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Zur gleichen Zeit, als Emilio Sacca die tödliche Kugel empfing, traf Bount Reiniger in Jackson Height’s ein. Bount hatte sich nach seinem Besuch bei Derek McCoon per Autotelefon mit seinem trauten Heim in Verbindung gesetzt, und Mac Potter hatte ihm eröffnet, dass vor genau zehn Minuten eine Miss Susan Morgan angerufen hätte.

„Was hat sie gesagt?“, hatte Bount gefragt.

„Sie hatte kein Vertrauen zu mir, scheint mir ...“

„Kein Wunder bei deiner schnarrenden Stimme. Du solltest mal ein Stück Kreide essen, sonst werden sich die jungen Mädchen immer wieder erschrecken. Was wollte Susan, Mac?“

„Du sollst sie anrufen. Sie will mit dir reden.“

Bount hatte gelacht.

„Die Kleine ist so hübsch, dass man sich nicht per Telefon mit ihr unterhalten sollte. Ich fahre mal zu ihr.“

„Darauf habe ich keinerlei Einfluss“, hatte Mac gebrummt.

„Stimmt, Alter.“

„Kommst du zum Abendessen nach Hause, oder frühstückst du bei der Kleinen?“

„Hängt ganz von der Kleinen ab“, hatte Bount Reiniger amüsiert geantwortet.

Und nun war er in Jackson Height’s.

Eben donnerte ein Silberjet von La Guardia kommend über die Dächer. Man war unwillkürlich versucht, den Kopf einzuziehen.

Bount hatte den guten Eindruck, den Susan Morgan auf ihn gemacht hatte, immer noch in Erinnerung. Heute übertraf sie diesen Eindruck sogar noch. Ihr Haar schimmerte aufregend. Schwarz umfloss es ihr junges Gesicht. Sie ging neben Reiniger ins Wohnzimmer, in dem sie einander schon einmal gegenüber gesessen hatten. Die Rembrandt-Reproduktionen waren immer noch da.

„Sie hätten sich nicht hierher zu bemühen brauchen, Mr. Reiniger“, sagte sie, nachdem sie ihm einen Drink gebracht hatte. „Ein Anruf hätte genügt.“

„Mir nicht“, sagte Reiniger grinsend. „Ich rufe prinzipiell nur Männer und alte hässliche Frauen an. Mit jungen hübschen Mädchen spreche ich lieber persönlich. Wo drückt der Schuh, Miss Morgan?“

„Sie baten mich, Sie anzurufen, wenn mein Vater aus Kamerun zurück wäre.“

„Ja.“

„Er ist zurück.“

„Ich würde gern mit ihm sprechen.“

„Das geht nicht. Er ist in Washington.“

„Was tut er da?“

„Er liefert da die eingefangenen Tiere gleich an den Zoo ab.“

„Wieso wissen Sie, dass er in Washington ist?“

„Er hat mich heute Nachmittag angerufen. Vater ist schon seit vier Tagen in den Staaten. Er hat bereits den Zoo in Los Angeles, den Zoo in Boston und einige Privatleute beliefert. Vermutlich kommt er morgen Abend heim. Dann wird er Ihnen zur Verfügung stehen.“

Bount Reiniger hörte kaum noch, was Susan Morgan sagte. Die Worte Susan Morgans hatten ihn elektrisiert.

Henry Morgan befand sich seit vier Tagen in den Staaten!

Bount hatte das Rachemotiv im Mordfall Sam Lorca ausgeschieden, weil Brian Barber als menschliches Wrack nicht mehr fähig war, einen solchen Mord zu begehen, und weil sich der zweite Verdächtige in Kamerun aufhielt. Aber da war Henry Morgan seit vier Tagen nicht mehr. Er war nach Amerika heimgekehrt und war folglich nicht in Afrika gewesen, als der Mord an Samuel Lorca verübt worden war.

War etwa doch Rache das Motiv?

War nicht Art Lorca, der missratene Bruder, Sams Mörder, sondern Henry Morgan?

Wenn es Morgan war, wie passten dann Art Lorcas Streiche in diesen Fall?

Bount glaubte, sich darauf eine plausible Antwort geben zu können.

Lorca hatte vom Tod seines Bruders erfahren. Vermutlich hatte er gewusst, dass Sam Lorca wegen eines größeren, in Aussicht stehenden Geschäfts Geld von der Bank abgehoben hatte. Da er mit 50 000 Dollar verschuldet war, kam ihm der Tod des Bruders sehr gelegen. Wahrscheinlich hatte er das Geld im Lagerhaus gesucht und nicht gefunden. Deshalb war er in der nächsten Nacht in Jill Lorcas Haus gekommen, um sich das Geld von da zu holen. Aber auch da hatte er es nicht finden können.

Was war nun das Motiv für diese gemeine Mordtat?

Rache oder Geldgier?

Wer war Samuel Lorcas Mörder?

Sein Bruder Art oder Henry Morgan?

Morgen mussten die Würfel fallen, denn morgen kam Henry Morgan nach Hause ...