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Von der Bronx nach Manhattan ist es mit dem Wagen nur ein Katzensprung. Auf diesem Sprung machte Reiniger eine kurze Zwischenlandung, da die Uhr auf seinem Armaturenbrett zwölf Uhr sechzehn zeigte. Ehe die Steaks alle verkauft waren, sicherte sich Bount noch schnell eines nach russischer Art mit milder Rahmsoße, Hülsenfrüchten und Bratkartoffeln. Wenn der Kommunismus nur halb so schön war, wie dieses Steak schmeckte, dann war nicht einzusehen, weshalb sich Amerika so sehr dagegen wehrte.
Nach dieser kurzen Zwischenlandung war der zweite Teil des Katzensprungs an der Reihe. Mitten hinein in den Innenhof des Police Headquarters, das sich in der Centre Street befindet und in dem Captain Toby Rogers arbeitete, wenn er arbeitete.
Der Paternoster fuhr so langsam nach oben, dass Bount inzwischen seinen Bart wachsen spürte.
Rogers war da, wohin er gehörte. Breit und behäbig saß er an seinem Schreibtisch und ernährte sich von Automatenkaffee und angebranntem Aprikosenkuchen aus der Kantine.
„Ist schon ein hartes Los, Polizist zu sein“, sagte Bount voll gespielten Mitleids.
„Härter ist es, Schnüffler und niemandes Freund zu sein“, gab der Captain anzüglich zurück.
Reiniger suchte seinen Stammplatz auf. Es war die Schreibtischecke.
„Sag mal, musst du dich ausgerechnet auf meinen Aprikosenkuchen setzen?“, maulte der Leiter der Mordkommission Manhattan C/II.
„Heute passt dir mal wieder gar nichts“, sagte Bount amüsiert. „Weißt du, was mich interessieren würde?“
„Was?“
„Was du heute morgen gesagt hast, als du dich beim Rasieren im Spiegel erblicktest.“
„Ich habe mich freundlich gegrüßt, wie jeden Morgen.“
„Und damit ist dann der Freundlichkeit für den Rest des Tages Genüge getan, nicht wahr?“
„Genau. Und jetzt steige endlich von meinem Aprikosenkuchen herunter. Ich habe Kohldampf.“
Bount saß nicht wirklich darauf. Aber knapp daran. Rogers fingerte den Kuchen heran und ließ ihn in seinem riesigen Mund verschwunden. Er goss den Kaffee nach und meinte bissig, es wäre gut, dass sich im Kaffee kein Tropfen Milch befände, denn diese wäre gewiss nun sauer geworden.
„Gestern war ich beim Doktor“, nuschelte er ungehalten.
„Und?“
„Vier Magengeschwüre. Willst du raten, wem ich die zu verdanken habe?“
„Doch nicht etwa mir, Toby.“
„Aber ja, dir. Warum bist du so bescheiden? Meinen Magen hättest du also geschafft. Worauf legst du es nun an? Auf meinen Zwölffingerdarm?“
Bount schüttelte grinsend den Kopf.
„Ist fast nicht zu fassen. So ein prachtvoller, dicker, rotbackiger Apfel - aber es ist der Wurm drin.“
„Gib bloß acht, dass ich dich von meinem Wurm nicht beißen lassen!“
„Spendierst du ’nen Drink, wo wir gerade so nett beisammen sitzen und plaudern, Toby?“
„Nein.“
„War das dein letztes Wort?“
„Ja.“
„Okay. Dann werde ich Mac sagen, dass du in meinem Haus nur noch abgestandenes Wasser zu trinken bekommst.“
Rogers brummte daraufhin irgend etwas von „Erpresser“ in seinen imaginären Bart. Dann öffnete er seinen Schreibtisch, brachte eine Flasche Johnnie Walker und zwei Gläser zum Vorschein und stellte sie auf den Tisch. Als er den Verschluss abgedreht hatte, ging die Tür auf, und der schlaksige Lieutenant Myers trat in Rogers' Büro.
Der Captain schüttelte fassungslos den Kopf.
„Das darf doch nicht wahr sein!“, sagte er zu Bount. „Den Burschen siehst du unter Umständen drei Tage lang nicht. Aber wenn du am vierten Tag ’ne Whiskyflasche aufmachst, steht er neben dir.“
Ron Myers grinste.
„Nun mach schon, Toby. Stell noch ein Glas dazu.“
Nur äußerst widerwillig kam der sparsame Captain dieser Aufforderung nach. Bestimmt hatten seine Vorfahren mal im schottischen Hochland gelebt. Sie tranken zu dritt. Hinterher nannte Bount Reiniger den Grund seines Besuches. Auch Rogers war 1952 bei den Ledernacken gewesen. Er hatte dort Bount Reiniger kennengelernt, und aus dieser Bekanntschaft hatte sich eine ziemlich wetterfeste Freundschaft entwickelt. Was sie einander so alles an giftigen Bemerkungen an den Kopf warfen, war niemals ernst zu nehmen. Es war einfach ihre Art, die Zuneigung zueinander zu zeigen.
Toby Rogers hatte Samuel Lorca auch gekannt. Was Bount ihm nun über dessen geheimnisvolles Ableben erzählte, machte ihn kribbelig, als hätte er Würmer in den Beinen.
„Riecht wirklich nach ’ner Schweinerei, Bount“, sagte der Captain, als Reiniger geendet hatte. „Aber du kennst unsere Gesetze. Ich kann auf eine bloße Vermutung hin nicht einfach an die Angelegenheit ran gehen. Offiziell könnte man die Sache als einen bedauerlichen Arbeitsunfall ansehen.“
„Das war so wenig ein Arbeitsunfall wie ich der Weihnachtsmann bin, Toby“, sagte Bount.
„Schaff mir die Möglichkeit, einzuhaken, Bount, und du kannst mit meiner Hilfe rechnen.“
Bount Reiniger nickte.
„Okay, Toby. Ich will’s versuchen.“