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Jede Nacht im Oktober ist kalt, feucht und unwirtlich. Hin und wieder kommt Nebel hinzu. Dann wird aus der unwirtlichen eine unheimliche Nacht. Vierundzwanzig Stunden nach Samuel Lorcas Tod war dies der Fall. Schwarz wie Krähenflügel war die Dunkelheit. Ein schlechter Maler hatte dunkelgraue Flecken darauf gemacht. Das war der Nebel. Von einem trägen Wind getrieben schwebten die Nebelschwaden über das weitflächige Grundstück, auf dem das europäisch anmutende Fertigteilhaus stand, in dem die Witwe Lorca sich allein befand.
Der nächtliche Himmel hatte sich nicht mit Sternen geschmückt. Nicht einmal der Mond erhellte die Nacht. Vielleicht trauerte der Himmel um den einstigen Marine-Infanteristen, den Schlangenfänger und Reptiliengroßhändler Samuel Lorca.
Der schemenhafte Schatten eines Mannes tauchte plötzlich aus der dicken Brühe des Nebels auf. Nur ganz kurz verharrte der Mann. Sein Atem ging schnell. Er war gelaufen und lief gleich wieder weiter. Die bizarr geformten Nebelfetzen flogen wie ein zerschlissenes Cape hinter ihm her.
Als der Mann das Gebäude erreicht hatte, lehnte er sich an die raue Wand. Er lauschte. Die Stille war absolut. Drinnen im Haus brannte kein Licht mehr. Die Leute in der Nachbarschaft waren ebenfalls bereits zu Bett gegangen.
Obwohl es kalt war, schwitzte der Mann.
Es war die Aufregung, die ihm kalten Schweiß aus den Poren trieb. Nachdem er die Anstrengung des schnellen Laufs nicht mehr spürte und sein Atem wieder ruhiger geworden war, stemmte er sich von der Wand ab und glitt lautlos auf das Fenster zu, das zwei Meter von ihm entfernt war. Er hatte Kreppsohlen an den Schuhen.
Der Mann öffnete sein dickes Schafwolljackett.
Er holte eine Pistole aus dem Schulterholster und lege den Sicherungsflügel um. Es handelte sich um eine Colt Commander, Kaliber .45.
Schnell schob er die Waffe in das Holster zurück. Sekunden später grub er ein kurzes, handliches Brecheisen aus. Bevor er das Eisen an das Fenster ansetzte, schaute er sich noch einmal kurz um. Kein Mensch kümmerte sich um ihn. Seine Zufriedenheit drückte sich in einem nervösen Zucken des Gesichts aus.
Dann ging er ans Werk.
Die Kälte strich ihm mit dunkelgrauen Nebelfingern über den heißen Nacken und ließ ihn frösteln. Sobald das Brecheisen saß, ließ er den Hebel wirken. Augenblicke später ließ sich das Fenster mit einem leisen, kaum wahrnehmbaren Knarren öffnen.
Rasch steckte der Mann das Brecheisen weg. Bevor er in das Haus einstieg, warf er erneut einen prüfenden Blick zurück. Dann federte er hoch und flankte gewandt über das Fensterbrett in den dahinterliegenden Raum.
Der dünne Strahl einer Taschenlampe zitterte über Möbel, Vorhänge und Tapeten. Der Mann, dem sein Besuch galt, befand sich nicht in jenem Raum.
Deshalb schlich er mit geschmeidigen, panthergleichen Bewegungen auf die gegenüberliegende Tür zu.
Er öffnete sie vorsichtig, erst nur einen kleinen Spalt, wobei er nicht vergaß, die Stablampe abzuschalten.
Er lauschte mit angehaltenem Atem. In diesen Sekunden vollster Konzentration wirkte das Gesicht des Mannes wie aus Stein gemeißelt.
Nun entspannten sich seine Züge wieder. Er drückte die Tür weiter auf, weil er sicher sein konnte, dass niemand von seiner Anwesenheit wusste.
Als er aus dem Raum trat, den er zuvor durchschritten hatte, stieß er mit dem rechten Bein sanft gegen eine schlanke, hohe Bodenvase. Sie wackelte. Die Schilfkolben, die zur Dekoration darin steckten, rieben sich knirschend aneinander. Der Mann unterdrückte einen wütenden Fluch und knipste die Taschenlampe an, um von jetzt an wieder zu sehen, wohin er trat.
Wenig später betrat der Eindringling das Arbeitszimmer des ermordeten Samuel Lorca.
Er begab sich zum Wandsafe, den er hinter einem großen gerahmten Foto von Jill und Sam Lorca wusste, und machte sich sofort an die Arbeit.