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Als Captain Rogers und Lieutenant Myers an der ersten von den sieben Trauerweiden vorbeikamen, die vor Derek McCoons Haus standen, trat ihnen Bount Reiniger entgegen. Die Polizisten griffen sofort nach ihren Kanonen.
„Steckenlassen!“, sagte Bount laut. „Oder ist euch neuerdings egal, auf wen ihr ballert?“
Rogers riss die Augen auf.
„Verdammt, Bount! Wie kommst du hierher?“
„Das selbe wollte ich euch zwei Schlafwandler auch gerade fragen.“
Die Freunde tauschten ihre Erlebnisberichte im Telegrammstil aus.
Zuletzt sagte Bount: „Lorca hat soeben McCoon erschlagen. Ich konnte es nicht mehr verhindern.“
Captain Rogers' Gesicht wurde zur Eismaske. „Jetzt ist der Topf aber voll!“
„Soll ich zum Wagen zurücklaufen und ein paar Cops anfordern?“, fragte Lieutenant Myers.
Captain Rogers schüttelte energisch den Kopf.
„Wir werden den Burschen doch zu dritt schaffen, oder fühlst du dich zu schwach dazu?“
Ron Myers grinste mit gefletschten Zähnen.
„Ich würde sogar Lorca und dich schaffen.“
„Aber nur mit dem Maul!“
Sie entwickelten hastig einen Plan. Bount übernahm es, von der Wasserseite her zu kommen. Während sich Rogers und Myers über geringfügige Details nicht einigen konnten, schlich Bount bereits davon. Er turnte die Böschung hinunter, hangelte sich an einem dünnen Rohr entlang, kletterte um drei schlanke Betonpfeiler herum, während unter seinen Beinen das Wasser des Long Island Sounds friedlich plätscherte. Schwarz wie der Flügel eines Raben war die Wasseroberfläche. Darauf dümpelte ein schlankes Motorboot. Nach einigen weiteren Pendelbewegungen hatte Bount das Boot unter sich. Er ließ oben los und fiel auf den Kahn, balancierte das Schaukeln kurz aus und lief dann zum Bug vor, wo er eine senkrecht nach oben führende Eisenleiter entdeckt hatte. Mit der Behändigkeit eines durchtrainierten Stuntman kletterte Bount Reiniger die Sprossen hoch. Die Falltür, an die er gleich darauf geriet, drückte er mit der rechten Hand spielend nach oben. Er passte auf, dass sie nicht umfiel und ihn mit einem dumpfen Knall verriet.
Plötzlich peitschten Schüsse auf.
Im Haus und draußen.
Art Lorca schien Rogers und Myers bemerkt zu haben. Und nun wollte er seine Haut so teuer wie möglich verkaufen.
Das Geballer kam Bount sehr gelegen. Der Lärm deckte seine Geräusche. Dadurch kam er flotter voran. Im Augenblick durchlief er einen Lagerraum. Was hier drinnen herumstand, interessierte ihn nicht. Er passte nur höllisch darauf auf, dass er keinen Blecheimer umstieß oder eine Glasflasche durch einen unbedachten Schritt zum Klimpern brachte.
An der nächsten Tür lauschte er kurz, bevor er sie öffnete.
Lorca feuerte immer noch. Eine Fensterscheibe verwandelte sich nach einem Schuss von draußen zu einem klirrenden Glashagel.
Bount durchlief zwei Räume und erreichte die offenstehende Arbeitszimmertür. Er sah Art Lorca seitlich vom Fenster an der Wand kleben. Ab und zu schoss er blitzschnell nach draußen, um sich gleich wieder zurückzuziehen.
Reiniger holte die Automatic heraus.
Die Szene war Bount so vertraut, als hätte er sie schon tausendmal durchlebt.
Mit schussbereiter Automatic federte er in den Raum, in dem Derek McCoon vor wenigen Minuten seine Wuchererseele ausgehaucht hatte. Vielleicht war sie sogar noch da. Vielleicht wollte sie auf Art Lorcas Seele warten, um die weite Reise nach drüben nicht allein antreten zu müssen.
„Lorca!“, schrie Bount. „Geben Sie auf!“
Der Mörder wirbelte mit einem erschrockenen Schrei herum. Er riss mit wutverzerrtem Gesicht die Colt Commander hoch. Bount drückte ab und traf ihn in die rechte Schulter. Der Treffer warf den Killer zur Seite. Im selben Augenblick fiel draußen ein weiterer Schuss. Art Lorca riss Mund und Augen entsetzt auf. Er spannte das Kreuz. Die Waffe entfiel seiner Hand. Er taumelte röchelnd auf Bount Reiniger zu. Bount erkannte sofort, dass die Kugel, die ihm in den Rücken gefahren war, ihn tödlich getroffen hatte. So als wollte er um Hilfe betteln, streckte er Bount die zitternden Hände entgegen. Dann fiel er aus dem Stand auf das Gesicht.
Bount drehte den Mörder auf den Rücken.
Ganz wenig Leben war noch in Lorcas Körper.
„War es das wert, Lorca?“, fragte Bount ernst.
„Ich brauchte das Geld ...“
„Sam war Ihr Bruder!“
Unsagbar müde schüttelte Art Lorca mit schmerzentstelltem Gesicht den Kopf.
„Ich - habe Sam nichts zuleide getan, Reiniger. Ich habe Sacca - Carrera und McCoon umgebracht, aber nicht meinen - Bruder!“
Rogers und Myers stürmten ins Haus. Bount hörte ihre Schritte heran stampfen. Wenn sie diesen Raum betraten, würde Art Lorca bereits ausgelitten haben.
„Glauben - Sie mir, Reiniger? Ich - war es - nicht! Ich habe Sam nicht umgebracht!“
Mit dieser Beteuerung auf den Lippen schied Art Lorca aus einer Welt, die ihn nicht gemocht hatte, die Fußangeln ausgelegt hatte, um ihn nach vielem Stolpern letztlich in Derek McCoons Haus zu Fall zu bringen.