18
Dschihad
Über lange Zeit hinweg war das Regieren der Nation eine Art Teilzeitangelegenheit. Die Arbeitsmoral der Abgeordneten litt unter den Hundstagen im Mai. Anfang der 1920er-Jahre kam es zu einer Erfindung, die zunächst niemand für besonders wichtig hielt: eine elektrisch betriebene Klimaanlage. Eine Anzeige im Washington Star vom 6. Juni 1926 wies darauf hin, wie angenehm und gesund kühle Luft im Sommer sei, noch dazu für günstige 22 $. Das Produkt erfreute sich bald großer Beliebtheit, nicht nur im privaten Sektor. Am Ende der Amtszeit von Präsident Coolidge waren die meisten Kongressbüros und das Weiße Haus klimatisiert. Die Menge der 1928 verabschiedeten Gesetze übertraf die von 1918 fast um einen Faktor drei.
Die allgegenwärtigen Klimaanlagen des Washingtoner Stadtviertels Foggy Bottom waren per Kabel mit den Stromverteilerkästen in den betreffenden Gebäuden verbunden. Die Kästen wiederum standen über Trafos mit den 600-Volt-Leitungen unter den Straßen der Stadt in Verbindung. Diese Leitungen empfingen den Strom aus dem 1800-Volt-Netz auf der Südseite des Potomac River, das wiederum von einem Kraftwerk knapp zwanzig Kilometer entfernt in Engleside, Virginia, gespeist wurde. Das Engleside-Kraftwerk bestand aus einem Generator, der fossile Brennstoffe verbrannte, in diesem Fall Diesel. Diese fossilen Materialien sind (wie wir alle in der Schule gelernt haben) organischen Ursprungs und bestehen zum Beispiel aus den Resten von Dinosauriern, die im Mesozoikum lebten, als T-prime den ersten stabilen Wert hatte.
Das alles spielte keine Rolle, bis in den frühen Stunden des 16. Mai auf der Welt das Licht ausging. Woraufhin es sehr wohl eine Rolle spielte. Als ein kleiner Apparat zweitausend Meilen südöstlich von Washington dafür sorgte, dass sich im irdischen Magnetfeld der Layton-Effekt ausbreitete, änderten sich die Eigenschaften aller fossilen Brennstoffe, auch die von Diesel. Sie konnten dazu gebracht werden, langsam zu brennen, indem man ihre Temperatur auf über 1250 Grad erhöhte, aber entsprechende Flüssigkeiten explodierten nicht mehr unter Druck in der Verbrennungskammer eines Motors. Der Generator des Engleside-Kraftwerks generierte keine Elektrizität mehr. Das 1800-Volt-Stromnetz wurde zu einem 0-Volt-Stromnetz. Es kam keine Energie mehr vom Kraftwerk nördlich des Flusses. Es floss keine Energie durch die Transformatoren in die Verteilerkästen von Foggy Bottom und ohne Energie kam keine kühle Luft aus den Klimaanlagen. Das Ergebnis: Es war heiß. Verdammt heiß.
Nolan Gallant blickte bedrückt aus dem Fenster der Kantine des Watergate Office Building. Er hörte, wie die anderen am Besprechungstisch Platz nahmen, schenkte ihnen aber keine Beachtung. Welch ein Niedergang, dachte er, dass die Versammlung unter solchen Umständen stattfand, bei offenem Fenster und natürlichem Licht. Dieses Treffen hätte in einem fensterlosen Kellerraum stattfinden sollen, hinter einer schalldichten Tür, vor der ein Soldat Wache hielt. Natürlich gab es Wachen hier in der Kantine – sie sorgten dafür, dass niemand hereinkam, der hier derzeit nichts zu suchen hatte. Aber offene Fenster! Wie konnte man sich bei offenen Fenstern sicher fühlen? Er fragte sich, wie Regierungen in der prämodernen Welt zurechtgekommen waren und wie sie in der verkorksten Gegenwart jemals wieder zurechtkommen sollten. Verkorkst war sie zweifellos. Sie konnten nicht einmal einen Schredder laufen lassen. Wie sollte eine Regierung ohne einen gottverdammten Schredder zurechtkommen?
Die leisen Stimmen am Tisch verklangen – man wartete darauf, dass er die Besprechung offiziell eröffnete. Sollten sie noch etwas länger warten. Im Augenblick war Gallant viel zu sehr damit beschäftigt, sauer zu sein. Warum versuchte er überhaupt, dieses feige Land auf Vordermann zu bringen, ein Land, das sich von einem alten Professor und seinen Assistenten, die noch feucht hinter den Ohren waren, Fesseln hatte anlegen lassen? Gallant konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war. Keine Limousinen mehr, keine Kommandozentralen, keine Waffen, keine Helikopter, keine Düsenjägerstaffeln, bei deren Donnern ängstlichen Abweichlern und Andersdenkenden die Zähne klapperten. Was ihm so sehr an die Nieren ging, war nicht nur die Tatsache, dass nichts mehr funktionierte. Noch schwerer wog, dass die Ausübung der Macht ohne Lohn und Genugtuung blieb. Welchen Spaß machte es noch, an der Spitze zu sein? Welchen Sinn hatte es, Befehle zu erteilen, die nicht mehr ausgeführt wurden? Er konnte einen Adjutanten mit Anweisungen hinausschicken, aber sobald der Mann den Raum verließ, bekam er es mit der neuen Realität zu tun. Der Adjutant war nicht imstande, die Anweisungen telefonisch an Untergebene weiterzugeben, weil die Telefone nicht mehr funktionierten und es keine Untergebenen gab. Nolan Gallant sah sich außerstande, seine Ziele mit Gewalt oder der Androhung von Gewalt zu erreichen. Oft vergaß der Adjutant die Anweisungen einfach und ging fort, um irgendwo Zuflucht vor der Hitze zu suchen.
Die Hitze bekam mehr Respekt als die Regierung des Landes. Während einer anderen Besprechung hatte Gallant Soldaten auf dem Rasen vor dem Gebäude postiert, damit sich niemand unters Fenster stellte und lauschte. Nach einer Weile hatte er festgestellt, dass die Soldaten zum Fluss gegangen waren, um ein Bad zu nehmen. Von wegen Disziplin.
Er drehte sich zu den Versammelten um, den zehn mächtigsten Männern von Amerika – ein Witz. Besser gesagt: ein schlechter Scherz. Dass die zehn mächtigsten Männer von Amerika schweißgebadet waren, konnte nicht witzig sein, nur traurig. Selbst der braungebrannte General Simpson schien sich allmählich aufzulösen. Gallant trug einen grauen Seidenanzug, ein makelloses weißes Hemd und eine rote Paisleykrawatte. Er schwitzte nicht. Er ignorierte die Hitze und sein Körper gehorchte Gehirn und Geist. Er hatte jahrelang in den drückend heißen Kirchen von Virginia und North Carolina gepredigt und sich dabei ein kühles Erscheinungsbild zugelegt, ungeachtet der Temperatur. Die anderen sahen einfach nur feucht und elend aus.
Der lange, ans Fenster geschobene Kantinentisch bot mehr als zehn Personen Platz. Die Lücken am Tisch, dachte Gallant bitter, wiesen auf die vier Männer hin, die bei diesem Treffen fehlten: der Präsident, Minister Murdoch, General Buxtehude und Lamar Armitage. Jede dieser vier Abwesenheiten war ihm ein Dorn im Auge. Insbesondere der Präsident hätte an jeder von Gallant einberufenen Versammlung teilnehmen sollen. Es wurde nicht viel von ihm verlangt; er musste einfach nur dasitzen und gelegentlich nicken. Es war nicht erforderlich, dass er dachte oder dergleichen. Der Mann war ein Schwachkopf, aber auch ein Symbol für legitime Autorität. Seine Präsenz hätte die Kritiker zum Schweigen gebracht, die Anstoß daran nahmen, dass Gallant die Macht für sich beanspruchte. Doch der Präsident sah die Dinge anders. Seit den verwirrenden Ereignissen des sechzehnten Mai weigerte er sich, das Weiße Haus zu verlassen und an irgendwelchen Arbeiten der Regierung teilzunehmen. Er widmete seine Zeit ausschließlich der Malerei. Zweifellos stand er in diesem Moment am Erkerfenster des Oval Office vor seiner Staffelei und malte mit freiem Oberkörper irgendeine konfuse Vision von Bäumen, Blumen und Schmetterlingen.
Wenigstens war der Präsident bereit, die Dokumente zu unterschreiben, die ihm Gallant vor die Nase hielt. Er las nie, was er da unterschrieb. Und er hatte gehorsam per Radio zur Nation gesprochen, mithilfe eines batteriebetriebenen Senders, von der Fernmeldetruppe im Weißen Haus installiert. Er hatte den Amerikanern erklärt, dass die Zündungsprobleme, mit denen sie sich konfrontiert sahen, auf atmosphärische Störungen zurückgingen, deren Ursache Sonnenflecken waren. Es würde nicht lange dauern, bis alles wieder normal sei, hatte er versprochen, und bis dahin sollten die Bürger des Landes mit den lokalen Behörden zusammenarbeiten. Der Präsident wünschte den Amerikanern einen angenehmen Urlaub und meinte, sie könnten die unerwartete Muße nutzen, ein Buch zu lesen oder ein bisschen zu malen.
Gallant nickte nun Taylor Hodge zu, der über Fortschritte beim Lebensmitteltransport und bei der Reorganisation der Polizei berichtete. Außerdem wies er auf Bemühungen hin, eine alte Dampflokomotive wieder einsatzbereit zu machen. Hodge sprach mit monotoner Stimme und während Gallant ihm zuhörte, dachte er erneut an all die Probleme. Bill Murdoch war tot. Kaum zu glauben, dass er ihn vermisste, aber Gallant musste zugeben: Die Unterstützung des Ministers wäre durchaus hilfreich gewesen. Murdoch hatte sich im Pentagon aufgehalten, als der Startbefehl herausgegeben worden war. Nach den Erzählungen der anderen zu urteilen, war er sehr aufgeregt und voller Freude gewesen. Als die Raketen losflogen, war er aufgesprungen, hatte wie ein schwarzer Militant die Faust nach oben gereckt und »Hurra!« gerufen. Für einen Moment verharrte er in dieser Haltung und blickte dann verblüfft auf seine Hose hinab, an der sich vorn ein deutlicher Fleck zeigte. Sein letztes Wort, bevor er zusammenbrach, lautete: »Ups.« Der Arzt meinte, er sei sofort tot gewesen.
Gordon Buxtehude war desertiert. Man konnte es nicht anders nennen. Er hatte kalte Füße bekommen bei dem Gedanken, dass ihre Pläne durchkreuzt worden waren, nachdem sie sich für einen globalen Atomschlag entschieden hatten. Er hatte keine Ahnung gehabt, was den Ausfall der Waffensysteme verursachte, und es war ihm auch egal gewesen. Er hatte General Simpson gesagt, dass es für jeden Mann genügte, den Knopf einmal in seinem Leben zu drücken. Er wolle sich in den Ruhestand zurückziehen, hatte er hinzugefügt, und auf seiner Farm in West Virginia Zeit mit den Enkeln verbringen. Seitdem hatten sie ihn nicht mehr gesehen und nichts mehr von ihm gehört.
Und dann war da noch Professor Lamar Armitage. Nach dem allgemeinen Ausfall der Energieversorgung hatte das Telefonnetz noch etwa einen Tag mit Batteriestrom funktioniert. Rupert Paule hatte Armitage am nächsten Morgen angerufen und ihn aufgefordert, unverzüglich nach Washington zu kommen. Der alte Trottel hatte sich mit dem Fahrrad auf den Weg gemacht und war rechtzeitig genug eingetroffen, um an der abendlichen Besprechung in Senator Colliers Büro teilzunehmen. Gallant war dabei gewesen, hatte Armitage aufgefordert, sich den Unsinn mit der »sorgfältigen Überprüfung der grundlegenden physikalischen Prinzipien« zu sparen und zu sagen, wer dahintersteckte. Wer trug die Verantwortung dafür, dass die Raketen vom Himmel gefallen waren, ohne ihren Zielen Vernichtung zu bringen? Warum gab es auf der ganzen Welt keinen Strom mehr? Armitage hatte eine Antwort und wies auf einen Artikel hin, der ein Jahr zuvor in Science erschienen war. Der Autor dieses Artikels, betonte er, schien auf etwas gestoßen zu sein, das vielleicht erklärte, was geschehen war. Armitage hielt den Autor für die einzige Person, die den hemmenden, Explosionen verhindernden Effekt entdecken und einen Apparat für die Anwendung bauen konnte. Offenbar veränderte der Apparat die Zündungseigenschaften aller Brennstoffe. Armitage hatte zu erklären begonnen, dass die Veränderung nicht den Brennstoff betraf, sondern vielmehr den Fluss der Zeit, aber Gallant hatte ihn erneut unterbrochen. »Wer hat den Artikel verfasst?«, hatte er gefragt. Und Armitages Antwort lautete: »Homer Layton.«
Gallant verzog das Gesicht, als er an den verhassten Namen dachte. Er hatte Layton immer für einen Gegner gehalten und jetzt war er der Feind. Es waren Layton und seine teuflische Wissenschaft, die die Zivilisation (und die zivilisierte Kriegführung) in den gegenwärtigen hilflosen Zustand versetzt hatten. Wissenschaft hatte das Problem geschaffen; Wissenschaft konnte es lösen. Armitage war ihr Wissenschaftler, was bedeutete: Es lag bei ihm, die Wirkung von Laytons Höllenapparat aufzuheben. Armitage hätte sich sofort an die Arbeit machen und versuchen sollen, einen eigenen Apparat zu erfinden, etwas, das dafür sorgte, dass Klimaanlagen wieder funktionierten und Raketen flogen. Aber stattdessen hatte sich Armitage aus dem Staub gemacht. Nach der Besprechung bei Senator Collier hatte er sich geistesabwesend Gallants Anweisungen angehört und mit den Schultern gezuckt. Dann war er hinausgeschlendert. Der Wächter vor dem Gebäude hatte beobachtet, wie Armitage mit seinem Fahrrad über die Theodore-Roosevelt-Brücke geradelt war. Seitdem hatte man ihn nicht mehr gesehen.
Wenigstens wussten sie jetzt, wem dies alles zu verdanken war. Selbst jetzt noch, einundzwanzig Tage nach Beginn des weltweiten Blackouts, staunte Gallant über die Intensität seines Hasses auf Layton. Er begann innerlich zu brodeln, wenn er auch nur an ihn dachte. Die Liste seiner Sünden war fast endlos: Radikale und Kommunisten, die längst tot sein sollten, lebten noch, was sie dem Eingreifen von Homer Layton verdankten. Die Nation Gottes, die vor Wochen hätte ausgerufen werden sollen, beschränkte sich auf die schwitzenden Pfuscher hier an diesem Tisch. Die größte Streitmacht, die die Welt je gesehen hatte, war nicht mehr als ein nutzloser Haufen Schrott. Ein einzelner Mann hatte all ihre Pläne vereitelt. Diesem einen Mann waren all der Frust und die Hilflosigkeit zuzuschreiben, einem hässlichen, schmierigen alten Mann, der vermutlich nicht einmal von sich behaupten konnte, Amerikaner zu sein (waren nicht alle Physiker Ausländer von der einen oder anderen Sorte?): Homer Layton. Vor Gallants innerem Auge entstand das inzwischen vertraut gewordene Gesicht seines Peinigers. Ihm wurde speiübel. Wie sehr er dieses Gesicht verabscheute. Ein leises Ächzen entrang sich seiner Kehle.
Taylor Hodge unterbrach sich mitten im Satz und starrte Gallant mit offenem Mund an. »Was?«
Gallant schlug mit der Faust auf den Tisch. »Worüber in drei Teufels Namen nuscheln Sie da? Und warum sollte es in irgendeinem Zusammenhang wichtig sein?«
»Äh, ich habe über das Stromaggregat genuschelt, ich meine gesprochen. Das von Wasser angetriebene Stromaggregat, das die Pioniere im Fluss bauen.« Hodge deutete aus dem Fenster.
Unten am Flussufer bemerkte Gallant eine traurige kleine Gruppe von Soldaten in kleinen Booten. Sie hatten damit begonnen, im Potomac ein Sperrwerk aus Holz zu konstruieren, wobei sie die Balken offenbar mit Leinen zusammenbanden. Eine Plattform ragte über das Ende der Sperre hinweg und darauf war etwas angebracht, das wie ein Generator aussah. Kabel reichten von dem Apparat zum Ufer.
»Und wie viel Strom, wenn ich fragen darf, erzeugt das lächerlich kleine Aggregat?«
»Äh.« Hodge sah in seinen Unterlagen nach. »Sechzig Watt, glaube ich.«
»Oh, sechzig Watt«, erwiderte Gallant. »Das ist wundervoll! Stellen Sie sich vor, was wir mit sechzig Watt machen können, Gentlemen. Es reicht für eine Glühbirne. Jawohl, für eine Glühbirne. Vielleicht könnten wir damit unsere elektrischen Zahnbürsten betreiben oder einen alten Plattenspieler. Oh, nein, entschuldigen Sie bitte, ein Plattenspieler wäre zu viel verlangt. Vielleicht nächstes Jahr.« Er konnte sich kaum mehr beherrschen.
»Na ja, sechzig Watt bringt nur der erste Generator. Die Pioniere glauben, bis zu zehn auf dem Fluss installieren zu können. Dann hätten wir sechshundert …«
»Sechshundert Watt! Wie sollen wir mit sechshundert Watt regieren? Das reicht gerade für … für …«
»Für eine elektrische Gitarre«, schlug Hodge vor.
»Wir stöpseln keine gottlosen elektrischen Gitarren in unseren Generator!« Gallants Gesicht glühte rot.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Hodge schnell.
Es kostete Gallant erhebliche Mühe, zumindest einen Teil seiner Fassung zurückzugewinnen. Mit einigermaßen ruhiger, aber keineswegs emotionsloser Stimme fuhr er fort: »Meine Herren, ich will nichts mehr über Generatoren hören. Auch nicht über Arbeitsgruppen, die Getreidelaster über die I-95 schieben. Mir liegt auch nichts an weiteren Berichten über die Kanalisation und dergleichen. Ich möchte, dass all diese Probleme gelöst und aus der Welt geschafft werden, ohne dass sie noch einmal in diesem Raum Erwähnung finden. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?« Gallant sah sich am Tisch um. Niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Gustafson, Tolliver, Paule, Courtenay und die anderen – jeder von ihnen hielt kurz seinem Blick stand und starrte dann nach unten. Gallant gab ihnen allen Gelegenheit, etwas zu sagen, doch sie schwiegen.
»Gut. Und jetzt möchte ich mehr über das eine Thema hören, über das hier gesprochen werden soll. Ich meine … KRIEG.«
Neuerliches Schweigen folgte seinen Worten.
»Ich möchte Pläne hören, die den Einsatz von Gewalt, von tödlicher Gewalt, vorsehen, mit dem Ziel, Homer Layton zu fassen und für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Oder ihn zu töten.« Bei dem Wort töten zitterte Gallants Stimme ein wenig, aller Entschlossenheit zum Trotz. Er legte eine kleine Pause ein und trank einen Schluck Wasser. Seine Augen brannten, als sie über den Becher hinweg bei den anderen Männern nach Anzeichen von Schwäche suchten.
Als er den Becher auf den Tisch setzte, hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er zwang die Anspannung aus seinem Gesicht und schuf Platz für das übliche Lächeln. Als er weitersprach, senkte er die Stimme, als wollte er den anderen ein Geheimnis anvertrauen. Sie beugten sich vor und spitzten die Ohren.
»Meine Freunde … Die Sabotage unserer modernen technischen Welt ist nicht nur ein persönlicher Rückschlag für mich. Wie Sie wissen, habe ich mehrere persönliche Rückschläge erlebt und sie immer hingenommen. Wenn der Herr es für angemessen hält, diesen seinen Diener zu züchtigen und zu demütigen, so ist dieser Diener gern bereit, sich zu verneigen und zu fügen, um anschließend zu versuchen, den rechten Weg zu finden. Gott weiß, dass ich das wieder und immer wieder getan habe. Nein, was am sechzehnten Mai geschah, war kein persönlicher Rückschlag für Nolan Gallant, sondern für unseren Herrn, für Jesus Christus.« Er gab seinen Zuhörern kurz Gelegenheit, über die schreckliche Bedeutung dieser Worte nachzudenken. »In der Vergangenheit haben wir uns mit dem Gedanken getröstet: Was auch immer geschieht, es ist Gottes Wille. Und das entsprach immer der Wahrheit. Aber was vor drei Wochen geschah, ist ganz und gar nicht Gottes Wille. Es ist vielmehr das genaue Gegenteil davon.
Das Geschenk des Feuers wurde der Menschheit gestohlen. Aber was ist Feuer? Tief in Ihrem Herzen wissen Sie, dass es sich um Gottes Essenz handelt, um ein Symbol Seiner Macht auf Erden. Die Bibel enthält nicht weniger als zweitausendeinhundertelf Hinweise auf Feuer. Mehr als neunhundertmal werden Flammen erwähnt. Und jetzt sind uns Feuer und Flammen genommen. Lässt das irgendeinen Zweifel an der Bedeutung dessen, was geschehen ist? Kann selbst der zynischste Ungläubige unter Ihnen sich weigern zu verstehen? ›Denn der Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer.‹ Fünftes Buch Mose 4,24. ›Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme.‹ Zweites Buch Mose 3,2. ›Und seine Augen wie eine Feuerflamme.‹ Die Offenbarung des Johannes 3,1. Der Herr IST Feuer. Die Abwesenheit von Feuer bedeutete die Abwesenheit Gottes. So lautet die Wahrheit, das wissen Sie. Für jene von uns, die in dieser elenden feuerlosen und gottlosen Welt leben, findet sich die schrecklichste Botschaft beim Propheten Hesekiel, Kapitel einundzwanzig, Vers drei und vier: ›Siehe, ich will in dir ein Feuer anzünden … dass man seine Flamme nicht wird löschen können. Und alles Fleisch soll sehen, dass ich, der Herr, es angezündet habe und niemand es löschen kann.‹ Jetzt aber ist das Feuer gelöscht worden.« Bei den letzten Worten war Gallants Stimme nur noch ein Flüstern.
»Wir können kein Feuer anzünden, nicht einmal ein Streichholz. Unsere Waffen funktionieren nicht mehr. Wir sind nicht einmal imstande, Gottes Präsenz in den Verbrennungskammern unserer Motoren erscheinen zu lassen, auf das Er Sein gutes Werk für uns vollbringe. Nichts ist mehr so, wie es sein sollte!«
Traurig teilte Gallant seinen Zuhörern die bittere Wahrheit mit und sprach wie zu einfältigen Kindern, die etwas übersehen hatten, das offensichtlich sein sollte. »Jener, der sich Gottes Plan entgegengestellt hat, ist nicht einfach nur ein älterer Professor der Wissenschaft. Das ist nur Tarnung. Er präsentiert sich uns als alter Mann, als harmloser schlurfender Gelehrter. Aber wir wissen es besser. Wir haben ihn durchschaut. ›Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres‹, heißt es in der Offenbarung. Das ist er: das Tier, der Antichrist.« Gallant bemerkte, dass der rechts von ihm sitzende Courtenay zusammenzuckte. »Homer Layton ist der Antichrist.« Courtenay zuckte erneut zusammen.
»Und jetzt, da wir die Wahrheit kennen, dürfte Ihnen auch klar sein, was man von Ihnen erwartet. Wir sind im Krieg, Gentlemen. Aber es ist nicht einfach nur ein Krieg, nicht einfach nur die Konfrontation zwischen verschiedenen Streitmächten des Menschen. Dies ist der letzte Krieg, wie ihn Johannes in seiner Offenbarung beschreibt. Es ist der Krieg des Heiligen gegen das Unheilige, des Menschen gegen das Tier. Dies ist unser Dschihad.«
Gallants durchdringender Blick wanderte über die rechte Seite des Tischs und richtete sich schließlich auf Rupert Paule, den Mann, der Layton vor wenigen kurzen Wochen von Angesicht zu Angesicht gegenüber gesessen hatte. Paule unterdrückte ein Schaudern. Sein Versagen war allen klar. Er hatte mit dem Antichristen verhandelt, ihm sogar zur Flucht verholfen. Für ihn gab es eine ganze Menge wiedergutzumachen.
Gallant richtete die Frage an ihn. »Wo ist Homer Layton?«
»Nun, äh, er ist nicht mehr dort, wo er zuvor gewesen ist.«
»Das wissen wir.«
»Wir haben Burlingame in Fort Lauderdale. Wie Sie wissen, ist er mit einem der Boote der Marineakademie hinuntergesegelt. Und er hält per StratCom-Funk Kontakt mit uns. Er berichtet, dass Layton weg ist.«
»Das wissen wir.«
»Er hat uns mitgeteilt, dass Layton und seine Begleiter dutzendweise Segeljachten gestohlen haben und damit nach Osten gesegelt sind. Es gibt Zeugen. Sie haben Burlingame gesagt, dass Layton eine ziemlich große Gruppe um sich geschart hat, vielleicht Hunderte. Allesamt … Verräter.«
»Ja. Wohin sind sie gesegelt?«
»Nach Osten.«
»Wohin im Osten?«
»Äh, vielleicht zu den Bahamas?«
»Nein.«
»Oh.«
»Das würde es uns zu einfach machen. Bei den Bahamas gibt es nur ein paar Dutzend kleine Inseln mit Süßwasser. Wir hätten sie schon bald am Wickel und das wissen sie. Sie wissen, dass wir uns auf die Suche nach ihnen machen werden. Also sind sie zu einem Ort gesegelt, wo es für sie mehr Platz gibt, sich zu verstecken. Zu einem Ort, der ihnen reichlich Ressourcen bietet, Nahrungsmittel und so weiter, ohne dass ihnen jemand die Ressourcen streitig macht. Weil dort alle anderen Leute tot sind.«
»Kuba.«
»Ja.«
»Dachte ich mir.«
Gallant brachte es fertig, nicht höhnisch zu grinsen. Diese Dumpfbacken hatten nicht genug Grips im Kopf, um zu verstehen, was geschehen war und was unternommen werden musste. Er seufzte und erklärte geduldig:
»Kuba ist mehr als tausendzweihundert Kilometer lang und hat eine Gesamtfläche von gut hundertzehntausend Quadratkilometern. Layton und seine Leute glauben, dort sicher zu sein, weil es eine gewaltige Aufgabe für uns wäre, in einem so großen Gebiet eine so kleine Kolonie zu lokalisieren. Außerdem wissen sie, dass ihr teuflischer Apparat uns alle technischen Hilfsmittel nimmt – wir sind ohne Waffen, ohne Flugzeuge und ohne gepanzerte Schiffe. Aber auch wenn sich Layton und die anderen Verräter in Sicherheit wähnen – sie sind es nicht.«
Gallant lächelte. Erst war es nur ein Lächeln und dann wurde ein Grinsen daraus.
»Ich habe einen Plan«, sagte er langsam.