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Keesha und Adjouan

Die Angelegenheit von Keesha und Adjouan lag nach Proctor Pinkhams Meinung genau an der Grenze zwischen seinen beiden Zuständigkeiten: Campus-Disziplin und nationale Verteidigung. Sie stellten ein Problem der Disziplin dar und deshalb hatte er beschlossen, sie auf eine Verteidigungsmission zu schicken. Was ihm gleichzeitig Gelegenheit bot, ihnen eine Lektion zu erteilen. Junge Leute, dachte er, konnten immer eine gute Lektion in Hinsicht auf Freiheit und Verantwortung gebrauchen.

»Freiheit und Verantwortung sind von Natur aus verbunden, könnte man sagen.« Nachdenklich blickte er aus dem Fenster zum Strand neben den Anlegestellen und erweckte den Anschein, seine Worte mit großer Sorgfalt zu wählen. Seine Stirn war gefurcht. Es sah aus, als hätte er diesen belehrenden Vortrag nie zuvor gehalten, aber in Wirklichkeit hatte er die Worte Hunderte von Malen gesprochen. »Uns ist ein großes Maß an Freiheit gegeben, die Freiheit, unser Verhalten als Erwachsene selbst zu bestimmen. Und mit dieser Freiheit einher geht Verantwortung, verstehen Sie? Es gehört zum Übergang von Jugend zum Erwachsenenalter. Als Erwachsener hat man nicht nur gewisse Vorteile, man bekommt auch neue Pflichten. Auf die Vorteile freuen wir uns natürlich, aus gutem Grund. Sie sind alles andere als unerheblich. Denken Sie nur an das uns zuteil gewordene Privileg, alle Vorzüge dieser Schule, dieser neuen Universität, zu genießen, und auch dieser Insel. Unsere Vorfahren hätten einer solchen Freiheit mit Ehrfurcht gegenübergestanden: der Freiheit, zu kommen und zu gehen, wie es uns beliebt, mit Flugzeugen und Autos zu reisen, obwohl diese besondere Freiheit derzeit gewissen Einschränkungen unterliegt. Aber Sie verstehen sicher, was ich meine.«

Und natürlich grinsten die beiden Missetäter, wie praktisch alle anderen, mit denen es Proctor Pinkham in all den Jahren zu tun bekommen hatte. Was war bloß los mit diesen jungen Leuten? Warum hielten sie alles für einen Scherz? »Was Ihren besonderen Fall betrifft …« Er blickte auf den Block, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Zuvor hatte er alle Einzelheiten notiert, und natürlich in seinem speziellen Code – bei der Polizeiarbeit konnte man nicht vorsichtig genug sein. In diesem Fall enthielt die Liste der Vergehen den Eintrag »Verd. a. b.«, Verdacht auf b., wobei mit »b.« unerlaubter Geschlechtsverkehr gemeint war beziehungsweise bumsen.

»Chandler, ich meine Senator Hopkins, hat mich darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig es ist, einen gewissen Anstand zu wahren. Immerhin gehören viele Kinder zu unserer Gemeinschaft – mehr als vierzig Prozent unserer Bevölkerung sind unter sechzehn Jahre alt. Nun, der Senator ist davon überzeugt, dass anständigem Verhalten erhebliche Bedeutung zukommt. Das gilt insbesondere für eine Lehrerin, Miss Keesha …«

»Eigentlich bin ich nur Hilfslehrerin. Ich bin erst neunzehn.« Keesha war ein Modell dafür, was es bedeutete, neunzehn zu sein: wache Augen, hübsch, schlank, gesund. Ein Band hielt ihr langes schwarzes Haar im Nacken zusammen, von wo aus es sich über den Rücken ihres blauen Trainingsanzugs ausbreitete. Ihr Akzent stammte von den Inseln, vermutete Proctor Pinkham, vielleicht von Trinidad. Er war ziemlich stark, aber dennoch gelang es ihr, jedes Wort perfekt zu formulieren.

»Na ja, trotzdem, wenn man Kindern ein gutes Beispiel geben muss, Miss … Äh, ist Keesha Ihr Vor- oder Nachname?«

»Ich bin einfach nur Keesha.«

»Oh. Und was Sie betrifft, Mr. Elijah … Sie sind beide ein Vorbild für die jungen Mitglieder von Mr. McCrees Gruppe. Was der Senator angesichts unserer Aufgabe, den Kindern ein gutes Beispiel zu geben, erreichen möchte, ist eine Art Viktorianismus. Was uns dazu verpflichtet, unsere Leidenschaften unter Kontrolle zu halten. Uns alle. Nun, ich weiß nicht, wobei der Senator Sie beide beobachtet hat, und ich will es auch gar nicht wissen. Aber allem Anschein nach war es nicht sehr anständig, nicht sehr viktorianisch.«

Ein Lachen stieg in Adjouan auf. »Es ist ganz und gar die Schuld dieser jungen Dame, Sir«, sagte er mit melodischer Stimme. »Ich bin ein anständiger Junge aus gutem, religiösem Hause. Der Viktorianismus liegt mir im Blut.«

»Na so was.« Keesha gab sich empört. »Ich bin viktorianischer, als es dieser junge Delinquent jemals sein kann. Allein die Erwähnung solcher Dinge genügt, um mich erröten zu lassen, was man allerdings nicht sieht, weil ich eine so dunkle Haut habe.« Während sie sprach, lehnte sie sich an Adjouan und rieb sich an seiner Seite.

Proctor Pinkham seufzte. In einigen wenigen Jahren konnte in Baracoa Village das Chaos ausbrechen, wenn sich die Kinder ein Beispiel an jungen Leuten wie Keesha und Adjouan nahmen. Ihm schauderte bei der Vorstellung, dass eine Menge Sexualität regelrecht explodieren konnte, wenn die Jugendlichen in die Pubertät kamen, vermutlich alle am selben Tag.

»Wie Sie sich bestimmt denken können, dürfen wir nicht zulassen, dass unsere Kinder in ihren prägenden Jahren Ausschweifungen ausgesetzt sind, die …«

Keesha unterbrach den Proctor. »Was sollen die Kinder lernen, Mr. Pinkham? Wollen Sie nicht, dass sie die Liebe verstehen? Ich bin eine gesunde junge Frau und Adjouan ist ein Prachtkerl. Deshalb … Sie verstehen doch, was ich mit ›Prachtkerl‹ meine, oder?«

»Ich denke schon.«

»Tja, so ist das Leben nun einmal.«

»In der Tat. Der Senator schlägt vor, dass ich Sie beide auf verschiedene Missionen schicke, damit Sie voneinander getrennt sind und den Verlockungen des Lebens besser widerstehen können. Und was noch wichtiger ist: damit Sie außer Sicht der Kinder sind, die eine anständige Vorstellung von Anstand gewinnen sollen.« Der Proctor liebte das Wort »Anstand« in allen seinen Formen. »Zufälligerweise haben wir Aufgaben, die beides ermöglichen: Sie vom Dorf fortzubringen und Sie voneinander zu trennen.«

Das vertrieb das Grinsen aus ihren Gesichtern. Pinkham legte eine Pause ein und genoss die Wirkung seiner Worte. Zu schade, dass er ihnen jetzt einen Grund geben musste, erneut zu grinsen. »Eigentlich wollte ich einen von Ihnen mit der Kiruna fortschicken und als Ausguck einsetzen, während der andere in der Radar- und Kommunikationsstation von El Yunque arbeiten sollte. Ja, das war meine Absicht.« Er sah zu Loren, der am Kartentisch auf einem hohen Stuhl saß. Loren gab sich alle Mühe, keine Miene zu verziehen, aber es gelang ihm nicht ganz. »Ja. Allerdings hat sich Miss Kelly Corsayer mit einem ungewöhnlichen Vorschlag für Sie eingesetzt. Mit einem Vorschlag, den wir, das heißt, den ich akzeptiert habe. Loren, würden Sie bitte Kellys Idee erklären?«

»Gern, Mr. Proctor.« Er winkte Keesha und Adjouan zum Kartentisch. Keesha nahm auf dem zweiten Stuhl Platz und Adjouan setzte sich neben Loren auf die Fensterbank. »Ihr wisst sicher, was in naher Zukunft geschehen wird. Euch ist klar, dass wir mit einem Angriff rechnen müssen – das geht aus den Einzelgesprächen hervor, die ich mit euch geführt habe.«

Keesha und Adjouan nickten ernst.

Loren deutete auf die Karte, auf eine Stelle nördlich der Inagua-Inseln. »Wir sind ziemlich sicher, dass die Angreifer von dort kommen werden, durch den Bahama Channel. Bei Little Inagua werden sie nach Süden drehen und zur Windward-Passage segeln. Drei von unseren Booten halten an diesem Ende des Channel Ausschau, etwa hundertneunzig Kilometer von Baracoa entfernt. Ihr Radar reicht fast vierzig Kilometer weit. Wenn sie eine feindliche Flotte orten, haben wir eine Vorwarnzeit von dreißig Stunden, denn die Flotte würde dreißig Stunden brauchen, um uns zu erreichen. Aber wir möchten sie nicht in der Nähe von Baracoa empfangen. Mit dem aus Osten kommenden Wind wäre es uns lieber, sie hier abzufangen.« Loren zeigte auf eine Stelle östlich der Insel Great Inagua. »Wenn wir uns dort positionieren können, direkt vor den Caicos-Inseln, sind wir auf der Windseite des Gegners und es ginge keine Gefahr von Gas aus, das vielleicht beim Kampf freigesetzt wird, weder für uns noch für Baracoa. Nun, Sie erkennen das Problem sicher. Um diese Position zu erreichen, müssen wir die ganze Strecke gegen den Wind segeln. Es sind ungefähr hundertsechzig Kilometer und ich schätze, dass wir dazu sechzehn Stunden brauchen.

Wir benötigen also mehr Vorwarnzeit. Und das bedeutet, dass wir den Entdeckungspunkt weiter nach Norden verschieben müssen … hierher.« Lorens Finger strich über die Karte und verharrte bei Crooked Island, fast auf halbem Weg durch den Channel. »Wir können einen dortigen Beobachtungsposten mit allem Notwendigen versorgen. Der Einsatz wird Wochen dauern, was bedeutet, dass eine einzelne Person nicht infrage kommt, denn sie wäre zu lange allein. Besser sind zwei, die gut miteinander auskommen. Kelly hat euch beide vorgeschlagen.«

Keesha hatte es kommen sehen, doch als Loren die Worte aussprach, konnte sie ein lautes Lachen kaum zurückhalten. »Das ist die Strafe dafür, dass wir ein schlechtes Beispiel geben? Es klingt eher nach Flitterwochen.«

Loren ging nicht darauf ein. »Wir haben einen kleinen Generator, den Mr. Pease mit einem Fahrrad verbunden hat. Eine Stunde Radeln am Tag genügt, um die Batterien zu laden. Und das Radar ist mit einem akustischen Signal ausgestattet, damit ihr nicht dauernd auf den Schirm starren müsst. Ihr könnt einen der Katamarane nehmen, die Dr. Chan von Guantánamo mitgebracht hat. Er ist klein genug, um am Strand versteckt zu werden, und groß genug für den Transport von Ausrüstung und Proviant. Die Reise nach Crooked Island solltet ihr in einem knappen Tag schaffen. Weitere Beobachter positionieren wir hier und hier.« Loren zeigte auf eine Stelle südlich des Channel und eine weitere unterhalb der Dominikanischen Republik. »Für den Fall, dass die Angriffsflotte aus dem Osten kommt. Aber eure Position ist der primäre Entdeckungspunkt.«

Adjouan stand auf und wandte sich recht förmlich an Proctor Pinkham. »Mr. Proctor, ich bin bereit, meinen Beitrag für die Verteidigung zu leisten. Und wie bekannt sein dürfte, mag ich Miss Keesha sehr. Aber mit Ihrer Erlaubnis möchte ich vorschlagen, dass wir ihr Gelegenheit geben, darüber nachzudenken, ob sie sich wirklich auf so etwas einlassen will. Ich meine, zu einer einsamen tropischen Insel aufzubrechen, in der Begleitung eines solchen Delinquenten …«

Proctor Pinkham und Loren nickten ernst. Keesha lächelte nur vergnügt.

*

Trotz gewisser Verdachtsmomente, die es bis auf den Zettel des Proctors schafften, hatte es zwischen Keesha und Adjouan noch kein »b.« gegeben. Aber es würde bald dazu kommen, und zwar auf der »Flitterwochen-Insel«, kurz nach ihrer Ankunft. Sie hatten kein Wort darüber gesprochen, aber beide wussten, dass es passieren würde. Während der Fahrt nach Norden mit ihrem kleinen Katamaran dachten sie voller Wonne daran. Sie sprachen über alles im Verlauf dieser Reise, aber sie dachten nur an eins.

Sie gingen auf der Nordseite von Crooked Island an Land. An der südlichen Küste gab es einen Ort, vermutlich bewohnt; das wussten sie von der Karte. Aber hier im Norden waren sie ganz allein. Adjouan zog das kleine Boot durchs seichte Wasser und auf den Sand, half dann Keesha von Bord. Sie war eine große junge Frau und hatte den muskulösen Körper einer Athletin, aber für Adjouan war sie federleicht. Er hob sie mühelos, streckte die Arme und sah zu ihr hoch. Sie lachte fast ebenso laut wie er. Es war kein mädchenhaftes Kichern, sondern ein richtiges Lachen und sie neigte dabei den Kopf nach hinten. Ihr Hals war lang und majestätisch. Adjouan trug sie zum Strand.

Nachdem er den kleinen Katamaran ins nahe Gebüsch geschoben hatte, wandte er sich wieder Keesha zu, die ihm ein großes Lächeln schenkte. Erneut ertönte ihr lautes, herzliches Lachen, als er die Träger ihres Badeanzugs von den Schultern strich. Behutsam schob er das Oberteil nach unten, wich zurück und betrachtete sie. Keesha legte die Hände an die Hüften und beobachtete ihn, wie er zum ersten Mal ihre unbedeckten Brüste sah. Adjouan ließ sich Zeit. Sie drehte den Oberkörper, ließ ihn ihr Profil sehen. Als sie merkte, wie sehr ihm das gefiel, drehte sie sich erneut, damit er auch ihre andere Seite sehen konnte. Ihre Hände blieben an den Hüften und sie lächelte noch immer. Er kam näher, blieb dicht vor ihr stehen und schaute ihr in die Augen. Seine Hände strichen über ihre Seiten, zogen den Badeanzug ganz nach unten. Sie trat ihn fort und war nackt, bis auf zwei große Ohrringe und das Haarband. Wieder wich Adjouan zurück und sein Blick glitt wie ein Strom warmen Wassers über sie. Dann nahm er sie in die Arme. Oben am Strand wuchs dichtes, weiches Gras zwischen den Palmen. Dorthin trug er sie.

»Erinnerst du dich an Antibabypillen, Adjouan?« Keesha lächelte noch immer.

»O ja«, sagte er glücklich. »Sie sind das Symbol unserer Freiheit.«

»Vergiss sie.«

Er blieb stehen. »Ich soll die Antibabypillen vergessen?«

»Ja. Es gibt keine mehr. Wir haben nicht genug mitgebracht, als wir zu der Kreuzfahrt aufbrachen. Keine der Frauen an Bord der Stella Linda hat es für möglich gehalten, dass die Reise so lange dauern würde. Also haben wir keine Antibabypillen mehr. Nicht eine einzige. In Baracoa gab es keine. Wir haben gesucht.«

»Oh.« Das Grinsen verschwand aus Adjouans Gesicht,

»Also, mein lieber Adjouan, solltest du Folgendes wissen: Mit der Entscheidung, eine junge Frau in dieser neuen Welt zu lieben, entscheidest du auch, sie zu schwängern.«

»Oh, darf ich?« Das Grinsen kehrte zurück.

»Darfst du was?«

»Dich schwängern. Darf ich das, bitte?«

»Nun, ich muss sagen: Das hat mich noch niemand gefragt.«

»Ich frage dich.«

Sie schlang ihm die Arme um den Hals und schmiegte sich an ihn. Ihre Lippen berührten seine Brust. Auf dem Sand erwartete er ihre Antwort, nur wenige Schritte vom Gras des Brautbetts entfernt. »Ich bitte um deine Hand in Schwangerschaft. Ich bitte erst deinen Geist um Einwilligung und dann deinen Körper. Ich bitte um die Erlaubnis, eine kleine Keesha oder einen kleinen Adjouan in deinen Bauch zu setzen.«

»Erlaubnis erteilt.«

»Du machst mich zu einem sehr glücklichen Mann.«

*

Im warmen Glühen des Danach sang Keesha für ihn. Sie lag neben ihm auf dem Rücken. Ihr Gesang war wortlos, sehr sanft und hoch. Als sie ihn beendete, hob er mit seiner Hand ihre Beine dicht unter den Knien. Vorsichtig drückte er sie nach oben, beugte damit die Knie. Auf diese Weise machte er weiter, bis ihre Knie ganz nach oben gekommen waren und die Schultern berührten.

»Was bedeutet das?«

»Dies hilft den kleinen Schwimmern, die ich in dir zurückgelassen habe. Es ist die Schwangerschaftsposition, von der ich in einem Buch gelesen habe. Sie hilft den kleinen Schwimmern, ihr Ziel zu erreichen, die Eizelle. Gefällt es dir?«

»Du hast meinen Hintern in die Luft gehoben, Schatz. Damit sind bei mir Anstand und Sittsamkeit ernsthaft infrage gestellt.«

Adjouan brachte seine Schultern unter Keeshas Knie, um sie in der Position zu halten. Dadurch bekam er die rechte Hand frei und legte sie ihr auf den Hintern.

»Besser?«

»O ja.« Sie bewegte ihren Po unter seiner Hand. »Viel besser.«

*

Sie stellten das Radar auf den Gipfel des Colonel Hill, von wo aus man einen guten Blick nach Norden hatte. Die kleine Radarantenne konnte schnell demontiert werden, damit herankommende Schiffe den Beobachtungsposten nicht bemerkten. Sie bauten das Zelt und den Fahrrad-Generator auf, legten eine Feuerstelle an und überprüften den von Edward entwickelten Apparat, der für ein akustisches Signal sorgte, wenn das Radar etwas erfasste. In der ersten Woche bemerkten sie mehrmals Fischerboote im Channel, aber die meiste Zeit blieb das Meer leer.

Ein Boot, das den Alarm auslöste, konnte bis zu sechzig Kilometer entfernt sein, was bedeutete, dass fünf oder mehr Stunden vergingen, bis es in Sicht geriet. Unter solchen Umständen war es nicht nötig, dass sie ständig in der Nähe blieben; es genügte, wenn sie alle paar Stunden nach dem Rechten sahen. Sie hatten also genug Zeit, zu schwimmen oder am Strand zu wandern. Der Norden und der Osten der Insel waren unbewohnt; sie begegneten niemandem. Ihr Essen fingen sie mit einer Fischfalle, die Keesha mithilfe eines am Strand gefundenen Netzes zusammenbastelte. Sie fanden oft Gelegenheit, sich zu lieben.

»Heute, junger Mann, gibt es keine sexuellen Gefälligkeiten für dich, überhaupt keine, solange du mir nicht stundenlang gehorcht hast.«

»Ja, Keesha. Wie du willst.«

»Ich werde brav und keusch angezogen bleiben, aber du wirst nackt sein.« Sie öffnete seine Shorts und schob sie nach unten. »Völlig nackt.«

Adjouan unterwarf sich ihrem Willen.

»Du wirst heute all das erledigen, was erledigt werden muss, und ich werde gar nichts tun. Ich beobachte dich einfach nur. Ich betrachte deinen Körper und richte meinen Blick dorthin, wohin ich ihn richten möchte.«

»Ja, Keesha.«

Ihre Willenskraft war Adjouans Freude. Er liebte es, wenn sie das Kommando übernahm; er liebte es, ihr zu Willen zu sein. Umso schöner war es bei anderen Gelegenheiten, wenn er zu ihrem Gebieter wurde, wenn sie das Sklavenmädchen für ihn gab. Es war kein Spiel in dem Sinne; sie schlüpften einfach in verschiedene Rollen, die ihnen Spaß machten. Manchmal wurde Adjouan zu ihrem Herrn und dann fühlte er, dass er es tatsächlich war, ohne irgendwelche Einschränkungen. Wenn das geschah, existierte kein Zurück, keine Umkehr der Rollen: Er war ein Halbgott, der sich an einer schönen jungen Frau erfreute, die sich seinen Launen nicht einmal ansatzweise widersetzen konnte. Es kam vor, dass diese Launen schockierend für sie waren, und dann errötete sie, was man sehr wohl sah, trotz ihrer dunklen Haut. Und wenn sie die eigensinnige Göttin war und er der hilflose, gehorsame Mensch, lebte sie ihre eigenen Launen aus, die ihn verblüfften.

Adjouan hatte nie zuvor daran gedacht, dass er vielleicht beides wollte: sich unterwerfen und auch herrschen. Es war ihm nie zuvor in den Sinn gekommen, wie angenehm beide Rollen sein konnten. Auch jetzt vergeudeten sie kaum einen bewussten Gedanken daran. Doch während ihrer Zeit auf Crooked Island senkte sich auch durch den häufigen Rollentausch ein Frieden auf sie herab, den sie bis dahin nicht für möglich gehalten hätten. Jeder von ihnen war bisher voller Unruhe gewesen, weil sie sich etwas wünschten, weil sie etwas brauchten, ohne genau zu wissen, was es war. Und jetzt hatten sie es gefunden. Sie spürten, wie sich eine tiefe sexuelle Befriedigung in ihnen ausbreitete, nicht nur im Körper, sondern auch in der Seele.

Am liebsten liebten sie sich am frühen Abend, bevor sie ihre Mahlzeit zubereiteten. Bei anderen Gelegenheiten tagsüber waren sie flüchtig und schnell und brachten manchmal nicht zu Ende, was sie begannen, doch am Abend nahmen sie sich Zeit.

»Weißt du, was ich jetzt denke?« fragte Adjouan. Sie hatten gerade den Höhepunkt hinter sich. Er war noch in ihr und fühlte ihren festen inneren Griff.

»Nein. Was denkst du?«

»Ich denke an all das, was ich über den Krieg gelesen und gehört habe. Kriegsgeschichten.«

»Warum denkst du daran?«

»Weil wir im Krieg sind. Deshalb befinden wir uns an diesem Ort, hier auf diesem Berg mit unserem Radar. Wegen des Kriegs.«

»Dies ist also Krieg.«

*

Eines Morgens, als sie vom Schwimmen zurückkehrten, erklang das akustische Signal und somit mussten sie die nächsten Stunden vor dem Schirm bleiben, um zu sehen, was sich da näherte. Sie vermuteten, dass es sich wieder um ein Fischerboot handelte, das durch den Channel kam, um einen weiteren falschen Alarm.

Aber sie irrten sich.

Diesmal kam kein Fischerboot, sondern die Angriffsflotte.