39
Sünde und
Sühne
Am späten Morgen fiel Sonnenschein auf Sonias Gesicht und weckte sie. Der Engel Luzifer stand am Fußende ihres Betts, wie so oft.
»So schön«, sagte er und zog das Laken fort. Nackt lag sie da und konnte sich nicht bewegen, ihre Blöße nicht einmal mit den Händen bedecken. »Eines Tages wirst du mir gehören und allein meinem Vergnügen dienen.« Luzifer richtete einen gierigen Blick auf sie.
»Aber noch nicht.« Sie sagte es mit mehr Mut, als sie fühlte. Seiner Macht waren Grenzen gesetzt, wie sie wusste. Die Regeln schützten sie derzeit vor ihm.
»Aber bald. Ich kann warten. Was bedeutet Zeit für mich? Ich werde dich bekommen, es ist unvermeidlich.« Luzifer war größer als ein Mann und breiter in den Schultern. Seine Augen glichen denen einer Katze und glühten gelb. So war er: wie ein paarungsbereiter Kater. Der Buckel vorn an seiner Hose bot einen unübersehbaren Hinweis. Sonia schauderte und versuchte, die Fassung zu wahren.
»Aber noch nicht«, sagte sie. »Sprich, warum bist du hier?«
Das Begehren wich Ärger. Sie beobachtete, wie es in den Katzenaugen funkelte. Voller Abscheu warf er das Laken auf sie zurück. »Du spielst mit mir, Frau. Das wirst du noch bereuen.«
»Ja, zweifellos.«
Es folgte eine längere Pause. Dann: »Dein dummer Plan gefällt mir nicht.«
»Ich weiß.«
»Dieser sinnlose Krieg. Mir liegt etwas an der Inselnation Victoria.«
»Natürlich. Sie ist dein Werk.«
Er nickte. »Wenn du sie zerstörst, riskierst du meinen Zorn.«
Sie lachte bitter. »Das ist mir immer klar gewesen«, erwiderte sie.
»Du wirst der erste bedauernswerte Mensch sein, der seine Seele verliert und nicht meine Liebe gewinnt, der sowohl die Wut meines Gegenparts als auch meine eigene zu spüren bekommt.«
»So sei es.«
Er starrte sie an. »Dein Leid wird über alles bisher Dagewesene hinausgehen«, sagte er und genoss jede einzelne Silbe. »Es wird dem Wort Qual eine neue Bedeutung verleihen.«
»Ich weiß.«
»Und dennoch beharrst du auf deinen Absichten?«
»Ich muss.«
Luzifer verschwand und Sonia schlief wieder ein.
*
Lorens Tortur am dritten Abend war anders. Er befand sich wieder in der Bibliothek, an den Metallring gefesselt. Er hatte den Ring betrachtet und festgestellt, dass die Kette Spuren an ihm hinterlassen hatte. Unten schien er recht abgenutzt zu sein.
»Ich bin nicht der erste, wie?«
»O nein. Nicht der erste.«
»Sag mir, was schließlich mit den anderen passiert ist.«
»Einige von ihnen sind treue Anhänger geworden. Andere sind übergeschnappt. Was wird mit dir geschehen, Loren?« Die Frage schien Sonia zu amüsieren. »Wirst du deine Sündhaftigkeit einsehen und dich auf meine Seite stellen? Ich glaube nicht. Nein, ich glaube, du wirst zerbrechen, wie sprödes Metall, das splittert, wenn man versucht, ihm eine neue Form zu geben. Aber ich werde dich trotzdem neu formen.«
»Du bist verrückt, vollkommen verrückt.«
Sie zuckte nur mit den Schultern.
Solche Worte nützten nichts, machten es höchstens noch schlimmer. Loren bedauerte, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen. Auf diese Weise kam er gewiss nicht weiter. »Erzähl mir mehr über die Sünde, Sonia.«
Sie strahlte, wie ein Kind, dem man Süßigkeiten versprochen hatte. »Ja, wenn du möchtest.«
»Angeblich spielt Sünde keine Rolle für dich, weil du unrettbar verloren bist.«
»Ja.«
»Also denkst du an andere.«
»Das ist meine Aufgabe. Sie fiel mir zu, ob sie mir gefällt oder nicht. Ich bin ein Hirte und die Menschen um mich herum sind meine Schafe. Meine Pflicht besteht darin, ihnen bei der Läuterung zu helfen.«
»Was ist mit deinen ›Engeln‹, den einfältigen Mädchen, die nach deiner Pfeife tanzen? Hast du sie nicht zur Sünde geführt? Ich weiß, dass du sie zur Sünde geführt hast. Ich kann es bezeugen.« Lorens Stimme zitterte. »Wie rechtfertigst du das?«
Sonia nickte, als hätte sie diese Frage schon einmal gehört und eine Antwort parat. »Ein gerechter Mensch verfällt siebenmal am Tag der Sünde«, wiederholte sie aus ihrer Predigt. »Das sagt uns der heilige Paulus. Das gilt für Mann und Frau. Beide sind nicht imstande, der Sünde zu widerstehen. Der Glaube, dass wir der Sünde widerstehen könnten, ist ebenfalls eine Sünde, die Sünde des Stolzes. Wir können gegen die Sünde kämpfen, aber letztendlich verlieren wir den Kampf, weil das Fleisch schwach ist. Die Botschaft, die ich meinen Anhängern gebracht habe, erzählt nicht davon, die Sünde zu meiden, denn das ist unmöglich. Ich lehre sie, die Sünde zu erkennen und zu sühnen.«
»Ihre Sühne besteht darin, dir in den Krieg zu folgen?«
»Ja, das ist eine Möglichkeit. Aber nicht die einzige. Du wirst sehen.«
Loren wünschte sich plötzlich, den Mund gehalten zu haben. Sonia klatschte in die Hände und sofort kamen die vier jungen Frauen aus dem Vorzimmer, wirkten wie immer aufgeregt und voller Eifer. Sonia stand auf, ihr Gesicht von Ärger umwölkt. Als die vier »Engel« ihren Gesichtsausdruck bemerkten, wurden sie plötzlich ernst. Sonia richtete einen finsteren Blick auf sie und alle vier sahen zu Boden. »Wer von euch hat gesündigt?« Sie ging an ihrer Reihe entlang und betrachtete die blassen Mienen. »Wer hat die Freuden des Fleisches genossen?«
Eine von ihnen, die jüngste, schien von der Frage mehr beunruhigt zu sein als die anderen.
»Du, Anya?«
»Milady …« Sie hob hilflos die Hände.
»Ja, ich glaube, du hast gesündigt. Ich weiß es.«
»Ich …«
»Ihr habt alle gesündigt, ihr Lieben, und ihr wisst, was das bedeutet. Aber du, Anya … Deine Sünde war am größten. Weil deine Lust am größten war. Ist es nicht so?«
»Bitte nicht, Milady.«
Die anderen drei jungen Frauen lächelten. Sonia wandte sich ihnen zu. »Nehmt ihre Arme. Haltet sie für die Strafe fest.«
Anya kreischte und versuchte, zur Tür zu fliehen, aber die anderen Mädchen packten sie und zerrten sie zurück. »Nein!«, rief Anya. Tränen strömten ihr über die Wangen.
»Doch, meine Liebe. Du weißt es.« Giselle, zieh das Zweiersofa dort drüben hier vor unseren Gast. Mit dem Rücken zu ihm.« Sonia erteilte die Anweisungen in aller Ruhe und Anya starrte entsetzt. Als die kleine Couch an der richtigen Stelle stand, wandte sich Sonia wieder an Anya. »Dies soll deine Sühne sein, meine Liebe. Wenn es vorbei ist, wird eine große Last von dir weichen. Der Mann wird Zeuge deiner Strafe werden.«
Das Mädchen weinte.
»Beugt ihren Rücken über die Lehne.« Anya heulte, als die anderen Mädchen sie erneut ergriffen und direkt vor Loren in Position zwangen.
Sonia beugte sich von hinten über sie und sprach in ihr Ohr. »Er wird es sehen, Anya, alles. Das soll deine Strafe und auch deine Sühne sein. Warst du stolz? Dann sollst du erniedrigt werden. Gab es Lust? Dann sollst du Demütigung erfahren.« Loren hörte die Worte kaum, so laut war Anyas Schluchzen. Sonia richtete sich auf, griff nach den Schulterstücken des Kleids und zerriss den Stoff über die ganze Länge des Rückens. Die anderen »Engel« zerrten an der Unterwäsche, bis Anya völlig nackt war. Loren drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Unvernunft kennt keine Grenzen, erinnerte er sich. Seine Gegenwart war Teil der Erniedrigung des Mädchens, daran konnte er nichts ändern. Aber er musste nicht zusehen, dazu konnte ihn niemand zwingen. Er wünschte sich eine Möglichkeit, auch die Ohren zu schließen, um nicht die Schreie zu hören und das Klatschen der Schläge auf das Gesäß der Hilflosen.
Als es vorbei war, richtete Sonia scharfe Worte an die drei jungen Frauen, die ihr bei der Bestrafung geholfen hatten. »Für euch gibt es heute kein Abendessen. Ihr kennt den Grund. Und ihr werdet heute nicht mehr miteinander sprechen. Jede von euch geht auf ihr Zimmer und bleibt dort allein mit ihren Gedanken. Ich komme zu euch, bevor ihr euch schlafen legt. Fort.«
Loren hörte noch immer Anyas Weinen. Sein Kopf blieb zur Seite gedreht und er hielt die Augen geschlossen. Als er sie schließlich öffnete, trug Anya einen weißen Bademantel und saß schluchzend auf dem Sofa, das wieder an seinem alten Platz stand. Sonia saß neben ihr, den einen Arm um ihre Schultern geschlungen. Sie küsste Anyas Tränen. »Schon gut«, sagte sie. »Es ist vorbei. Und jetzt fühlst du dich besser, nicht wahr?« Sonia hatte eine Hand im Bademantel und streichelte Anya. »Ist es nicht so? Wieder von Sünde frei zu sein … Fühlt es sich nicht viel besser an?«
Anya nickte und zitterte noch immer. Sie richtete einen verlegenen Blick auf Loren. »Hat er alles gesehen?«, fragte sie Sonia.
»Alles. Absolut alles.«
»Warum bin ich bestraft worden und die anderen nicht, Milady? Das ist nicht gerecht.«
»Nein, das ist es nicht. Aber auch die anderen werden an die Reihe kommen und das Warten darauf ist Teil der Strafe.«
»Ich möchte Lisa schlagen. Das möchte ich wirklich. Darf ich, Milady?«
»Nach Herzenslust, meine Liebe.«
Als sie fort waren, ließ Loren den Kopf auf die gepolsterte Kopfstütze sinken. Auch diesen Teil des Wahnsinns verbannte er aus seinen Gedanken. Eines Tages würde er mit einer Flotte von Kampfpavillons zurückkehren, um Rache zu nehmen. Dazu war es nicht notwendig, sich an Einzelheiten zu erinnern. Es genügte, wenn er an die Notwendigkeit dachte, diesen Ort zu zerstören, mit allem, was sich darin befand.
*
Er erwachte mitten in der Nacht, als die nahe Bodenlampe eingeschaltet wurde. »Weißt du noch, als wir über den zweiten stabilen Wert von T-prime gesprochen haben?«
»Was?«
»Der zweite stabile Wert.«
Loren schlief noch halb. »Ja, wir haben darüber gesprochen«, sagte er schließlich. »Zumindest habe ich versucht, mit dir darüber zu reden. Aber du …«
»Ja.« Eine ungeduldige Geste. »Ich denke jetzt daran. Der zweite stabile Wert befindet sich nicht dort, wo wir ihn erwartet haben. Er ist viel größer.«
»Ja.«
»Die Erklärung lautet, dass es eine Quantenzeit gibt, dass die Zeit in eine Vielzahl kleiner Pakete aufgeteilt ist. Aber das weißt du natürlich schon. Du musst darauf gekommen sein, bevor du einen Effektor für T-prime-zwei bauen konntest.«
»Ja.«
»Und ich musste darauf kommen, bevor ich in der Lage war, meinen ersten Flieger zu konstruieren. Die Zeit ist also ein Quantenphänomen.«
»Ja.«
»Wie Licht, Materie und Gravitation.«
»Ja.« Wohin sollte dies führen? fragte sich Loren verwirrt.
»Die Dualität von Licht, Materie und Gravitation besteht darin, dass sie beide Eigenschaften in sich vereint, die von Partikel und Welle. Das Quantum der Zeit ist ihr Partikel. Aber wo ist die Welle?«
Loren überlegte. »Keine Ahnung. Auf diese Weise habe ich nie darüber nachgedacht.«
»Ich schon.«
Seiner Meinung nach ergab es kaum einen Sinn. »Eine Lichtwelle ist ein Konstrukt in zwei Dimensionen, in Raum und Zeit. Wenn es Zeitwellen gibt … In welcher zweiten Dimension würden sie entstehen?«
»Das ist die falsche Frage.« Es glitzerte in Sonias Augen. Offenbar freute sie sich darüber, ihm einen Schritt voraus zu sein. »Trenn dich von der Vorstellung, dass die Welleneigenschaft und eine der von der Welle belegten Dimensionen miteinander identisch sind. Nehmen wir die Wellenvariable als etwas Abstraktes. Nennen wir sie Lambda.« Sonia setzte sich neben ihn auf die gepolsterte Liege. Sie hatte ein Klemmbrett dabei, legte es sich auf den Schoß und begann damit, eine Wellengleichung zu schreiben, mit unterschiedlichen Lambda-Werten für Raum und Zeit. »Vergiss für einen Moment, dass Lambda die Zeit ist. Übrigens sollte ich darauf hinweisen, dass ich hierfür Mathematik ohne Kommutation verwende. Mit anderen Worten: A mal B ist nicht unbedingt gleich B mal A.«
Loren zuckte die Schultern und blickte auf die Gleichung.
»Folgen wir jetzt der Logik und denken wir daran, dass Lambda eine Quantenvariable ist.« Sie schrieb schnell und Loren sah ihr über die Schulter. Trotz der Umstände war sein Interesse geweckt. Wie so oft in der Vergangenheit staunte er über Sonias Verstand. Für sie war die Mathematik etwas Warmes und Weiches, dem sie nach Belieben Form geben konnte. Nur die Geschwindigkeit, mit der sie schrieb, setzte ihr Grenzen. Während Loren beobachtete, kam er sich vor wie ein Schüler, der mit seiner Lehrerin arbeitete, oder wie ein Lehrling an der Seite des Meisters. Doch seine Fesseln wiesen darauf hin, dass die Rollenverteilung eine andere war.
»Sieh nur«, sagte Sonia schließlich. »So löst sich die Gleichung auf. Man könnte es mit einem Spiel Solitär oder Patience vergleichen. Jetzt ersetzen wir Lambda überall durch t, wobei es zu bedenken gilt: keine Kommutation. Und voilà, eine stehende Welle der Zeit in der Zeit.« Sie wandte sich ihm triumphierend zu. »Siehst du? So muss es sein. Wie dumm von uns, dass wir es nicht sofort erkannt haben. Es ist die einzige Erklärung.«
»Und was bedeutet es?«
»Was es bedeutet?« Sonia runzelte die Stirn. »Was es bedeutet? Muss es denn unbedingt eine Bedeutung haben? Genügt nicht die Eleganz des Konstrukts?« Sie sah auf ihr Klemmbrett hinab und hob dann den Blick. »Eine Welle der Zeit in der Zeit …«
Sie schaltete das Licht aus und ging.
*
Die junge Frau namens Giselle war allein im Vorzimmer und kam, wenn Loren sie rief. Sie trug den Schlüssel an einer Halsschnur, in ihrer Bluse. Wenn er auf die Toilette musste, rief sie einen Wächter, der ihn begleitete. So ging es den ganzen Morgen. Von Sonia keine Spur.
Es wäre für Loren nicht weiter schwer gewesen, das einfältige Mädchen nahe genug heranzulocken, um es niederzuschlagen und ihm den Schlüssel abzunehmen. Aber er brachte es nicht über sich. Giselle war bereits Opfer einer anderen, schrecklicheren Gewalt geworden. Außerdem gab es eine bessere Möglichkeit. Die Kette, die ihn an den Ring fesselte, konnte er nicht zerreißen – sie bestand aus gehärtetem Stahl, ein Produkt der alten Zeit. Aber die Verbindung mit den Handschellen schien nicht so stabil zu sein und das galt auch für die Schellen selbst, die offenbar geschmiedet waren. Loren war nicht kräftig genug, das Metall zu brechen oder zu biegen, das hatte er bereits versucht. Doch wenn er über einen Gegenstand verfügte, der schwer genug war … Dann konnte er sie vielleicht mit einigen wuchtigen Schlägen von der Kette lösen.
Die Bücherschränke zu beiden Seiten enthielten aus Stein gemeißelte Bücherstützen, die jeweils mindestens zehn Kilo wogen. Das Exemplar, das er erreichen konnte, war für Lorens Zwecke vielleicht nicht schwer genug, aber wenn er die zweite Bücherstütze in die Hand bekam und damit zuschlug … Er zog an der Kette und nahm die Bücher aus dem Regal, die ihn von der zweiten Stütze trennten. Als das Regal leer war, stützte er die Hüfte darauf und streckte das Bein. Er kam damit gerade weit genug, um die Stütze zu berühren und die Zehen hinter sie zu schieben. Nach und nach gelang es ihm, sie näher heranzubringen, bis sie in Reichweite geriet. Er nahm das Objekt in eine Hand und stellte fest, dass es schwerer war als erwartet. Plötzlich hatte er eine neue Idee. Wenn er mit den Bücherstützen zuschlug, wurde es ziemlich laut, aber wenn er sie als Schwunggewichte verwendete … Er nahm auch die andere, leichtere Stütze. Wenn er sie beide schwang, würde am Ring etwas nachgeben, da war er sicher. Entweder löste er sich aus der Wand oder die Verbindungsstelle der Handschellen gab nach. Oder er brach sich ein Handgelenk. Loren biss die Zähne zusammen und schwang.
Der schwache Punkt war die Öse der linken Handschelle. Sie brach und ein Metallsplitter flog durch den Raum. Das Knacken war ziemlich laut und Loren befürchtete, dass Giselle es hörte und hereinkam. Doch nichts dergleichen geschah. Entweder hatte sie ihren Posten verlassen oder sie schlief.
Es dauerte einen Moment, bis Loren begriff, dass er frei war. Die schwere Kette blieb mit der rechten Handschelle verbunden, aber er war nicht mehr an den Ring gefesselt.
Bevor er sich auf den Weg machte, stellte er Bücher und Bücherstützen ins Regal zurück. Sollten Sonia und ihre Engel glauben, er hätte sich allein mit der Kraft seiner Muskeln befreit. Als er fertig war, ging er auf leisen Sohlen ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Von dort konnte er den Flur erreichen und am Vorzimmer vorbei, ohne es betreten zu müssen.
Er öffnete die äußere Tür einen Spaltbreit. Der Wächter stand allein am Ende des Flurs und kehrte ihm den Rücken zu. Loren beobachtete ihn – nur dieser Mann stand zwischen ihm und seinem Entkommen. Zorn stieg in ihm auf, die Bereitschaft, sich seine Freiheit mit Gewalt zu erkämpfen. Mit drei schnellen Schritten war er hinter dem Wächter und hatte die Kette an seinem Hals. Er drückte zu und zog, damit der Mann keinen Laut von sich geben konnte. Als Loren ihn auf den Boden hinabließ, war der Mann tot. Er zerrte die Leiche ins Schlafzimmer, legte sie dort in den leeren Schrank. Nie zuvor in seinem Leben hatte er einfach so jemanden umgebracht, aber erstaunlicherweise spürte er nicht die geringste Reue. In seinem Innern war nur Platz für Zorn und Entschlossenheit.
Es wären nur einige Minuten nötig gewesen, den toten Wächter zu entkleiden und in seine Sachen und Schuhe zu schlüpfen – das wäre besser gewesen, als weiterhin diesen dämlichen schwarzen Kittel zu tragen. Aber Loren dachte nur noch an Flucht und wollte keine Zeit verlieren. Zumindest die Schuhe wären ihm zu groß gewesen; damit hätte er nicht laufen können. Er schlüpfte durch die Tür, schlich durch den Flur und zu einem Fenster im Verbindungskorridor. Außer ihm hielt sich niemand im dritten Stock auf. Durchs Fenster betrachtete er das Dach, sein nächstes Ziel. Er schien sich an einer Stelle zu befinden, wo ein Flügel des Gebäudes auf den Hauptteil stieß. Der Flügel verfügte über ein spitz zulaufendes Schieferdach – nicht unbedingt das, wonach er gesucht hatte. Aber in der Mitte des Haupttrakts war das Dach flach und wies ein eisernes Geländer auf. Vom Fenster aus ließ sich nicht erkennen, was sich dort befand, doch er war guter Hoffnung.
Um unter das flache Dach zu gelangen, musste er dem Verlauf dieses Flurs bis zum Ende folgen und anschließend die Treppe nehmen. Loren lief leise, mit bloßen Füßen. Die Treppe brachte ihn zu einem weiteren Flur und als er hörte, dass sich jemand vom anderen Ende näherte, huschte er durch eine offene Tür. Das Zimmer dahinter war dunkel und seine Augen brauchten einen Moment, um sich anzupassen. Als er sah, was der Raum enthielt, schnappte er nach Luft. Wohin er auch blickte, überall sah er Folterinstrumente. Hinter ihm im Flur kamen die Schritte näher. Loren drückte sich neben der Tür an die Wand, bis sich die Schritte wieder entfernt hatten. Inzwischen hatten sich seine Augen noch besser an die Dunkelheit gewöhnt und als er den Blick erneut durchs Zimmer streichen ließ, erwiesen sich die vermeintlichen Folterinstrumente als Sportgeräte. Offenbar befand er sich in einer Art Fitnessraum. Licht kam durch die Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Loren durchquerte den Sportraum und anschließend etwas, das eine Art begehbarer Kleiderschrank zu sein schien. Aber es war kein Schrank. Ein Bett stand vor einem Fenster, eine einfache Pritsche mit einer darauf ausgebreiteten Wolldecke. Am Kopfende des Betts bemerkte Loren einen hölzernen Tisch mit einem Foto. Das Bild zeigte ihn. Er nahm es und erinnerte sich. Auf dem Foto stand er in Claymores Küche und rückte einen Rahmen neben dem Fenster zurecht, sah dabei über die Schulter und lächelte für den Fotografen. Sonia hatte dieses Bild während ihres letzten Winters in Ithaca gemacht.
Er legte das Foto auf den Tisch zurück. Auf der anderen Seite hatte der kleine Raum eine weitere offene Tür und hinter ihr war es dunkel, so finster wie in dem Fitnessraum. Als er eintrat, spürte er sofort die Präsenz einer anderen Person. Im schwachen Licht erkannte er eine weiß lackierte Kommode und einen Tisch mit Stühlen. Die Möbel waren kleiner als sonst; die Stühle schienen für Kinder bestimmt zu sein. In der Ecke sah er ein Kinderbett und darin stand ein kleines Mädchen mit schwarzem Haar und dunklen Augen. Ernst blickte es übers Geländer hinweg. Es war etwa in Shimnas Alter oder vielleicht etwas älter. Für einen langen Moment stand Loren völlig reglos und starrte das Mädchen an.
Schließlich trat er näher. Das Kind zeigte keine Furcht, als er sich ihm näherte. Vertrauensvoll blickte es zu ihm auf. »Wie heißt du?«
»Laura«, lautete die Antwort.
Sie streckte ihm die Arme entgegen und er hob sie hoch, sah ihr in die Augen. »Laura.«
»Ich weiß, wer du bist«, sagte sie. »Ich kenne dich von Bildern.«
»Ja. Ich bin gekommen, um mit dir auf eine Reise zu gehen. Es wird ein Abenteuer sein. Wir fliegen am Himmel. Möchtest du das?«
»Vielleicht«, sagte Laura.
»Halt dich fest. Halt dich gut fest.« Loren griff nach der weißen Decke, die zusammengelegt am Ende des Kinderbetts lag, und nahm das Mädchen in den linken Arm, um die rechte Hand mit der Kette frei zu haben. Sein Orientierungssinn teilte ihm mit, dass die Tür auf der anderen Seite in den Flur zurückführte, den er verlassen hatte, als sich die Schritte näherten. Er öffnete die Tür und trat hindurch, nachdem er sich vergewisserte hatte, dass sich niemand auf der anderen Seite befand.
Eine Doppeltür erwartete ihn am Ende des Flurs und dahinter lag der größte Raum, den er bisher im Herrschaftshaus gesehen hatte. Er nahm die ganze Breite des Gebäudes ein, mit längs unterteilten Fenstern und Türen zu beiden Seiten. Ganz hinten befand sich ein Kamin, so groß, dass man aufrecht darin stehen konnte. Zu beiden Seiten des Kamins bemerkte er offene Torbögen.
Dieser Raum, dieser Saal, beeindruckte mit seiner Pracht. Der Boden bestand aus roten Marmorfliesen. Tapisserien und Gemälde hingen an den Wänden. Neben dem Eingang standen lebensgroße Statuen, die amerikanische Ureinwohner zeigten – sie wirkten so echt, dass Loren zusammenzuckte, als er sie sah. Sein Blick wanderte noch durch den großen Raum, als er hinter sich Schritte hörte, die schnell näher kamen. Er lief los, in Richtung der Torbögen neben dem Kamin, aber plötzlich strömten Schwarzgekleidete durch sie in den Saal. Innerhalb weniger Sekunden waren es Dutzende und damit saß Loren in der Falle.
Eine seltsame Stille herrschte, als ihn die Männer umringten. Sie waren alle bewaffnet, einige mit Schlagstöcken, andere mit Speeren. Ein älterer Mann – der Mann, den Sonia Dekan genannt hatte – führte das Kommando. Die anderen warteten auf seine Anweisungen. Der Dekan behielt Loren im Auge und sagte: »Ergreift ihn.«
Doch die Männer näherten sich nicht. Loren hielt das Kind im linken Arm und seine rechte Hand schwang die Kette. Mit einem angemessen drohend klingenden Surren strich sie durch die Luft. Er wollte nicht derjenige sein, auf den sie traf, und die Schwarzgekleideten schienen ebenso zu denken. Die Situation lief auf ein Patt hinaus. Loren drehte sich, während er die Kette schwang, damit keiner der Männer lange hinter ihm stand. Als er sich der Seite des Saals zuwandte, durch die er hereingekommen war, sah er, wie sich dort ein Wandteppich bewegte – eine Hand schob sich dahinter hervor. Eine dunkle Öffnung zeigte sich hinter dem Teppich und darin erschien ein faltiges Gesicht über einem kleinen Körper. Ein zwergenhafter Mann stand dort, grinste und winkte. Loren wusste nicht recht, was er davon halten sollte, aber es war die einzige Möglichkeit. Er öffnete den Mund, stieß einen markerschütternden Schrei aus und griff mit schwingender Kette die Schwarzgekleideten an, die zwischen ihm und der Öffnung standen. Die Männer stolperten fast übereinander, so eilig hatten sie es damit, ihm auszuweichen. Loren erreichte den Wandteppich und fand sich plötzlich in Dunkelheit wieder, als eine Tür hinter ihm zuknallte und die Öffnung verschloss. Schwere Stiefel pochten von der anderen Seite dagegen.
Etwas Licht kam durch einen schmalen Beobachtungsschlitz. Loren spähte hindurch und sah Sonia in einem der beiden Torbögen auf der anderen Seite des Raums. Ihr Mund war geöffnet und durch die geschlossene Tür hörte er ihren Schrei. Es war ein Schrei ohne Bosheit und Zorn, aber voller Schmerz.
»Kommen Sie, Mister, kommen Sie.« Hände streckten sich Loren entgegen und zogen ihn durch einen schmalen Gang. »Hier können wir nicht bleiben. Nein, wir müssen weg. Hier wird es bald heiß, ja, sehr heiß.« Den Worten folgte ein fast schrilles Lachen. »Zu heiß für uns.«
Loren folgte dem kleinen Mann durch die Finsternis und spürte, wie Laura ihm die Hände ins Haar grub. Bisher war sie völlig still geblieben. Sein Helfer zog erneut an ihm. Es ging weiter durch den Gang und dann über eine so schmale Treppe, dass er sie seitlich hinuntergehen musste. Als sie zu einer zweiten Treppe gelangten, blieb Loren stehen.
»Wohin gehen wir?«, fragte er.
»Hinab«, antwortete der kleine Mann. »Es gibt einen Tunnel, der bis zum Fluss führt. An einer geheimen Stelle erreichen wir dort das Wasser. Sie werden nicht wissen, wo sie nach uns suchen sollen.« Während der kleine Mann sprach, schaltete er eine kleine Taschenlampe ein und in ihrem Licht sah Loren ein normal großes Gesicht, das nicht zu dem zwergenhaften Körper darunter passte. »Hinab, hinab, zum Fluss.«
»Und dann?«
»Dann fliehen wir. Wir setzen die Flucht übers Land fort und verhalten uns unauffällig.«
»Klar. Es ist ja nicht so, dass wir auffallen: ein barfüßiger Mann, der einen kurzen schwarzen Kittel trägt, begleitet von einem Zwerg. Man wird uns für ganz normale Leute halten.«
»Ich bin kein Zwerg.«
»Entschuldige. Aber du bist auch nicht unauffällig.«
Das faltige Gesicht lächelte reumütig. »Nein. Also, was machen wir?«
»Können wir aufs Dach?«
»Ja. Und dann?«
»Vielleicht gibt es dort oben einen Flieger. Ist nur so eine Vermutung.«
»Die Luftboote. Oh, ohne mich, Mister. Von den Luftbooten halte ich gar nichts. Ich lege zu großen Wert darauf, dass meine Knochen heil bleiben.«
»Da brauchst du viel Glück, wenn dich die Schwarzgekleideten finden, mein Freund.«
Das Licht flackerte und ging aus.
»Na schön, gehen wir«, sagte der kleine Mann nach einigen Sekunden. Sie drehten sich um und kehrten in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Beobachtungsschlitze gewährten Blick in einige der Räume, an denen sie vorbeikamen, und durch manche von ihnen fiel ein wenig Licht. Loren versuchte, die Orientierung zu behalten, als es eine Treppe hinaufging, an die er sich nicht erinnerte. Er blickte durch den nächsten Schlitz und sah die Bibliothek, in der er angekettet gewesen war, die Nische mit der gepolsterten Liege.
»Haben Sie von hier aus zugeschaut?«, fragte er.
»Sehr unterhaltsam«, erwiderte der kleine Mann. »Interessanter als das Fernsehen in der alten Zeit. O ja, ich schaue zu, wenn es nichts Besseres zu tun gibt. Kommen Sie, schnell. Keine Zeit für eine Plauderei wie unter alten Freunden.«
Kurze Zeit später erreichten sie einen Dachboden mit Giebelfenstern. Loren musste sich bücken, um nicht gegen die Balken zu stoßen. Am Ende des Dachbodens fanden sie eine Tür und der kleine Mann öffnete sie vorsichtig, warf einen Blick hinaus. Er winkte Loren näher. Vor der Tür reichte Loren ihm das Kind. Laura streckte dem kleinen Mann die Arme entgegen. »Nino«, flüsterte sie.
»Hallo, junge Dame. Keine Angst. Halt dich an Nino fest.«
Loren schob sich an ihm vorbei zur Tür und sah durch den Spalt einen aus Holz gebauten Flieger, am dunklen Dach festgemacht. Zwei Wächter standen am Geländer und beobachteten von dort aus, was unten geschah. Rufe klangen vom Hof. Zwei Wächter – Loren hätte mit zwanzig fertigwerden können.
Er sprang durch die Tür und auf den ersten Mann zu, prallte so heftig gegen ihn, dass der Wächter halb übers Geländer fiel. Loren griff nach den Beinen, bekam schwarzen Stoff zu fassen und zog mit seiner ganzen Kraft. Der Mann verlor endgültig den Halt, fiel übers Geländer und schrie. Der zweite Wächter riss entsetzt die Augen auf und bekam keine Gelegenheit zu einer Reaktion. Loren war so voller Zorn, dass er rot sah, im wahrsten Sinne des Wortes: Der zweite Mann zeichnete sich als dunkle Gestalt in rotem Dunst ab. Er packte diese Gestalt an Hemd und Gürtel, hob sie mit der Kraft der Wut hoch und warf sie übers Geländer, dem ersten Mann hinterher.
Als er sich umdrehte, kletterte Nino mit dem kleinen Mädchen an Bord des Fliegers. Loren lief zu ihnen und hörte schwere Schritte, die sich durch den Dachboden näherten. Bevor sich die Tür öffnete, war er über die Reling des Fliegers hinweg.
»Sie sollten besser die Steuerung übernehmen«, sagte Nino. »Ich vergesse immer, wo hinten und vorne ist.«
Es gab nur drei Kontrollen, Effektoren für vertikal, horizontal und nach vorn. Der vertikale bestimmte vermutlich die Nach-oben- und Nach-unten-Stabilität. Loren wählte für die beiden anderen die neutrale Position und spürte, wie der kleine Flieger mit dem Wind zur einen Seite des Dachs glitt. Rufe erklangen hinter der Tür. Loren setzte das Segel, um Geschwindigkeit zu gewinnen, und einen Moment später hatten sie das Dach hinter sich gelassen und flogen über dem Hof. Zornige Schreie kamen von unten. Loren veränderte die Einstellung des Kiel-Effektors, um den Flieger in den Wind zu drehen und noch schneller werden zu lassen. Ein Blick über die Seite zeigte ihm Männer, die Armbrüste nach oben richteten, und unmittelbar darauf pochte es: Bolzen bohrten sich in die Unterseite des kleinen Pavillons. Loren griff nach dem vertikalen Regler und drückte ihn nach unten, woraufhin der Flieger mit einem Sturzflug begann, der ihn sehr schnell werden ließ. Er brachte ihn in die Horizontale zurück, als sie über den Hof sausten und dann über den weiten Rasen, auf dem sich am Samstag die vielen Leute eingefunden hatten. Wasser glitzerte voraus, der Fluss. Loren ging noch etwas tiefer, flog dicht übers Gras und stieg auf, um über die Bäume hinwegzusetzen. Er wusste nicht, ob den Schwarzgekleideten Radar zur Verfügung stand, aber sie sollten nicht in der Lage sein, ihn zu orten, solange er in so geringer Höhe flog.
Eine scharfe Kurve nach rechts kostete den Flieger Geschwindigkeit, doch im warmen Landwind auf der anderen Seite des Flusses gewann er sie zurück. Loren folgte dem Ufer flussaufwärts und flog in einem weiten Bogen, der ihn immer mehr nach Westen führte. Sie huschten unter den Ästen hindurch, die die Bäume am Ufer weit über den Fluss streckten, mit einer Geschwindigkeit, die der eines schnellen Wagens entsprach. Ein Angler am Ufer sah erschrocken auf, als sie vorbeirasten.
Nach einer Weile wandte sich der Fluss wieder nach Osten und dort opferte Loren etwas von ihrer Geschwindigkeit, um für den Flug nach Nordwesten über die Bäume aufzusteigen. In den Tälern ging er tiefer, hielt sich dort wieder dicht über dem Boden. Straßen mied er. Über einen Kompass verfügte der kleine Flieger offenbar nicht, aber Loren wusste, wo sie sich befanden. Er erkannte die Berge voraus, Kopf und Schultern von Sterling Summit und links davon Mt. Chiltoes. Die Linie zwischen Asheville und Chiltoes brachte ihn direkt nach Dellwood. Von dort konnte er der Timber Road in den Wald folgen, dem Transportweg für das Holz, bis zu dem Ort, wo man ihn abgesetzt hatte und wo der Signalgeber versteckt war.
Die Sonne stand noch hoch am Himmel. Die Abenddämmerung wäre Loren lieber gewesen, aber es ließ sich nicht ändern. Nichts und niemand würde ihn aufhalten. Von Verfolgern war weit und breit nichts zu sehen.
Loren atmete ruhiger, als er auf der rechten Seite den Beginn des Walds sah. Er brauchte der Timber Road gar nicht so weit zu folgen, wie er zunächst gedacht hatte, denn er konnte den See schon von hier aus sehen. Behutsam steuerte er den kleinen Flieger nach rechts und näherte sich dem kleinen See mit dem Wind im Rücken. Als sie ihn erreicht hatten, flog er einen Bogen, der vor allem dazu diente, Geschwindigkeit zu verlieren. Schließlich landeten sie am selben Hang, an dem die Canandaigua ihn abgesetzt hatte.
Es war nicht weiter schwer, den versteckten Signalgeber zu finden, und nachdem Loren ihn eingeschaltet hatte, brachte er den kleinen Flieger zum See zurück. Der Wind war ungünstig für die Richtung, in die er fliegen wollte, und deshalb kreuzte er in Richtung der Berge, stieg dabei nach und nach auf. Es war nicht nötig, auf die Canandaigua zu warten; sie würde sie finden. Es kam vor allem darauf an, Abstand zum Herrschaftshaus zu schaffen und schließlich nach Victoria zu fliegen. Wenn Danny sich vom Signalgeber den Weg weisen ließ und erst zu ihnen aufschloss, wenn sie fast zu Hause waren … Es spielte kaum eine Rolle. Wichtig war, dass sie dort so schnell wie möglich eintrafen.
Nino und das Mädchen kauerten hinter einer Plane, die vor dem Fahrtwind schützte. Loren starrte sie verblüfft an und brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, was ihn so erstaunte: Sie froren. Es war kalt, aber das merkte er erst jetzt. Er hatte noch immer die Hitze des Zorns in seinen Adern. Als er sich beruhigte, begann er zu frösteln. Erst zitterte er nur ein wenig, dann immer stärker. Als die Canandaigua sie schließlich aufnahm, waren sie alle blau vor Kälte.