Ein Besuch im Krankenhaus

Chief Amy Zou starrte auf Jebediah Erickson hinab. Er sah so viel älter aus als bei ihrer letzten Begegnung. Kein Wunder, denn die lag sechsundzwanzig Jahre zurück. Damals war er gerade aus der Anstalt gekommen.

Die Anstalt, in die sie ihn selbst geschickt hatte.

Einst war Amy eine rotznasige Anfängerin gewesen, die alles besser wusste als die älteren Cops. Sie und Rich hatten die einzelnen Puzzleteile zusammengesetzt, hatten die Symbole mit den silbernen Pfeilspitzen in Verbindung gebracht, Alder Jessup aufgespürt und selbst dann noch Belastungsmaterial gegen Jebediah Erickson gesammelt, als ihre Vorgesetzten sie mundtot machen und dazu bringen wollten, sich von dem Fall zurückzuziehen. Sie war sogar zum Inspektor befördert worden, was einer Art Schweigegeld entsprach. Sie hatte die Beförderung angenommen, aber sie hatte den Fall nicht aufgegeben. Damals kam es ihr wie poetische Gerechtigkeit vor, dass sie ihre neue Macht benutzte, um ihre Nachforschungen auszudehnen. Sie hatte den passenden Richter gefunden, der sich ihre Sache anhörte. Und sie hatte die richtige Person aus dem Büro des Bezirksstaatsanwalts auf ihre Seite gebracht.

Damals war Erickson kein alter Mann in einem Klinikbett, der fast unter seinen Verbänden verschwand, während Schläuche in seine Nase und in einen seiner Arme führte. Damals war er der leibhaftige Tod gewesen. Allein ein Blick in seine reuelosen Augen hatte in ihr den Wunsch geweckt, sich zu bekreuzigen.

Jetzt wirkte er nur noch alt. Narben bedeckten seine Arme, seinen Hals und seine Brust. Hässliche Narben, lang und geschwungen, die – als sie noch offene Wunden waren – mit Hunderten von Stichen hatten genäht werden müssen. Dieser Mann war ein Krieger. Die Narben erzählten die Geschichte seiner Schlachten.

»Gottverdammt, Bryan«, sagte sie. »Du weißt nicht, was du getan hast.«

Sie hätte Bryan und Pookie viel früher feuern sollen. Pookie konnte die Dinge einfach nicht ruhen lassen. Die Sache mit Blake Johansson war der beste Beweis dafür. Wenn Pookie einen korrupten Cop roch, ließ er nicht mehr locker. Vielleicht hätte sie ihn schon vor Jahren in die Abteilung für polizeiinterne Untersuchungen versetzen sollen.

Hätten Bryan und Pookie den Fall selbst dann noch weiterverfolgt, wenn sie den beiden die Wahrheit über Erickson und die Monster erzählt hätte? Gemessen an ihrem bisherigen Verhalten lautete die Antwort höchstwahrscheinlich Ja. Die beiden hatten genau das getan, was Amy damals selbst getan hatte.

Wie viele Menschen waren wegen ihrer Dickköpfigkeit gestorben, nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass Erickson in die Klapsmühle eingeliefert wurde?

Und wichtiger: Wie viele Menschen würden nun sterben, weil Bryan sich genauso verhielt?

Es war nicht das erste Mal, dass Erickson nicht zum Einsatz kam. Soweit sie wusste, war er zuvor bereits bei zwei Gelegenheiten ernsthaft verletzt worden, doch beide Male hatte er das Krankenhaus bereits einen Tag später wieder verlassen. Diesmal jedoch sah es nicht so aus, als würde er in kürzester Zeit wieder irgendwohin gehen. War er nur alt, oder gab es da noch etwas?

Hoffentlich würde er sich bald wieder erholen … noch bevor Maries Kinder begriffen, dass sie aufs Neue nach Lust und Laune töten konnten.

Die Verborgenen
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