Geglückt

Heilerin Knits Fire und Cerulean traten gemeinsam durch die Tür. Die Heilerin reichte mir ein großes Glas Wasser. Es fühlte sich nicht so kalt an wie das erste - meine Finger waren jetzt eiskalt vor Angst. Die dunkelhäutige Frau hatte auch etwas für mich. Sie gab mir ein flaches Rechteck mit einem Griff.

»Ich dachte, Sie wollten vielleicht mal gucken«, sagte Knits Fire mit einem warmen Lächeln.

Meine Anspannung löste sich. Da war weder ein Verdacht noch Angst. Nur die Freundlichkeit von Seelen, die ihr Leben dem Heilen gewidmet hatten.

Cerulean hatte mir einen Spiegel gegeben.

Ich hob ihn hoch und versuchte mein Keuchen zu unterdrücken.

Mein Gesicht sah so aus, wie ich es aus San Diego in Erinnerung hatte. Das Gesicht, das ich dort für selbstverständlich gehalten hatte. Die Haut über meinem rechten Wangenknochen war glatt und pfirsichfarben. Bei genauerem Hinsehen schien sie nur ein kleines bisschen heller und rosafarbener als die gebräunte Haut auf der anderen Wange.

Es war ein Gesicht, das zu Wanderer, der Seele, gehörte. Es gehörte hierhin, an diesen zivilisierten Ort, wo es weder Gewalt noch Schrecken gab.

Mir wurde klar, warum es so leicht war, diese freundlichen Wesen anzulügen. Weil es sich gut anfühlte, mit ihnen zu reden, weil ich ihre Kommunikationsformen und ihre Regeln verstand. Die Lügen könnten … sollten vielleicht sogar wahr sein. Ich sollte eigentlich irgendwo meiner Berufung nachgehen, ob ich nun an der Universität unterrichtete oder Essen in einem Restaurant servierte. Ein friedliches, einfaches Leben, in dem ich meinen Beitrag zu einem größeren Ganzen leisten konnte.

»Wie finden Sie es?«, fragte die Heilerin.

»Ich sehe völlig geheilt aus. Danke.«

»Es war mir ein Vergnügen.«

Ich sah mich wieder an und bemerkte Einzelheiten hinter all der Perfektion. Mein Haar war struppig - schmutzig, mit ausgefransten Spitzen. Es war stumpf- dafür waren die selbstgemachte Seife und die schlechte Ernährung verantwortlich. Das Blut auf meinem Hals hatte die Heilerin zwar abgewischt, aber er war noch immer voller rötlichem Staub.

»Ich glaube, es wird Zeit, dass ich meine Campingtour abbreche. Ich brauche ein Bad«, murmelte ich.

»Gehen Sie oft campen?«

»In letzter Zeit sooft ich dazu komme. Die Wüste übt eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich aus.«

»Sie müssen ganz schön mutig sein. Ich finde die Stadt deutlich angenehmer.«

»Nicht mutig - nur anders.«

Im Spiegel sah ich meine vertrauten grünbraunen Augen. Dunkelgrau am äußeren Rand, ein moosgrüner Ring und dann noch ein karamellbrauner Ring um die Pupille. Dahinter ein schwacher Silberschimmer, der das Licht reflektierte, es verstärkte …

Jamie?, drängte Mel, die langsam nervös wurde. Ich fühlte mich hier zu wohl. Sie konnte den Reiz des anderen Wegs, der vor mir lag, spüren, und das machte ihr Angst.

Ich weiß, wer ich bin, erklärte ich ihr.

Ich blinzelte und wandte mich dann wieder den freundlichen Gesichtern neben mir zu.

»Danke schön«, sagte ich noch einmal zu der Heilerin. »Ich denke, ich gehe dann mal wieder.«

»Es ist sehr spät. Sie können auch hier schlafen, wenn Sie möchten.«

»Ich bin nicht müde. Ich fühle mich … wunderbar.«

Die Heilerin grinste. »Das ist das Schmerzlos

Cerulean begleitete mich zum Empfang. Sie legte mir die Hand auf die Schulter, als ich hinaustrat.

Mein Herz schlug schneller. Hatte sie bemerkt, dass mein vorher flacher Rucksack jetzt ausgebeult war?

»Geben Sie besser auf sich Acht, Liebes«, sagte sie und tätschelte meinen Arm.

»Das werde ich. Keine Nachtwanderungen mehr.«

Sie lächelte und ging zurück zu ihrem Schreibtisch.

Ich ging gemessenen Schrittes über den Parkplatz. Am liebsten wäre ich gerannt. Was, wenn die Heilerin in ihre Schränke sah? Wie schnell würde ihr klarwerden, warum sie halb leer waren?

Das Auto stand immer noch da, auf dem dunklen Platz im Schatten zwischen zwei Straßenlaternen. Es sah leer aus. Mein Atem ging schnell und unregelmäßig. Natürlich sollte es leer aussehen. Das war ja der Sinn der Sache. Aber meine Atmung verlangsamte sich erst, als ich den undeutlichen Umriss unter der Decke auf dem Rücksitz erspähte.

Ich öffnete die Tür und warf den Rucksack auf den Beifahrersitz - wo er mit einem beruhigenden Klappern landete - , bevor ich einstieg und die Tür hinter mir schloss. Es gab keinen Grund, die Türen zu verriegeln; ich unterdrückte den Drang, es trotzdem zu tun.

»Alles in Ordnung?«, flüsterte Jared, sobald die Tür zu war. Es war ein angespanntes, ängstliches Flüstern.

»Psst«, sagte ich und versuchte meine Lippen so still wie möglich zu halten. »Warte.«

Ich fuhr an dem hell erleuchteten Eingang vorbei und erwiderte Ceruleans Winken.

»Freunde gefunden?«

Wir waren auf der dunklen Straße. Niemand beobachtete mich mehr. Ich sackte auf dem Sitz zusammen. Meine Hände begannen zu zittern. Ich ließ es zu, jetzt, wo alles vorbei war. Jetzt, wo es geglückt war.

»Alle Seelen sind Freunde«, erklärte ich ihm in normaler Lautstärke.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, wollte er erneut wissen.

»Ich bin geheilt.«

»Lass mal sehen.«

Ich streckte meinen linken Arm an meinem Oberkörper vorbei, so dass er die winzige rosa Linie sehen konnte.

Er sog erstaunt die Luft ein.

Die Decke raschelte; er setzte sich auf und kletterte zwischen den Sitzen hindurch nach vorn. Er schob den Rucksack zur Seite und nahm ihn dann auf den Schoß, wobei er sein Gewicht abschätzte.

Er sah zu mir herüber, als wir unter einer Straßenlaterne durchfuhren, und keuchte.

»Dein Gesicht!«

»Das ist auch geheilt. Natürlich.«

Er hob eine Hand und ließ sie unsicher neben meiner Wange in der Luft schweben. »Tut es weh?«

»Natürlich nicht. Es fühlt sich so an, als wäre nie was gewesen.«

Seine Finger strichen über die neue Haut. Es prickelte, aber das kam von seiner Berührung. Dann wandte er sich wieder den praktischen Fragen zu.

»Haben sie Verdacht geschöpft? Glaubst du, sie werden die Sucher benachrichtigen?«

»Nein. Ich habe dir doch gesagt, dass sie nicht misstrauisch sind. Sie haben noch nicht einmal meine Augen untersucht. Ich war verletzt, also haben sie mich geheilt.« Ich zuckte mit den Schultern.

»Was hast du bekommen?«, fragte er und öffnete hastig den Rucksack.

»Das Richtige für Jamie … wenn wir es rechtzeitig zurück schaffen« Ich warf unwillkürlich einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett, obwohl sie nicht die richtige Zeit anzeigte. »Und noch mehr für die Zukunft. Ich habe nur Sachen mitgenommen, von denen ich wusste, was es ist.«

»Wir sind bestimmt rechtzeitig zurück«, versprach er. Er untersuchte die weißen Behälter. »Glättung?«

»Nicht unbedingt notwendig, aber ich weiß, wie es funktioniert, daher …«

Er nickte und wühlte in der Tasche herum. Er murmelte die Namen vor sich hin. »Schmerzlos? Funktioniert das?«

Ich lachte. »Es ist unglaublich. Wenn du dir das Messer in den Arm rammst, zeige ich es dir … Das war ein Witz.«

»Ich weiß.«

Er sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich nicht deuten konnte. Er hatte die Augen weit aufgerissen, als hätte ihn irgendetwas zutiefst überrascht.

»Was ist?« So schlecht war mein Witz nun auch nicht gewesen.

»Du hast es geschafft.« Seine Stimme klang verwundert.

»War das nicht der Plan?«

»Ja, schon, aber … ich glaube, ich habe eigentlich nicht damit gerechnet, dass wir damit durchkommen würden.«

»Nein? Und warum … warum hast du es mich dann versuchen lassen?«

Er antwortete mit sanfter Stimme, beinahe flüsternd. »Ich habe mir gedacht, es wäre besser, beim Versuch umzukommen, als ohne den Jungen weiterzuleben.«

Einen Moment lang war meine Kehle vor Rührung zugeschnürt. Mel war ebenfalls zu überwältigt, um etwas sagen zu können. In diesem einen Augenblick waren wir eine Familie. Wir alle.

Ich räusperte mich. Es brachte nichts, etwas zu fühlen, das zu nichts führen würde.

»Es war ganz leicht. Wahrscheinlich wäre jeder von euch damit durchgekommen, wenn ihr euch normal benehmen würdet. Sie hat sich allerdings meinen Nacken angesehen.« Ich berührte ihn nachdenklich. »Deine Narbe ist zu offensichtlich selbstgemacht, aber mit den Medikamenten, die ich mitgenommen habe, könnte Doc das in Ordnung bringen.«

»Ich bezweifle, dass irgendeiner von uns sich so normal benehmen könnte.«

Ich nickte. »Stimmt. Mir fällt es leicht. Ich weiß, was sie erwarten.« Ich lachte kurz vor mich hin. »Ich bin eine von ihnen. Wenn du mir vertrauen würdest, könnte ich dir wahrscheinlich alles besorgen, was du nur willst.« Ich lachte wieder. Es war nur die sich lösende Anspannung, die mich albern machte. Aber ich fand es lustig. War ihm klar, dass ich wirklich genau das für ihn tun würde? Alles, was er nur wollte?

»Ich vertraue dir«, flüsterte er. »Ich vertraue dir all unsere Leben an.«

Und er hatte mir wirklich jedes einzelne ihrer Menschenleben anvertraut. Seins und Jamies und das aller anderen.

»Danke«, flüsterte ich zurück.

»Du hast es geschafft«, wiederholte er staunend.

»Wir werden ihn retten.«

Jamie wird leben, freute sich Mel. Danke, Wanda.

Ich würde alles für sie tun, erklärte ich ihr und seufzte, weil so viel Wahrheit in diesem Satz steckte.

Nachdem wir die Planen wieder befestigt und den ausgetrockneten Wasserlauf erreicht hatten, übernahm Jared das Steuer. Die Strecke war ihm vertraut und er fuhr schneller, als es mir möglich gewesen wäre. Er ließ mich aussteigen, bevor er den Wagen in sein unglaublich enges Versteck unter dem Steinschlag fuhr. Ich rechnete jeden Moment damit, das Geräusch von an Stein entlangschabendem Metall zu hören, aber Jared schaffte es.

Und dann saßen wir wieder im Jeep und flogen durch die Nacht. Jared lachte triumphierend, als wir durch die offene Wüste rumpelten, und der Wind verwehte seine Stimme.

»Wo ist die Augenbinde?«, fragte ich.

»Warum?«

Ich sah ihn an.

»Wanda, wenn du uns ausliefern wolltest, hättest du heute die Gelegenheit dazu gehabt. Niemand kann mehr leugnen, dass du jetzt eine von uns bist.«

Ich dachte darüber nach. »Ich glaube, einige von ihnen können das schon. Sie würden sich sicherer fühlen.«

»Diese einigen müssen eben mal umdenken.«

Ich schüttelte den Kopf und stellte mir unseren Empfang vor. »Es wird nicht leicht sein, wieder hineinzukommen. Überleg nur mal, was sie in diesem Moment denken. Worauf sie warten …«

Er antwortete nicht. Seine Augen wurden schmal.

»Jared … wenn sie … wenn sie nicht zuhören … wenn sie nicht warten …« Ich begann schneller zu reden, verspürte einen plötzlichen Druck, versuchte ihm alle Informationen mitzuteilen, bevor es zu spät war. »Gib Jamie als Erstes das Schmerzlos - leg es ihm auf die Zunge. Dann das Innere Reinigung-Spray - er muss es einfach einatmen. Doc muss dir helfen, um …«

»He, he! Du wirst diejenige sein, die die Anweisungen gibt.«

»Ich will dir doch bloß sagen …«

»Nein, Wanda. So wird es nicht zu Ende gehen. Ich werde jeden erschießen, der dich anrührt.«

»Jared …«

»Keine Panik. Ich ziele auf die Beine und dann kannst du dieses Zeugs benutzen, um sie wieder in Ordnung zu bringen.«

»Wenn das ein Witz sein sollte, ist er nicht lustig.«

»Das ist kein Witz, Wanda.«

»Wo ist die Augenbinde?«

Er kniff die Lippen zusammen.

Aber ich hatte mein altes Hemd - Jebs zerlumpte Spende. Das würde denselben Zweck erfüllen.

»Dies wird es ein bisschen leichter für sie machen, uns hineinzulassen«, sagte ich, als ich es zu einer dicken Binde zusammenfaltete. »Was bedeutet, dass wir schneller zu Jamie kommen.« Ich verband mir damit die Augen.

Eine Weile lang war es ruhig. Der Jeep holperte durch das unebene Gelände. Ich erinnerte mich an Nächte wie diese, als Melanie die Beifahrerin gewesen war …

»Ich fahre direkt bis an die Höhlen heran. Dort gibt es einen Platz, wo der Jeep für ein, zwei Tage ganz gut versteckt ist. So sparen wir Zeit.«

Ich nickte. Zeit war jetzt das, worauf es ankam.

»Wir sind fast da«, sagte er eine Minute später. Er atmete aus. »Sie warten schon.«

Ich hörte ihn neben mir hantieren, hörte ein metallisches Klirren, als er das Gewehr vom Rücksitz nahm.

»Erschieß niemanden.«

»Das kann ich dir nicht versprechen.«

»Halt!«, rief jemand. Das Geräusch war in der leeren Wüstenluft weithin zu hören.

Der Jeep wurde langsamer und hielt.

»Wir sind’s nur«, sagte Jared. »Ja, los, guck nach. Siehst du? Ich bin immer noch ich selbst.«

Auf der anderen Seite war ein Zögern zu spüren.

»Hört zu - ich bringe den Jeep in sein Versteck, okay? Wir haben Medikamente für Jamie und wir haben es eilig. Es ist mir egal, was ihr denkt, ich werde nicht zulassen, dass sich mir heute Nacht jemand in den Weg stellt.«

Der Jeep fuhr wieder an. Das Geräusch veränderte sich und hallte, als er in das Versteck fuhr.

»Okay, Wanda, alles in Ordnung. Gehen wir.«

Ich hatte bereits den Rucksack aufgesetzt. Vorsichtig stieg ich aus dem Jeep, unsicher, wo die Wand war. Jared ergriff meine tastenden Hände.

»Hoch mit dir«, sagte er und warf mich wieder über seine Schulter.

Ich fühlte mich nicht so sicher wie zuvor. Er hielt mich nur mit einer Hand fest - in der anderen hatte er immer noch das Gewehr. Das gefiel mir nicht.

Aber ich war besorgt genug, um dankbar für die Waffe zu sein, als ich hörte, wie sich rennende Schritte näherten.

»Jared, du Idiot«, brüllte Kyle. »Was hast du dir dabei gedacht?«

»Beruhig dich, Kyle«, sagte Jeb.

»Ist sie verletzt?«, wollte Ian wissen.

»Geht mir aus dem Weg«, sagte Jared mit ruhiger Stimme. »Ich habe es eilig. Wanda geht’s gut, aber sie hat darauf bestanden, die Augen verbunden zu bekommen. Wie ist Jamies Zustand?«

»Heiß«, sagte Jeb.

»Wanda hat alles besorgt, was wir brauchen.« Er glitt jetzt schnell bergab.

»Ich kann sie tragen.« Ian natürlich.

»Sie ist bei mir gut aufgehoben.«

»Es geht mir wirklich gut«, erklärte ich Ian, wobei meine Stimme mit Jareds Bewegung hüpfte.

Es ging wieder bergauf, in gleichmäßigem Laufschritt trotz meines Gewichts. Ich hörte die anderen neben uns herrennen.

Ich nahm es erst wahr, als wir die Haupthöhle erreichten - das wütende Zischen von Stimmen schwoll um uns herum an und wurde zu lautem Geschrei.

»Aus dem Weg«, brüllte Jared über ihre Stimmen hinweg. »Ist Doc bei Jamie?«

Ich konnte die Antwort nicht hören. Jared hätte mich jetzt absetzen können, aber er hatte es zu eilig, um auch nur eine Sekunde anzuhalten.

Die wütenden Stimmen hallten hinter uns her und wurden leiser, als wir den schmaleren Tunnel betraten. Ich konnte jetzt spüren, wo wir waren, verfolgte in meinem Kopf die Biegungen, als wir über die Kreuzung in den dritten Gang des Schlaftrakts einbogen. Ich konnte beinahe die Türen zählen, als sie unsichtbar an mir vorbeizogen.

Jared blieb abrupt stehen, wodurch ich ihm von der Schulter rutschte. Meine Füße kamen auf dem Boden auf. Er riss mir die Augenbinde ab.

Unser Zimmer wurde von mehreren der gedämpften blauen Lämpchen beleuchtet. Doc stand stocksteif da, als wäre er gerade aufgesprungen. Neben ihm kniete Sharon, deren Hand noch ein feuchtes Tuch an Jamies Stirn drückte. Ihr Gesicht war wutverzerrt. Maggie kam an Jamies anderer Seite auf die Beine.

Jamie lag immer noch schlaff und rot mit geschlossenen Augen da, seine Brust hob und senkte sich kaum.

»Du!«, fauchte Sharon und sprang aus der Hocke auf. Wie eine Katze stürzte sie sich auf Jared und streckte die Fingernägel nach seinem Gesicht aus.

Jared ergriff ihre Hände und wirbelte sie herum, von ihm weg, wobei er ihr die Arme auf den Rücken drehte.

Maggie sah aus, als wollte sie ihrer Tochter zu Hilfe kommen, aber Jeb umrundete Jared und die um sich schlagende Sharon und stellte sich direkt vor sie.

»Lass sie los!«, rief Doc.

Jared ignorierte ihn. »Wanda - heil ihn!«

Doc stellte sich zwischen Jamie und mich.

»Doc«, keuchte ich. Die Gewalt, die hier im Raum herrschte und Jamies unbewegliche Silhouette umgab, machte mir Angst. »Ich brauche deine Hilfe. Bitte. Für Jamie.«

Doc rührte sich nicht, sein Blick auf Sharon und Jared gerichtet.

»Komm schon, Doc«, sagte Ian. Das kleine Zimmer war überfüllt, klaustrophobisch, als Ian sich neben mich stellte und mir die Hand auf die Schulter legte. »Willst du den Jungen aus purem Stolz sterben lassen?«

»Es geht nicht um Stolz. Wir wissen nicht, was diese fremden Substanzen mit ihm machen!«

»Viel schlimmer kann es nicht werden.«

»Doc«, sagte ich. »Sieh dir mein Gesicht an.«

Doc war nicht der Einzige, der meiner Aufforderung nachkam. Jeb, Ian und sogar Maggie sahen mich an und blinzelten dann ungläubig. Maggie sah schnell weg, wütend, dass sie überhaupt Interesse gezeigt hatte.

»Wie hast du das gemacht?«, wollte Doc wissen.

»Ich zeig es dir. Bitte. Jamie muss nicht leiden.«

Doc zögerte, starrte mein Gesicht an und stieß dann einen tiefen Seufzer aus. »Ian hat Recht - es kann eigentlich nicht mehr viel schlimmer werden. Wenn ihn das hier umbringt …« Er zog die Schultern hoch und ließ sie dann herabfallen. Anschließend trat er einen Schritt zurück.

»Nein«, schrie Sharon.

Niemand beachtete sie.

Ich kniete mich neben Jamie, zerrte den Rucksack von meinen Schultern und öffnete ihn. Ich wühlte darin herum, bis ich das Schmerzlos fand. Ein helles Licht ging neben mir an und beleuchtete Jamies Gesicht.

»Wasser, bitte, Ian.«

Ich schraubte das Röhrchen auf und nahm eins der kleinen Seidenpapierquadrate heraus. Als ich Jamies Kinn nach unten zog, brannte seine Haut in meiner Hand. Ich legte ihm das Quadrat auf die Zunge und streckte dann die Hand aus, ohne aufzusehen. Ian gab mir die Schale mit Wasser.

Vorsichtig tröpfelte ich Jamie genug Wasser in den Mund, um das Medikament hinunterzuspülen. Sein Schlucken klang trocken und schmerzhaft.

Hektisch suchte ich nach der schmaleren Sprühflasche. Als ich sie fand, machte ich mit einer schnellen Bewegung den Deckel ab und versprühte eine Wolke über ihm. Ich wartete und beobachtete seine Brust, bis er eingeatmet hatte.

Ich berührte sein Gesicht. Es war so furchtbar heiß! Ich kramte nach Kühlung und betete, dass es einfach anzuwenden war. Als ich den Deckel aufgeschraubt hatte, stellte ich fest, dass das Röhrchen ebenfalls voll mit kleinen Seidenpapierquadraten war - hellblau diesmal. Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus und legte eins davon auf Jamies Zunge. Dann nahm ich wieder die Schale und tröpfelte einen Mundvoll Wasser zwischen seine trockenen Lippen.

Diesmal schluckte er schneller, weniger angestrengt.

Eine andere Hand berührte Jamies Gesicht. Ich erkannte Docs lange, knochige Finger.

»Doc, hast du ein scharfes Messer?«

»Ich habe ein Skalpell. Soll ich die Wunde öffnen?«

»Ja, dann kann ich sie reinigen.«

»Ich habe auch schon daran gedacht, das zu versuchen … sie zu drainieren, aber die Schmerzen …«

»Er wird jetzt nichts merken.«

»Seht euch sein Gesicht an«, flüsterte Ian, der sich zu uns herunterbeugte.

Jamies Gesicht war nicht mehr rot. Es hatte wieder seine natürliche, gesunde Farbe angenommen. Über seinen Augenbrauen glänzte immer noch Schweiß, aber ich wusste, dass das nur der Rest von vorher war. Doc und ich berührten gleichzeitig seine Stirn.

Es funktioniert. Jubel überwältigte Mel und mich.

»Bemerkenswert«, schnaufte Doc.

»Das Fieber ist gesunken, aber die Infektion steckt vielleicht immer noch in seinem Bein. Hilf mir mit der Wunde, Doc.«

»Sharon, könntest du mir …«, begann er geistesabwesend. Dann sah er auf. »Oh. Äh, Kyle, würdest du mir bitte die Flasche geben, die neben deinem Fuß steht?«

Ich rutschte weiter nach unten, bis ich auf Höhe des roten, geschwollenen Schnitts saß. Ian richtete den Lichtstrahl auf die Wunde, so dass ich sie deutlich erkennen konnte. Doc und ich wühlten beide gleichzeitig in unseren Taschen. Er holte das silberne Skalpell heraus - ein Anblick, der mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte; ich ignorierte ihn und öffnete das größere Reinigungsspray.

»Und er wird nichts merken?«, fragte Doc zögernd nach.

»Hey«, krächzte Jamie. Seine Augen waren weit geöffnet und sein Blick schweifte durch den Raum, bis er mein Gesicht entdeckte. »Hey, Wanda. Was ist los? Was wollen die alle hier?«