24
Mit einem hellen Rauschen rollten die Reifen über den nassen Straßenbelag. Tickend arbeiteten die Scheibenwischer. Da ihre Blätter defekt waren, hinterließen sie schmierige Streifen. Sacca krümmte den Rücken, um weiter unten durch die Windschutzscheibe zu sehen, wo das linke Wischerblatt noch besser griff.
Er hatte während des kurzen Vormittags kaum was gearbeitet.
Man hatte ihn ins Betriebsbüro kommen lassen und hatte ihm klargemacht, dass dies keine Arbeitsmoral wäre, die er da an den Tag legte. Mal kam er. Mal nicht. Dann kam er wieder zu spät.
„Ich habe jetzt lange genug zugesehen, Mr. Sacca!“, hatte der Personalchef gesagt. „Nun ist aber Schluss! In Zukunft werden Sie Ihre Arbeit ebenso gewissenhaft verrichten wir Ihre Kollegen.“
„Sonst noch was?“, hatte Sacca gelangweilt gefragt. Er war mit seinen Gedanken gar nicht richtig bei der Sache gewesen. Kein Wunder. Heute morgen war er dem Totengräber sozusagen von der Spitzhacke heruntergesprungen. Er spürte immer noch den Druck des Revolvers an seiner Schläfe. Gott, wie lächerlich war dagegen diese beschissene Predigt.
„Wenn Sie noch ein einziges Mal unentschuldigt von Ihrem Arbeitsplatz fernbleiben ..“
„Was ist dann?“, hatte Sacca den Personalchef trotzig gefragt.
„Dann haben Sie mit den hierfür vorgesehenen Konsequenzen zu rechnen, Mr. Sacca!“
Daraufhin hatte Emilio Sacca höhnisch gegrinst.
„Warum umschreiben Sie das mit solchen geschwollenen Worten, Meister? Warum sagen Sie nicht gleich, dass ich beim nächsten mal einen Tritt in den Hintern kriege?“
„Es ist nicht meine Art, so vulgär ..“
„Ja, ja. Schon gut. Sie brauchen vermutlich auch auf dem Klo einen, der Ihnen den ...“
„Mr. Sacca! Ich muss schon sehr bitten!“, hatte der Personalchef daraufhin entrüstet gebrüllt.
Emilio hatte ihn grinsend stehengelassen und war zu seinen Regalen zurückgekehrt.
Jetzt war Mittagspause. Und da er nicht weit vom Supermarkt entfernt wohnte, fuhr er durch den großtropfigen Regen nach Hause.
Diese Irren, dachte er. Was denken sie denn, wer sie sind. Wollen mir Vorschriften machen. Mir! Die können mich doch mal. Alle können sie mich. Ich mache, was mir passt. Ich habe immer gemacht, was ich wollte. Ich hasse Zwangsjacken. Sollen sie mich doch feuern, wenn’s ihnen Spaß macht. Ich finde einen anderen Job. Und wenn ich keinen finde, dreh ich wieder mal was Krummes. Kommt ohnedies wesentlich mehr dabei heraus.
Sacca ließ seinen Wagen vor dem Haus, in dem er wohnte, ausrollen.
Er stellte den Kragen seiner hellen Segelleinenjacke auf und rannte fluchend auf das Haustor zu.
In der Küche stellte er dann ein paar Würstchen auf die Flamme. Er schnitt zwei Scheiben Brot ab und holte eine Dose Bier aus dem Kühlschrank.
Die Jacke behielt er an.
Jemand klopfte an die Tür.
Er ging, um zu öffnen. Sein finsterer Blick wurde noch dunkler, als er sah, wer draußen stand.
„Na, du hast mir zu meinem großen Glück gerade noch gefehlt!“, sagte er unwillig.
Art Lorca presste die Lippen ärgerlich zusammen. „Sag mal, Emilio, begrüßt man so einen Freund?“ Sacca riss die Augen auf.
„Ach so! Ein Freund bist du!“
„Etwa nicht?“
„Komm schon herein! Es zieht. Das schlägt sich bei mir immer auf die Bronchien.“
Sie gingen ins Wohnzimmer.
„Mach dir’s nicht zu bequem, Art. Du gehst nämlich bald wieder“, sagte Sacca grimmig.
„Du weißt wohl nicht mehr, mit wem du redest, was?“, fauchte Lorca, der einen solch rüden Ton nicht leiden konnte.
Sacca zuckte gleichgültig mit den Schultern.
,,’nen Drink?“
„Ja. Was ist das für eine Telefonnummer?“
„Wo?“
„Hier auf dem Tisch.“
„Gehört ’ner scharfen schwedischen Puppe. Ich kann’s schließlich auch nicht immer aus den Rippen schwitzen.“
Lorca bekam einen Whisky. Sacca nahm sich ebenfalls einen. Dann setzte er sich zu ihm.
„Hast du schon gegessen?“, fragte Lorca.
„Nein.“
„Kann ich mithalten? Es ist mir egal, was es gibt.“
„Moment.“ Sacca ging in die Küche und legte noch ein paar Würstchen ins Wasser.
„Ich stecke in der Klemme, Emilio!“, sagte Lorca, als Sacca ihm wieder gegenüber saß.
„Hab’s schon erfahren, Art.“
„Von wem?“, fragte Lorca erschrocken.
„Die Nigger von Harlem trommeln es durch die Gegend.“
„Ich brauch ’ne Bleibe, Emilio! Für ein paar Tage.“
„Hotel.“
„Da war ich heute Nacht.“
„Gab’s Wanzen?“
„Nein.“
„Warum bleibst du dann nicht?“
„Weil das Geld nicht reicht.“
Sacca verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Das ist vielleicht ’n Ding, Art! Du hast nicht mal Geld fürs Hotel?“
„Nein, verdammt.“
„Wie willst du dann McCoon die fünfzigtausend Dollar zurückzahlen.“
„Trommeln das auch die Nigger von Harlem?“
„Klar.“
Er war am Vormittag bei der Long Island City Station gewesen, hatte da ein paar Cents geopfert und hatte sich mit einem elektrischen Leihapparat die Bartstoppeln aus dem Gesicht gekratzt. Nun rieb er sich das glatte Kinn.
„Was ist passiert, Emilio?“, fragte er gespannt.
„Ich sag’s dir nach dem Essen, sonst vergeht dir der Appetit.“
Sacca brachte die Würstchen. Er brachte noch eine Dose Bier für Lorca. Sie aßen die Würstchen mit viel Senf. Und Lorca verlangte dreimal Brot nach. Danach kehrten sie zum Whisky zurück.
„Nun?“, fragte Lorca ungeduldig.
„Zwei wandelnde Torpfosten waren heute morgen bei mir. McCoons Männer. Sie wollten unbedingt von mir wissen, wo du steckst. Sogar ’nen Knaller haben sie mir an die Schläfe gesetzt. Ich kann dir flüstern, ich hatte die Hose gestrichen voll.“
„Weshalb haben sie dich nicht fertiggemacht?“
„Ich habe versprochen, dich ans Messer zu liefern.“
„Emilio!“
„Keine Sorge, Art. Ich werd’s nicht tun. Die Telefonnummer auf dem Tisch ist die Nummer, die ich wählen muss, wenn du dich bei mir meldest. Sie haben sie auf den Tisch geschrieben, damit ich immer daran denke. Soll ich dir sagen, was ich denke?“
„Was?“
„Du bist ein hirnverbrannter Idiot, Art. Wie konntest du dich mit einem Mann wie Derek McCoon einlassen? Das ist doch schlimmer, als wenn du dem Teufel deine Seele verkaufst! Wusstest du das denn nicht?“
„Ich hatte keine andere Wahl, Emilio! Glaub mir, ich hätte mich da nicht hineingeritten, wenn ich eine andere Möglichkeit gesehen hätte.“
„Du weißt, was ich für dich riskiere, wenn ich dich nicht an McCoons Männer verpfeife, Art!“
„Du wirst es nicht umsonst tun.“
„Sag bloß, du beerbst in den nächsten Tagen einen reichen Onkel.“
„Ich werde das Geld, das ich McCoon schulde, auftreiben, Emilio. Und nicht nur das. Es wird einiges mehr dabei hängenbleiben.“
„Willst du etwa ganz allein eine Bank ausrauben?“
„Ich werde Geld haben, das mir zusteht, Emilio.“
„Mann, du hast zu viel gesoffen! Du bist nicht mehr ganz richtig im Schädel, wie? Du steckst in der Scheiße, Art. Soll ich buchstabieren? S-c-h-e-i-ß-e! Aus der kann dich kein Märchen herausziehen!“
„Es ist kein Märchen, Emilio!“
„Hör doch auf. Mehr als fünftausend Dollar hast du dein ganzes Leben noch nicht auf einem Haufen gesehen. Wie solltest du es jemals schaffen, soviel Zaster aufzutreiben! Ausgerechnet jetzt. Das muss ein Märchen sein. Wem willst du das Geld denn stehlen, eh?“
„Darüber will ich nicht sprechen, Emilio.“
„Ist mir auch recht. Jedenfalls steht eines unumstößlich fest, Glücksritter! Hier bei mir kannst du nicht untertauchen, denn in meiner Wohnung liegst du auf ’nem blanken Präsentierteller. McCoons Männer werden sicher bald wieder vorbeikommen. Es wird mir verdammt schwerfallen, ihnen weiszumachen, dass du dich immer noch nicht bei mir hast blicken lassen. Aber ich tu’s für dich. Hoffentlich erinnerst du dich zu gegebener Zeit daran und schlägst mir auch mal ein blaues Auge.“
Art Lorca nickte fest.
„Worauf du dich verlassen kannst, Emilio!“