Ausgespäht
Rex saß in einem Plastik-Müllcontainer. Rex beobachtete.
Wo hatten diese Empfindungen sein ganzes Leben lang nur gesteckt? Wie viele Stunden hatte er damit verschwendet, Zeichnungen anzufertigen, wenn die Sache selbst ihm das Gefühl gab, am Leben und vollständig zu sein?
Sein Bauch kitzelte tief drinnen.
Er hatte schon seit Stunden einen Ständer.
Der Müllcontainer stand auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Haus von April Sanchez. Es war einer dieser großen, braunen Behälter, den man zusammen mit einem blauen Recycling-Container und einem grünen Behälter für den Kompost in den schmalen Durchgang zwischen zwei Gebäuden gequetscht hatte. Der Müllcontainer stank, doch das war Rex egal. Es war nur eine Mülltüte darin gewesen, und die hatte er in einen anderen Container geworfen. Wenn er sich zusammenkauerte, konnte er unter dem Deckel hervorspähen und nach April Ausschau halten.
April, das Meth-Hirn. April, die Nutte.
Sie hatte reiche Eltern. Ihnen gehörte nicht nur eine Wohnung oder ein Stockwerk in diesem Haus, sondern das ganze Gebäude – alle drei Stockwerke und eine Garage.
Die Jugendlichen in der Schule redeten hinter Aprils Rücken über sie und sprachen darüber, wie hässlich April war. Sie nannten sie Shrek. Sie war nicht dick wie Shrek – das waren die wenigsten Drogensüchtigen –, aber ihr Gesicht hatte eine gewisse entfernte Ähnlichkeit mit dem des Ogers. Es war April gewesen, die Alex von Rex’ Zeichnung erzählt hatte. Es war ihre Schuld, dass Alex ihm den Arm gebrochen hatte.
Die Cops hatten Alex gesucht, dabei hatte der längst ein perfektes Versteck. Letzte Nacht war Rex Alex hierhergefolgt. Seither hatte er niemanden außer April gesehen, der das Gebäude betreten oder verlassen hätte. Sie brachte Pizza und kaufte die unterschiedlichsten Sachen ein, wahrscheinlich alles, was Alex haben wollte.
Dunkelheit senkte sich herab, doch selbst jetzt würde Rex noch warten. Marco hatte gesagt, dass man vor Mitternacht lieber nicht unterwegs sein sollte. Rex hatte nicht auf Marco gehört, und das war der Grund, warum Marco jetzt tot war. Das war eine wertvolle Lektion für Rex gewesen. Manche Dinge mussten im Dunkeln getan werden.
Marco hatte Rex auch gesagt, dass es irgendwo da draußen eine echte Familie und ein echtes Zuhause gab. Doch wie sollte Rex ohne Marco sein wahres Heim finden?
Er wollte nicht allein sein.
Seine Träume hatten gewissermaßen die Hand ausgestreckt und mit anderen Menschen Verbindung aufgenommen; sie hatten diese Menschen dazu gebracht, Dinge zu tun, die Rex sich wünschte. Rex fragte sich, ob er das auch schaffen konnte, wenn er wach war. Es war einen Versuch wert. Außerdem dauerte es noch lange bis Mitternacht, und er hatte nichts anderes zu tun.
Wie könnte das funktionieren? Sollte er … was? … seine Gedanken auswerfen? Vielleicht würde es genügen, wenn er sich sammelte, wenn er sich wirklich auf sein Bedürfnis konzentrierte, diese Menschen zu finden.
Rex schloss die Augen.
Er holte lange und tief Luft.
Findet mich, dachte er. Findet mich.