5
Himmelskörper

»Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, Miss Corsayer. Ich bin durch und durch anständig, glauben Sie mir.«

»Ja, Sir.«

»Das bin ich wirklich.« Burlingame musterte sie mit etwas, das er für einen sachlichen, aber nicht unfreundlichen Gesichtsausdruck hielt. Kelly war nervös und wusste, dass auch die anderen Mitglieder des Teams an diesem Nachmittag zum Chef zitiert worden waren.

Burlingame bemerkte ihre Nervosität und fand Gefallen daran; er fühlte sich davon sogar ein bisschen angetörnt. Miss Corsayer bot einen angenehmen Anblick und war sogar sein Typ, fiel ihm plötzlich ein. Er gestattete sich einen Blick auf ihre Brüste, woraufhin Kelly errötete. Burlingame fand es in Ordnung, wenn sie wusste, wo sein Blick gewesen war. Frauen trugen ihre Sexualität ganz offen und deshalb hatten sie wohl kaum einen Grund zur Klage, wenn sie gelegentlich einen offenen Blick bekamen.

»Sie wissen vermutlich, Miss Corsayer, dass ich heute Nachmittag die ganze Gruppe zu einem Treffen hierher bestellt habe. Ich bedauere natürlich, dass es Sie um Ihren Schönheitsschlaf bringt, aber …« Burlingame legte eine Pause ein und überließ es Kelly, den logischen Schluss zu ziehen, nämlich dass seine offizielle Angelegenheit wichtiger war als der Schlaf des Teams. Er sah auf die Uhr. Viertel nach eins. Sollten die anderen noch etwas länger warten und auf der anderen Seite der Tür in ihrem Saft schmoren. Tat ihnen bestimmt gut. »Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen, meine Liebe, bevor wir mit der Besprechung beginnen.«

»Ja.«

»Die Angelegenheit ist etwas, wie soll ich sagen, delikat. Nun, ich frage Sie, und dies ist streng vertraulich: Haben Sie den Eindruck, dass Dr. Layton und seine Mitarbeiter jemals das Simulationsprogramm geändert haben, damit es … Wie soll ich mich ausdrücken? Damit es etwas vorhersagt, das mehr ihrer eigenen Denkweise entspricht?«

»Sie verändern das Programm die ganze Zeit über, damit es genauere Vorhersagen treffen kann.«

»Ja, kein Zweifel. Aber meine Frage zielt in eine andere Richtung. Glauben Sie, dass manche Veränderungen dazu dienten, die Simulationen ihrem politischen Programm anzupassen?«

»Das ist unverschämt. Natürlich nicht.«

»Nichts für ungut, nichts für ungut. Ich habe nur gefragt.«

»Diese Leute sind Wissenschaftler. Sie haben kein ›politisches Programm‹, wie Sie es nennen.«

»Nein, vermutlich nicht. Es gab da nur diese eine Sache, über die ich gestolpert bin und die mich auf den Gedanken brachte, dass vielleicht etwas manipuliert wurde.« Burlingame nahm einen Ausdruck aus einer Schublade und legte die Blätter auf den Schreibtisch. »Ich kann Ihnen nicht sagen, woher ich dies habe. Fragen Sie also bitte nicht nach meiner Quelle.«

Kelly bemerkte Kaffeesatzflecken. »Haben Sie schon wieder in den Abfällen gestöbert, Mr. Burlingame?«

»Wichtig ist, was hier geschrieben steht. Beziehungsweise gedruckt. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, woher ich weiß, was es bedeutet …«

»Es ist englische Schrift, die jeder in diesem Land verstehen sollte.«

»… oder woher ich weiß, dass sich diese Simulation von allen anderen unterscheidet.«

Kelly nahm das Blatt mit der Zusammenfassung. »Sehr aufmerksam von Ihnen, Sir, dass Sie dies als ungewöhnliches Szenario erkannt haben. Ich nehme an, einen wichtigen Hinweis lieferte Ihnen der Umstand, dass die spanische Luftwaffe einen großen Teil der Vereinigten Staaten bombardiert, während die spanische Infanterie Europa und Teile von Asien erobert.«

»Die spanische Luftwaffe hat überhaupt kein strategisches Potenzial.«

»Es war eine Überraschung. Vielleicht liegt es an all den spanischen Schulkindern, die Wertmarken für das spanische Verteidigungsministerium in ihre kleinen Bücher kleben, damit das Militär genug Geld bekommt.«

»Wie erklären Sie dieses außergewöhnliche Szenario, Miss Corsayer? Wie erklären Sie, dass Simula-7 – ein teures, im Auftrag der Regierung entwickeltes Programm – einen derartigen Unsinn hervorbringt?«

»Es war ein Scherz. Konnten Sie das nicht erraten? Das Team hat Loren einen Streich gespielt. Die anderen ließen die Simulation laufen und sahen ihn an, als wäre er plötzlich zu einem Sicherheitsrisiko geworden, zu einer Gefahr für das Land. Es war sehr komisch. Loren fiel komplett darauf herein. Dr. Layton, Edward und Sonia waren an jenem Abend früher als sonst gekommen und bastelten die Inputdaten zurecht …«

»Ah, sie haben die Daten ›zurechtgebastelt‹?« Burlingame schien das Wort festhalten zu wollen.

»Für einen Scherz.«

»Sehr lustig, sehr lustig. Nun ja, diese kleine Plauderei hat das eine oder andere geklärt. Ich glaube, meine Liebe, Sie können jetzt die anderen hereinschicken. Und …« Burlingame sah auf seine Kaffeetasse hinab. »Vielleicht sind Sie so nett und holen mir noch etwas Kaffee. Der Nachmittag könnte lang werden.«

Als Kelly die Untertasse verärgert hob, kippte die Tasse und cremefarbene Flüssigkeit rann über die Schreibunterlage zum Rand des Schreibtischs. Burlingame sprang erschrocken auf und wich zurück, damit seine Hose nichts abbekam. »Dumme Göre«, sagte er.

Einige Sekunden lang blieb es still. Kelly legte die Hände auf den Schreibtisch und betrachtete sie. Ihre Farbe veränderte sich, stellte sie fest und sagte sich: Bleib ruhig, ganz ruhig.

»Mr. Burlingame«, begann sie, »ich habe Ihnen zwei Dinge zu sagen, zwei wichtige Dinge. Erstens: Es gibt keine Entschuldigung für beleidigende Worte. Nie. Unter gar keinen Umständen. Das war die erste Sache.« Sie zögerte und gab Burlingame Gelegenheit, über ihre Worte nachzudenken. »Punkt zwei: Sie können mich mal.«

*

Der berühmte Dr. Homer Layton hielt bei der Besprechung die Augen geschlossen. Was sehr verwirrend war. Er hielt sie auch dann geschlossen, wenn er sprach. Burlingame fühlte sich davon verunsichert – was ihm gar nicht gefiel –, denn er wusste nicht, an wen er seine Worte richtete. Schließlich fixierte er seinen Blick auf Dr. Barodin, die älteste Person unter denen mit offenen Augen, doch es brachte ihn ein wenig aus dem Konzept.

Unbewusst hob Burlingame die Stimme, in der Hoffnung, dass Layton ihn hörte. »… wenn ein Szenario das Pentagon erreicht und den Eindruck erweckt, dass unsere Seite überhaupt nichts unternehmen kann. Sie verstehen sicher, dass so etwas unsere Begeisterung ein wenig dämpft. Wenn ein Szenario davon ausgeht, dass wir Atomwaffen auf dem Schlachtfeld einsetzen, zum Beispiel unsere M88 mit kleinen Sprengköpfen, zeigt die Simulation, dass die andere Seite eskaliert. Wenn wir all den Simulationen Glauben schenken könnten, gäbe es für uns nie eine Möglichkeit, die M88 einzusetzen.«

»Gut mitgedacht«, sagte Barodin.

»Wissen Sie, was wir für die Dinger bezahlt haben?«, heulte Burlingame. »Sie sind ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Verteidigungsbemühungen. Und Sie machen sie nutzlos. Das läuft auf Sabotage hinaus. Genauso gut könnten Sie sich in ein Depot schleichen und die Sprengköpfe in die Luft jagen. Sie nehmen uns die Möglichkeit, von ihnen Gebrauch zu machen. Sie könnten ebenso gut durch feindliche Aktion zerstört sein. Wo liegt der Unterschied?«

»Der Unterschied«, sagte Barodin, »besteht darin, dass Sie jetzt, da Sie die Szenarien kennen, weniger dazu neigen, den ganzen Rest der Welt in ein nukleares Inferno zu verwandeln.«

»Es gibt keinen Unterschied. Unsere Waffen könnten genauso gut von einer ausländischen Macht vernichtet worden sein, oder was weiß ich. Wir können sie nicht benutzen. Neunhundert Millionen gottverdammte Dollar. Und Sie sitzen da und grinsen selbstzufrieden. Sie nehmen dies nicht einmal ernst. Sie halten es für einen Scherz. Für Sie ist alles ein großer Witz. Was haben Sie für den 7. April ins Protokoll eingetragen?« Burlingame schob das Buch empört Barodin entgegen.

Ed warf einen Blick auf die Seite. »Es war ein Scherz, Curly.«

»Ha, ha. Woher soll ich das wissen? Ich meine, was soll man denken, wenn man morgens am 7. April eintrifft und liest: coitus interruptus?«

»Dann sollte man denken, dass wir eine lausige, frustrierende Nacht hatten und es auf diese harmlose Weise zum Ausdruck brachten.«

»Ach? Sie stecken die ganze Zeit zusammen, zwei Männer, zwei Frauen und Dr. Layton …«

»Dr. Layton ist ebenfalls ein Mann«, sagte Homer, dessen Augen noch immer geschlossen waren.

»Aber Sie verstehen, was ich meine, oder?«

Alle fünf schüttelten würdevoll den Kopf. »Nein«, hieß es, und: »Keine Ahnung«, »Hab keinen blassen Schimmer«, »Ich auch nicht« und »Ich ebenso wenig«.

Burlingame lief rot an. »Dies ist kein Witz, meine Herren, ich meine … Leute. Ganz und gar kein Witz. Es handelt sich vielmehr um eine überaus ernste Angelegenheit. Die Sicherheit der Nation steht auf dem Spiel. Ihre Szenarien nehmen uns die Möglichkeit, unser Vaterland zu verteidigen. Was mich betrifft … Ich weiß nicht, ob man ihnen glauben kann oder nicht. Ich weiß nicht, ob sie das Ergebnis ehrlicher Simulationen sind oder …« Er blickte auf den Text der Mitteilung von General Buxtehude und fand dort die Worte, nach denen er suchte. »… oder ob es etwas ist, das wir ›bösartigen politischen Aktionismus‹ nennen.«

»Was zum Teufel soll ›bösartiger politischer Aktionismus‹ sein?«, fragte Barodin und kam ebenfalls ein bisschen in Fahrt.

»Damit ist Politisieren gemeint, und …«

»Und bösartiges obendrein?«

»Genau.« Verdammte Physiker. Man musste ihnen alles haarklein erklären.

»Oswald. Mit Politik haben wir nichts am Hut. Wir sind Forscher. Wir versuchen, eine Simulation zu entwickeln, die uns einen Blick in die Zukunft gestattet und die Konsequenzen einer bestimmten Aktion erkennen lässt. Damit wir sehen können, welche Folgen sich aus Maßnahmen ergeben, bevor sie ergriffen werden. Derartige Simulationen geben uns die Möglichkeit, alternative Pläne darauf zu untersuchen, welcher sich am besten eignet. Wie kann so etwas schlecht sein? Es ist ein Werkzeug, das uns wissen lässt, was geschehen wird. Wie eine Kristall­kugel. Die Simulationen können uns dabei helfen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.«

»Sie hindern uns daran, irgendetwas zu unternehmen! Die blöden Simulationen scheinen zu glauben, dass wir es darauf abgesehen haben, die ganze Welt in die Luft zu jagen.«

»Es ist besser, das durch Simulationen herauszufinden, als es tatsächlich geschehen zu lassen.«

»Vorausgesetzt, wir glauben dem verdammten Programm.«

»Wie können wir ihm nicht glauben? Sie waren bei der Honduras-Simulation hier. Sie haben es mit eigenen Augen gesehen. Wir sollten von einem gezielten amerikanischen Angriff auf die Rebellen von Gloria Verde ausgehen und herausfinden, wie die Reaktion darauf sein könnte. Und Simula-7 wies darauf hin, dass die Kubaner auf Stellvertreter zurückgreifen würden, vermutlich auf grüne Aktivisten, die versuchen würden, einem amerikanischen Unternehmen zu schaden. Die Simulation legte eine Ölfirma nahe und wies darauf hin, dass die Aktion innerhalb weniger Stunden erfolgen könne. Hätte sie noch genauer sein können?«

Burlingame lehnte sich selbstgefällig zurück. »Inzwischen hat sich das alles erledigt. Es sind einige Dinge geschehen, über die ich unterrichtet bin und die alles verändern. Das Simulationsprogramm weiß nichts von diesen sehr wichtigen neuen Entwicklungen, im Gegensatz zu mir. Nicht einmal der Kongress ist eingeweiht. Dadurch werden alle Simulationen hinfällig.«

»Worum geht es?«

»Wie bitte? Sie erwarten von mir, dass ich Ihnen diese Informationen gebe? Sie sind streng geheim!«

»Welchen Sinn hat es, Simulationen durchzuführen, wenn relevante Daten fehlen? Geben Sie uns die Informationen und wir fügen sie dem Programm hinzu.«

»Unmöglich.«

»Wenn wir sie nicht bekommen, vergeuden wir nur das Geld der Regierung. Und es versteht sich von selbst, dass wir dann nur noch ungenaue Simulationen liefern könnten, mit denen sich nichts anfangen ließe.«

Die anderen hatten kein Wort gesagt. Homer schien zu schlafen. Burlingame wandte den Blick von Barodin ab und überlegte. Es war verlockend, diese Leute einzuweihen und damit ihre Arroganz und ihr Überlegenheitsgefühl wegzuwischen. Außerdem entwickelten sie dann vielleicht Szenarien, die erfolgversprechende Aktionen aufzeigten. Eine Handvoll davon würde ihn in Washington zu einem sehr populären Mann machen. »Nun …«

Eine lange Pause. »Sie müssen uns Bescheid geben, Curly«, forderte ihn Barodin auf. »Wir können nur helfen, wenn wir alles wissen. Und wir möchten helfen.«

»Nun …« Burlingames Widerstand schmolz dahin. Zum Teufel auch, eigentlich spielte es gar keine Rolle mehr. Er sah nach rechts und links, senkte die Stimme und sagte: »Was das Simulationsprogramm nicht weiß und wodurch sich alles ändert, ist …« Die Versuchung, an dieser Stelle eine Kunstpause einzulegen, um die Spannung in die Höhe zu treiben, war zu groß.

»Ja?«

»Wir sind unter dem Schild!«

Homer öffnete die Augen.

»Unsere Laser-Abwehr à la Star Wars.« Burlingame konnte ein Grinsen kaum unterdrücken. »Sie ist einsatzbereit.«

Die anderen starrten ihn stumm an.

»Verstehen Sie jetzt?«, fragte der Verbindungsoffizier des Pentagon. »Es ist unser größter Trumpf. Der Raketenschild bedeutet, dass uns niemand angreifen kann. Wir können einen nuklearen Schlagabtausch mit dem Feind riskieren und seine verdammten Sprengköpfe vom Himmel holen, bevor sie uns erreichen. Natürlich ist das alles sehr geheim. Wie ich schon sagte, selbst das Repräsentantenhaus und der Senat wissen nichts davon. Andernfalls hätten sie wegen der Finanzierung hysterische Anfälle gekriegt. Können Sie sich das Gejammere und Gezetere vorstellen? Wir haben etwas Geld vom normalen Raumfahrtprogramm abgezweigt und schließlich, vergangenen Monat, hat die NASA die Satelliten in den Orbit gebracht.« Den letzten Worten gab er einen besonderen Klang und wartete auf das Staunen seiner Zuhörer.

»Ja«, sagte Sonia gelassen. »Es sind drei, nicht wahr?«

Burlingame sah sie groß an. »Wie zum … Woher wissen Sie, dass es drei sind?«

»Es geht aus der von SHIELA geführten Konfigurationsübersicht hervor«, sagte Sonia. »Ohne SHIELA hätten die Satelliten nicht gestartet werden können, denn dafür war der Computer ursprünglich geplant. Und er behält sie im Auge, verfolgt ihre Bahn. Vergangene Woche fiel uns auf, dass der zur Verfügung stehende Arbeitsspeicher etwas geringer geworden ist. Also hat Kelly die Übersicht abgerufen und da waren sie, die drei neuen Satelliten.«

»Ich muss schon sagen … Es ist ein schwerer Sicherheitsverstoß, dass Sie freien Zugang zu SHIELA haben. Um ganz ehrlich zu sein, ich war dagegen. Dass jemand wie Miss Corsayer, ohne besondere Ausbildung und mit der niedrigsten Sicherheitseinstufung, in der Lage ist, Konfigurationsübersichten einzusehen und in den Besitz von Informationen zu gelangen, die selbst unseren Abgeordneten vorenthalten bleiben … Wie grotesk! Was haben sich die Verantwortlichen bei der Genehmigung dieses dämlichen Simula-Projekts nur gedacht? Ich meine, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie sind einfach nicht sicher genug, um Einblick in solche Dinge zu haben.«

Edward Barodin verzog das Gesicht. »Vor zwei Minuten haben Sie uns für sicher genug gehalten, uns zu erzählen, dass die NASA die drei Satelliten gestartet hat.«

»Das war streng vertraulich. Die Information darf diesen Raum nicht verlassen. Auf keinen Fall. Ach, was soll’s. Es kommt vor allem darauf an, dass sich dadurch alles ändert.«

»Es ändert sich überhaupt nichts«, widersprach Homer. »Die Laser-Satelliten sind im Orbit, können aber nichts ausrichten.«

»Natürlich können sie etwas ausrichten. Sie können Laserstrahlen abschießen und die Raketen zerstören, die unsere Feinde gegen uns einsetzen.«

»Es gibt kein Kontrollprogramm. Es gibt nichts, das die Laserstrahlen ausrichtet. Das Kontrollprogramm sollte in SHIELA laufen, aber es ist nicht da. Wir hätten es sehen müssen.«

»Natürlich ist es da! Sie haben es übersehen.«

»Über eine Tatsache braucht man nicht zu streiten.« Homer stand auf. Die anderen folgten ihm in den Computerraum, wobei Burlingame noch immer vor sich hin brummte. Kelly legte gerade Papier in einen der Laserdrucker und Homer bat sie, die Konfigurationsübersicht abzurufen.

Sie nahm an ihrer Konsole Platz und gab die Anweisung ein. Das Bild auf dem großen Plasmaschirm wechselte und zeigte in gelben Buchstaben auf dunkelblauem Grund alle residenten Programme und Datenbanken sowie den jeweils belegten Speicher.

»Das ist alles«, sagte Homer. »Alles, was SHIELA derzeit enthält. Kelly, bitte blende unsere Sachen aus, damit wir sehen können, was übrig bleibt.«

Kellys Finger flogen über die Tastatur und schufen einen Filter, der die Simulationsdateien, Lorens Programme und die beiden Simulatoren vom Bildschirm verbannte. Es blieb eine Tabelle mit fünf Zeilen:

SHIELA OPSYS VERSION 7.1

9.2 GB

EJB

CONFIG.MAP

15.1 MB

I/O BUFFERS

38.2 MB

SATCOM EXEC VERSION 6.0

12.0 MB

EJB

REVELATION-13 VERSION 1.0

125 KB

LMA

»Da ist es!«, rief Burlingame triumphierend und deutete mit zitternder Hand auf den letzten Eintrag der Tabelle. »Revelation Dreizehn. Ich kenne den Namen des Kontrollprogramms. Da ist es. Ich wusste, dass es existiert.«

»Es ist tatsächlich da«, räumte Homer ein. »Allerdings nicht sehr.«

»Es könnte nicht mehr da sein, verdammt!«

»Homer meint, dass es sehr klein ist«, sagte Loren. »Das ShieldCom-Kontrollprogramm müsste viel größer sein. Die ShieldCom-Software ist sehr umfangreich und dieses Revelation-Programm besteht nur aus 125.000 Zeichen.«

»Hundertfünfundzwanzigtausend Zeichen klingen für mich nach einer ganzen Menge«, erwiderte Burlingame trotzig. »Ich schätze, mit modernen Programmiermethoden kann man in 125 K ziemlich viel unterbringen.«

»Für die ShieldCom-Software waren etwa hundertfünfzig Millionen Zeilen Code vorgesehen, was auf mindestens fünfhundert Millionen Zeichen hinausliefe. Sie wäre etwa viertausend Mal größer als dieses kleine Programm.«

»Vielleicht befindet sich der Hauptteil des Programms in einem Computer auf dem Boden, so wie Ihre Dateien. Zweifellos dient eine solche Maßnahme dazu, die Software geheim zu halten und vor den neugierigen Blicken unbefugter Personen wie Ihnen zu schützen. Wenn’s brenzlig wird, lädt man die Software hoch, damit die Satelliten einsatzbereit sind.«

»Das dauert eine Weile, selbst mit dem schnellsten Link«, warf Kelly ein. »Die Übertragung von hundertfünfzig Millionen Zeilen Code würde etwa … einen Tag dauern, schätze ich.«

Die anderen nickten.

»Oh, wundervoll«, kommentierte Barodin. »Die Terroristen werden dreist und wir bringen sie dazu, alle ihre strategischen Waffen einzusetzen. Und einen Tag später sind wir dann bereit, uns zu verteidigen. Das klappt bestimmt wunderbar, vorausgesetzt, die Terroristen starten ihre Raketen mit Heißluftballons.«

Burlingames Gesicht verfärbte sich noch etwas mehr – aus Rosarot wurde Rot. »Warum höre ich mir dies an? Ich weiß, dass Revelation-13 das Kontrollprogramm ist. Ich weiß es. Man hat eine Möglichkeit gefunden, es einzuschrumpfen, das ist alles. Ich weiß es, weil Revelation der Name ist, für den man sich ganz oben entschieden hat. Revelation-13, das kommt aus der Bibel, ›Revelation‹ bedeutet Offenbarung, und bei Offenbarung 13 heißt es: ›Und ich trat an den Sand des Meeres und sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern Namen der Lästerung.‹ Damit sind die angreifenden Raketen gemeint, verstehen Sie?«

»Oswald«, sagte Homer sanft, »Revelation-13 ist nur eine kleine Demo. Deshalb ist das Programm so klein. Es stellt nicht einmal eine Verbindung mit den Sensorsatelliten her. Das erkennt man auf der Link-Karte – Revela­tion kann keine Signale empfangen, keinen Hinweis darauf, dass eine Rakete im Anflug ist. Es kann nur einen der Lasersatelliten anweisen, für eine Sekunde einen Laserstrahl auf ein bestimmtes Ziel auf der Erde zu richten, mehr nicht. In seiner bisherigen Form dient das Revelation-Programm dazu, die Lasersatelliten zu testen.«

»Woher wissen Sie so viel über Revelation?«

»Wir haben es ausprobiert.«

Es folgte eine Pause, während Burlingames Gesicht die Farbe verlor. Er rang sichtlich um seine Fassung. »Ich muss mich verhört haben. So etwas ist absolut unvorstellbar. Sie haben Revelation-13 aktiviert?«

»Ja. Das Programm verfügt über eine Schutzvorrichtung, die verhindern soll, dass man es ohne Passwort benutzt. Aber Loren und Ed fanden einen Weg, den Schutz auszutricksen.«

Loren lächelte. »Wir haben uns hineingehackt. Es war ein sehr primitiver Schutz, ich meine, jeder Informatikstudent im ersten Semester wäre imstande gewesen, ihn auszuhebeln. Wir verschafften uns Zugang, starteten die Demo und bestimmten die genauen LORAN-Koordinaten der Mitte von Lake Cayuga. Und tatsächlich kam ein kurzer Laserstrahl vom Himmel. Wir haben ihn gesehen, vom Dach.«

Burlingame schien kurz davor zu sein, sich zu übergeben. »Es muss eine andere Erklärung geben«, sagte er. »Und eine andere Möglichkeit, die Lasersatelliten zu kontrollieren. Ich kann mich nicht irren.«

*

Burlingame saß in seinem Büro, die Tür war geschlossen. Homer nickte in Richtung Ausgang. Er und seine vier Begleiter streiften die Mäntel über und gingen die Treppe hinunter. Draußen war es kalt und es regnete. Mit gesenktem Kopf marschierten sie nach Statler Hall, wo es eine kleine Kantine gab, fast leer um diese Zeit. Homer sank schwer auf einen Stuhl und die anderen stellten sich mit Tabletts bei der Ausgabe an.

Loren, Kelly und Sonia kehrten mit dampfenden Bechern zurück. Niemand sagte etwas, während sie auf Edward warteten, der schließlich mit fünf Gebäckstücken kam. »Das Ende der Welt ist nahe«, sagte er. »Da lohnt keine Diät mehr.« Niemand lachte. Sie nahmen ihre Teller entgegen und aßen stumm.

Loren brach das Schweigen. »Burlingame ist ein Idiot. Er hat ein Gerücht gehört, mehr nicht, und ging deshalb von einem wirkungsvollen Schild aus. Aber sonst glaubt niemand daran. Das Pentagon weiß es besser.«

»Hoffentlich«, erwiderte Homer.

»Vielleicht ist es gar nicht so schlimm«, sagte Sonia. »Wie sieht es schlimmstenfalls aus? Im schlimmsten Fall glauben alle, was auch Curly glaubt, dass Revelation-13 tatsächlich die ShieldCom-Software ist und drei Lasersatelliten kontrolliert. Sie unternehmen etwas auf der Grundlage dieser Annahme und dann stellt sich Revelation nur als die Demo heraus, als die wir das Programm kennen …«

»Kabumm«, sagte Edward.

»Na schön, der schlimmste Fall ist wirklich schlimm«, sagte Sonia. »Aber er ist auch unmöglich. Armitage weiß über Revelation Bescheid, er hat das Programm geschrieben. Das waren seine Initialen neben dem Programmnamen in der Übersicht. Und er wird nicht behaupten, dass es die komplette ShieldCom-Software ist. Edward sagt, dass er manchmal Dinge vergisst, die ihm nicht in den Kram passen, aber auf keinen Fall wird er etwas in dieser Größenordnung erfinden. Ich meine, es wäre totaler Quatsch zu behaupten, hundertfünfzig Million fehlende Codezeilen würden keine Rolle spielen.«

»Po hundertfünfzig Millionen Zeilen.«

»Im Ernst, Ed. Armitage ist nicht verrückt. Auch er muss auf dieser Erde leben.«

»Ich weiß nicht, Sonia. Manchmal lebt er in seiner eigenen Welt, das ist das Problem. Aber ich hoffe, du hast recht.«

»Und wer würde ihm eine solche Behauptung abnehmen? Alle wissen, dass das Software-Projekt gestrichen wurde, als es noch mindestens eine Milliarde Dollar von der Fertigstellung entfernt war. Wer würde glauben, dass Lamar, seine wenigen Assistenten und ein paar Studenten in ihrer Freizeit etwas programmiert haben, das eine Milliarde Dollar wert ist? Sie wissen, dass es sich nur um eine Demo handelt. Diese Leute sind doch nicht total verblödet. Wer total verblödet ist, kommt nicht ins Weiße Haus und erhält auch keine Gelegenheit, mit den Joint Chiefs of Staff zu arbeiten, den Vereinigten Generalstabschefs.« Sonia sah Homer an und erwartete eine Bestätigung von ihm.

»Das gilt vielleicht für total verblödete Idioten«, sagte Homer. »Aber gilt es auch für religiöse Eiferer?«

Kelly schauderte und erinnerte sich an die Besprechung mit Mitgliedern der Aufsichtskommission des Projekts im vergangenen Sommer. »Die Leute, die wir kennengelernt haben, General Simpson und Mr. Paule aus dem Weißen Haus, wirkten sehr selbstsicher. Es war beängstigend. Man wünscht sich Leute voller Zuversicht an der Spitze der Regierung, aber dies ging darüber hinaus. Sie waren irgendwie … abgehoben. Ihre Gewissheit schien von allen Fakten unabhängig zu sein. Solche Leute kann ich mir gut als Eiferer vorstellen.«

Sonia winkte mit ihrer Gabel. »Selbst wenn es im Pentagon und im Weißen Haus ein paar Zeloten gibt … Sie können die Fakten nicht verleugnen. Armitage ließe sich bestimmt nicht dazu hinreißen – oder dazu bewegen –, dem Präsidenten eine glatte Lüge aufzutischen. Selbst wenn er die Wahrheit ein wenig verbiegt: Der Präsident erfährt, was in SHIELA drin ist und was nicht.«

»Aber vielleicht kommt Dr. Armitage gar nicht bis zum Präsidenten«, sagte Kelly. »Homer erhält nur selten Zugang. Wenn das einmal geschieht, geht es um nichts Wichtiges. Sonst würde er nicht bei uns sitzen und mit uns frühstücken – er säße beim Präsidenten und würde ihm alles erklären. Der größte Teil von dem, was wir zu sagen haben, geht über Mr. Burlingame an General Simpson oder General Buxtehude und einer von ihnen informiert Mr. Paule und der spricht dann mit dem Präsidenten.« Kelly musterte die anderen kummervoll. »Alles wird weitergesagt und es könnte so ablaufen: Dr. Armitage sagt, dass die Demo ein Loch in etwas schießen kann, wenn man die genauen Koordinaten nennt. Sein Kontaktmann gibt die Information weiter, dass die Lasersatelliten zum Schuss bereit sind. Das nächste Glied in der Weitersagenkette spricht von einsatzbereiter Software. Wenn die Sache schließlich den Präsidenten erreicht, ist der Schild über das Land gehoben und undurchdringlich.«

»Für uns mag das erschreckend sein, aber bestimmt wissen wir nicht alles«, sagte Sonia. »Ich bin sicher, der Präsident weiß mehr als wir. Wenn wir wüssten, was er weiß … Dann würden wir verstehen.«

Eine Zeitlang dachten sie über diese Worte nach und versuchten, sich mit ihnen zu trösten.

»Ich erinnere mich an diese Idee aus den 1960er-Jahren«, sagte Homer schließlich. »Eine vertraute Idee, ein alter Freund. 1967 und 1968 haben wir das über Präsident Johnson gesagt. ›Er weiß vermutlich etwas, das wir nicht wissen‹, hieß es damals. ›Wenn wir wüssten, was er weiß, würden wir verstehen, warum in Ordnung ist, was in Kambodscha und Vietnam passiert.‹ Aber es war nicht in Ordnung. Und als die Wahrheit ans Licht kam, stellte sich heraus, dass der Präsident gar nicht wusste, was alle anderen Amerikaner wussten. Die Exekutive regte sich damals mächtig über durchsickernde Informationen auf. Das Stopfen undichter Stellen war zentrales Element des nationalen Sicherheitsprogramms. Die Presse berichtete darüber. Wir alle dachten, es sollte verhindert werden, dass Informationen das Weiße Haus verließen. Aber es verhielt sich genau umgekehrt. Es wurden undichte Stellen gestopft, damit keine Informationen hineinkamen.«