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Mochte der Teufel wissen, wieso Barry Carrera sofort an Art Lorca dachte. Mit Samantha stimmte etwas nicht. Sie hatte ihn belogen. Er hatte ihre seelische Not zwischen den einzelnen Silben gehört. Ihre Stimme hatte eingeschüchtert, ängstlich und verzweifelt geklungen. Art Lorca brauchte ein Versteck, das war bekannt. Hatte er es bei Samantha gefunden? Zwang er sie, ihn in ihrer Wohnung zu verbergen? Carrera dachte einen Moment daran, Bount Reiniger anzurufen und ihn zu Samanthas Wohnung zu schicken, doch dann verwarf er diesen Gedanken, weil ihm ein besserer gekommen war. Er selbst wollte bei Samantha nach dem Rechten sehen. Sie war so sehr dagegen gewesen, dass er zu ihr kam, hatte beinahe geschrien, als er ihr diesen Vorschlag gemacht hatte, dass er keine ruhige Minute mehr gehabt hätte, wenn er der Angelegenheit nicht sofort auf den Grund gegangen wäre.
Carrera fuhr die vier Straßen weit und ließ sich dann in den neunten Stock liften.
Er presste den Zeigefinger auf den orangefarbenen Knopf neben der Tür.
Drinnen machte es dezent „Ding-Dong“. Während er wartete, nagte Barry Carrera nervös an der Unterlippe. Er ballte die Hände, als wollte er sich so gegen großes Unheil wappnen.
Dann öffnete sich die Tür. Wie von Geisterhand schwebte sie zur Seite. Er trat mit vibrierenden Nerven ein. Und dann überstürzten sich die Ereignisse.
Samantha stürzte kreischend aus dem Schlafzimmer. Sie trug einen enganliegenden Frotteepyjama.
„Vorsicht, Barry!“, schrie sie.
Gleichzeitig wurde die Tür mit einem kraftvollen Stoß zugeknallt. Barry Carrera wirbelte wie von der Tarantel gebissen herum und sah sich in derselben Sekunde einem Mann gegenüber, den er noch nie persönlich gesehen hatte, den er aber trotzdem sofort erkannte.
„Lorca!“, sagte er keuchend. „Art Lorca!“
Sein Hass gegen den Mann, der Samantha York vor ihm besessen hatte, wuchs von einem Augenblick zum anderen ins Uferlose. Eine brennende Wut machte ihn blind.
Er tat das Verrückteste, was er in diesem gefahrvollen Augenblick tun konnte. Er stürzte sich mit einem wilden Fauchen auf Art Lorca, obwohl dieser seine Pistole auf ihn richtete, um ihn sich auf diese Weise vom Leib zu halten.
„Barry!“, schrie Samantha bestürzt, als sie den Wahnsinn begriff. Ihre Augen weiteten sich. Namenlose Panik erfasste sie. Sie wusste, dass Art Lorca nun vor ihren Augen einen weiteren Mord verüben würde. Sie wusste es schon mit schmerzhafter Gewissheit, bevor es noch geschah.
Art Lorca schoss nicht. Er hob die Rechte und knallte dem Anstürmenden die Commander brutal an die Schläfe. Barry Carrera schüttelte gurgelnd den Kopf. Seine Augen waren auf einmal wie aus Glas. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer erschreckenden Grimasse. Er kämpfte verzweifelt gegen die schwere Wirkung des Treffers an. Verbissen versuchte er sich auf den wackelig werdenden Beinen zu halten. Mit einer eher hilflosen als gefährlichen Bewegung wuchtete er sich nach vorn. Seine Finger krallten sich in Lorcas Jackett. Angewidert rammte ihm Lorca das Knie in den Bauch. Carrera klappte zusammen. Und nun schlug ihm der wutschnaubende Mörder den Knauf seiner Waffe mehrmals kraftvoll in den Nacken.
Barry Carrera streckte sich auf dem Boden aus.
Die Weise, wie er dalag, ließ den Verdacht aufkommen, dass er nicht nur das Bewusstsein, sondern auch das Leben verloren hatte.