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Der Kampf des Tages 421

Nach und nach verlagerte sich der Tätigkeitsschwerpunkt des Dorfs vom Strand und den Anlegestellen zu den Höhen hinter der Siedlung. Zehn neue Kriegspavillons waren dort »vertäut« und schwebten über dem neuen Hauptquartier des Proctors. Bei Geschwindigkeitstests hatte sich herausgestellt, dass diese neuen Flieger über dreihundert Kilometer in der Stunde schnell sein konnten. Jeder von ihnen bot fünfzig Personen Platz, doch für den Flug genügten sechs. Zwei dieser Sechs wurden für die aus zwei Teilen bestehende Zielvorrichtung für die Laserwaffe benötigt und die anderen vier kümmerten sich um Segel und Steuerung. Es war nicht klar, was vierzig weitere Personen an Bord sollten.

Loren, der sich immerzu Sorgen machte, dachte an all die Elemente, die perfekt funktionieren mussten, wenn Laserstrahlen vom Himmel kommen und die anvisierten Ziele treffen sollten. Ihm graute bei der Vorstellung, dass ihre beste Waffe genau in dem Moment versagte, in dem sie gebraucht wurde. Woraus auch immer besagte Elemente bestanden: Die verschiedenen Subsysteme von SHIELA und der Satelliten – darunter Energieversorgung, Telekommunikation, Logikschaltungen, Speicherkomponenten und so weiter – konnten nicht repariert werden, wenn es irgendwo in ihnen zu einem Defekt kam. Loren vermutete, dass es Bestandteile mit kurzer Lebensdauer gab, und wenn das erste Teil versagte, fiel vielleicht das ganze System aus. Also dachte er lange über alternative Waffen für ihre Flotte nach. Bisher war ihm nichts Besseres eingefallen als eine Art Projektilregen: Gegenstände, die aus großer Höhe auf den Feind geworfen werden sollten. Da ihnen nichts anderes zur Verfügung stand, hatten sie jedem Pavillon eine halbe Tonne Ziegelsteine aus der Ziegelei in der Nähe des Dorfs gegeben. Die zusätzlichen vierzig Personen an Bord konnten sich als Ziegelsteinwerfer betätigen, wenn es erforderlich werden sollte. Wenn ein solcher Stein aus einer Höhe von zum Beispiel hundertfünfzig Metern fiel, konnte er den Glasfaserrumpf eines Segelboots zerschmettern.

Unterdessen ließ sich auch Kelly Verbesserungen einfallen. »Alles ist ein Symbol«, sagte sie. Die Symbole klar und wirkungsvoll zu gestalten, war ebenso wichtig wie eine funktionsfähige Waffe. Und so fügte sie jedem fertiggestellten neuen Kriegspavillon ihre eigene Erfindung hinzu: eine Flagge. Sie entwarf sie selbst: ein breiter weißer Streifen auf goldenem Grund. Gold und Weiß – die Fahnen flatterten keck und fröhlich am Heck der vertäuten Flieger. Ihr Flattern verlieh dem Ort eine festliche Atmosphäre, wie bei einem Jachthafen im Sommer.

Kelly meinte auch, die Pavillons müssten heroisch klingende Namen bekommen, nicht die Zahlen, an die Loren und Pease dachten. »Wer wäre bereit, sein Leben für den Ruhm von Nummer 52 aufs Spiel zu setzen?« Also hatte D.D. Pease begonnen, den Pavillons Namen zu geben. Er benannte sie nach Nelsons Schiffen bei Trafalgar: Ajax, Conqueror, Revenge, Defiance, Dreadnought, Leviathan, Bellerophon, Swiftsure und Téméraire. Van Hootens Flaggschiff hieß Victory.

Nach langen Überlegungen ernannte Proctor Pinkham nicht Loren zum Flottenkommandeur, sondern Van Hooten. Für Loren war es eine große Erleichterung. Van Hooten erwies ihm die Ehre, ihn zu bitten, Captain der Victory zu sein. Bei einem Gespräch unter vier Augen wies er darauf hin, dass sie, wenn der Kampf begann, die Rollen tauschen würden; dann wollte Van Hooten die Victory übernehmen, damit sich Loren um die Schlacht kümmern konnte. Das war Loren recht. Ihm ging es darum, dass sie den Kampf gewannen; an der täglichen Routine einer Flotte hatte er kein Interesse. Dafür war Van Hooten weitaus besser geeignet.

*

Stacey Hopkins schrieb ein Tagebuch, das praktisch auf eine Chronik der Gemeinschaft hinauslief. Sie hatte am Morgen nach dem Aufbruch von Fort Lauderdale damit begonnen. Jeder Eintrag trug die Zahl des Tages, beginnend mit Tag 1, als Homer den ersten Dauerhaften Effektor eingeschaltet hatte. Stacey hatte nie einen Tag ausgelassen und für Tag 420 schrieb sie:

Heute wurde unser zehnter Kampfpavillon auf den Namen Téméraire getauft und in Dienst gestellt. Dekanin Maria Olivia Sawyer gab sich die Ehre. Wir tranken Champagner (auch ich habe etwas bekommen!) und dann wurde die Flasche mit Gingerale gefüllt, um am Bug zerbrochen zu werden. Offenbar sind andere Gesellschaften nie auf die Idee gekommen, den Sekt zu trinken; sie haben ihn stattdessen bei der Taufe vergeudet. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie erfinderisch wir in Baracoa sein können.

Miss Kelly Alice Corsayer sagt, dass wir jetzt die mächtigste Nation auf der Erde sind. Nur wir verfügen über Luftschiffe und nur wir können Laserstrahlen vom Himmel herabblitzen lassen. Ich habe die Laserstrahlen nicht mit eigenen Augen gesehen, aber mit vielen Leuten gesprochen, die an der Schlacht im Bahama Channel (siehe Eintrag für Tag 188) oder beim Angriff auf Fort Belvoir (siehe Eintrag für Tag 217) teilgenommen haben.

Mrs. Keesha Elijah (oder einfach nur Keesha) ist schwanger. Die glückliche zukünftige Mutter befindet sich derzeit in der Gesellschaft ihres Mannes, Mr. Adjouan N.M.I. Elijah, auf dem Beobachtungspavillon Homeric, auf Station in der Nähe von Puerto Rico. Innerhalb von zwei Wochen werden sie für Mrs. Elijahs Niederkunft zurückkehren. Baby Elijah wird der erste geborene Bürger unserer Nation sein.

Leider hat unsere Nation bisher noch keinen Namen. Ich (Miss Stacey Amanda Hopkins) habe vor, mit Senator Chandler Hopkins bald über diese Angelegenheit zu sprechen, damit schnellstens etwas unternommen wird, um dem abzuhelfen. Die mächtigste Nation der Erde sollte einen Namen haben und er sollte nicht einfach Baracoa lauten, denn bei uns leben auch Menschen aus Guantánamo und Santiago de Cuba, unter ihnen Miss Stephanie Anne McCree, meine zweitbeste Freundin, und ihre Eltern.

Es wird immer wieder davon gesprochen, dass wir vielleicht von einer kriegerischen Nation im Norden angegriffen werden, den Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist sehr beunruhigend für diejenigen von uns, die alt genug sind, sich daran zu erinnern, dass jene kriegerische Nation einst die guten alten USA waren, die wir liebten. Aber es ist auch sehr aufregend. Die Kinder weinen manchmal, wenn sie daran denken, angegriffen zu werden. Deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein, was wir sagen, damit sie keine Albträume bekommen. Aber was mich betrifft … Ich möchte nicht in einer Nation leben, die sich nicht im Krieg befindet, denn worüber sollten die Leute sonst reden? Wir reden die ganze Zeit darüber, feindliche Schiffe zu zerstören, und über Spione, die sich des Nachts zu uns schleichen, um unsere am besten gehüteten Geheimnisse zu stehlen. Ja, es ist aufregend. Allerdings frage ich mich manchmal, ob der Feind nicht vielleicht vernünftig genug ist, uns nicht anzugreifen. (Ich habe hier zweimal »nicht« geschrieben, aber ich glaube, es wird klar, was ich meine.)

*

Die zweite große Seeschlacht begann ähnlich wie die erste. Loren war allein in seinem Schlafzimmer der Alturas-Kommandozentrale und schlummerte neben der noch warmen Stelle an seiner Seite, wo bis vor wenigen Minuten Kelly gelegen hatte. Plötzlich knackte es im Lautsprecher an der Decke und eine Stimme erklang.

»Hallo, Baracoa, hier ist Keesha.«

Loren sprang auf, lief in den Kontrollraum und griff nach Mikrofon und Hörer. »Hier Baracoa. Loren spricht. Ich höre, Keesha.«

»Es geht wieder los, Chef.«

»Eine Angriffsflotte?«

»Ja, und eine ziemlich große. Mein Mann Adjouan ist noch damit beschäftigt, die Schiffe zu zählen. Einhundert, schätzt er. Wir haben sie die ganze Nacht mit dem Radar verfolgt. Dann gingen wir in Position … Sie wissen wo, immerhin war es Ihr Plan.«

»Fünfzehn Kilometer von der Flotte entfernt, in einer Höhe von tausend Metern und in der Nähe von Wolken?«

»Ja, Loren. Wir haben Effektoren in drei Richtungen eingestellt, sind hier oben also so stabil wie ein Felsen. Ich kann es noch immer kaum glauben. Meine Güte, Sie sind wirklich ein toller Erfinder. Wir haben ein Teleskop installiert und es zittert nicht einmal. Manchmal muss ich einen Blick nach unten werfen, um mich davon zu überzeugen, dass wir nicht auf einem Berggipfel sitzen.«

»Ja. Wie ist eure Position?«

»Oh, ja. Ich habe sie hier aufgeschrieben, auf einem Zettel. Mr. Tomkis kümmert sich um die Navigation.« Papier knisterte. »Er sagt, wir sind vierundvierzig Seemeilen südöstlich der Mona-Passage. Die Flotte kam letzte Nacht durch die Passage. Sie segelt jetzt mit Kurs eins neun null und einer Geschwindigkeit von mehr als sechs Knoten.« Sie sprach das letzte Wort wie Kuh-noten aus. »Die Entfernung zur Küste beträgt ungefähr fünfzig Kilometer.«

»Sagen Sie mir, was Sie sehen, Keesha.«

»Es sind größtenteils Mehrkörperboote, wie unsere Katamarane, nur viel länger. An Deck befinden sich Gaszylinder. Adjouan meint, die schnelleren Boote sind nicht mit voller Geschwindigkeit unterwegs, weil sie auf einen sehr großen Segler warten müssen. Er hat quadratische Segel. Mr. Tomkis hat ihn Brigg genannt. Die Brigg ist weiß mit einem roten diagonalen Streifen am Bug und sie ist mehr als doppelt so lang wie die anderen Boote. Ein wirklich großes Schiff.«

Loren markierte die Position der Flotte auf der Karte, als einen nach Südwesten zeigenden Pfeil. Daneben schrieb er die Zeit: 05.20 Uhr.

»Bitte wiederholen Sie Ihre Anweisungen für mich, Keesha.«

»Wir bleiben, wo wir sind, bis die Kampfpavillons eintreffen. Das Wetter ist klar; wir sollten also für den Rest des Tages visuellen Kontakt halten können, ohne uns zu bewegen. Wenn wir Lichtsignalverbindung mit unseren Pavillons haben, geben wir die Position des Gegners durch. Dann segeln wir nach Nordosten zu Captain Klipstein, als Verstärkung für seine Reserve.«

»Perfekt.« Für den Fall, dass es beim Hauptteil der Verteidigungsstreitmacht zu irgendeiner Katastrophe kam, hielt Loren in der Windward-Passage eine Reserve unter dem Befehl von Klipstein bereit. »Gute Arbeit, Keesha. Funkstille von jetzt an. Ende.«

Sie unterbrach die Verbindung ohne ein weiteres Wort. Loren nahm einen Zirkel und maß die Entfernung zur Kontaktstelle südlich von Santo Domingo. Die Baracoa-Pavillons mussten über den Caicos-Inseln eine Zeitlang gegen den Wind kreuzen und sich dann nach Süden wenden, für den Anflug über die Dominikanische Republik hinweg. Bei einer Windgeschwindigkeit von vierzehn Knoten konnten sie die Strecke in etwa sieben Stunden zurücklegen. Rupert Paules Flotte würde fast zwölf Stunden brauchen, um dort einzutreffen; sie brauchten sich also nicht zu beeilen. Loren wollte unbedingt vermeiden, dass der Kontakt zu früh stattfand, wenn die Küste nahe genug war, um einigen Schiffen der feindlichen Flotte ein Entkommen zu ermöglichen.

Das für einen Alarm bestimmte Signalhorn über der Kommando­zentrale konnte man überall im Dorf hören, aber Loren beschloss, es nicht zu verwenden. Um halb sieben fand sich praktisch die ganze Gemeinschaft zum Frühstück im Speisesaal ein und bei der Gelegenheit konnte er die Nachricht verkünden. Er stellte sich vor, wie er zuerst sein Essen abholte und dann ans Glas klopfte, um zu den Versammelten zu sprechen. Anschließend würde er sich setzen und frühstücken. Eigentlich hatte er gar keinen Appetit, aber es sollte alles recht eindrucksvoll wirken. Er beschloss, sich neben Stacey zu setzen, damit seine bewundernswerte Ruhe für die Nachwelt festgehalten wurde.

*

Die aus der Victory und neun weiteren Kampfpavillons bestehende Verteidigungsstreitmacht traf im offenen Karibischen Meer auf den Feind, mehr als sechzig Seemeilen vom nächsten Land entfernt. Schon vor einer Stunde hatten sie damit begonnen, den gegnerischen Funkverkehr zu stören. Loren formierte sein Geschwader in einer langen Linie, von den feindlichen Schiffen aus gesehen gegen den Wind und in einer Höhe von gut dreihundert Metern. Als erstes Ziel wählte er die weiße Brigg an der Spitze der Angriffsflotte. Bei diesem Kampf würde es Überlebende geben und deshalb sollte die psychologische Wirkung auf den Feind so groß wie möglich sein. Loren wies die Swiftsure und Ajax an, zusammen mit ihm zu feuern, und bei dieser Entfernung war ein Fehlschuss kaum möglich. Die Brigg bestand aus Stahl und die drei Laserstrahlen verursachten ein metallisches Dröhnen, als sie das Schiff trafen. Es klang fast nach dem Läuten einer Glocke. Die Zeit genügte gerade für eine zweite Salve, dann sank die Brigg auch schon. Danach war alles nur noch eine Frage des Aufräumens.

Die stärkste Erinnerung an die Schlacht in der Karibik bestand darin, wie heiß es in den Pavillons gewesen war. Da sie mit hoher Geschwindigkeit flogen, hatte man große Mühe darauf verwendet, das Innere vor dem Wind zu schützen. Die Fenster ließen sich nicht einmal öffnen, abgesehen von denen der Schlafkabinen im Heck. Doch während des Kampfs waren die Pavillons fast stationär, denn die Geschwindigkeit der gegnerischen Flotte begrenzte ihren Bewegungsspielraum. Der Kontroll­raum der Victory verwandelte sich schnell in einen Backofen. Loren beauftragte einige Besatzungsmitglieder damit, die Einfassungen der Plexiglasfenster abzuschrauben – sie brauchten frische Luft. Doch die Schlacht war schon vorbei, noch bevor ein Fenster geöffnet werden konnte.

Eigentlich war es gar keine Schlacht, eher ein Ausmerzen von Ungeziefer, das mit langsamem Kriechen versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Nach fünfzehn Minuten waren von den hundert Booten nur noch ein Dutzend übrig. Loren merkte, wie seine Gedanken abdrifteten. Er hatte es gar nicht abwarten können, dass der Kampf endlich begann, und jetzt wollte er, dass er so schnell wie möglich zu Ende ging. Dass dort unten Menschen starben, wusste er zwar, doch ihr Tod blieb fern, rein theoretischer Natur. Loren langweilte sich und begann in Gedanken bereits damit, neue Pavillons zu planen, mit besserer Sicht, externen Kontrollstationen und, ganz wichtig, ausreichend Belüftung. Der Kampf war nur noch ein lästiges Ärgernis. Neben ihm beobachtete Kelly das Geschehen, ohne einen Kommentar abzugeben. Alles war genau geplant; es gab praktisch nirgends Platz für Verbesserungen. Sie hielt ihren Feldstecher auf die feindlichen Schiffe gerichtet, bis es keine mehr gab, bis dort unten nur noch kleine Rettungsboote schwammen. Bis dahin war sie ebenso verschwitzt wie Loren: Ihr Trainingsanzug wies große Schweißflecken auf und das Haar klebte an der feuchten Stirn.

Die letzte Phase des Einsatzes bestand darin, Schlauchboote abzuwerfen – jeder Kampfpavillon hatte ein Dutzend an Bord. Loren brachte seine Flotte bis auf zehn Meter über den Wellen hinab und ging an Deck, um sich alles anzuschauen. Beobachter mit Ferngläsern wiesen Captain Van Hooten den Weg zu Ansammlungen von Schwimmern und wenn sie eine solche Gruppe erreichten, wurde ein Schlauchboot aufgeblasen und zu Wasser gelassen. Die anderen Pavillons gingen auf die gleiche Weise vor. Am Nachmittag befanden sich alle Überlebenden, die sie gefunden hatten, an Bord der Schlauchboote. Daraufhin warfen sie Nylonschnüre und begannen damit, die gelben Boote langsam zur Küste zu ziehen. Gegen Mitternacht würden die Überlebenden am Strand von San Cristóbal in Sicherheit sein. Einige von ihnen, so wusste Loren, würden es zu Rupert Paule zurückschaffen und ihm erzählen, was geschehen war, aber bis dahin verging bestimmt mehr als ein Jahr.

*

Es wurden nicht alle Überlebenden aufgenommen. Da der erste Angriff der Brigg Eagle gegolten hatte und alle anderen Schiffe sofort auf Ausweichkurs gingen, waren die Überlebenden der Brigg ein ganzes Stück abgetrieben worden. Und diese Abdrift dauerte an, während sie zusahen, wie die ganze Flotte vernichtet wurde. Beim Aussetzen der Schlauchboote fanden daher nicht alle Schiffbrüchigen der Eagle Gelegenheit, an Bord zu klettern. Unter denen, die im Meer zurückblieben, war auch Vize­admiral Willard Courtenay, erst vor kurzer Zeit zum Flottenkommandeur befördert.

Er klammerte sich an einem Stück Reling fest, das eher schlecht schwamm. Die Alternative war eine leere Plastiktonne gewesen, die zwar besser schwamm, sich aber als instabil herausgestellt hatte. Eine Stunde lang hatte er versucht, auf ihr zu bleiben, und sich dann schließlich für das Stück Reling entschieden. Weit entfernt sah er gelegentlich andere Überlebende, wenn die Wellen sie anhoben. Auch sie waren von den seltsamen Luftschiffen übersehen worden und daher wie er zum Tod verurteilt. Niemand von ihnen durfte hoffen, schwimmend die Küste zu erreichen, selbst wenn sie gewusst hätten, welche Richtung sie einschlagen mussten. Aus und vorbei. Sie waren erledigt. Erledigt. Courtenay drehte das Wort in Gedanken hin und her und fragte sich, welche Bedeutung es ursprünglich gehabt hatte.

Was jetzt geschehen würde, war keine persönliche Tragödie. An den eigenen Tod dachte er so, wie er an den wahrscheinlichen Tod vieler Menschen unter seinem Kommando gedacht hatte: Er war bedauerlich, aber nicht tragisch. Es bedeutete, dass Ressourcen verlorengingen, Ressourcen, die er lieber für die Mission verwendet hätte. Nur das war für ihn wichtig gewesen: die Mission. Jetzt schwamm er zusammen mit den anderen vergeudeten Ressourcen im Meer und beobachtete ein interessantes soziologisches Phänomen, das ihn ein wenig von der eigenen Situation ablenkte. Die Schwimmer hätten sich einander nähern können, um die letzten Momente zusammen zu verbringen, aber niemand von ihnen unternahm einen entsprechenden Versuch. Offenbar gaben sich alle damit zufrieden, allein zu sein, begleitet nur von den eigenen Gedanken.

Courtenay dachte kurz an seine Familie und dann an den schrecklichen Zorn von Rupert Paule. Er glaubte, Paules Gesicht zu sehen, das auf ihn herabschaute. Rupert Paule, der im Wind schwebte und nach unten starrte. Wie kam Paule hierher? Er hätte im fernen Washington sein sollen, aber stattdessen war er hier, fuchsteufelswild. Sein Zorn galt insbesondere Courtenay. Er richtete einen langen knochigen Zeigefinger auf den Mann, der ihn enttäuscht hatte, und nicht nur ihn, sondern die ganze Nation. Courtenay versuchte zu lächeln und Paule zu sagen, dass alles in Ordnung sei. Die andere Seite hatte einen vorübergehenden Vorteil, das war alles. Es würde nicht von Dauer sein, höchstens einige Monate, mehr nicht. Letztendlich würden Paule und seine Streitmacht den Sieg erringen. Sie würden mit der geheimen Waffe gewinnen. Sie hatten eine geheime Waffe, daran erinnerte sich Courtenay. Er erinnerte sich, dass er mit Paule und den anderen darüber gesprochen hatte. Aber er wusste nicht mehr genau, woraus diese geheime Waffe bestand. War es vielleicht Gott, der auf ihrer Seite stand? Etwas in der Art. Zumindest konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sie mit der geheimen Waffe siegen würden. Eines Tages. Irgendwann.

Er hätte die schweren Stiefel ausziehen und das Kampfmesser vom Gürtel nehmen können; dann wäre es ihm weniger schwer gefallen, sich über Wasser zu halten. Aber dann hätte er keine vollständige Uniform mehr getragen. Als er das Stück Reling schließlich losließ, sank er langsam, mit den Füßen voran. Er sah nach oben, durchs klare grüne Wasser, und dort, über dem Meer, schwebte noch immer Rupert Paules zorniges Gesicht.