31. KAPITEL
Wyatt und ich meiden einander zwei Tage lang, die
ich hauptsächlich damit zubringe, auf dem Sofa zu liegen, Tammy
Wynette zuzuhören - die Frau verstand was von Herzeleid - und mir
über meine Gefühle für Wyatt klar zu werden. Ich komme zu dem
Schluss, dass ich ihn nicht
gänzlich unattraktiv finde - was meinen leichten Hang zu
Eifersucht auf Heidi erklärt -, dies aber an den Umständen liegt,
die uns buchstäblich unter ein Dach gezwungen haben. Die Lösung
lautet, unsere Beziehung wieder auf einer rein professionellen
Ebene zu belassen. Keine Gespräche bei Eistee auf der Veranda mehr,
kein Sonntagsbrunch und keine Fantasien darüber, Mrs. Wyatt zu
werden.
(Ja, eine oder zwei in der Art hat es gegeben,
aber ich habe mich gescheut, sie zu Papier zu bringen. Wyatt macht
mir einen Antrag, nachdem ich den Cupcake-Wettbewerb gewonnen habe,
wir feiern eine internationale Barnsley-London-Hochzeit, bekommen
zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, und Wyatts nächstes
Album - You’re perfect - ist mir
gewidmet.)
Am Sonntagmorgen um elf klopft es an der
Tür.
Es ist Wyatt. Er wirkt nervös. »Darf ich
hereinkommen?«
»Es ist schließlich Ihr Cottage«, sage ich lässig
und halte ihm die Tür auf.
»Danke.«
Er tritt ein und nimmt den Hut ab. »Hören Sie. Ich
wollte mich wegen neulich entschuldigen. Ich habe mich idiotisch
benommen.«
Ich schweige, aber nicht, um mich geistig zu
sammeln. Meine Antwort für den Fall, dass Wyatt zur Vernunft kommt
und sich entschuldigt, habe ich schon stundenlang eingeübt.
Wyatt sieht zu Boden und dann aus dem Fenster.
»Alice, ich hatte einfach einen schlechten Tag. Ich habe es in den
falschen Hals bekommen, dass … Egal, ich habe überreagiert.«
Endlich schaut er mich an. »Ich finde, Sie machen da etwas ganz
Tolles für Casey.« Er hält inne. »Es tut mir wirklich leid.«
Ich hebe das Kinn ein wenig. »Ich nehme Ihre
Entschuldigung an und werde unsere Beziehung gern auf einer rein
professionellen Ebene fortführen.«
Das scheint ihn etwas zu überraschen. »Oh.« Er
tritt von einem Fuß auf den anderen und wirkt ehrlich zerknirscht.
Ein Fünkchen Mitleid regt sich in mir.
Nichts da, keine Gnade. »Wyatt, ich bin keine
Frau, die mit sich spielen lässt. In Zukunft muss ich auf festen
Grundregeln bestehen«, rezitiere ich.
»Sie meinen, keine Pfannkuchen?«
»Pfannkuchen sind eventuell eine Möglichkeit«,
räume ich ein. »Gelegentlich.«
»Heute?«
Ich muss meine Grenzen wahren. »Ich denke, das
wäre ein wenig überstürzt.«
»Wie wär’s mit einem Picknick?«
»Ein Picknick!«, platze ich heraus. Ich liebe
Picknicks - fast so sehr wie draußen im Garten im Zelt übernachten.
Das fand ich als Kind immer so toll (obwohl Teresa mir einmal eine
Nacktschnecke in meinen Schlafsack gesteckt hat).
Wyatt wittert eine Chance. »Wir könnten einen
Picknickkorb mit in den Wald nehmen.«
»Und was wäre da drin?«
»Sandwichs, Kartoffelsalat und Apfel-Zimt-Muffins.
Die hat Heidi vorhin vorbeigebracht.«
Ich knicke ein, was unter diesen Umständen wohl
verzeihlich ist. »Das kann ich mir denken.«
»Ich packe es schnell zusammen.«
Wyatt verschwindet Richtung Haus, ich schnappe mir
meinen Rucksack und werfe wild durcheinander Sonnencreme,
Sunblocker, Mückenspray, Sonnenbrille, Notizbuch, Stift und feuchte
Desinfektionstücher hinein.
Zehn Minuten später sind wir abmarschbereit. Wyatt
steht im Hof neben Nelson. Nelson ist Wyatts neues Pferd, der »alte
Knabe«, dem Wyatt zum Gnadenbrot verholfen hat. Nelson ist wirklich
sehr alt und sehr bedächtig und ganz versessen auf Gras. Wieso ist
er gesattelt?
»Ach übrigens«, sagt Wyatt. »Sie reiten.« Er wirft
mir einen Cowboyhut zu. »Den werden Sie dazu brauchen.«
»Ich reite nicht, und das Ding da setze ich auch
nicht auf«, sage ich nach einem Blick auf den verbeulten Hut.
»Sonst kriegen Sie einen Sonnenstich.«
Ich setze den Hut auf. »Kein Reiten«, sage ich
beharrlich. Und dann fällt mir unsere Abmachung wieder ein. Wyatt
hat versprochen, einen Song zu schreiben, wenn ich reite. Ich
schaue zu Nelson empor, der ungefähr sieben Meter hoch sein muss.
Unmöglich.
Dann denke ich an Phoebe. Sie hält den neuen Song
in der Hand. »Alice, das ist ein Meisterwerk. Ich wusste doch, dass
Sie das zuwege bringen können! Und da ich weder Kinder noch
Aussichten habe, mich je zu verheiraten, möchte ich Sie zu meiner
Nachfolgerin bei Carmichael Music machen. Ich plane, mich im
kommenden Jahr aus den Geschäften zurückzuziehen und Sie zur
Präsidentin unseres Unternehmens zu ernennen.«
Ich gehe einen Schritt auf Nelson zu. Er wiehert,
und ich mache einen Riesensatz zurück, verschränke die Arme und
schüttle den Kopf.
»Okay.« Wyatt hebt resignierend die Hände. »Sie
müssen nicht auf ihn drauf. Aber Nelson ist sehr empfindlich. Es
wird ihn kränken.«
»Wirklich?«
»Definitiv. Gehen Sie einfach zu ihm hin, und
sagen Sie ihm, dass Sie ihn mögen.«
»Was?«
»Wir wollen doch nicht, dass er Depressionen
bekommt. Dann hört er am Ende auf zu fressen. Und fängt nie wieder
damit an.«
Ich gehe zu Nelson und tue wie von Wyatt befohlen.
»Es tut mir leid, dass ich nicht auf dir reiten werde«, sage ich.
»Es ist nichts Persönliches. Es liegt an mir, nicht an dir.«
»Greifen Sie ihn sich vorn am Sattel und gehen Sie
ganz nah zu ihm hin. Seien Sie freundlich zu ihm«, kommandiert
Wyatt.
Ich gehorche. Ehe ich’s mich versehe, hat er mich
beim Knie gepackt, schiebt meinen Allerwertesten himmelwärts und
hievt mich aufs Pferd.
Nelson tänzelt unruhig herum und schnaubt. Ich
klammere mich an seinen Hals. »Holen Sie mich hier runter!«, quieke
ich.
»Tut mir leid, geht nicht«, sagt Wyatt
grinsend.
»Gleich geht er durch!«, kreische ich.
»Er ist angebunden.«
»Er könnte sich losbinden, mit den Zähnen«, jaule
ich.
Wyatt schenkt mir keine Beachtung. Er löst die
Zügel und geht vor mir her. Großer Gott, ist das hoch hier oben,
und fürchterlich wackelig.
»Versuchen Sie, sich gerade hinzusetzen«, sagt er
nach fünf Minuten. »Dann ist es bequemer.«
Nach etwa einer halben Meile habe ich mich
halbwegs in Sitzposition eingerichtet und halte mit beiden Händen
den Sattelknauf umklammert. Irgendwann legt Wyatt einen Zahn zu,
aber als ich ihm panisch zubrülle, dass er langsamer gehen soll,
verfällt er wieder in gemütliches Schlendern. Wenn ich nicht so
nervös wäre, fände ich es wahrscheinlich einigermaßen seltsam, wie
die Herrscherin
einer versunkenen Welt mit ihrem Leibsklaven durch die Gegend zu
ziehen, aber im Augenblick habe ich wirklich andere Sorgen.
Wyatt pfeift vergnügt vor sich hin. Wenn er sich
gelegentlich prüfend zu mir umsieht, wirkt er völlig glücklich und
zufrieden - sehr merkwürdig, nachdem er zu Pferd doch normalerweise
nur im gestreckten Galopp unterwegs ist.
Es ist kühl und still hier unter den großen
Eichen, Ulmen und Ahornbäumen; nur Vogelgezwitscher und knackende
Äste unter unseren Tritten sind zu hören. Mir ist nicht nach
Unterhaltung zumute, weil ich alle Konzentration brauche, um oben
zu bleiben. Schließlich erreichen wir eine schattige Lichtung an
einem Fluss.
»So«, sagt Wyatt, »runter mit Ihnen. Einfach die
Füße aus den Steigbügeln nehmen und das Bein
drüberschwingen.«
Ich rutsche herunter, und Wyatt fängt mich auf.
Von Glücksgefühlen überwältigt, schlinge ich die Arme um seinen
Hals. Erst fliegen. Und jetzt auf einem Pferd reiten - wenn das so
weitergeht, gehe ich bald auch noch schwimmen.
»Na also«, sagt Wyatt.
Während Nelson gierig Flusswasser in sich
hineinschlürft, packt Wyatt den Picknickkorb aus. Genießerisch
beiße ich von einem köstlichen Apfel-Zimt-Muffin ab. Mein Gott,
sind die gut. Eine Schande, dass Heidi nicht sehen kann, wie ich
hier schlemme.
Wyatt streckt sich im Gras aus und weist mit der
Hand auf die Szenerie. »Ich wette, so was gibt’s in ganz London
nicht«, sagt er.
»Nein«, sage ich. »Bloß ein paar tausend Jahre
Geschichte und die schönsten Museen der Welt.«
Er verdreht die Augen. »Und, wo wären Sie jetzt
lieber?«
»Noch ein Brötchen?«, gebe ich zur Antwort.
»Ha. Ich wusste doch, dass Sie sich bekehren
lassen würden.«
»Zu was bekehren?«
»Zu Barnsley. Mir war von Anfang an klar, dass Sie
hierherpassen.«
Ich bin perplex. Hat Wyatt das wirklich bemerkt?
»Das überrascht mich«, sage ich. »Ich dachte, es hätte Sie voll und
ganz in Anspruch genommen, Ihre multiple Persönlichkeit namens Dork
aufrechtzuerhalten.«
Er grinst mich an. »Als Sie sich im Flur Ihren
Koffer gegriffen haben, so richtig schön hochnäsig, da wusste ich,
dass Sie Mumm haben.« Er knabbert an einem Sandwich herum. »Und
siehe, ich hatte recht.«
»Noch irgendwas, womit Sie recht hatten und wovon
Sie mir gern erzählen möchten?«
»Klar, aber dazu reicht die Zeit nicht. Sagen wir
einfach, dass Sie sich ziemlich gut eingefunden haben.«
Nur gut, dass ich mich zu geschäftsmäßigem Gebaren
verpflichtet habe, denn sonst ließe sich diese Szene leicht als
romantisches Rendezvous missdeuten. Wir liegen Seite an Seite auf
der Decke und blicken durch die Bäume zum Himmel empor. Wenn ich
mir Wyatt so anschaue, kann ich kaum glauben, dass das derselbe
Mann sein soll, der den Farmern von Barnsley sein Land nicht
verpachten will. Vielleicht haben sie ja jede Menge Land und
brauchen es eigentlich gar nicht. Ja, so ist es.
»Nun erzählen Sie mir mal was über das Konzert«,
sagt Wyatt. »Gerry hat Ihnen also dabei geholfen.«
»Unsere Beziehung ist rein freundschaftlich«,
versichere ich ihm - auch wenn Gerry gern hätte, dass sie mehr
wäre.
»Gut«, sagt Wyatt und guckt in der Tat sehr
fröhlich. Dann erzählt er mir, wie er zum ersten Mal in einer Bar
in Nashville gesungen hat, und ich erzähle ihm, wie ich zum ersten
Mal in der Stadtverwaltung von Kingston eine neue Tonerkartusche in
den Fotokopierer eingesetzt habe. Mit der Zeit entwickelte ich ein
solches Geschick, Papierstaus zu beseitigen, dass es bald zu meinem
Tätigkeitsbereich gehörte, sämtliche Wartungstermine zu
vereinbaren.
Rund zwei Stunden liegen wir so da und schwatzen
über unsere jeweiligen Karrieren. Nach unserer Rückkehr führt Wyatt
Nelson in den Stall, gibt ihm Wasser zu trinken und reibt ihn
trocken, während ich den Sattel zurück in die Sattelkammer
bringe.
Wyatt kommt herein. »Den putze ich später.«
»Ich mach’s lieber jetzt gleich.«
»Ach, Herrgott noch mal«, sagt Wyatt und zieht
mich weg. Hand in Hand gehen wir ins Haus. Im Wohnzimmer fällt
spätnachmittägliches Sonnenlicht durch die Fenster, eine leichte
Brise lüftet die Ecken der Sonntagszeitungen auf dem Tisch, und es
duftet nach wildem Gras. Wyatt zieht mich neben sich aufs
Sofa.
»Ich mag Sie wirklich sehr, Alice. Seit Sie hier
sind, kommt mir hier alles verändert vor.«
Das kann man beim besten Willen nicht mehr als
geschäftsmäßige Unterredung bezeichnen.
Ich habe einen trockenen Mund, und meine Hände
zittern unmerklich. Zeit, aufzustehen und zu gehen. Ich schaue
Wyatt in die Augen und weiß, dass ich genau das nicht tun werde;
dass ich mich zu Wyatt mehr als nur ein bisschen hingezogen fühle
und aufhören muss, mir etwas vorzulügen. Einen endlosen Augenblick
lang sitzen wir so da und sehen uns an, als hätten wir uns nie
zuvor gesehen. Wyatt streicht
mit den Fingern über meine Hand, und schlagartig ist alles
ausgelöscht, was sich in diesem Raum und jenseits davon befindet,
alles außer Wyatt und der Farbe seiner Augen und seiner warmen,
rauen Hand auf meiner. Wir bewegen uns aufeinander zu.
Ich denke an gar nichts, folge nur diesem
unwiderstehlichen Sog. Rieche seinen Atem, als er mir näher kommt,
und fühle seine Lippen sacht über meine Wangen streifen. Er zieht
mich an sich. Gleich werden wir uns küssen, und dann wird nichts
mehr so sein wie vorher. Unsere Lippen treffen sich, ich spüre
seinen weichen Mund und öffne mich.
Da klingelt es an der Tür.
Wyatt hält inne. »Vielleicht zieht sie ja wieder
ab«, sagt er ruhig.
Ich schaue auf meine Armbanduhr. Halb fünf. Mein
Herz wird steinschwer. Das ist die Zeit, um die Heidi immer
aufkreuzt. Nie im Leben zieht sie wieder ab.
Und richtig, es klingelt wieder, meinem Gefühl
nach lauter und ungeduldiger. Ich sehe ihren rosa lackierten
Fingernagel beharrlich auf den Klingelknopf drücken und den harten
Zug um ihren perfekt glänzenden Mund. Mit einem Anflug von
Erleichterung vermerke ich, dass sie zumindest vor der Haustür
steht - normalerweise kommt sie stracks hinten zur Küche
herein.
Wyatt sitzt immer noch regungslos neben mir. Es
klingelt zum dritten Mal. Seufzend und ohne ein Wort steht er
auf.
Ich sehe ihm nach und bin nur froh, dass Heidi
mich von der Türschwelle aus nicht sehen kann. Hastig setze ich
mich gerade hin und streiche meine Jeans glatt.
Die Stimme, die vom Eingang zu mir dringt, ist mir
natürlich
vertraut, aber ich brauche trotzdem ein Weilchen, um sie
zuzuordnen - offenbar habe ich Schwierigkeiten, den Ereignissen
geistig zu folgen. Insofern ist es doch ein Schock für mich, als
Wyatt kurz darauf zurückkehrt.
»Alice, Sie haben Besuch«, sagt er, unüberhörbar
verdutzt.
»Hallo, Alice.« Stephen kommt herein und lässt
seinen Billigrucksack zu Boden fallen.
Mir verschlägt es die Sprache. Ich gebe mir alle
Mühe, aber es kommt kein Wort heraus.
Stephen schenkt mir einen schmachtenden Blick, den
ich nie zuvor bei ihm gesehen habe. »Alice, ich musste einfach
herkommen.«
Er dreht sich zu Wyatt um. »Ich musste einfach
herkommen«, wiederholt er eindringlich.
Dann stürzt er auf mich los. »Alice, ich habe
einen schrecklichen Fehler begangen. Das ist mir jetzt klar. Und du
wärst vollkommen im Recht, wenn du mir die Tür weist.« Er hält
inne, offensichtlich, um seine Aussage zu überdenken. »Das zuletzt
Aufgeführte sollte ich wohl noch näher erläutern. Ich spreche
natürlich von deinem moralischen und nicht
von deinem gesetzlichen Recht. Als Eigentümer des Anwesens hat Mr.
Brown das gesetzliche Recht.«
Wyatt und ich tauschen einen Blick und sind
eindeutig gleichermaßen platt, dass Stephen hier so unangekündigt
hereinplatzt und uns aus dem Stegreif mit einem juristischen
Vortrag unterhält.
Stephen hüstelt. »Die Sache ist die, Alice: Ich
möchte, dass du mich wieder zurücknimmst. Ich möchte mit dir ein
geregeltes Leben führen, Kinder eingeschlossen. Ja, du hast ganz
richtig gehört. Kinder, eins oder womöglich sogar zwei.«
Ich höre, was Stephen sagt, aber es kommt nicht
an. Ich schaue zwischen Stephen - in seinem locker-lässigen
Sommeroutfit von Primark, leichte, knitterfreie Hose und
kurzärmliges, graubraunes Hemd - und Wyatt, der wie angenagelt in
der Tür steht, hin und her. Stephen kommt mir vor wie ein Besucher
aus einer anderen Welt, wie ein Schauspieler, der sich ins falsche
Stück verirrt hat. Ich kann mir ums Verrecken nicht denken, was er
hier will.
»Dann lasse ich euch mal allein«, sagt Wyatt und
deutet zur Haustür.
»Nein! Warten Sie!«, ruft Stephen eindringlich,
was Wyatt offenbar nicht wenig verblüfft. »Es wäre mir eine Ehre,
wenn Sie als Zeuge anwesend blieben.« Er wendet sich wieder mir zu.
»Alice, du fragst dich sicher, was ich hier eigentlich will.« In
dem Augenblick überkommt mich eine fürchterliche Ahnung.
»Ich glaube, mitunter sprechen Taten mehr als
Worte«, fährt Stephen fort und lässt sich auf ein Knie nieder. Er
zieht ein rotes Samtkästchen aus der Tasche. O verdammt!
»Und nun zu den Worten. Alice Fisher, willst du
mich heiraten?« Mit schwungvoller Geste öffnet er das Kästchen und
gerät auf seinem einen Knie dabei leicht ins Schwanken. »Er ist aus
Gold, mit einem echten Diamanten«, sagt er stolz, als wäre das
etwas Besonderes. »Hier«, er überreicht ihn mir. »Klein, aber
fein«, gluckst er.
Ich betrachte den Ring mit zusammengekniffenen
Augen. Wyatt räuspert sich. »Meine Gratulation«, sagt er, durchaus
herzlich. »Ich bin in der Scheune.« Er klingt absolut
aufrichtig.
Dann dreht er sich um und geht, lässt die Tür
krachend ins Schloss fallen und mich allein mit Stephen und meinem
Verlobungsring zurück.
»Und«, sagt Stephen eifrig und drückt mir einen
feuchten Kuss auf die Wange, »was sagst du?«
Ich kann nicht anders. Da habe ich nun endlich
meinen Ring - aber vom falschen Mann. Ich breche in Tränen aus,
woraufhin Stephen zu mir aufs Sofa hüpft und mich in die Arme
nimmt. »Ist ja schon gut, Liebling. Stephen ist da. Jetzt wird
alles gut.«
Wenn ich sprechen könnte, würde ich ihm sagen,
dass alles gut war, bis er gekommen ist, mir den romantischsten
Augenblick meines ganzen Lebens verdorben und angefangen hat, von
sich in der dritten Person zu reden, was sich immer supergruselig
anhört. Offensichtlich wird Wyatt als der Gentleman, der er ist,
den Platz räumen und mich den Stiftärmchen von Stephen überlassen.
Wie auf ein Stichwort streicht mir Stephen mit feuchtkalter Hand
über die Wange. »Schon gut, schon gut, Alice. Das hier war bestimmt
ein Alptraum für dich. Aber vertrau mir, ab jetzt wird alles
anders!«