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Reiniger hätte Sacca um ein Haar verpasst. Ein kaffeebraunes Mädchen mit faustgroßen Brüsten unter dem himmelblauen Nylonarbeitsmantel zeigte ihm Sacca, als dieser um sechzehn Uhr den Personalparkplatz überquerte und auf seinen Wagen zu schlenderte.

„Vielen Dank“, sagte Bount.

„Gern geschehen“, sagte das schwarzhäutige Mädchen und ließ die weißen Zähne im dunklen Mund blitzen, indem sie freundlich lächelte.

Bount hätte dem Mann nachlaufen können. Vermutlich hätte er Sacca noch eingeholt. Er sah aber davon ab, weil er sich wesentlich mehr davon versprach, den Mann zu beschatten. Bount hoffte, dass Sacca ihn in seiner Ahnungslosigkeit zu Art Lorca führen würde.

Deshalb setzte sich Bount Reiniger in die entgegengesetzte Richtung ab.

Sein 300 SE stand auf dem Kundenparkplatz. Er erreichte ihn in dem Augenblick, wo Sacca sich in seinen alten Barracuda schwang.

Als Saccas taubengrauer Wagen anrollte, ließ Bount den Motor kommen.

Das Beschatten eines Fahrzeugs stellte für Reiniger keine Schwierigkeit dar. So etwas musste ein Privatdetektiv schon beherrschen, ehe er um die Lizenz ansuchte.

Die Fahrt dauerte ganze drei Minuten. Dann war Emilio Sacca zu Hause. Bount machte das längste Gesicht der Woche. Er war enttäuscht.

Sacca lief über den nassen Gehsteig. Es hatte erst vor wenigen Minuten zu regnen aufgehört, und es war noch nicht raus, ob es nicht schon bald wieder weiter regnen würde.

Nachdem Sacca im Haus verschwunden war, folgte ihm Bount.

Reiniger hörte, wie unten die Tür geschlossen wurde. Der Knall zitterte durch den Korridor. Dann war es still. Nur Bounts Schritte waren zu hören. Seine Absätze trommelten über die brüchigen Bodenfliesen. Er erreichte die Treppe, die zu Saccas Kellerwohnung hinunterführte, und lief sie hinab.

Er klopfte.

„Sie wünschen?“, fragte Sacca gleich darauf. Er stand mit einem misstrauischen Funkeln in den Augen vor Bount.

„Ist Art Lorca da?“, fragte Bount mit einem unnachahmlich kecken Grinsen.

„Nein!“, sagte Sacca und wollte ihm die Tür auf die Nase schmettern.

„Macht nichts!“, erwiderte Bount und schob den Fuß blitzschnell nach vorn. Die Tür donnerte dagegen und knackte in den Scharnieren. „Dann unterhalte ich mich eben mit Ihnen.“

Emilio Sacca fletschte gereizt die Zähne.

„Wenn Sie Ihre Stelze nicht sofort zurückziehen, Mann, trete ich Ihnen Schien- und Wadenbein kaputt!“

„Warum so aggressiv?“

„Ich hab was gegen Leute, die mir ihren Namen nicht sagen.“

„Reiniger. Bount Reiniger. Zufrieden?“

„Nicht ganz.“

„Was fehlt noch?“

„Der Grund, weshalb Sie mich belästigen.“

„Der Grund ist Art Lorca.“

„Wer schickt Sie?“

„Ich schicke mich selbst.“

„Und warum schickten Sie sich ausgerechnet zu mir?“

„Weil Sie ’n dicker Freund von Art Lorca sind.“

„Wer sagt das?“

„Samantha York zum Beispiel.“

„Was wollen Sie von Art?“

„Darf ich Ihnen das drinnen erzählen?“

„Meinetwegen.“ Emilio Sacca trat einen Schritt zur Seite.

Drinnen packte Bount Reiniger aus, was er zu bieten hatte. Vor allem war das ein Art Lorca, wie ihn Sacca noch nicht kannte. Bount sprach von Art Lorca, dem Brudermörder. Und dann redete er von den fehlenden dreihundertfünfzigtausend Dollar, die es genauso zu finden galt wie den Mörder von Samuel Lorca. Sacca hörte mit Andacht zu. Er begann zu verstehen. Art hatte seinen Bruder um die Ecke gebracht, weil er an dessen Geld herankommen wollte. Warum hatte Art den Mord mit keiner Silbe erwähnt? Warum hatte er so geheimnisvoll getan? Er hatte von Geld gesprochen, das ihm zustand. Ein Witz war das. Es gehörte nicht ihm. Es gehörte Jill Lorca. 350 000 Dollar! Fünfzigtausend für Derek McCoon. Blieben dreihunderttausend für Art. Noch suchte er sie. Und wenn er sie gefunden hatte, war er wohlhabend. An diesem erfreulichen Umstand wollte Emilio Sacca teilhaben. Er wollte die Hälfte davon kriegen. Hundertfünfzigtausend musste ihm Art auf den Tisch spucken. Schließlich waren sie Freunde. Es war nur recht und billig, ehrlich zu teilen. Immerhin tat Sacca für den Freund eine ganze Menge. Er verriet ihn weder an die Bullen noch an diesen Schnüffler noch an Derek McCoons Männer. Das war doch hundertfünfzigtausend Piepen wert. Schlimm an der Sache war nur, dass es blutiges Geld war. Aber Sacca war sicher, dass er deshalb keine allzu großen Gewissensbisse haben würde.

Plötzlich hatte Emilio Sacca das Gefühl, er müsse etwas für seine hundertfünfzigtausend Dollar tun.

Er hasste Schnüffler ohnedies.

Es war bestimmt von Vorteil, wenn man diesen da rechtzeitig bremste und in seine Schranken verwies.

Ein paar Backpfeifen konnten keinesfalls schaden. Und hinterher die Drohung, es würde noch mehr davon geben, wenn Reiniger sich von jetzt an nicht aus der Sache heraushalten würde.

Sacca dachte, mit dem schlanken Mann nach Belieben umspringen zu können.

Alles, was er dachte, kam in seinem hässlichen Gesicht zum Ausdruck. Seine Züge verhärteten sich zusehends, wurden grau mit einigen hellen Flecken an den Wangen.

Als Emilio Sacca klammheimlich die Fäuste ballte, wusste Bount Reiniger, was es geschlagen hatte.

Und in der nächsten Sekunde geschah es.

Sacca war kein Mann, der viele große Worte machte. Er war ein Mann, der Taten sprechen ließ.

Seine erste Tat war ein blitzschnell hochgezogener Schwinger, dem Bount entging, indem er den Kopf ebenso blitzschnell zur Seite nahm. Saccas Faust zischte haarscharf an Reinigers Gesicht vorbei. Da Art Lorcas Freund über zwei Fäuste verfügte, brachte er auch die andere augenblicklich zum Einsatz. Sie sollte ausbessern, was die erste verpatzt hatte.

Bount fing den Schlag geschickt ab und sandte eine rechte Gerade auf die Reise. Sie explodierte über Saccas rechtem Auge. Der Bursche wurde zurück gerissen. Er rammte den Tisch zur Seite und setzte sich hart auf den Stuhl, den er jedoch sofort wieder verließ, um das Möbel an der Lehne zu packen, hoch zu schwingen und damit nach Bount Reiniger zu dreschen.

Reiniger unterlief den Gegner.

Er hämmerte ihm die Rippenbogen weich. Sacca stieß die Luft schnaufend aus und ließ den Stuhl mit schmerzlich verzerrtem Gesicht fallen.

Das machte Emilio Sacca blind vor Wut.

Er wollte die Angelegenheit, die sich wider Erwarten farbiger gestaltete, als er es sich vorgestellt hatte, in seinem Sinne entscheiden, indem er seine ganze Kraft gegen Bount Reinigers brillante Technik zum Einsatz brachte.

Er drehte seine mächtigen Fäuste wie Windmühlenflügel. Viele Hiebe verpufften wirkungslos. Doch einige trafen. Gegen ihre lähmende Wirkung hatte Bount mit zusammengebissenen Zähnen anzukämpfen. Ein unerwarteter Magenhaken raubte ihm die Luft. Er knickte ein und fiel genau in einen Schwinger von Emilio Sacca.

Bount sprangen die Tränen in die Augen, und er ging auf die Knie nieder.

Es war Emilio Saccas Fehler, zu glauben, Reiniger wäre bereits groggy. Bount verfügte über ungeheure Nehmerqualitäten. Ihn vermochte zwar ein Schlag mal umzuwerfen, aber bis zum K.o. war es auch dann noch sehr weit.

Ohne Deckung warf sich Sacca im unorthodoxen Freistil auf Bount Reiniger, um ihm den vermeintlichen Rest zu geben.

Bount sprang jedoch mit angespannten Muskeln hoch. Sacca landete halb schräg über seiner rechten Schulter. Reiniger hob den Hünen aus, drehte ihn zweimal herum und warf ihn dann wie einen prallgefüllten Kartoffelsack von sich.

Sacca brachte eine schwere Bruchlandung zustande. Taumelnd, aus der Nase blutend, mit einem glasigen Blick kam er hoch.

Bounts Rechte traf ihn mitten im Gesicht.

Mehr konnte Emilio beim besten Willen nicht verkraften. Schweiß überströmt, mit blutendem Gesicht und schwer ächzend brach der Mann zusammen.

Bount riss ihn am Kragen seiner Segelleinenjacke hoch. Als Sacca mit tränendem Blick sah, dass Reiniger schon wieder die Faust geballt hatte, streckte er abwehrend die Hände vor und krächzte: „Genug, Reiniger! Es ist genug!“

„Warum hast du das getan?“, fragte Bount grimmig.

„Ich mag keine Schnüffler.“

„Das hättest du mir sagen können.“

„Ich wollte Sie aus meiner Wohnung werfen! Ich dachte, wenn ich es mit den Fäusten tue, kommen Sie ganz bestimmt nicht mehr wieder. Habe mich geirrt.“

Bount warf den Hünen in einen Sessel. So, wie Sacca darin landete, so blieb er sitzen.

„Wo ist Lorca?“, fragte Bount Reiniger scharf.

„Keine Ahnung!“, keuchte Emilio Sacca. „Ehrlich!“

„Er war nicht hier?“

„Aber nein.“

„Angerufen hat er auch nicht?“

„Auch nicht. Hab gehört, dass er Schwierigkeiten hat.“

„Ja. Die Polizei fahndet nach ihm, das sagte ich bereits.“

„Quatsch! Polizei. Das sind nicht die großen Schwierigkeiten. Mit den Bullen kann Art Lorca zur Not fertig werden. Die andere Sache ist schlimmer für ihn.“

„Was für eine andere Sache?“

„Er schuldet Derek McCoon, dem stinkendsten Wucherer von New York und Umgebung, 50 000 Dollar.“

„Woher weißt du das?“

„Man hat es mir erzählt. McCoon will sein Geld wiederhaben. Soviel mir bekannt ist, hat der Aasgeier verdammt harte Methoden, um die Außenstände einzutreiben. Das sind echte Schwierigkeiten, Reiniger. Dagegen sind die Bullen streichelweiche Tierchen mit Samtpfötchen.“

Sacca verfolgte mit dem, was er Bount erzählte, ein ganz bestimmtes Ziel. Erst mal wollte er sich den Anschein geben, weichgeklopft zu sein und nur noch die Wahrheit zu sagen. Natürlich sagte er nicht die ganze Wahrheit. Das war auch nicht nötig. Er brauchte Reiniger nur ein wenig von dem zu erzählen, was dieser noch nicht wusste. Das genügte. Sacca war sich darüber im klaren, dass Bount der Sache gleich nachgehen würde. Das sollte er. Während sich Reiniger um Derek McCoon kümmerte, gab es für ihn und Art Lorca eine kleine Verschnaufpause. Vielleicht meldete sich Art noch mal bei ihm, dann würde er unverzüglich das Heft des Messers an sich reißen und dem Freund die Klinge an die Kehle setzen. Diese Prügel wollte er nicht honorarlos bezogen haben. Er wollte sich überhaupt nicht bloß aus reiner Freundschaft mit dem Hintern für Art Lorca ins Feuer setzen. In dieser Sache mischte Derek McCoons Privatarmee ebenso mit wie die Polizei. Der Pfad, der zu beschreiten war, war gefährlich schmal. Man musste höllisch aufpassen, wohin man trat. Die Bullen sahen es nicht gern, wenn man einen Killer deckte. Aber genau das tat Emilio Sacca. Dafür wollte er zunächst mal die Hand aufhalten und die Hälfte von 300 000 Dollar kassieren. Nur damit sich die Mühe auch tatsächlich lohnte. Art würde das einsehen. Er war alt genug, um zu wissen, dass nichts auf der Welt wirklich umsonst war. Nicht mal der Tod, denn der kostete das Leben.

Was Emilio Sacca mit seinen Fäusten nicht erreichte, schaffte er mit dem, was er Bount erzählte.

Reiniger verließ seine Wohnung.