder fester an sich. „Ich war mir so sicher ... “ Er verstummte und runzelte die Stirn.

„So sicher über was?“

„Zu wissen, was ihrem Wunsch nach mit diesem Besitz geschehen sollte. “

„Du meinst deine Mutter?“

„Hm.“ Er nickte tief in Gedanken versunken. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz. „Für mich fühlt es sich so an, als wäre sie heute aus ihrem Grab geholt worden.“

Sie hielt ihn ganz fest, außerstande, Worte des Trostes zu finden.

Lange Zeit schwiegen beide. „Ich dachte immer, sie hätte Wolfestone gehasst, aber mittlerweile ... bin ich mir da nicht mehr so sicher.“

Plötzlich hatte Grace genug davon. Er steckte noch so tief in der Vergangenheit, das war einfach nicht gesund. „Du kannst dir nicht ständig den Kopf darüber zerbrechen, was für Gründe und Absichten sie vielleicht gehabt hat.“ Er antwortete nicht. „Wenn du so weitermachst, wirst du noch verrückt werden.“ Jetzt wollte er etwas sagen, aber sie legte ihm die Hand auf den Mund. „Still, lass mich ausreden. Du sprichst dauernd über deinen Vater und deine Mutter - verzeih mir, dass ich das so unverblümt äußere, aber sie sind beide tot. Und sämtliche Pläne und Träume, die sie in Bezug auf dich oder diesen Ort hatten, sind mit ihnen gestorben. Du kannst nicht wissen, was sie vorhatten, und für sie spielt es auch keine Rolle mehr. Du kannst dich nicht ewig an die Toten binden. Du bist hier, sie sind es nicht. Du lebst. Du und deine Zukunft, das ist es, worauf es jetzt ankommt - auf deine Hoffnungen, deine Pläne, deine Träume.“

Er starrte sie an.

„Nun, Dominic Wolfe, wie sehen deine Träume aus?“

Eine Weile sagte er nichts, er schien über ihre Worte nachzudenken. Grace wartete gespannt. Während sie gesprochen hatte, war er ein Stück von ihr abgerückt. Ohne seine Wärme fror sie plötzlich. Sie war sehr direkt gewesen, beinahe unhöflich. Sie hatte seine Gefühle in einem Moment verletzt, in dem ihn die Empfindungen der Vergangenheit eingeholt und aufgewühlt hatten. Ob sie ihn beleidigt hatte?

Zuerst wirkte seine Miene beinahe ausdruckslos, fast wie erstarrt. Dann schüttelte er sich leicht und in seine Augen trat ein Funkeln. Sie hatte seine Gefühle verletzt. Also doch.

Er legte ihr seine Hände auf die Schultern und sah ihr in die Augen. „Du willst wissen, wovon ich träume?“ Er packte ihre Schultern fester und atmete tief durch. „Von dir.“ Er zog sie zurück in seine Arme. „Du bist alles, was ich mir erträume.

Du bist alles, was ich will.“ Und dann küsste er sie, zärtlich, leidenschaftlich und besitzergreifend.

Grace schmolz dahin. Alle ihre Zweifel und Ängste lösten sich in Luft auf. Sämtliche Vorsätze, ihn auf Distanz zu halten, waren vergessen. Sie wollte ihn. Mehr noch, sie brauchte ihn.

Und er brauchte sie.

„Dominic.“ Sie schlang die Arme um seinen Nacken und erwiderte seinen Kuss mit all der Sehnsucht, die verborgen in ihr geschlummert hatte. Allein sein Geschmack brachte ihr Blut in Wallung, und sie verspürte eine berauschende, erregende Vorfreude auf das, wofür sie sich längst entschieden hatte. Sie schmiegte sich voller Sehnsucht ganz eng an ihn, aber es war ihr immer noch nicht genug, sie wollte ihm noch näher sein.

Dominic kämpfte mit aller Macht gegen sein Verlangen an. Sie war so schön, so bereitwillig und trotz aller Unschuld selbstlos und freigiebig. Zu freigiebig. Gefährlich freigiebig. So freigiebig, dass ein Mann die Beherrschung verlieren konnte.

Aber die wollte er nicht verlieren - noch nicht. Wenn er sie das erste Mal nahm, sollte es vollkommen für sie sein. Also nicht hier, nicht jetzt, ermahnte er seinen Körper.

Er streichelte sie mit fieberhaften Bewegungen, ihren Rücken, ihre Seiten, ihren Po. Jedes Mal, wenn ihn ein Schauer ungezügelter Lust durchzuckte, spürte er ihre Reaktion wie ein Echo auf sein eigenes Verlangen. Er sehnte sich beinahe schmerzlich danach, endlich mit ihr eins zu werden.

Er knöpfte das Oberteil ihres Kleides auf und liebkoste ihre durch das Korsett halb verdeckten Brüste. Die empfindsamen Spitzen drückten sich gegen den steifen Stoff, und sobald Dominic über sie strich, erbebte sie unkontrolliert. Er schob ihre Röcke nach oben und liebkoste ihre langen schlanken Beine, die sich zitternd für ihn öffneten. Aufstöhnend streichelte er sie durch den dünnen Stoff ihrer Unterwäsche.

Grace rieb sich lustvoll an ihm. „Ja, Dominic, ja.“ Sie berührte mit fliegenden Händen seine Schultern, seine Brust und seine Breeches, durch die sie den Beweis für seine Erregung fühlen konnte. „Darf ich?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, machte sie sich am Verschluss seiner Hose zu schaffen, und Dominic brachte es nicht über sich, sie daran zu hindern, auch wenn er wusste, dass das das Ende aller seine noblen Vorsätze bedeuten würde.

Vorsätze? Schlagartig lösten sie sich in Rauch auf. Er stand in Flammen.

Grace nestelte immer noch an dem Verschluss herum, und Dominic wollte ihr eben behilflich sein, als er draußen anschwellenden Lärm wahrnahm. Verwirrt hielt er inne. Es klang, als wäre eine ganze Armee im Anmarsch. Aufstöhnend richtete er sich auf und sah aus dem Fenster.

Er runzelte die Stirn, schloss die Augen und fluchte halblaut vor sich hin. „Besucher.“

„Jetzt?“, sagte sie und wiederholte dann gereizt: „Jetzt?“

Wenn es ihm nicht ähnlich ergangen wäre, hätte er über ihren Gesichtsausdruck gelacht. Er küsste sie auf die Nasenspitze. „Ja, jetzt. Und wir müssen sie begrüßen, also knöpf dein Kleid zu, Liebste.“

Hastig ordneten sie ihre Sachen. Grace’ Hände zitterten so, dass er ihr helfen musste.

Nach wenigen Minuten jedoch war der Anschein von Anstand wiederhergestellt, und gemeinsam gingen sie zum Haupteingang, wo sie auf Melly und Frey trafen. Die meisten anderen Mitglieder des Haushalts hatten sich, angezogen von dem ungewohnten Lärm, ebenfalls vor dem Schloss eingefunden.

„Das ist Abdul“, verkündete Dominic.

Wie immer gelang Abdul ein Auftritt, der eines königlichen Prinzen würdig gewesen wäre. Eine wahre Kavalkade strömte die Auffahrt hinauf - mehrere mit Gepäck beladene Kutschen, eine ganze Reihe von aneinandergebundenen Pferden, die von ein paar berittenen Stallknechten geführt wurden, das alles begleitet von bewaffneten Vorreitern.

Abdul sprang aus der ersten Kutsche und marschierte mit der Arroganz eines heimkehrenden Kriegers auf sie zu. Er bot einen prachtvollen Anblick. Er war riesig - sogar noch größer als sein Herr, mindestens sechseinhalb Fuß groß, wie Grace vermutete. Mit seinen breiten Schultern und seinem raubtierhaft geschmeidigen Gang wirkte er wie die Verkörperung eines osmanischen Kriegsfürsten.

Auf dem Kopf trug er einen leuchtend bunten Turban, in dessen Mitte ein großer, glitzernder Edelstein befestigt war. In seinem dunklen, schmalen Gesicht prangte eine kühne Hakennase. Er trug einen beeindruckenden schwarzen Schnauzbart und hatte ein kantiges, energisches Kinn. Seine Augen waren schwarz und seelenvoll und hatten den tragischen Ausdruck eines heiligen Märtyrers auf einer byzantinischen Ikone. Er trug einen langärmeligen, reich bestickten Mantel, darunter ein gelbes, oben offen stehendes Hemd und dazu rote, an den Beinen geraffte Hosen, die in hohen Stiefeln mit exotisch nach oben gebogenen Spitzen steckten. Um die Taille hatte er eine schwarzsilberne Schärpe gebunden, in der ein Krummdolch zu sehen war.

Hinter Grace murmelte Dominic so leise, dass nur sie es hören konnte: „Man sollte es nicht für möglich halten, dass er als Sklave geboren wurde, nicht wahr?“

Sie drehte sich verblüfft um. „Er ist ein Sklave?“ Sie war strikt gegen die Sklavenhaltung.

„Nicht mehr“, gab Dominic beschwichtigend zurück. „Ich habe ihn tatsächlich damals gekauft, um seine Männ... hm, sein Leben zu retten. Natürlich habe ich ihn sofort freigelassen, doch er entschied sich dafür, bei mir zu bleiben und für mich zu arbeiten.“ Grace’ Blick entging ihm nicht. „Für ein nicht unbeträchtliches Gehalt“, beeilte er sich hinzuzufügen.

Grace wunderte sich noch immer über seinen vermeintlichen Versprecher. „Was hat dich dazu veranlasst, ihn zu kaufen? Was hast du in Wirklichkeit gerettet?“

Er fuhr fort, als hätte sie gar nichts gesagt. „Und denke bloß nicht, dass seine Aufmachung in anderen Teilen der Welt üblich ist. Abdul hat sich so zurechtgemacht, um die hiesigen Einwohner zu beeindrucken.“

Wenn das stimmt, dann ist es ihm auf jeden Fall gelungen, dachte Grace. Die Leute waren von überall her zusammengeströmt, drängten sich in der Halle, verrenkten die Hälse, um einen Blick auf den riesigen Fremden zu erhaschen. Natürlich tuschelten sie auch hörbar über ihn. Die drei Tickel-Mädchen standen mit großen Augen und offenen Mündern nebeneinander, strichen sich ordnend über Haare und Kleider und warfen dem großen Mann kokette Blicke zu.

Er sah sie nicht einmal an. Im Gegenteil, er schien sich überhaupt nicht bewusst zu sein, welchen Wirbel seine Ankunft ausgelöst hatte.

„Das gehört zu seiner Taktik“, flüsterte Dominic Grace ins Ohr. „Er will von Anfang an klarstellen, dass er anders ist als alles, was sie kennen. Er hat kein Interesse daran, beliebt zu sein und sich anzupassen. Wäre er jetzt in der Türkei, würde er sich ohne Zweifel wie ein englischer Gentleman kleiden, allerdings so übertrieben und ausgefallen, dass niemand ihn für einen echten Engländer halten könnte. In Arabien hat er sich einmal als Russe verkleidet. Die Kostüme variieren, nur der Bart bleibt immer gleich. “

„Warum will er sich nirgends einfügen?“

„Das dient seiner Autorität.“

„Seiner Autorität?“

„Abdul ist mein - nun, es gibt eigentlich gar keine angemessene Bezeichnung für seine Arbeit für mich, aber Majordomus trifft es vielleicht noch am ehesten. Er wird die Verantwortung für den Haushalt hier übernehmen. Vielleicht sogar für den ganzen Besitz - das hängt ganz davon ab, wie viel er von Jake Taskers Fähigkeiten hält.“

„Abdul trifft die Entscheidungen?“ Grace war überrascht. „Hast du denn gar kein Wort mitzureden?“

„Natürlich, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, Abdul einfach schalten und walten zu lassen. Seine Methoden sind etwas unorthodox, aber über alle Maßen wirkungsvoll. Außerdem stehen meine Interessen für ihn stets an allererster Stelle. Er ist eine echte Rarität - ein unbestechlicher Angestellter.“

Und dann stand Abdul auch schon vor ihnen und verbeugte sich mit einer fließenden Bewegung vor seinem Herrn. Zu Grace’ Erstaunen, sprach er Arabisch mit Dominic. Grace war begeistert. Sie hatte die Sprache studiert, aber noch nie jemanden gehört, der sie von Geburt an gelernt hatte. Leider redete er zu schnell, sodass sie kaum etwas verstehen konnte.

Dominic neigte den Kopf und sagte auf Englisch: „Willkommen im Haus meines Vaters, Abdul. Wie du siehst, bedarf es dringend deiner Fähigkeiten.“

Abdul richtete sich wieder auf und ließ den Blick über die anderen Anwesenden schweifen, ehe er ihn auf Grace richtete und sie aus schmalen Augen prüfend ansah. Sie fühlte sich ein wenig verlegen, hob aber das Kinn und betrachtete ihn ähnlich eingehend. Die schwarzen Augen funkelten auf. Er sah zwischen ihr und Dominic hin und her und räusperte sich schließlich vielsagend.

„Das ist Miss Greystoke“, stellte Dominic sie pflichtschuldigst vor.

Grace streckte ihre Hand aus, und zu ihrer Überraschung ergriff Abdul sie. Er verneigte sich und zog ihre Hand ehrerbietig an seine Stirn. „Ich grüße dich, Abdul, möge der Friede mit dir sein“, sagte sie vorsichtig und etwas scheu auf Arabisch.

Er sah sie verblüfft an, dann breitete sich ein atemberaubendes Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Meinen Dank, Sitt, möge der Friede auch mit Ihnen sein“, antwortete er ganz langsam, damit sie ihn auch verstehen konnte. Sitt war das arabische Wort für Herrin.

Grace war überglücklich. Sie hatte zum ersten Mal Arabisch gesprochen - und es hatte funktioniert! Vielleicht konnte sie mit Abdul noch mehr üben, um sich auf Ägypten vorzubereiten. Falls sie denn nach Ägypten reiste. Dominic hatte ihre Pläne vollkommen durcheinander gebracht.

Nachdem Dominic ihn auch Melly und Mr Netterton vorgestellt hatte, drehte Abdul sich um und begutachtete seine Umgebung mit einem rätselhaften Blick. Er schien sich des großen Publikums, das sich inzwischen eingefunden hatte, gar nicht bewusst zu sein. „Sie gestatten?“, fragte er Dominic.

Dieser nickte. Abdul ging auf die gaffende Menge zu. Ohne ein Wort zu sagen, ja, sogar ohne irgendwelche Gesten, so weit Grace das erkennen konnte, trieb er alle vor sich her, zurück an ihren jeweiligen Arbeitsplatz, wie eine Herde stummer Lämmer.

„Was macht er da?“, fragte sie Dominic leise.

„Er übernimmt die Führung“, erwiderte er. „Bis morgen Abend wird er das Haus vom Keller bis zum Dach besichtigt haben, jeden einzelnen Beschäftigten kennen und wissen, welche Aufgabe jeder von ihnen hat. Und dann wird er die Zustände im Haus verbessern. Danach macht er dasselbe mit dem restlichen Besitz. Er ist ein Genie.“

„Wie interessant. Und was wirst du tun?“

„Nichts mehr, Gott sei Dank. Ich habe Abdul hergeholt, damit er Schloss und Besitz wieder so herrichtet, dass sich alles zu einem ordentlichen Preis verkaufen lässt. Darauf versteht er sich.“

„Du willst den Besitz immer noch veräußern?“, fragte Grace erschrocken.

„Warum sollte ich nicht?“ Damit ging er fort, und sie sah ihm ungläubig nach.

Nach einer Nacht voller unruhiger Träume stand Grace früh auf. Sie zog sich an, schlich sich nach draußen und ging zu den Stallungen. Das Schloss war inzwischen schon so viel schöner geworden. Die harte Arbeit aller Angestellten machte sich bereits bemerkbar - schimmernd poliertes Holz, gut ausgeklopfte Teppiche und ein schwacher Rosenduft in der Luft. Wie konnte er immer noch daran denken, den Besitz zu verkaufen?

Schweigend und nachdenklich sattelte sie Silberfee und ritt hinaus in den Morgen. Sie ließ die schweren Träume hinter sich und atmete die frische Morgenluft ein, in der schon der Duft des nahenden Herbstes lag.

Grace strebte die Hügel an, wo die Sonne zuerst scheinen würde. Es versprach wieder ein herrlicher Tag zu werden. Die Bauern mochten zwar Regen brauchen, dennoch genoss sie den Sonnenschein. Er war wie ein kostbares Geschenk für sie.

Hufschläge, die sie hinter sich vernahm, holten sie aus ihren Träumereien. Sie drehte sich um. Der Nebel war in die Täler hinabgesunken, ein hochgewachsener Mann mit goldbraunen Augen näherte sich ihr auf seinem großen schwarzen Pferd.

Ohne nachzudenken, trieb sie Silberfee zu einem Galopp an. Hufe donnerten über die frische, feuchte Erde. Sie war berauschend, diese unerwartete Herausforderung. Grace liebte das Gefühl, förmlich über die Felder zu fliegen. Die Erde zerstob unter den Hufen, während die kalte, klare Luft ihre Lungen füllte, ihre Haut zum Prickeln und ihr Herz zum Singen brachte.

Und sie liebte das Gefühl, wie das große schwarze Pferd hinter ihr herjagte und langsam und unerbittlich zu der kleineren Stute aufholte.

Ich bin ein Wolfe - wir warten nicht auf eine Einladung. Wir suchen uns unsere Beute aus und erlegen sie. Betrachten Sie das durchaus als Warnung, Miss Beutestück.

Lachend erreichte sie die Kuppe des Hügels ganz knapp vor ihm. Sie schwang sich vom Pferd, stemmte die Hände in die Hüften und jubelte über ihren Sieg. Dominic saß ebenfalls ab, umfasste ihre Taille, wirbelte Grace einmal übermütig im Kreis herum und zog sie dann fest in seine Arme. Und dann küssten sie sich. Sie küssten sich, als wollten sie gar nicht mehr damit aufhören, als wären sie wochenlang getrennt gewesen und nicht erst seit ein paar Stunden.

„Ich habe heute Nacht kaum schlafen können“, sagte Grace atemlos zwischen zwei Küssen.

„Ich auch nicht.“ Er umrahmte ihr Gesicht mit den Händen und küsste ihren Mund, ihre Wangen und ihre Augenlider.

Nach dem ersten Überschwang der Gefühle lösten sie sich schwer atmend voneinander und sahen sich eine ganze Weile nur stumm in die Augen. „Soll ich meinen Mantel holen?“, fragte Dominic schließlich.

Sie wusste, was er damit meinte, und ihr Mund fühlte sich plötzlich trocken an. „Ja, das Gras ist noch feucht.“ Sie wischte sich die Hände am Rock ihres Reitkostüms ab. Sie wollte es, sie hatte die ganze Nacht davon geträumt, doch nun war sie plötzlich nervös.

Er holte den Mantel, den er zusammengerollt an seinem Sattel befestigt hatte. Er hatte also im Voraus geplant. Sie versuchte zu lächeln, merkte aber selbst, dass es ihr nicht so recht gelang.

Es entging ihm nicht. „Du musst das nicht tun“, meinte er bedrückt. „Ich hatte mir auch fest vorgenommen, dass unser erstes Mal in einem Bett stattfinden sollte.“

Er war ebenfalls nervös. Dieser Gedanke erleichterte sie. Es war für sie beide ein bedeutsamer Anlass. Sie beugte sich lächelnd vor und küsste ihn zart auf den Mund. „Ich möchte es aber. Ich will dich, Dominic Wolfe.“

Seine Augen begannen bei ihren Worten zu leuchten. Er breitete den Mantel im Gras aus, setzte sich darauf und streckte die Hand aus. „Komm zu mir, Liebste.“

Und das tat sie. Schweigend küssten, berührten und erkundeten sie einander. Er knöpfte ihre Kostümjacke auf und liebkoste sie durch die seidene Bluse, die sie darunter trug. Schließlich öffnete er auch die Bluse und begann zu lächeln. „Ein vorne geschnürtes Korsett - was für ein kluges Mädchen.“

Sie erwiderte sein Lächeln. „Richtig, aber ich hatte das hier trotzdem nicht geplant, als ich mich heute Morgen angezogen habe.“ Sie tat, als schmollte sie. „Sonst hätte ich sicher hübschere Unterwäsche gewählt.“

„Ich liebe hübsche Unterwäsche“, sagte er schmunzelnd, „aber mehr noch interessiert mich die Person, die sie trägt.“ Er küsste den Ansatz ihrer Brüste und fing an, das Korsett aufzuschnüren. Sie merkte, wie er sie ansah, und plötzlich spielte es keine Rolle mehr, was sie anhatte. Er verschlang sie förmlich mit den Blicken, und sie fühlte sich schön. Mehr als nur schön, sie fühlte sich stark und machtvoll.

Plötzlich war ihre Nervosität wie weggeblasen. Sie setzte sich auf und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Und dann war es auf einmal wieder ein Wettstreit, diesmal aber ganz anderer Art. Ihre Hände flogen und wetteiferten beim gegenseitigen Öffnen von Knöpfen und Schnüren. Sie streifte ihm das Hemd im selben Moment ab wie er ihr das Korsett. Dann starrten sie einander an. Er war nackter als sie, weil sie unter dem Korsett noch ein dünnes Baumwollhemd trug.

„Wie schön du bist“, flüsterte sie und legte ihm die Hände auf seine straffe Brust.

„Nein, das hier, das ist wahre Schönheit.“ Er legte seine Finger um ihre Brüste und strich mit den Daumen über die sich aufrichtenden Spitzen. „Du bist der Inbegriff von Schönheit.“ Seine warmen Hände und das zarte Reiben der Baumwolle an ihren plötzlich überempfindsamen Brüsten brachten sie schon bald dazu, vor Wonne zu stöhnen. Und dann waren da auf einmal nicht mehr seine Hände, sondern seine Lippen, heiß, verführerisch, überwältigend. Er sog erst die eine zarte Knospe in den Mund und umspielte sie mit Zunge und Zähnen, dann die andere. Grace wand sich unter ihm, Schauer des Verlangens durchzuckten sie. Sie streichelte ihn und grub die Finger in seine Haut, in einer stummen Forderung nach mehr.

Er zog ihr das Hemd aus, und sie schwelgte in dem Gefühl, seine Haut an ihrer zu spüren. Ihre Beine zuckten vor Verlangen, einem Verlangen, das sie nicht zu stillen wusste.

Aber er wusste es.

Kühle Luft streifte ihre Beine. Sie nahm nur ganz am Rande wahr, dass er ihre Röcke nach oben geschoben hatte. Seine warme Hand beschwichtigte und liebkoste sie, fand die Öffnung in ihren Pantalons und legte sich um ihre intimsten Stellen, streichelnd, erkundend, sich vortastend. Grace kam seiner Hand entgegen - und wimmerte leise vor Lust. Er beugte sich über sie und küsste sie erneut auf den Mund, wobei seine Zunge behutsam die Bewegungen seiner Finger nachahmte. Sie erschauerte, und ein Zucken schüttelte ihren Körper.

Er legte sich über sie, und sie machte sich ganz steif. „Halt dich an mir fest, Liebste“, murmelte er und liebkoste sie erneut mit den Fingern. Sie spürte, wie sie wieder lockerer wurde. Doch plötzlich drang er in sie ein, und sie erstarrte vor Schreck.

„Das war es, Liebste, jetzt entspann dich“, raunte er.

„Entspannen?“, entfuhr es ihr kläglich. „Wie soll ich mich... “

Wieder streichelte er sie wie zuvor mit den Fingern, und sie merkte, wie sie sich langsam an das unvertraute Gefühl gewöhnte. Er war in ihr, sie spürte es. Sie umgab ihn ganz und gar.

Probeweise spannte sie ihre inneren Muskeln an, und er stöhnte prompt auf. Er warf den Kopf in den Nacken, und sein Gesicht war verzerrt vor Qual ... Oder vor Lust? Ein unbeschreibliches Gefühl weiblicher Macht durchströmte sie. Wieder spannte sie die Muskeln an. Er stöhnte erneut.

„Ich glaube, du bist entspannt genug“, brachte er mühsam hervor und begann, sich in ihr zu bewegen.

Es verschlug ihr den Atem. Unbewusst schlang sie die Beine um seine Hüften und zog ihn fester an sich, in sich hinein. Sein großer, starker Körper hielt sie umfangen und wiegte sie im selben Rhythmus wie die Wogen der Lust über sie hinwegbrandeten. In ihr war kein bewusster Gedanke mehr, als sich eine köstliche Spannung in ihr aufbaute, immer weiter und weiter, bis sie ... bis sie ...

„Sieh mich an, Liebste.“

Nur mit größter Mühe gelang es ihr, die Augen zu öffnen. Er drang ein letztes Mal kraftvoll in sie ein - und sie hörte wie aus weiter Ferne einen hellen, dünnen Schrei. Und die ganze Zeit über ließ sein Blick sie nicht los. Ihr war, als versänke sie in reinem, flüssigem Gold.

Es kam ihr vor, als wären Stunden vergangen, als sie endlich die Augen wieder auf schlug und sich ihrer Umgebung bewusst wurde. Sie lag halb nackt über ihm, gewärmt nur von seinen Armen und der Morgensonne. Und von dem Leuchten in seinen Augen, als er beobachtete, wie sie langsam wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte.

Ihr Verlangen regte sich sofort wieder, als sie merkte, dass sie immer noch eins waren. Ihre inneren Muskeln zogen sich unwillkürlich zusammen.

Dominic lächelte, es war ein gleichzeitig triumphierendes und besitzergreifendes Lächeln. „Ich glaube nicht, dass du schon wieder bereit für mich bist“, sagte er sanft. Er selbst war es, das spürte sie in ihrem Innern. „Du hast keine Ahnung, wie edel es von mir ist, das zu tun“, fügte er hinzu, als er sich von ihr löste.

„Zur Hölle mit deinem Edelmut“, murmelte sie. „Ich habe dich nicht darum gebeten.“

Grinsend küsste er sie. „Jetzt vielleicht noch nicht, aber schon sehr bald wirst du dich ein wenig wund fühlen. Ich möchte, dass du es beim nächsten Mal sogar noch mehr genießt.“

Sie fühlte sich in der Tat ein wenig wund, aber das war ihr gleichgültig. Sie war viel zu glücklich. „Es gibt ein nächstes Mal?“

Lachend knöpfte er seine Reithose zu. „Aber ganz sicher, du unersättliches Weib.“

„Gut“, sagte sie. „In dem Fäll bin ich bereit zu warten.“

Er starrte sie an, dann fing er schallend an zu lachen, umarmte sie und küsste sie. „Mein Traum“, bemerkte er zärtlich.

Danach ritten sie langsam nach Hause und unterhielten sich über unbedeutende Kleinigkeiten. Den ganzen Weg über knisterte die Leidenschaft zwischen ihnen, immer wieder neu entflammend durch einen Blick oder eine Berührung.

Grace hätte ihn am liebsten vom Pferd gezogen und sich gleich noch einmal von ihm lieben lassen. Sie konnte nicht aufhören zu lächeln, und so, wie er sie immer wieder ansah, schien es ihm genauso zu gehen.

Sie erreichten die Kuppe des Hügels, von dem aus man einen Blick auf Wolfestone hatte. In unausgesprochener Übereinstimmung hielten sie an, um die Aussicht zu genießen. Sie konnten das Schloss sehen, das Dorf, Freys Kirche und das Schachbrettmuster all der vielen Felder und Böschungen.

„Es ist so wunderschön hier“, flüsterte Grace. Er schwieg, und sie sah ihn an. „Du willst das doch nicht im Ernst alles verkaufen, oder?“

Er zuckte die Achseln. „Warum nicht?“

„Ich dachte, du hättest deine Meinung geändert, seit... seit du herausgefunden hast, wie liebevoll die Menschen hier sich an deine Mutter erinnern.“

Wieder zuckte er nur die Achseln. „Du hattest recht, all das gehört der Vergangenheit an. Ich will mir jetzt nur noch das Eigentumsrecht sichern, dann verkaufe ich den verdammten Besitz - von mir aus auch an ein Dutzend Käufer, wenn es nötig ist. Dann können wir auf Reisen gehen, du und ich, und all die Orte aufsuchen, von denen du immer schon geträumt hast.“ „Du willst den Besitz zerschlagen?“, fragte Grace entsetzt und dachte an all die Vorfahren, die nur ein Ziel im Leben gehabt hatten - Land zu erwerben und es dauerhaft zusammenzuhalten.

„Warum nicht?“

„Aber dadurch zerstörst du Wolfestone. Das wird das Ende sein, das Ende einer sechshundertjährigen Tradition.“ „Genau“, stimmte er zufrieden zu.

„Aber wozu? Wozu etwas zerstören, wenn du daraus etwas Wundervolles machen könntest? Wenn du den Besitz zerschlägst und verkaufst, werden die Menschen hier schlimmer dran sein als nach dem, was dein Vater ihnen angetan hat. Ich könnte unsere Reisen ins Ausland unmöglich genießen, wenn ich wüsste, dass die Menschen hier leiden müssen.“

Er starrte sie erstaunt an. „Das kann doch unmöglich dein Ernst sein.“

„Doch. Wolfestone ist nicht einfach nur Land, es ist eine lebende, atmende Gemeinschaft. Die Leute sind aufeinander angewiesen, und sie sind auf dich angewiesen.“

„Dann wird es Zeit, dass sie lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie sind unwissend, abergläubisch und rückständig ... “ „Und wenn - wessen Schuld ist das dann?“

Wieder starrte er sie verblüfft an.

„Die deiner Vorfahren. Und du kannst die Verantwortung noch so sehr von dir weisen ...“

„Das tue ich auch. Ich hatte mit alldem nichts zu ...“

„Du kannst und sollst nicht die Verantwortung für ihre Vergangenheit übernehmen. Aber die Verantwortung für ihre Zukunft ruht nun mal auf deinen Schultern, vor allem, wenn du vorhast, ihnen ihre Heimat wegzunehmen und zu verkaufen.“ Eine lange Zeit sagte er gar nichts. Grace fragte sich schon, ob sie ihn verärgert hatte. Schließlich war es wunderbar von ihm, Reisen in ferne Länder mit ihr zu planen. Andererseits musste er dafür sorgen, dass er hier ein Zuhause hatte. Er gehörte hierher. Er konnte jederzeit das Abenteuer in der Fremde suchen, aber er brauchte auch ein Zuhause, zu dem er zurückkehren konnte.

„Würdest du wirklich hier leben wollen?“, fragte er sie schließlich.

„Ja. Es ist wunderschön, und ich hatte noch nie ein eigenes Zuhause.“

„Du würdest hier mit mir leben? Und mir helfen, den Besitz wieder aufzubauen?“

Sie nickte. „Wir könnten etwas ganz Besonderes daraus machen, Dominic.“

„Dessen bist du dir ganz sicher?“ Er sah sie durchdringend an.

Sie lächelte. „Ja, ich bin mir ganz sicher.“

Er atmete tief durch. „Dann werden wir genau das tun.“ „Und was ist mit Sir John?“

„Mit dem werde ich schon fertig“, versicherte Dominic. „Solange du mein bist, kann mir alles gelingen.“ Er sah sie mit leuchtenden Augen an. „Und du bist mein, nicht wahr, Liebste?“ Sein Blick und seine Worte bewegten sie zutiefst. „Ja, und du bist mein.“

Hand in Hand ritten sie zurück nach Wolfestone. Grace glaubte, noch nie im Leben glücklicher gewesen zu sein.

Sie war verliebt. Endlich.