27. KAPITEL
Zwei Wochen später fahre ich zum Treff der
Barnsleyer Vollzeitmütter, um meinen allmonatlichen
Babyflüsterer-Vortrag zu halten. Der Himmel ist wolkenlos, auf den
Feldern sprießen buschige Sojapflanzen und Zuckermaisstauden. Die
üppigen Rasenflächen rund um die Bungalows am Ortsrand von Barnsley
sind saftig grün und frei von Unkraut. Während ich mit meinem Ford
Focus, für den ich bei Avis nunmehr einen langfristigen Mietvertrag
abgeschlossen habe, so dahinfahre, winke ich Fremden zu, die auf
Rasenmähertraktoren ihre Bahnen ziehen und zurückwinken. Das macht
hier jeder. Manche Senioren sitzen den
ganzen Tag draußen auf der Veranda und grüßen die vorbeifahrenden
Wagen mit erhobener Hand.
Nach bisher drei Vorträgen vor der Barnsleyer
Gruppe der Vollzeitmütter habe ich allmählich mehr Zutrauen sowohl
zu meinen Fähigkeiten als öffentliche Rednerin wie als Expertin für
Kinderpflege. Geschrieben werden meine Vorträge von Carolyn. Heute
befassen wir uns mit Ernährung, ein Thema, das ich bisher ängstlich
vermieden habe, aber Carolyn hat darauf bestanden.
Rachel wohnt in einem Neubaugebiet in einer
Sackgasse, an der insgesamt sechs Häuser stehen. Ich parke und
finde es bedauerlich, dass ich nicht wie Supernanny ein schwarzes
Londoner Taxi fahre. Die Häuser ähneln Neubauten in Großbritannien
- Ziegelgebäude mit Ziergiebeln und Pseudo-Bleiglasfenstern. Aber
anders als in Großbritannien kann man hier nicht mit ausgestreckten
Armen zwei Häuser gleichzeitig berühren. Alle Anwesen in dieser
Sackgasse namens Glenn Close verfügen über Riesengärten,
Doppelgaragen und Küchen von etwa der Grundfläche unserer Wohnung
in Southfields. Hier ist übrigens alles nach John Glenn benannt,
dem berühmten Astronauten, der als erster Amerikaner die Erde
umrundet hat. Ich sehe schon einige Wagen auf Rachels Zufahrt
stehen, als ich zur Haustür gehe und auf den Klingelknopf
drücke.
Rachel ist dieses Jahr die Vorsitzende der Gruppe,
und deshalb konnte ich bisher nicht klarstellen, dass ich nicht die
Babyflüsterin von Southfields bin. Damit würde Rachel vor der
Gruppe das Gesicht verlieren. Rachel fällt mir zur Begrüßung um den
Hals und führt mich in die Küche. »Vorstellen muss ich dich ja
nicht mehr, Alice.«
»Hallo, Alice«, sagen Brandy, Candy und Tammy im
Chor. Manchmal werfe ich sie ein bisschen durcheinander, und ich
weiß immer noch nicht ganz genau, welches Kind zu welcher Mutter
gehört. Aber ich weiß, was mich erwartet. Alle haben etwas zu essen
mitgebracht, und alle sagen im Vorhinein, dass sie keinen Bissen
anrühren werden. Brandy wickelt gerade einen Erdbeerkuchen aus.
»Mit zuckerfreier Gelatine«, erklärt sie; Brandy hat mir früher
einmal anvertraut, dass sie erwägt, sich chirurgisch den Magen
verkleinern zu lassen. Wenn sie Engländerin wäre, würde Brandy sich
als fett bezeichnen, aber hierzulande ist niemand fett, sondern
bloß »kräftig gebaut«.
Mittlerweile kenne ich sämtliche Mitglieder. Es
sind ungefähr zehn Vollzeitmütter, alle in beigefarbenen Shorts,
T-Shirts und praktischen Sandalen. Die Babys sind sehr viel
modischer: Die Jungen tragen kleine blaue Shorts und weiße
Polohemden, die Mädchen rosa Rüschenkleidchen mit passenden
Schleifen auf dem Kopf.
»Alice!«, ertönt eine wohlvertraute Stimme. Sie
gehört Dolores, die gerade mit ihrer Enkelin Stacey hereinkommt.
Stacey ist Madisons ältere Schwester. Sie hat vor sechs Monaten,
mitten in ihrem letzten Jahr an der Highschool, ein Baby bekommen.
Der Vater war der Kapitän des Footballteams der Barnsleyer
Highschool, und Dolores hat nicht allzu viel Positives über ihn zu
sagen. Baby Tiffany sticht mit ihrem Jeansanzug im Used-Look und
den Diamant-Ohrsteckern unter den anderen Babys heraus. Manche aus
der Müttergruppe begegnen Stacey ein bisschen kühl, aber ich mag
sie.
Wir sehen uns relativ häufig, weil sie oft bei
Madisons Gesangsstunden dabei ist und Baby Tiffany zu »Hit Me Baby
One More Time« auf den Knien hopsen lässt. (Ich nehme Madison auf
Kassette auf, und Wyatt sagt mir, worauf ich
achten soll.) Mittlerweile bin ich Madisons offizielle
Gesangslehrerin und besuche sie zwei Mal pro Woche im Trailerpark
von Barnsley. Madisons und Staceys Vater kenne ich bis heute nicht.
Offenbar arbeitet er dauerhaft irgendwo auswärts.
Als Letzte kommt Sara, die sich gern als Barnsleys
Vorzeigeintellektuelle betrachtet, weil sie Baby Hillary in einer
Wippe aus Guatemala transportiert und einen Honda Hybrid
fährt.
Sara begrüßt mich ein wenig reserviert. »Guten
Morgen, Alice«, sagt sie mit einem knappen Nicken, als sie ihre
Spinattarte auspackt. Sie hat kurz geschorenes Haar und trägt eine
Schlabberhose mit Batikmuster. Bei meinem zweiten Vortrag, über
Schlafprobleme, hat Sara an meinem höchst vernünftigen Vorschlag,
feste Schlafenszeiten einzuführen, Anstoß genommen. »Ich finde, man
fügt einer Kinderseele schweren Schaden zu, wenn man Babys eine
letztlich völlig willkürlich gewählte Schlafenszeit aufzwingt«, hat
sie mit gequälter Miene eingewandt. Zum Glück blickten daraufhin
alle genervt zur Decke, und Brandy lenkte das Gespräch auf die
South Beach-Diät.
Ich beschließe, über dem Ganzen zu stehen. »Wie
geht es dir, Sara?«, erkundige ich mich herzlich.
Zu meiner Überraschung wirft mir Sara einen
geheimnistuerischen Blick zu. »Hast du irgendwelche Erfahrungen mit
Kindertagesstätten, Alice?«, raunt sie.
Nein, weil ich keine Kinder habe und nicht die
Babyflüsterin von Southfields bin. Aber in so was bin ich
mittlerweile ein alter Hase. »Worum geht es denn genau, Sara?«,
fragte ich ernst, mit einfühlsam geneigtem Kopf.
»Ich überlege, wieder zu arbeiten«, sagt sie fast
unhörbar. Sie hält Baby Hillarys Beißschlüssel aus Plastik in die
Höhe
und fährt betrübt fort: »Ich bin Grafikdesignerin und hatte immer
mein eigenes Geld.«
»Ich verrate kein Sterbenswörtchen.«
»Alle hinsetzen«, ruft Rachel. Das kann eine Weile
dauern. Sobald alle sitzen, müssen sie gleich wieder aufstehen, um
ihr heulendes Kind zu beruhigen oder es davon abzuhalten, ein
anderes Kind zu schlagen oder sich einen Buntstift in die Nase zu
stecken.
Ich gehe mit gutem Beispiel voran und begebe mich
ins Wohnzimmer, wo Rachel die Möbel an den Rand geschoben hat,
damit wir alle im Kreis sitzen können.
Rachels Haus hat einen offenen Wohn- und
Essbereich, aber das ist auch schon das einzige moderne
Stilelement. Die Gardinen haben schwere cremefarbene
Spitzenbesätze, auf den Sofas liegen Überwürfe in Schottenmuster,
und jede freie Fläche ist mit Ziergegenständen bestückt,
einschließlich eines Sortiments Bürgerkriegssoldaten, die
aufgereiht in einem eigenen Regal stehen. Am überwältigendsten aber
ist die Masse von Fotos, die Rachel jeden Monat im Porträtstudio
von J.C. Penney, einem großen Kaufhaus in Columbus, machen lässt:
Baby Dale als Neugeborenes in nostalgischem Sepiadruck sowie in
verschiedenen Verkleidungen, als Cowboy, als Osterküken
(flauschiger gelber Kapuzenoverall mit einem Schnabel auf dem Kopf)
und in patriotischer Pose mit einem rotweißblauen Strampelanzug und
dem Sternenbanner als Kopfputz. Dazu kommen noch die
Hochzeitsbilder von Rachel und Brian. Ich versuche gerade
unauffällig Wyatt zu betrachten - er ist der Einzige, der auf dem
Bild halbwegs natürlich aussieht, obwohl seine Mutter ihn
offensichtlich gezwungen hat, einen Anzug zu tragen -, da höre ich
eine bekannte Stimme hinter mir. »Alice, ich konnte mir Ihren
Vortrag doch nicht entgehen lassen.«
Ich fahre herum. Es ist Heidi.
»Da ich ja jetzt Ferien habe, werde ich sie mir
alle anhören können«, fährt sie fort. »Bis Sie abreisen, natürlich.
Wann läuft noch mal Ihr Visum aus?«
In drei Monaten. Rasch hole ich die
Illustrationstafeln mit den Gesundheitstipps aus meiner
Handtasche.
Aber Heidi lässt sich nicht abwimmeln. »Wie ich
höre, sind Sie ja eine richtige Expertin.« Sie rückt mir näher auf
den Pelz. »Was eine Leistung ist, Alice, nachdem Sie weder eigene
Kinder noch irgendwelche Qualifikationen haben.«
Sie setzt sich mir direkt gegenüber und trompetet:
»Sie werden bestimmt mit allem fertig, womit wir Sie
bombardieren!«
Nach diversen eiligen, aber ergebnislosen
Fehlstarts Richtung Töpfchen sitzen wir endlich alle im Kreis, die
Babys spielen in der Mitte, die Kleinkinder rennen außen um uns
herum. Es ist ziemlich laut, aber daran bin ich mittlerweile
gewöhnt.
»Ernährung ist ein Thema, über das wir uns meist
viel zu viele Gedanken machen.«
Allgemeines Gemurmel und ein paar geflüsterte
Bemerkungen. Das ist ein gutes Zeichen. Bei meinem ersten Vortrag -
Entscheidende Entwicklungsphasen - fingen nach fünf Minuten alle
an, untereinander zu reden, womit ich sehr elegant aus dem
Schneider war. Doch jetzt sagt Heidi eifrig: »Erzählen Sie uns
mehr, Alice. Sie sind doch die Expertin!«
»Die Entwöhnungsphase kann sich anstrengend
gestalten«, rezitiere ich aus Carolyns Aufzeichnungen, die ich
auswendig gelernt habe. (Mit diesem Einstieg lässt sich das gesamte
Problemfeld des Stillens sauber überspringen.)
»Ab welchem Alter können sie feste Häppchen
essen?«, fragt Heidi eindringlich.
Ha! Wenn sie mich aufs Glatteis führen will, muss
sie es schon geschickter anstellen. Siegesgewiss rattere ich die
Empfehlungen der Vereinigung amerikanischer Kinderärzte zur
Ernährung im ersten Lebensjahr herunter, gefolgt von einem meiner
Universalsprüche: »Macht euch nicht zum Sklaven der angeblich
entscheidenden Entwicklungsphasen!«
Allgemeines zustimmendes Kopfnicken. Dieser Spruch
passt wirklich zu jedem Thema. Alles läuft bestens, und mit ein
bisschen Glück bekommt eins von den Kleinkindern bald einen
Wutanfall und setzt eine Kettenreaktion in Gang, während derer man
kein vernünftiges Wort mehr äußern kann.
»Ich mag die Gläschen«, sagt Stacey. »Baby Tiffany
ist ganz wild auf den Vanillepudding.«
»Und wenn du mal was selber machst, Stacey?«,
merkt Sara an. »Zum Beispiel pürierte Avocado?«
Stacey zieht die Nase kraus. »Diese grüne
Matsche?«
»Ist superlecker und gesund, Stacey«, gibt Sara
gereizt zurück.
»Vielleicht kann man ja ein bisschen Avocado in
das Obstgläschen mixen«, schlage ich geistesgegenwärtig vor.
»Was ist mit Sellerie?«, trötet Heidi. »Ab welchem
Alter können sie das essen, Alice?«
Keine Ahnung. Ich halte meine mit viel Mühe und
Caseys zwölf Buntstiften selbstgezeichnete Ernährungspyramide
empor. »Sprechen wir über Proteine!«, rufe ich
enthusiastisch.
»Oder über Kartoffelsalat«, hält Heidi dagegen.
»Ab welchem Alter dürfen sie das essen?«
»Das macht so dermaßen dick«, sagt Brandy zu
Tammy; beide verdrücken gerade je ein Stück Zimtrolle. »Aber was
ist schon eine Grillparty ohne Kartoffelsalat.«
Stacey fährt hoch, als hätte Brandy eine
kinderärztliche Grundweisheit verkündet. »Ja genau, Alice. Ab
welchem Alter dürfen sie Kartoffelsalat essen?«
»Das hängt von den Zutaten ab«, sage ich, auf
Zeitgewinn aus. »Unbekannte Zutaten können gefährlich sein und
allergische Reaktionen hervorrufen.«
Aufgeregtes Stimmengewirr. »Gefährlich« ist immer
ein guter Einwurf, er ruft für gewöhnlich leichte Panik hervor und
lässt das Publikum vergessen, worum es eigentlich ging. Dr. Vaizey
hätte damit alle weiteren Fragen abgeschmettert.
»Hatten Sie jemals mit einer allergischen Reaktion
zu tun?«, fragt Heidi. »Vielleicht könnten Sie uns ja ein paar
Anekdoten aus der Zeit erzählen, als Sie noch mit Londoner
Berühmtheiten zu tun hatten?«
Jetzt schlagen die Wogen hoch. »Leider unterliege
ich da der Geheimhaltungspflicht.« Enttäuschtes Gemurre. »Aber
Simon Cowell ist persönlich wirklich sehr nett.«
Stacey runzelt die Stirn. »Hat er Kinder?«
Was weiß ich. »Er gehört zu einer weitläufigen
Großfamilie«, versichere ich ihr.
»Ach, nun kommen Sie schon«, wirft Heidi ein. »Sie
können uns doch bestimmt etwas über Ihre aufregende Tätigkeit im
Jetset erzählen!«
Schon klar, wo das hinführt. Wenn ich nicht
aufpasse, werde ich in aller Öffentlichkeit als Hochstaplerin
demaskiert. Also: Ablenken. »Heidi, Ihr Interesse an dem Thema
beeindruckt mich sehr.«
»Nichts zu danken.« Sie schenkt mir ein warmes
Lächeln. »Man lernt nie aus. Ich finde es so wichtig, Kindern die
Liebe zu gutem, ordentlich zubereitetem Essen einzuflößen.«
Wir messen einander mit Blicken. Sie und ich
wissen
haargenau, wovon sie spricht: von den jüngsten Ereignissen rund um
Caseys Geburtstagskuchen.
»Wie steht es denn mit … Kuchen?«, sagt Heidi,
scheinbar aus einer spontanen Eingebung heraus. »Oder hängt das
davon ab, in welchem Land man sich befindet?« Sie lächelt
süffisant. »Ich weiß ja, dass Ihre englischen Kuchen sehr anders
sind als unsere amerikanischen.«
Unbeirrt halte ich mein Fett-Diagramm hoch und
erläutere die chemische Zusammensetzung von Transfetten.
Heidi sagt vernehmlich zu Sara: »Ich gehe mal
davon aus, dass es in England kein Backpulver gibt.«
»Echt?«
Heidi schüttelt den Kopf und hält Zeigefinger und
Daumen empor, millimeterbreit auseinander. »Soweit ich weiß, sind
dort kompakte, ziemlich trockene Biskuitkuchen in Mode.« Sie dreht
sich zu mir. »Hab ich nicht recht, Alice?«
Die Gruppe sieht leicht verwirrt zu mir hin.
»Ich glaube, englische Kuchen halten dem Vergleich
mit allen hierzulande stand«, bringe ich zur Verteidigung
vor.
»Vielleicht sollten wir die Probe aufs Exempel
machen?«, knurrt Heidi.
Ich halte das für eine rhetorische Frage.
»Jederzeit.«
Heidi überlegt kurz und klatscht dann in die
Hände. »Ich weiß was! Wie wäre es mit dem Cupcake-Wettbewerb beim
Barnsley Festival?« Sie klingt, als wäre ihr die Idee just in
diesem Moment gekommen. »Da gibt es jedes Jahr einen Preis für die
besten glasierten Cupcakes. Machen Sie da doch mit, Alice! Dann
haben wir Gelegenheit, eins von Ihren wunderbaren britischen
Rezepten zu kosten.«
Meinem Gefühl nach schwingt in dem Wörtchen
»wunderbaren« satte Ironie mit, aber die anderen haben offenbar
nichts bemerkt. Alle schauen mich erwartungsvoll an, scheinbar
sogar Baby Hillary; das winzige Ding hat, wie mir erst jetzt
auffällt, einen geradezu stechenden Blick. Rachel allerdings
schüttelt warnend den Kopf.
Während ich noch nach einer Ausrede suche, sagt
Sara gereizt: »Ich finde, wir sollten wieder zum Thema kommen,
Alice.«
Mich durchströmt Erleichterung. »Ja«, stimme ich
eifrig zu.
»Wie denkst du über Stillen im zweiten
Lebensjahr?«, fragt Sara.
Nein!
»Ach, mit so was müssen wir uns nun aber wirklich
nicht weiter beschäftigen«, sagt Brandy und rümpft die Nase. »Wir
leben doch nicht mehr in der Steinzeit.«
Sara wird rot. »Wenn du Stillen für primitiv
hältst, bist du ein Opfer der Gehirnwäsche durch multinationale
Unternehmen, die Millionen in die Werbung für Milchpulver
investiert haben.«
O Gott, jetzt bricht die Hölle los. Am Abend vor
meinem ersten Vortrag hat Carolyn mich angerufen und mir gründlich
ins Gewissen geredet. »Versprich mir, dass du dich niemals, unter
keinen Umständen, auf Diskussionen über Stillen oder Klapse
einlässt. Sonst kommst du da nicht lebend heraus, Alice.«
»Das muss jede Mutter selbst entscheiden«, sage
ich, aber niemand hört auf mich.
Brandy ist ebenfalls die Röte in die Wangen
gestiegen. »Bloß weil du die New York Times
liest, heißt das noch lange nicht, dass du alles besser weißt,
Sara.« Brandy wirft einen vielsagenden Blick auf Baby Hillary, die
in ein zugegebenermaßen etwas bizarres braunes
Baumwollkimonogebilde
gehüllt ist. »Kinder, die anders aussehen, haben bei ihren
Altersgenossen nichts zu lachen.«
Saras Blick ist zum Fürchten. »Hältst du dich
wirklich für qualifiziert, um über gesunde Ernährung zu sprechen,
Brandy?«, schießt sie zurück.
Brandy wird blutrot. Aber sie gibt sich nicht
geschlagen, sondern räuspert sich nur. »Vielleicht möchtest du ja
die Gelegenheit nützen, um ein Gerücht aufzuklären, Sara.« Kleine
Kunstpause. »Man hat nämlich deinen Wagen vor der Kindertagesstätte
stehen sehen.« Von ihrem Tonfall her hätte es sich genauso gut um
ein Bordell oder eine Pfandleihe handeln können. »Du bist nun mal
die Einzige in Barnsley, die so einen Honda Hai-Dingsda
fährt.«
Kollektives Aufkeuchen. Alle Blicke schwenken zu
Sara. Großer Gott, sie werden sie in Acht und Bann tun. Sie wird
die Stadt verlassen müssen und mit keinem ihrer Familienangehörigen
je wieder ein Wort wechseln dürfen.
Doch dann durchschneidet eine kühle, klare,
lehrerhafte Stimme das grauenvolle Schweigen.
»Meine Damen«, sagt Heidi, »haben wir über all dem
nicht etwas vergessen?«
Wir schauen in die Runde. Wie meinen? Nunmehr gilt
Heidi die allgemeine Aufmerksamkeit.
Sie wendet sich mir zu. »Nun, wie sieht es aus,
Alice?« Ganz klar, jede Sekunde ist ihr ein Hochgenuss. »Nehmen Sie
meine freundliche Herausforderung an, die Ehre Ihres Landes
hochzuhalten und am Cupcake-Wettbewerb von Barnsley teilzunehmen?
Oder geben Sie sich hier und jetzt geschlagen?«
Tolle Alternative. »Ja, Superidee«, sage ich
ergeben.
Heidi lehnt sich voller Genugtuung zurück.
»Gratuliere! Wir müssen mal ein bisschen frischen Wind da
hineinbringen.
Ist doch zu langweilig, wenn fünf Jahre hintereinander immer
dieselbe gewinnt.« Sie lacht selbstzufrieden und zupft ein nicht
vorhandenes Haar von ihrem Oberteil. »Allmählich finde ich es
geradezu ein bisschen peinlich!«