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Der Mann hinter der Glasscheibe sah aus wie ein gut frisierter Orang-Utan. Er hatte breite, wulstige Lippen und einen treuherzigen Blick. Ein Vertreter für Herrenpomade schien ihm alle seine Produkte auf den Schädel gespachtelt zu haben. Er glänzte wie ein Schweineschmalzbrot.

Nun schüttelte er den Kopf.

„Tut mir leid, Sir. Ich darf Sie nicht vorbeilassen.“

„Was gefällt Ihnen an mir nicht? Habe ich vielleicht den Hosenschlitz offen?“, fragte Bount Reiniger missmutig.

„Ihr Hosenschlitz ist zu, Sir.“

„Dann verstehe ich nicht, weshalb Sie Kopf und Kragen riskieren...“

Der Orang-Utan in der Pförtnerloge seufzte.

„Ich muss mich an meine Vorschriften halten, Sir.“

„Ich will doch nur zu den Tonstudios der Ringplay hochfahren.“

„Eben, Sir. Eben. Das ist es ja, was ich Ihnen nicht gestatten darf.“

„Weshalb nicht?“

„Da war ein Wirbel mit Presseleuten - vor zwei Monaten. Seither darf keiner mehr hoch, den ich nicht kenne.“

Bount wickelte eine Zwanzigdollarnote um den Zeigefinger.

„Würde das zum Kennenlernen reichen?“

Der Orang-Utan riss entrüstet die Augen auf.

„Sir! Ich bin nicht bestechlich.“

„Gratuliere zu Ihrer Standhaftigkeit. Wie würden Sie reagieren, wenn ich Ihnen sagte, dass ich nicht von der Presse bin.“

„Ich würde Ihnen nicht glauben. Was denken Sie, was Ihre Kollegen schon für faule Tricks angewandt haben.“

„Ich bin Privatdetektiv“, sagte Bount und wies sich aus. „Das macht keinen Unterschied. Ich darf Sie nicht durchlassen.“

„Und wenn ich Sie einfach übersehe?“

„Dann - dann wird man Sie hinauswerfen!“

Bount seufzte.

„Guter Mann, so kommen wir nicht weiter. Ich muss dringend mit Miss Samantha York sprechen.“

„Sie ist nicht im Haus.“

„Wissen Sie, wo sie wohnt?“, fragte Bount und schob das Geld wieder in die Tasche.

Der Mann hinter dem Glas schüttelte den Kopf. Er schien es wirklich nicht zu wissen.

„Sie muss aber bald hier eintreffen, Sir.“

Einige Musiker drängten sich an Bount vorbei. Der Portier kannte sie alle. Seine Röntgenaugen durchleuchteten nicht nur die Männer, sondern auch ihre Instrumentenkoffer. An diesem Knaben kam wirklich kein Unbefugter vorbei.

„Da kommt eben Mr. Barry Carrera, Sir“, sagte der eingeglaste Mann. „Wenn Sie etwas über Miss York wissen wollen, müssen Sie sich an ihn wenden.“

„Ist er ihr Vormund?“, fragte Reiniger.

Zum ersten mal schmunzelte der Pförtner.

„So könnte man ihn bezeichnen. Mr. Carrera ist Miss Yorks Freund und Manager.“

Samanthas Freund, dachte Bount. Dann ist es mit Art Lorca also vorbei.

Das war gewiss ein Vorteil für Samantha.

Bount stand zwischen zwei Glasschwingtüren. Hinter der einen lag die Halle mit den vier Liften. Vor der anderen lagen die Zufahrt und der Parkplatz, den Barry Carrera soeben ansteuerte.

Der Manager wusste, wie man in einer Welt, in der man vorwiegend nach Äußerlichkeiten klassifiziert wird, zu leben hat.

Er fuhr einen schnittigen goldmetallic Jaguar.

Aus dem klobigen Auspuff flog noch einmal ein hellgraues Rauchfähnchen. Dann stand der Motor still. Der Wagenschlag schwang auf. Ein eleganter Enddreißiger schälte sich aus dem schicken Flitzer. Seine Bügelfalten waren scharf wie Rasierklingen. Er trug eine dezente Krawatte, deren Knoten die Größe einer mittleren Boxerfaust hatte.

Er war schwarzhaarig wie ein Italiener. Sein Job schien ihm genug Zeit für sportliche Betätigung zu lassen. Sein Schritt war federnd und leicht, obwohl seine Schultern das Durchschnittsmaß um einige Zentimeter überschritten.

Er war der Typ Mann, auf den elf von zehn Frauen fliegen.

An der Art, wie er die Zigarette hielt, die er nun fort schnippte, erkannte Bount, dass Carrera gern mal ein bisschen hochstapelte. Er wäre kein guter Manager gewesen, wenn er über diese Eigenschaft nicht verfügt hätte.

Er kam durch die gläserne Schwingtür, wollte grußlos am Pförtnergehäuse vorbeigehen, aber Bount Reiniger trat ihm mit einem Lächeln entgegen, als wäre er beauftragt, jeden, der durch diese Tür kam, herzlich willkommen zu heißen.

„Mr. Carrera?“

Ein launischer, vielleicht auch etwas misstrauischer Blick musterte Reiniger kurz.

„Ja?“

„Mein Name ist Reiniger. Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?“

Barry Carrera warf einen demonstrativen Blick auf seine wasserdichte, antimagnetische, stoßgesicherte Uhr.

„Ich fürchte, ich habe jetzt keine Zeit für Sie, Mr. Reiniger. Man erwartet mich im Studio. Worum handelt es sich?“

„Es handelt sich um Ihren Schützling Samantha York.“

„Presse?“

„Privatdetektiv!“

„Oh!“, sagte Carrera beinahe erschrocken. Er warf einen Blick über Bounts Schulter. Der Pförtner spitzte natürlich die Ohren. Welcher Pförtner ist nicht neugierig? „Bitte kommen Sie, Mr. Reiniger.“

Carrera führte Bount in die Marmorhalle. Die Klimaanlage ließ einen den Oktober vergessen und an den Juli denken.

Vier mit Kunstleder gepolsterte Sessel und ein kleiner Rauchtisch aus Glas standen vor einer hohen Glasscheibe, die den Innenhof abschirmte. Ein kunstvoll angelegtes Blumenbeet dekorierte den Innenhof.

„Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Reiniger“, sagte der Manager mit einer zurückhaltenden, abwartenden Freundlichkeit. „Zigarette?“, fragte er, als hätte er auf einmal jede Menge Zeit.

„Welche Marke?“, fragte Bount.

„Chesterfields.“

„Vielen Dank, die nehme ich.“

Sie rauchten, nachdem sie sich beide aus einem goldenen Etui, das die Initialen B.C. trug, bedient hatten. Wie schon erwähnt, Barry Carrera verstand sich hervorragend auf Äußerlichkeiten.

„Ich hoffe, Samantha hat nichts ausgefressen, Mr. Reiniger.“

„Seien Sie unbesorgt, Mr. Carrera. Miss York ist nicht der eigentliche Grund meines Hierseins.“

„Wie darf ich das verstehen?“

„Ich suche einen Mann namens Art Lorca.“

Barry Carrera biss in seinen Filter.

„Ich sehe, dieser Name ist Ihnen nicht unbekannt, Mr. Carrera“, sagte Bount mit einem listigen Lächeln.

Der Manager fuhr sich unangenehm berührt über die Augen. Es war eine fahrige Bewegung. Sie drückte Nervosität und Unbehagen aus.

„Samantha hat mit Art Lorca ,Gott sei Dank, Schluss gemacht, Mr. Reiniger. Das war ganz und gar kein Umgang für sie.“

„Wie ich hörte, nehmen Sie nun seinen Platz ein.“

„Ich bitte Sie, Mr. Reiniger. Sie wollen mich doch nicht mit diesem üblen Burschen vergleichen!“; sagte Barry Carrera beleidigt.

„Ich wollte damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass Sie nicht nur Samantha Yorks Manager, sondern auch ihr persönlicher Freund sind, Mr. Carrera.“

„Ja, das stimmt. Art Lorca ist ein Kapitel in Samanthas Leben, das vergessen werden muss. Es wird nicht leicht sein, ihn zu vergessen, aber Samantha wird es mit meiner Hilfe schaffen. Was hat Lorca ausgefressen, Mr. Reiniger?“

„Es besteht der Verdacht, dass er seinen Bruder Samuel Lorca ermordet hat.“

Barry Carrera kniff die Augen zusammen und nickte feindselig.

„Eine solche Tat würde ich ihm bedenkenlos zutrauen.“

„Kennen Sie ihn?“

„Nicht persönlich. Aber Samantha hat mir alles über ihn erzählt. Wir haben keinerlei Geheimnisse voreinander. Art Lorca war sozusagen ein Ausrutscher, verstehen Sie? Wir machen alle mal einen Fehler. Erfolglosigkeit, Ratlosigkeit, Mutlosigkeit, Depressionen... Plötzlich ist da jemand, der einen all den Jammer vergessen lässt. Man glaubt ihm bereitwillig, was er sagt, täuscht sich selbst... So war das mit Samantha und Lorca. Zum Glück ist dieses Mädchen klug genug, um schnell zu erkennen, warum es bergab geht. Sie konnte noch rechtzeitig umkehren.“

Carrera drückte die Chesterfield im kupfernen Aschenbecher aus. Dann verschränkte er die feingliedrigen Finger und legte beide Hände über das rechte Knie.

Er schaute Bount mit ernster Miene in die Augen.

„Hören Sie, Mr. Reiniger, ich habe große Pläne mit Samantha.“

„Privat?“

„Beruflich. Und natürlich auch privat. Aber unser Privatleben wird hinten angestellt. Samanthas Karriere hat absoluten Vorrang. Ich bin gerade dabei, die Presse mit erfundenen Geschichten über den kommenden Star zu füttern. Man macht das in dieser Branche so. Die Leute wollen nicht die Wahrheit wissen. Sie wollen belogen werden. Also bastelt man einen frisierten Lebenslauf, der zwar hinten und vorn nicht stimmt, der aber beim Publikum verdammt gut ankommt. Zur Zeit arbeiten wir an einer LP, die dem Mädchen zum Durchbruch verhelfen wird. Es ist mir gelungen, einige der ganz großen Komponisten für uns zu interessieren. Samantha wird Lieder von Paul Anka, Paul McCartney und Burt Bacharach singen. Die besten Songs werden aus der LP ausgekoppelt und kommen als Singles auf den Markt. Zugleich stoßen wir mit Live-Auftritten nach. Und wir klappern sämtliche Rundfunk- und Fernsehstationen ab, damit der Name Samantha York im ganzen Land bekannt wird. Das Mädchen wird es schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass sie es schaffen wird, Mr. Reiniger. Aber sie muss unbeschwert an die Sache herangehen können. Samantha ist sehr sensibel. Jede Unregelmäßigkeit kann die Arbeit von Wochen und Monaten zunichte machen. Die Bekanntschaft mit Art Lorca hat Schaden genug angerichtet, deshalb will ich nicht, dass Sie dem Mädchen mit Fragen zusetzen. Ich will nicht, dass Sie eine Wunde, die noch nicht mal vernarbt ist, wieder zum Bluten bringen. Es ist meine Aufgabe, Samantha York sozusagen unter eine Käseglocke zu stellen. Ich muss alle schädlichen Einflüsse von ihr fernhalten, damit sie sich voll und ganz auf ihre Arbeit konzentrieren kann. Deshalb kann ich es nicht zulassen, dass Sie mit ihr sprechen. Ich hoffe, Sie verstehen das, Mr. Reiniger.“

Bount stieß seine Zigarette ebenfalls in den kupfernen Aschenbecher. Dann lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wie ich schon sagte, suche ich Art Lorca.“

„Ja. Und?“

„Da ich nicht wusste, dass es zwischen ihm und Miss York aus ist, dachte ich, über Ihren Schützling an ihn heranzukommen“, sagte Bount.

„Tut mir leid, Ihnen nicht helfen zu können, Mr. Reiniger!“, erwiderte Barry Carrera. Aber es tat ihm nicht wirklich leid. Er blickte verstohlen auf seine Uhr; Seine Nervosität wuchs. Er wollte Bount nun so schnell wie möglich loswerden.

„Ich arbeite in diesem Fall sehr eng mit der Polizei zusammen, Mr. Carrera. Natürlich haben die Cops Art Lorca zuerst zu Hause gesucht — vorausgesetzt, Sie wissen, wo er im Augenblick wohnt. Da man mir noch keine Nachricht zukommen ließ, dass er verhaftet wurde, wird es weiterhin meine Aufgabe bleiben, jenen Schlupfwinkel aufzustöbern, den er sich als Versteck ausgesucht hat. Ich denke, Miss York könnte in der Lage sein, mir den einen oder anderen Schlupfwinkel zu nennen.“

Der Manager schüttelte energisch den Kopf.

„Keine Fragen an Miss York, Reiniger“, sagte er.

In diesem Augenblick fuhr die Sängerin in einem ockerfarbenen Thunderbird auf den Parkplatz. Sie stellte ihren Wagen neben den Jaguar des Managers.

Bount Reiniger hatte sie noch nie gesehen, aber an der Art, wie Barry Carrera zusammenzuckte, erkannte er, dass soeben Samantha York eingetroffen war.

Carrera schnellte auf einmal hoch, als hätte er es sehr eilig.

„Besser Sie gehen jetzt, Mr. Reiniger!“, sagte er nervös. „Und halten Sie um Himmels willen den Mund! Sie würden Samantha verdammt schaden, wenn Sie überall ausplauderten, dass sie mit einem Mörder befreundet war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies Ihre Absicht ist.“

Gatsby-Look ist der neueste Modeschrei. Samantha York trug ihn natürlich. Sie schien aus einem Modejournal der zwanziger Jahre herausgestiegen zu sein. Trotzdem nahm sie es mit dem heutigen Schönheitsideal jederzeit auf. Wenn sie so sang, wie sie aussah, dann hatte sie den Erfolg bereits jetzt in der Tasche. Ihre Augen waren himmelblau, mit einem Schuss Grün darin. Ihr Gesicht hatte etwas puppenhaftes an sich. Ihre Brauen hatten einen schrägen, aufmerksamen Schwung, und sie hatte einen Mund, der aus atemlosen Versprechungen bestand.

Barry Carrera sagte: „Leben Sie wohl, Mr. Reiniger!“

Er sagte nicht auf Wiedersehen. Er sagte absichtlich leben Sie wohl, weil er Bount nicht wiedersehen wollte.

Dann ging der Manager mit raschen Schritten auf das hübsche blonde Mädchen zu, küsste ihre Wange, schleppte sie zum Lift und schwirrte gleich darauf ab.

Bount Reiniger war mit diesem halben Waterloo nicht einverstanden.

Er beschloss zu warten.