Die königliche Schlacht
Bryan stürzte in die Dunkelheit. Unsichtbare Dinge schlugen gegen sein Gesicht, seine Arme und seine Hände, während er fiel. Schließlich schlug er irgendwo hart mit seinem Kopf und seiner Schulter auf. An seiner Landung würde er noch arbeiten müssen.
Er rappelte sich auf. In der rechten Hand hielt er immer noch die Fünf-Siebener. Seine linke Hand war leer. Die Waffe darin war nicht mehr da, und es war leicht zu erkennen, warum: Sein kleiner Finger und sein Ringfinger hingen schlaff herab; sie waren am ersten Gelenk gebrochen.
Geborstene Planken umgaben ihn, in der Luft hing alter Staub. Er war durch das Ober- und offensichtlich auch durch das nächsttiefere Deck gestürzt. Viereinhalb Meter über sich sah er das gezackte Loch im Oberdeck und darüber den Mast mit den dort angebrachten Lampen. Er musste es wieder nach oben schaffen, musste zu Pookie und den anderen gelangen. Nur mit Mühe fand Bryan zwischen den zerschmetterten Planken Halt. Als er sicher stand, ging er in die Hocke und sprang. Er flog fast zwei Meter hoch und landete auf dem nächsthöheren Deck. Ein weiterer rascher Sprung beförderte ihn gleich danach wieder auf das Hauptdeck.
Schüsse und Schreie hallten durch die Höhle. Im Heck des Schiffs standen die Kajütenwand und die Tür in Flammen. Aus dem Inneren schrie etwas mit tiefer Stimme. Mehrere Monster schlugen heftig gegen die Flammen, um sie zu ersticken. Bryan sah Pierre, Sly, den Erstgeborenen und die Frau mit der Kettenpeitsche, die Robin getötet hatte. Sie alle kämpften gegen das Feuer an, doch er konnte ihnen noch nicht entgegentreten: Zuerst musste er die Geiseln befreien.
Er sah zu den Pfosten, an die Verde, Chief Zou und die anderen gefesselt waren. Der nervige Junge mit dem aufgeblähten Bauch stand zwischen ihnen und Bryan. Er trug eine Brille mit verbogenem Drahtgestell und hielt ein goldenes Zippo-Feuerzeug in seiner rechten Hand.
Mit einer eleganten Bewegung – selbst der lässigste Kettenraucher wäre grün vor Neid geworden – hob der Junge die Hand, schnippte das Zippo auf und ließ es fast gleichzeitig aufflammen.
Die Wangen des Jungen blähten sich, als müsste er sich erbrechen. Sein Bauch gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Bryan hörte es trotz des Prasselns der Flammen. Der Junge führte das Zippo vor seinen Mund und stieß ein Geräusch aus, das irgendwo zwischen einem Rülpsen und einem Brüllen lag.
Flammen wogten aus seinem Mund, und ein immer größerer Feuerball schoss auf Bryans Gesicht zu.
Bryan machte einen Schritt zurück und sprang durch das Loch im Deck, während der Feuerball über ihn hinwegrauschte.
Rechts von John schob sich ein insektenartiges Monster über die Leiche eines seiner Brüder und stürmte auf John zu. John wirbelte herum und drückte zweimal auf den Abzug der Schrotflinte. Der erste Schuss traf die Kreatur in die Brust, der zweite in den Kopf. Das Wesen wurde nach hinten geschleudert, sein obszönes Gesicht zur Hälfte weggerissen. Etwas hämmerte gegen Johns linke Schulter und schleuderte ihn gegen die Höhlenwand. Steine und Erdklumpen regneten neben ihm zu Boden – jemand schoss auf ihn.
»Alder! Heckenschütze!«
»Ich hab ihn«, sagte Alder. Er kniete nieder und richtete seinen Stock auf einen Schützen auf der anderen Seite der Höhle, der sich unter einer Decke verbarg.
Finger kratzten an Johns linkem Fuß. Er sah nach unten. Ein kleines rothaariges Mädchen, nicht älter als zehn, kroch unter dem Sims hervor. Ihre winzigen Finger tasteten nach seinem Bein. Der Blick in ihren Augen voller Mordlust, Hass, Hunger.
John riss die Mündung der Schrotflinte nach unten, richtete sie aus zwei, drei Zentimetern Entfernung auf das Gesicht des Mädchens und drückte ab. Umgeben von einer Wolke aus Hirnmasse und Knochensplittern wurde das Mädchen nach unten in die Gräben geschleudert.
Alders Stockgewehr feuerte. Der Heckenschütze feuerte nicht mehr.
»Verdammt, bin ich gut«, sagte der alte Mann. Immer mehr Monster rückten von rechts und von links heran, während Adam pausenlos mit seinen Fünf-Siebenern um sich schoss.
John griff nach seinen Granaten.
An Händen und Füßen gefesselt, versuchte Pookie mühsam, auf die Beine zu kommen. Er musste handeln. Der dicke Junge, der einen Feuerball auf Bryan ausgeatmet hatte, blickte nur ein, zwei Meter von ihm entfernt durch das Loch im Deck nach unten. Pookie drückte sich mit beiden Füßen vom Boden ab und hüpfte auf den Jungen zu.
Ich muss meine Balance halten. Ich schwöre, wenn ich hier rauskomme, trainiere ich wie verrückt …
Der Junge hörte, wie Pookie näher kam. Er wollte sich gerade umdrehen, doch es war zu spät. Pookie warf sich gegen die Beine des Jungen. Der kleine Killer schwankte einen kurzen Augenblick lang, während seine Arme durch die Luft wirbelten, dann fiel er in das Loch.
Bryan sah, wie der Kleine mit dem Feueratem durch das Loch im Oberdeck flog. Die Worte eines sterbenden, von Brandwunden bedeckten Teenagers schossen ihm durch den Kopf: Dämon, Drache.
Er hob seine Fünf-Siebener und feuerte dreimal, während Jay Parlars Mörder mit dem Gesicht voran in die zerschmetterten Holzplanken krachte.
Bryan sprang wieder nach oben, und diesmal stieß er sich mitten im Flug mit seinem rechten Fuß vom Zwischendeck ab, sodass er mit einer Art anderthalbfachem Sprung volle viereinhalb Meter senkrecht nach oben schwebte.
Bryan landete direkt neben Pookie Chang.
»Scheiße, Mann, mach mich los!«
Bryan schob die Fünf-Siebener in ihr Holster und zog sein Ka-Bar-Messer. Er durchtrennte Pookies Stricke und half seinem Partner auf die Beine.
Aus der Kapitänskajüte drangen die Schreie einer mächtigen, dröhnenden Stimme. »Elle brûle, elle brûle!«
Explosionen hallten vom Höhlensims wider und mischten sich in die Kakophonie aus Schüssen, prasselnden Flammen und widerhallenden Schreien, die von Angst, Schmerz und Wut erfüllt waren.
Bryan zog die Fünf-Siebener und reichte Pookie die Waffe zusammen mit dem Messer. »Schneid alle los!«
Pookie nickte und rannte zu Chief Zou.
Bryans andere Fünf-Siebener musste noch irgendwo hier oben sein. Vielleicht hatte er sie auch unter Deck verloren. Wie auch immer, er hatte nicht die Zeit, danach zu suchen. Er sah hinauf zu dem gekreuzigten Erickson, der neun Meter über ihm schwebte. Er konnte den Mann nicht dort oben lassen. Bryan rannte auf den Mast zu, der völlig umringt war von … menschlichen Schädeln?
Mit allen Augen … mit allen Zähnen.
Bryan sprang auf den Mast zu, und während er nach oben kletterte, splitterten die Schädel unter seinen Füßen. Er war jetzt so stark, so beweglich. Er huschte den Mast so schnell hinauf wie ein Schimpanse einen Baumstamm. Seine gebrochenen Finger beschwerten sich mit weißglühenden Schmerzen, doch es gab keine andere Möglichkeit.
Sekunden später fand er sich von Angesicht zu Angesicht dem Erlöser gegenüber.
ba-da-bum-bummmm
Bryan starrte Jebediah Erickson an. Jebediah Erickson starrte zurück.
Dieser Mann war sein Bruder.
Bryan legte seinen linken Arm über den Querbalken. Mit seiner rechten Hand packte er den langen Eisennagel, der aus Ericksons rechter Handfläche ragte.
Wieder sah er Erickson in die Augen. »Bist du bereit?«
Erickson lächelte mit blutigen, aufgerissenen Lippen. »Ich bin froh, dass ich mich in dir getäuscht habe.«
Neun Meter über dem Deck schwebend riss Bryan den Eisennagel aus dem Holz. Erickson stieß ein Knurren aus, doch er schrie nicht. Blut spritzte auf die weißen Schädel und das trockene Holz unter ihnen.
Bryan schwang sich hinter dem Mast herum und schob sich auf die andere Seite. Wieder legte er den linken Arm über den Querbalken, packte das Eisen, das Ericksons linke Hand an das Holz nagelte, und riss es heraus.
Der alte Mann schob seinen rechten Arm hinter den Mast, um sich festzuhalten, während er sich vorbeugte, in die Hocke ging und mit der linken Hand den Nagel aus dem Holz riss, der seine Füße durchbohrte.
Wieder eine Explosion, noch mehr Schreie. John und die anderen setzten ihre Thermit-Granaten ein – setzten alles ein, was sie hatten. Rauch erfüllte die Höhle. Sogar hoch oben auf dem Mast spürte Bryan die Hitze der brennenden Kajüte.
»Bryan!« Pookies Stimme von unten, gefolgt von Schüssen.
Bryan ließ den Querbalken los und schwebte nach unten. Er ging in die Hocke, als er landete, um den Aufschlag abzufedern, konnte aber nicht verhindern, dass er nach rechts stolperte. Mr. Biz-Nass ging hinter dem mit Schädeln verkleideten Mast in Deckung. Zou und ihre Töchter rannten zu ihm. Robertson hatte das Messer in der Hand und schnitt Verdes Stricke durch. Pookie stand aufrecht da und feuerte auf eine heranstürmende Woge von Männern in weißen Roben. Die Maskierten stürzten oder duckten sich weg, doch es waren zu viele, als dass er sie allein hätte aufhalten können.
Das Feuer breitete sich immer weiter aus. Die Flammen tanzten über die trockenen Holzplanken des Decks. Einige der weißen Roben brannten bereits. Aus der Kapitänskajüte wallte die Hitze wie aus einem Hochofen – in den Flammen schimmernde Kreaturen in Menschengestalt, die sich unablässig bewegten und versuchten, ins Innere zu gelangen.
Der Schlitten von Pookies Fünf-Siebener bewegte sich nicht mehr. Leer. Bryan hatte ihm keine zusätzlichen Magazine gegeben.
Bryan packte seinen gebrochenen kleinen Finger und den gebrochenen Ringfinger. Mit einem Grunzen drückte er sie in die richtige Position. Er schob seine rechte Hand durch einen Schlitz in seinem linken Jackenärmel und zog das Keramikmesser heraus. Dann zwang er sich, dasselbe mit seiner verletzten linken Hand zu tun. Jetzt ragte aus jeder seiner Fäuste eine dünne tödliche Klinge.
Pookie zog sich zurück. Mit einem seiner Füße stolperte er über eine geborstene Planke und fiel auf seinen Hintern. Die Männer mit den Halloweenmasken und den weißen Roben kamen immer näher, doch Bryan stürmte, die Messer schwingend, nach vorn. Hieb, Schnitt, Hieb – Körper stürzten zu Boden, in breitem Strahl bespritzte rotes Blut den weißen Stoff. Einem der Angreifer versetzte Bryan einen Tritt; sein Fuß krachte gegen die Brust des Mannes und schleuderte ihn nach hinten in die Flammen. Sekunden später stand kein einziger Maskierter mehr.
Plötzliche Hitze ließ Bryan instinktiv aufstampfen – Flammen züngelten an den Aufschlägen seiner Hose. Er wandte sich um und rannte zu dem mit Schädeln verkleideten Mast. Dort waren Biz-Nass und Robertson, die Erickson auf die Beine halfen. Zou hielt eine ihrer Töchter an der Hand, Verde die andere. Die Hitze des Feuers schien mit unsichtbaren Fäusten auf alle einzuschlagen. Sie blinzelten hektisch und husteten im dichten Rauch, der die Höhle wie Nebel auszufüllen begann.
Er drängte sie zur Spitze des Schiffswracks. »Zum Bug, los, los!«
»Bryan!«
Pookie deutete das Deck hinab.
Keine fünf Meter entfernt kletterte der nervige Junge aus dem Loch in den Planken. Sein Gesicht war blutüberströmt. Seine Brille war verbogen und saß unsicher auf seiner gebrochenen Nase. Er streckte sich, das goldene Zippo in der Hand. Hinter ihm rannte Pierre aus der brennenden Kajüte, die lang gezogene Schnauze mit den ungleichen Kiefern zu einem wütenden Knurren verzerrt. Flammen tanzten auf seinem Rücken und seinen Shorts. Pierre und Bryan fixierten einander. Die Kreatur mit dem Hundegesicht hatte es auf Bryan abgesehen.
Erickson riss das Messer aus Bryans linker Hand. Der blutende, so gut wie nackte alte Mann machte einen Schritt nach vorn und warf die Waffe.
Die Klinge zischte durch die Luft und bohrte sich in den aufgeblähten Bauch des nervigen Jungen. Der knickte an der Hüfte in sich zusammen, als hätte man ihm einen Schlag versetzt, die Augen hinter der verbogenen Brille verrieten Schock und Überraschung. Ein dünner weißer Dampfstrahl schoss aus dem Loch in seinen Därmen.
Direkt durch diesen Strahl rannte Pierre mit seinem brennenden Fell.
Der Dampfstrahl entzündete sich und zuckte wie ein umgekehrter Flammenwerfer zurück in den aufgeblähten Bauch des Jungen. Der Bauch explodierte in einem Feuerball, der Pierre verschluckte und das Monster nach vorn schleuderte. In Flammen gehüllt, taumelte er mitten zwischen die Menschen auf dem Bug, wobei er Erickson und Biz-Nass hart aufs Deck schleuderte, bevor er schwer auf Amy Zou landete und sie unter seinem mächtigen, brennenden Körper begrub.
Bryan ließ das Messer fallen und packte Pierre bei den Fußknöcheln. Die Flammen verbrannten seine Hände, doch er ignorierte den Schmerz lange genug, um Pierre von Zou herunterzureißen und ihn ein paar Meter nach hinten aufs Deck zu schleudern. Das große Wesen wirkte schlaff und schwach. Die Haut an Bryans Händen zischte. Er wollte nach unten greifen, um gegen Amy Zous brennende Kleider zu schlagen, doch Sean Robertson und Rich Verde rollten Zou bereits über den Boden, um die Flammen zu ersticken.
Die Stimme eines Mädchens. »Du hast meinen Papa umgebracht.«
Bryan drehte sich um. Die kleine Mur hielt das Messer in der Hand, das er fallen gelassen hatte. Sie stand über der schwelenden Hundekreatur. Pierre hob eine Hand, um sie aufzuhalten, doch er war zu schwach und zu langsam. Bevor Bryan Mur erreichen konnte, packte sie das Messer mit beiden Händen, richtete es nach unten und rammte die Klinge in Pierres rechtes Auge.
Pierre fuchtelte ziellos mit den Armen und wand sich hin und her. Mur stürzte nach hinten. Bryan sprang zu ihr, legte einen Arm um sie und zog sie weg. Während der Messergriff noch immer aus seinem Auge ragte, rollte sich Pierre auf Hände und Knie. Er versuchte aufzustehen, doch seine zitternden Arme konnten sein Gewicht nicht mehr tragen. Er fiel nach rechts und bewegte sich nicht mehr.
Inzwischen hatten die Flammen fast das gesamte Schiff erfasst und trieben alle zur Bugspitze. Bryan, der mit einem Arm noch immer Mur hielt, hörte ein flüsterndes Geräusch, eine Art leises, luftiges Zischen. Er sah hoch nach links, seine Augen suchten den Sims ab – da, ein Mann in einem dunkelgrünen Mantel und ein zweiter in einer schwarzen Seemannsjacke. Leichen türmten sich auf dem Sims um die beiden herum.
John und die anderen hatten die Stellung gehalten.
Und unmittelbar links von John, kaum sichtbar im immer dichter aufwallenden Rauch, erkannte Bryan die steile Treppe, die sich vom Grund der Höhle zum Sims hinaufzog. Er und die anderen würden den aus Gräben bestehenden Irrgarten durchqueren müssen, um die Treppe zu erreichen. Die Wände der Gräben erhoben sich zu flachen Inseln aus festgestampfter Erde; sie waren wie kleine Tafelberge – Mesas –, deren Größe von den Gräben bestimmt wurde, die sie voneinander abtrennten. Bryan konnte von Mesa zu Mesa springen, doch für die anderen waren die Gräben zu breit, und er konnte sie nicht alle tragen. Sie würden durch den Irrgarten gehen müssen, während er oben auf den Inseln blieb und die Richtung zu ihnen hinabrief.
Bryan legte seine freie Hand an seinen Mund und stieß einen lauten Ruf aus, um die Flammen zu übertönen. »Runter vom Schiff und in die Gräben. Bleibt zusammen. Wir müssen uns beeilen. Erickson, hilf mir, sie runterzuschaffen.«
Bryan und Erickson griffen sich einen nach dem anderen und sprangen mit ihm vom Deck in den etwa sechs Meter tiefer gelegenen Graben. Kaum dass Bryan gelandet war, kletterte er auch schon wieder an der Seite des Schiffswracks nach oben, um den Nächsten zu holen.
Es dauerte nur wenige Sekunden, dann waren alle unten. Ein immer stärker werdender Wind peitschte Schmutz, Staub und Rauch durch die Gräben und führte den hungrigen Flammen Sauerstoff zu. Die Überlebenden drängten sich für ihre Flucht in die Freiheit zusammen. Verde und Biz-Nass hatten sich Zous Arme über die Schultern gelegt und halfen der von Brandwunden gezeichneten Frau beim Gehen. Blasen bedeckten ihr rotes Gesicht. Das meiste Haar war weggeschmolzen. Robertson reichte Bryan das Ka-Bar und hob Tabz auf seinen Arm. Erickson nahm Mur hoch.
Bryan schob das Messer in die Scheide an seinem Gürtel und sprang auf eine viereinhalb Meter höhere Mesa, wodurch er sich auf derselben Ebene befand wie das sterbende Schiff. Die Flammen leuchteten, als brannte das Schiff mitten auf dem Meer. Bryan wandte sich ab und musterte die Gräben auf der Suche nach dem besten Weg aus dem Irrgarten.
Er blickte hinab auf die Menschen und hob die Hand. »Da entlang! Zuerst rechts, dann links, los!«
Die Gruppe kam rasch voran. Bryan sprang über zwei Gräben auf die nächste Mesa. Ihr Ziel war so nah, so nah.
Wieder blickte er hinab, um ihnen die neue Richtung zu zeigen, als ein lauter Schuss erklang. In einer roten und rosafarbenen Wolke riss Verdes Stirn auf. Er und Zou stürzten hart zu Boden. Bryan sprang in den Graben und schirmte den Rest der Gruppe mit seinem Körper ab.
Die Waffe wurde noch dreimal abgefeuert. Zwei Schüsse trafen ihn in den Rücken – die Kugeln trommelten gegen seine Jacke wie ein Vorschlaghammer, an dessen Spitze sich ein kleiner Nagel befand.
Es musste sich um Munition handeln, die eine normale Schutzweste durchdrungen hätte.
Er warf einen Blick über seine linke Schulter.
Rex Deprovdechuk stand, von einem Flammeninferno umgeben, auf dem Bug des Schiffs. Mit einer Hand klammerte er sich an der zerschmetterten, schwelenden Reling fest. In der anderen hielt er die Fünf-Siebener, die Bryan verloren hatte, mit stählernem Griff. Wie ein einziger Fleischlappen hing die linke Seite seines Gesichts über seine Unterlippe und sein Kinn herab, sodass seine Zähne und ein Teil seines Wangenknochens freilagen. Ein blutiges lidloses Auge starrte aus der Mitte der Wunde. Sein Unterkiefer hing schlaff herab, als könnte er ihn nicht mehr schließen. Rex schien den Rauch, die Hitze und sogar die Flammen zu ignorieren, die bereits seine lange rote Robe hinaufzüngelten.
Eine Hand auf Bryans Schulter, ein Mund an seinem Ohr.
»Schaff die Leute hier raus.«
Erickson.
Der alte Mann warf Bryan das kleine Mädchen zu. Bryan fing das Kind automatisch auf, und während er das tat, zog Erickson blitzschnell das Ka-Bar aus Bryans Gürtelscheide. Dann rannte der alte Mann durch den Graben in Richtung Schiffswrack. Er sprintete schneller auf seinen verletzten Füßen als jeder normale Mensch auf zwei gesunden Beinen.
Bryans Bruder stürmte davon, um gegen den Feind zu kämpfen. Bryan wollte mit ihm kommen, wollte an seiner Seite kämpfen, doch das kleine Mädchen in seinen Armen hatte nichts Unrechtes getan. Nie hatte das Kind in seinem Leben eine Entscheidung getroffen, die dazu geführt hätte, dass es nun an diesem grässlichen Ort war. Er drehte sich zu den anderen um: Pookie, der Zou auf die Beine half; Robertson, dessen Gesicht wieder zu bluten begonnen hatte und der das andere Mädchen in den Armen trug; und Biz-Nass, der sich hustend zusammenkauerte und rechts und links nach der nächsten Bedrohung Ausschau hielt. Sie alle duckten sich, versuchten, den Rauch beiseitezuwischen, und warteten darauf, dass Bryan sie nach draußen führte.
Schüsse vom Schiff. Bryan wandte sich um und sah, dass Erickson, die Hände vor dem Gesicht, zur Reling hochsprang, während Rex mit der Fünf-Siebener auf den sich nähernden alten Mann feuerte.
Viel Glück, Bruder.
Bryan wandte dem Schiff den Rücken zu und rannte den Graben hinab.
Rex versuchte Komm nur! zu schreien, doch sein Kiefer bewegte sich nicht. Das Monster landete mit erhobenem Messer auf dem brennenden Deck, sein altes Gesicht von bösartiger Wut verzerrt. Rex drückte noch zweimal den Abzug, und zwei weitere Kugeln bohrten sich in die Brust des Monsters, doch dann stürmte es heran. Taumelnd stürzten die beiden nach hinten in die Flammen.
Diese Dämonen waren in seine Welt eingedrungen, in sein Königreich!
Töte sie töte sie alle tötesietötesietötesie
Rex rappelte sich auf. Er riss sich den brennenden Umhang von den Schultern und suchte erfolglos nach einer Stelle auf Deck, die noch nicht in Flammen stand. Ericksons zerschmetterte Füße wurden bereits schwarz. Seine Haut warf Blasen, und die wenigen Streifen Stoff, die er noch trug, fielen in Fetzen von ihm ab. Rex beugte sich vor, packte ein brennendes Stück Holz und schob sich dann noch tiefer in das Feuer hinein, um den Erlöser anzugreifen.
Rex würde das Monster umbringen, sein Volk um sich sammeln und noch einmal neu beginnen.
»Nach rechts!«
Bryan drückte das Mädchen fest an sich, während er über den Graben auf die nächste Mesa sprang. Das Hemd unter seiner schützenden Jacke war von Schweiß durchtränkt. Links unter ihm rannten die anderen so schnell sie konnten durch den Graben. Pookie war der Erste; er trug Zou in seinen Armen. Dann folgten Robertson mit dem Mädchen und Biz-Nass. Alle husteten heftig. Bryan blieb nicht mehr viel Zeit, dann würden die Leute einer nach dem anderen zusammenbrechen.
Sie hatten die Höhlenwand beinah erreicht. Bryan musterte die Gräben, um die Route zu bestimmen, die alle zur Treppe und hinauf auf den Sims führen würde. So nah! Rauch stieg ihm in die Augen, drang ihm in die Kehle und brannte in seiner Lunge. Wind peitschte durch die Höhle, trieb den Staub vor sich her und wirbelte den Rauch zu einer wahren Höllenvision auf.
»Die nächste rechts!«, schrie Bryan nach unten. Pookie schob seinen Arm fester um Zou und führte die Gruppe weiter. Sie verließen den Graben und erreichten den Fuß der Treppe. Bryan sprang zu ihnen hinab. Seine Füße schlugen auf dem Höhlengrund auf, doch dann gaben seine Beine nach, und er stürzte. Er schaffte es gerade noch, sich im Fallen auf die Seite zu drehen, um das Mädchen zu schützen.
Rasselnder Husten schüttelte seine Brust. Mehrere Hände zogen ihn wieder auf die Beine. Er sah zu Pookie und erkannte, dass sein Partner völlig erschöpft war. Bryan setzte das Mädchen ab und hob Zou aus Pookies Armen. Er warf sich die Frau über die Schulter und hielt sie im typischen Griff eines Feuerwehrmanns.
»Wir sind fast draußen«, sagte er nach Luft schnappend. »Ihr müsst es nur noch diese Treppe hoch schaffen.«
Bryan hustete wieder, dann begann er mit dem Aufstieg. Er trug Zou über seiner rechten Schulter, sodass er sich mit der linken Hand – von Brandblasen überzogen, zwei Finger gebrochen – an der Höhlenwand entlangtasten konnte. In einer Höhe von knapp fünf Metern konnte er nach rechts über den Irrgarten hinweg bis zu dem brennenden Schiff sehen.
Die Flammen schlugen so hoch, dass sie das gut fünfzehn Meter höhere Höhlendach erreichten. Teile alten Holzes in der Decke hatten Feuer gefangen. Sie brannten wie kleine schimmernde Sonnen in einem von Rauch bedeckten Himmel aus Erde, Backsteinen und Felsen. Einzelne Stücke des Dachs lösten sich und krachten herab auf das brennende Schiff, die Wände des Irrgartens und die Gräben.
Bryan kletterte weiter.
Drei Stufen vom Sims entfernt lenkten ein Knacken und ein dumpfes Dröhnen seine Aufmerksamkeit wieder auf das Schiff, wo die Kapitänskajüte in sich zusammenbrach und von einer wirbelnden Feuerwand verschlungen wurde. Bryan sah, was eigentlich unmöglich war: Der in hellen Flammen stehende Erstgeborene versuchte, einen brennenden Karren aus der Kajüte zu ziehen.
Trotz der schimmernden Hitze konnte Bryan das Ding erkennen, das Aggie beschrieben hatte – Mama.
Seine Mutter.
Schier unvorstellbar aufgebläht. Zuckende kleine Arme. Um sich tretende kleine Beine. Und in diesem gewaltigen in die Höhe gewölbten Bauch sah Bryan Dinge, die sich bewegten, die sich regten, sah, wie sich Blasen bildeten, sich vereinten und aufplatzten.
Die Flüssigkeit in ihrem gewaltigen Bauch kochte, kochte und dehnte sich aus.
Ihr Bauch riss auf. Ein dünner, hoher Dampfstrahl schoss heraus, doch trotzdem schwoll die Körpermitte immer weiter an wie ein sich aufpumpender Heliumballon. Ein zweiter Dampfstrahl erschien, und dann explodierte sie; zischende Fleischfetzen wirbelten durch die prasselnden Flammen.
Bryan stieg die letzten drei Stufen zum Sims hinauf auf John, Adam und Alder zu.
Rex wurde über die Reling geschleudert und schlug hart auf dem Grund eines der Gräben auf. Das Monster war zu stark! Rex blickte hinauf zum Bug, um nach seinem Feind zu sehen. Der alte Mann stand an der Reling. Er war nackt und voller Brandblasen; Blut und Ruß bedeckten seine Haut. Mehr als jemals zuvor glich der Erlöser einem Monster.
In seiner Hand hielt er ein Messer, und in seinen Augen funkelte der Wahnsinn.
Der alte Mann legte beide Hände um den Messergriff, beugte die Knie und sprang vom Schiff.
Rex riss rechtzeitig die Arme nach oben, um das Monster bei den Handgelenken zu packen. Er fiel auf den Rücken und versuchte mit aller Kraft zu verhindern, dass das Monster ihm die Messerspitze ins Auge bohrte.
Tränen stiegen ihm in die Augen, alles verschwamm, sodass Bryan ein Knie zu Boden senken musste. Er würde es nicht schaffen. Er hörte jemanden etwas rufen – Adams Stimme, die den peitschenden Wind übertönte, ihn und die anderen weiterdrängte und zur Eile mahnte. Er hob den Kopf und sah, wie John Smith das kleine Mädchen mit den schwarzen Haaren an sich drückte. Seine grüne Kapuze umschloss sein schweißbedecktes Gesicht.
»Steh auf, Clauser«, sagte John, und dann trug er das Mädchen in den Tunnel. Die anderen rannten hustend an Bryan vorbei, eine wirbelnde Masse aus Armen und Beinen, die John folgte.
Wie konnte Amy Zou nur so schwer sein?
Bryan spürte Hände auf seinen Schultern, die an seiner Jacke zogen.
»Bri-Bri«, sagte Pookie und musste so heftig husten, dass Blutstropfen aus seinem Mund spritzten. »Wir haben keine Zeit für ein Schläfchen. Beweg dich.«
Bryan stand auf, rückte Zou auf seiner Schulter zurecht und folgte Pookie zum Tunneleingang. Sie stolperten über Leichen, die überall auf dem Sims vor ihnen lagen. John und die anderen hatten ganze Arbeit geleistet. Bevor Bryan den Tunnel betrat, drehte er sich um und sah ein letztes Mal zurück in die Höhle.
Die Flammen wurden bereits schwächer. Das Schiff glühte wie ein Berg Holzkohle, und Wellen orangefarbenen Lichts rollten durch den immer weiter in sich zusammensinkenden Rumpf. Der Mast brannte wie eine Fackel. Unablässig regneten Schädel in die Asche. Noch während Bryan hinsah, kippte der Mast zur Seite, stürzte um und krachte in einem Wirbel aus Funken und brennenden Holzteilen durch das Deck.
Die Zuschauer waren geflohen. Die Arena war leer.
Fast leer. In einem Graben vor dem Schiff sah Bryan Rex auf dem Rücken liegen. Erickson hatte sich auf ihn gestürzt und versuchte, ihm ein Messer in den Hals zu rammen. Rex wehrte sich. Sein zerfetztes Gesicht war zu einer grauenhaften Maske der Wut verzerrt, er umklammerte Ericksons Handgelenke. Rauch wallte durch den Graben und erinnerte Bryan an den dichten Nebel, der spätnachts durch die Straßen von San Francisco rollte.
Das Messer kam immer näher.
Plötzlich ein verschwommener Wirbel, schwarz und schwelend, der gegen Erickson prallte und ihn gegen eine der Grabenwände schleuderte. Das Ka-Bar kreiselte durch die Luft und fiel zu Boden.
Langsam rollte sich Rex auf die Beine. So viel Schmerz. Sein Ritter hatte ihn gerettet. Der Erstgeborene sah entsetzlich aus. Sein Fell war verschwunden. An einigen Stellen rauchte seine von Brandblasen bedeckte Haut, an anderen war sie von einem feuchten Schimmer überzogen. Obwohl er am ganzen Körper von Kopf bis Fuß Brandwunden trug, kämpfte er immer noch für seinen König.
Rex versuchte, den Schmerz beiseitezudrängen. Er bückte sich und hob das Messer auf.
»Bryan, nun komm schon!« Pookies Stimme. Bryan trug Amy Zou in den Tunneleingang, ohne seinen Blick von der Szene unter sich zu lösen. Wind strömte aus dem Tunnel; die Höhle saugte ihn an, um ein hungriges Feuer zu nähren. In der Mitte der Arena löste sich ein großes Stück des Deckengewölbes und krachte auf die Gräben darunter, als prallte ein Asteroid auf einen Planeten. Der ganze Ort begann, in sich zusammenzubrechen.
Rex beobachtete.
Rex wartete.
Das Ende einer Ära, der Beginn einer neuen.
Die schwarzen Muskeln des Erstgeborenen strafften und wölbten sich. Er hatte die Hände um Ericksons Hals gelegt. Erickson hob die Arme, um das Gesicht des Erstgeborenen zu zerkratzen, doch der alte Mann wurde bereits schwächer.
Eine Bewegung rechts neben Rex. Er drehte sich um – und sein Herz hüpfte vor Freude.
»Mein König«, sagte Sly.
Rex versuchte zu sprechen, versuchte Du lebst! zu sagen, doch der Schmerz in seinem Mund ließ ihn zusammenzucken.
»Sag nichts!«, fuhr Sly fort. »Ich bin hier.« Er schenkte Rex ein breites Lächeln voller nadelspitzer Zähne. Seine Kleider waren an einigen Stellen verbrannt, doch er sah weitgehend unverletzt aus.
Sly hob einen Arm, die Handfläche nach oben gerichtet. »Darf ich das Monster töten?«
Rex sah zum Erstgeborenen. Der große Ritter hatte seine Hände noch immer um den Hals des Monsters gelegt. Die Arme des Monsters bewegten sich nur noch schwach. Ihr Feind würde nicht mehr lange leben.
Rex nickte und legte den Messergriff in die Hand seines Freundes.
Slys grünhäutige Finger schlossen sich um die Waffe. »Danke, mein König«, sagte er. Und dann stieß er das Messer tief in Rex’ Brust.
Rex starrte in Slys lächelndes Gesicht. Was ging hier vor? Rex sah nach unten. Der Messergriff ragte aus seinem Körper. Er konnte nicht einmal das kleinste Stück Klinge sehen. Es tat weh. Es brannte.
Sly legte einen Arm um Rex und zog ihn zu sich heran. »Danke, dass du mich zu deinem Nachfolger gemacht hast«, sagte er leise. Er packte das Messer, zog es heraus und stieß ein weiteres Mal zu. Rex spürte, wie der Griff gegen sein Brustbein prallte und sich die Klingenspitze durch seinen Rücken bohrte.
Es brannte.
Sly hatte gelogen. Er war genau wie alle anderen. Genau wie von jedem anderen im Leben war Rex von seinem einzigen wahren Freund verletzt worden.
Rex fiel auf die Knie.
Sly kniete sich neben ihn. »Allein hätte ich es nie geschafft, die Führung zu übernehmen. Der Erstgeborene war zu stark. Jetzt werde ich jedem erzählen, dass der Erstgeborene dich umgebracht hat. Auf Wiedersehen, Rex.«
Sly ließ Rex los. Er rannte den Graben hinab und verschwand im Rauch.
Rex schloss die Augen und fiel auf die Seite.
Bryan sah, wie der Erstgeborene Erickson losließ. Der alte Mann bewegte sich nicht mehr. Die schwelende Kreatur drehte sich um.
Der Erstgeborene starrte auf das Messer, das aus Rex’ Brust ragte.
Es war vorbei.
Bryan trat in den Wind, der aus dem Tunnel strömte. Alle standen dort und warteten auf ihn – alle außer Alder Jessup. Der alte Mann lag bewegungslos auf dem Boden, ein kleines schwarzes Loch in seiner blutbeschmierten Wange. Bryan sah auf zu Adam. Er musste schreien, um sich verständlich zu machen. »Es tut mir so leid.«
Tränen rannen über Adams Gesicht. Er schüttelte den Kopf. »Großvater wollte es so. Wir können ihm nicht mehr helfen. Lass ihn hier.«
Bryan wollte widersprechen, doch Adam hatte recht. Sie konnten keine Leiche zwischen den als Falle aufgebauten Säulen hindurchtransportieren.
Er hörte, wie hinter ihm ein weiteres Stück der Höhlendecke zu Boden krachte. Ein leichtes Beben ließ den Boden unter seinen Füßen vibrieren.
Die Säulen.
»Auf geht’s. Wir müssen los!«
Er drückte Chief Zou fest an sich und rannte tiefer in den Tunnel.
Der Strahl von Bryans Taschenlampe huschte über eine gezackte, aus verschiedenen Materialien errichtete Säule. Schliddernd kam er davor zum Stehen, und seine rutschenden Füße schleuderten Erde auf das chaotisch wirkende Bauwerk. Die Menschen hinter ihm – es gelang ihm gerade noch, festen Halt zu finden, als jemand heftig gegen seinen Rücken stieß.
»Alle Mann stopp!«
Keuchen und Husten erfüllten den Tunnel. Sie waren fast da …
Er setzte Amy Zou ab und schüttelte sie behutsam.
»Chief, konzentrieren Sie sich«, sagte er. »Hier müssen Sie selbst gehen.«
Sie sah ihn blinzelnd an. Ihre Augen wirkten glasig. So viele Blasen, so viel verbranntes Fleisch. Einst war sie schön gewesen, doch sie würde es nie wieder sein.
»Treten Sie genau dorthin, wo ich hintrete, Chief. Wenn Sie stolpern, wenn Sie fallen, dann sterben Sie. Und Ihre Töchter ebenfalls.«
Das drang zu ihr durch. Zou straffte sich und schien auf eine innere Kraftreserve zurückzugreifen. Sie nickte.
Bryan musterte die kleinen Mädchen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um besonders nett zu sein. »Ihr dürft keinen Fehler machen. Tretet genau in die Fußstapfen dessen, der vor euch geht. Wenn ihr es vermasselt, werdet ihr sterben. Und ihr werdet alle anderen auch umbringen. Verstanden?«
Ihre Augen waren riesig; Schweiß und Ruß bedeckten ihre kleinen Gesichter. Sie nickten nur, wie ihre Mutter.
Er sah die anderen der Reihe nach an: Adam, Robertson, John, Biz-Nass und Pookie nickten. Alle wussten, was auf dem Spiel stand.
Bryan atmete tief ein und aus. Die Luft, die aus dem U-Bahn-Schacht hereinströmte, war hier bereits etwas klarer. Er fixierte den schmalen Durchgang zwischen den Säulen und der Wand.
»Hey, Pooks«, sagte er.
»Ja, mein Terminator?«
»Du ziehst wohl besser deinen Bauch ein.«
Pookie tat es. Er versuchte, die Muskeln straff zu halten, doch er war so erschöpft, dass er gleich darauf zischend ausatmete und sein Bauch sich wieder nach vorn wölbte.
»Ich denke, ich werde als Letzter gehen.«
Bryan nickte. Dann richtete er den Strahl seiner Taschenlampe auf den Boden und nahm den letzten Abschnitt des Tunnels in Angriff.
Er schob sich nach draußen und wartete. Zou war die Nächste, dann Tabz und dann Mur, die Pierre getötet hatte. John und Biz-Nass folgten, dann Adam. Als Sean Robertson durch die Öffnung kroch, zitterte die Erde erneut.
Bryan beugte sich in den Tunnel. Pookie hatte die Hälfte der Säulen hinter sich gebracht.
»Pooks, beweg dich!«
Ein Kieselstein löste sich aus der Decke und fiel Bryan auf den Kopf. Beide Männer sahen nach oben. Über Bryan bestand die Decke aus einer einzigen großen Betonplatte, die von Rissen durchzogen war.
Aus ihren Spalten lösten sich noch mehr Kieselsteine und stürzten, Staubfahnen hinter sich herziehend, zu Boden.
Pookie holte tief Luft und schob sich eilends nach vorn.
Noch zwei Säulen.
»Pooks, mach langsam!«
»Mach du doch langsam!«
Pookie geriet in Panik. Er bewegte sich zu schnell und stieß mit dem Ellbogen gegen die vorletzte Säule.
Bryan trat durch das Loch und streckte die Hände aus. Er packte Pookie und riss ihn nach vorn. Bryan schloss seinen stolpernden Freund in die Arme und warf sich rückwärts aus dem Loch, als der Tunnel einstürzte. Eine dichte Wolke aus Erde und Staub hüllte sie ein.
Als sich der Staub legte, saßen neun Menschen hustend und nach Luft schnappend auf dem schmalen Sims des U-Bahn-Tunnels.
Sie hatten es lebend nach draußen geschafft.