11. KAPITEL
Ich habe das Gefühl, als wäre ich schon ewig unterwegs. Die Zeit ist zu knapp, um an dieser Stelle meine Unterredung mit der US-Einwanderungsbehörde oder sämtliche Einzelheiten meiner ungeplanten Übernachtung im Budget-Beater Motel des Flughafens von Columbus zu schildern. Eins aber sei an dieser Stelle gesagt: Wenn ein Beamter der Einwanderungsbehörde Sie fragt, wann Sie die USA wieder zu verlassen gedenken, antworten Sie unter keinen Umständen: »Ich weiß nicht, das hängt davon ab, wie es so läuft.« Sonst sitzen Sie am Ende, so wie ich, in einem kleinen, weißen, fensterlosen Raum fest. In dem es für mich nichts weiter zu tun gab, als nochmals die Broschüre für Freunde und Familienangehörige von Alkoholikern sowie das Infoblatt zu Wyatt Brown zu lesen, das Brent keine fünf Minuten gekostet haben kann.
»Wyatt Brown hat mit Carmichael Music einen Vertrag für fünf Alben geschlossen. Die folgenden vier Alben erzielten Spitzenverkaufszahlen:
Moonshine
Takin’ It Slow
All I have
Losing You
Das fünfte Album ist bis zum 30. September dieses Jahres fällig.
Adresse: Buckle & Braid Farm, Hunter Hill, Barnsley, Ohio, USA.
Anfragen per E-Mail an
admin@carmichaelmusicny.com
Meiner Reiseroute hat Brent ebenfalls nur sehr wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Sonst hätte er mir nicht einen Sitz in der letzten Reihe eines Fliegers von Gatwick nach Indianapolis mit sechs Stunden Wartezeit bis zum Anschlussflug nach Columbus, Ohio, gebucht. Es war übrigens eine 737, das ist die Baureihe ohne Einzelbildschirme für die Passagiere. Wenigstens habe ich den Ratschlag meines neuen italienischen Freunds Tony befolgt und mir am Flughafen Gatwick zur Feier meines ersten Tages als ewiger alter Jungfer selbst ein Geschenk gemacht. Da ich es mit Sicherheit nie zu einer Verlobung bringen werde, habe ich beschlossen, mir einen Trostring mit einem großen Zirkonia-Diamanten und zwei synthetischen Saphiren zu kaufen. Die Frau in dem Laden, wo der Ring als Sonderangebot für 99,99 Pfund zu haben war, sagte, er sähe genauso aus wie der, den Charles Lady Di geschenkt hat. In der Flughafentoilette nahm ich ihn aus dem Kästchen und steckte ihn mir an den rechten Mittelfinger.
Jetzt bin ich einen Tag hinten dran, dank des ungeplanten Stopps im Budget-Beater Motel, den ich meiner Überdosis Tavor zu verdanken hatte. Das Gehoppel über den Atlantik war nichts im Vergleich zu dem Flug nach Columbus - in einem Propellerflugzeug, vermutlich die Leihgabe eines Pestizide versprühenden Unternehmens. Am Ende bat der Flugkapitän um eine Runde Applaus für die Landungspremiere des Kopiloten.
Keine zehn Pferde bringen mich noch mal in ein Flugzeug, also muss ich entweder als illegale Einwanderin in den USA bleiben oder den Erdball über die Polareiskappe umschiffen, bis ich wieder in England bin.
Es ist Dienstagmorgen und damit theoretisch Tag vier meiner Reise.
Doch jetzt stehe ich an der Einfahrt zu Wyatts Farm, vor einem offenen Tor mit einem Schild darüber, auf dem Buckle & Braid steht. Im Schneckentempo bewege ich mich mit meinem gemieteten Ford Focus über den holprigen Schotterweg. Links und rechts von mir umgepflügte, mit einer dünnen Eisschicht überzogene Felder, ein mir mittlerweile vertrauter Anblick, seit ich vor Stunden vom Flughafen in Columbus aufgebrochen bin und alle fünfundzwanzig Meilen angehalten habe, um meine Atemübungen zu machen und auf meinem BlackBerry nach E-Mails von Stephen zu gucken. Bis jetzt sind es fünf, zunehmend verzweifelt klingende Botschaften mit folgenden Betreffzeilen:
Zahlungsplan
Reduzierter Zahlungsplan
Vorschlag zur Güte
Unsere Bestellung von Scotts of Stow ist da!!!
Was immer du willst, Alice.
Aber im Augenblick kann ich nicht über Stephen nachdenken. Meine Aufmerksamkeit richtet sich voll und ganz auf Wyatt und die Aufgabe, die vor mir liegt. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass es von entscheidender Wichtigkeit ist, sein Vertrauen zu gewinnen. Nun, da ich tatsächlich in den USA bin, sehe ich unserem ersten Zusammentreffen sehr viel zuversichtlicher entgegen. Ich male es mir mittlerweile als die Begegnung aus, von der Wyatt später sagen wird, dass sie seinem Leben eine völlig neue Wendung gegeben hat. So wird es in seiner Autobiografie zu lesen sein, einem dicken Wälzer, in dem unser Treffen ein volles Kapitel einnimmt, aber um das Wesentliche zusammenzufassen: Wyatt beschreibt tief anrührend, wie er mit dem letzten Kater seines Lebens erwacht und mich neben sich stehen sieht, einen feuchten Waschlappen in der Hand. »Bist du ein Engel?«, krächzt er, während ich ihm die Stirn abtupfe. »Nein, Wyatt«, flüstere ich zart. »Aber ich bin aus einem fernen Land gekommen, um dich zu retten.«
Natürlich werde ich niemals öffentlich Anspruch auf das Verdienst erheben, Wyatts Leben eine völlig neue Wendung gegeben zu haben. Und die Rezensenten werden ewig rätseln, was es mit dem Titel des Buchs - Liebling, ich verdanke dir alles - auf sich hat (ein bisschen so wie das Rätsel um die geheimnisvolle Frau in Shakespeares Sonetten).
Ungefähr eine Viertelmeile krieche ich mit meinem Leihauto die Zufahrt entlang und sehe nach einer Kurve eine Ansammlung von Gebäuden, umgeben von tadellos gepflegten Feldern mit weißer Umzäunung, und weiter hinten einen dichten Wald. Ich parke den Wagen vor dem schmucken, holzverkleideten Farmhaus. Aus den Schornsteinen zu beiden Enden des Giebeldachs steigt Rauch auf. Ich entdecke einen Pferdestall, eine rot gestrichene Scheune und ein Cottage. Steif bis in die Knochen steige ich aus. Bei der Geschwindigkeit, mit der ich mich von Columbus bis hierher bewegt habe, ist es ein Wunder, dass keine Schleimspur meinen Weg markiert. Es ist lausekalt; eisiger Wind schlägt mir ins Gesicht, und wie ich feststelle, bin ich keine Minute zu früh angekommen, denn schon fallen die ersten Schneeflocken vom weißgrauen Himmel und lassen sich auf dem Boden nieder.
Ich hieve meinen Rollkoffer aus dem Kofferraum und hänge mir die passende Bordtasche um. Da nähert sich ein Mann in grünem Arbeitsoverall mit einem Besen in der Hand.
»Was wollen Sie?« Durch den Schal, mit dem er sich gegen die Kälte eingemummelt hat, klingt seine Stimme seltsam dumpf.
Offensichtlich ein Farmarbeiter, der nicht weiß, dass ich erwartet werde. »Ich bin hergekommen, um Wyatt Brown aufzusuchen.«
»Sind Sie Journalistin?«, fragt er misstrauisch.
»Nein! Ich bin Alice Fisher, von Carmichael Music«, sage ich gebieterisch. »Ich bin einen Tag zu spät dran, aber er erwartet mich.«
»Nein.«
»Doch.«
»Nein.«
»Ach, Herrgott noch mal.« Ich ziehe den Reißverschluss meiner Bordtasche auf und hole Brents Infoblatt aus dem Fach für »Wyatt Brown« in meiner Mappe. Es schneit große, weiche Flocken. Gott sei Dank habe ich meinen khakifarbenen Squall-Parka von Lands’ End an (beim Kauf von zweien entfallen die Versandgebühren). Und dann wird mir flau im Magen, weil ich mich nicht entsinnen kann, in Brents Schrieb irgendwo ausdrücklich gelesen zu haben: »Wir haben Wyatt Brown von Ihrer bevorstehenden Ankunft unterrichtet.«
Der Farmmensch deutet meine bestürzte Miene offenbar richtig. »Rufen Sie am besten bei Ihrem Büro an. Unten im Ort gibt’s ein Telefon.«
Der Schnee macht sich auf dem Auto breit, meine Finger sind nach dem stundenlangen Klammergriff ums Lenkrad völlig verkrampft. Und vor lauter Anstrengung, immer daran zu denken, dass ich auf der falschen Straßenseite fahren muss, habe ich Kopfweh. Nichts und niemand bringt mich heute noch mal hinters Steuer.
»Warten Sie! Ich muss unbedingt mit ihm sprechen.« Ich muss diesem Volltrottel von Bauernknecht klarmachen, in welch wichtiger Mission ich unterwegs bin. »Ich bin hergekommen, um sein nächstes Album zu produzieren.«
Das lässt ihn verstummen. »Album?«, fragt er schließlich.
Ich bekräftige meine Absicht, mich nicht vom Fleck zu rühren, indem ich den Griff meines Rollkoffers ausziehe. »Ich bringe einen Berg neuer Ideen mit. Sie werden sehen, Wyatt wird mich sicherlich sprechen wollen.«
Langes, langes Schweigen. »Worum geht’s denn in dem Album?«
Verdammt! Ich versuche mir in dem Schneetreiben etwas einfallen zu lassen. »Um die Jahreszeiten.« Rings um uns her nur Bäume und Felder. »Um die Natur.« Ich halte verzweifelt Ausschau. »Und um Scheunen.«
»Um Scheunen?«
»Ja. In allen Formen und Farben.«
Was ich von seinem Gesicht erkennen kann, wirkt weiterhin unbeeindruckt.
Ich muss Zeit gewinnen. »Hören Sie, mir ist elend kalt. Wenn Sie mich hereinlassen, kann ich alles erklären.«
»Glaube ich nicht.«
Lieber Gott. Was soll ich bloß sagen? »Würden Sie Wyatt bitte ausrichten, dass der Chef des Londoner Büros ihn grüßen lässt.«
»Der Chef?«
Etwas blitzt in seinen Augen auf und sagt mir, dass ich seine Aufmerksamkeit geweckt habe. »Ja. Er heißt Graham und leitet das Londoner Büro. Äh, hat es geleitet. Und ich war seine rechte Hand. Und Graham wäre sicher sehr verstimmt, wenn er erführe, dass ich den weiten Weg bis hierher gekommen bin und Wyatt nicht einmal zu sehen bekommen habe. Graham zählt zu den hundert wichtigsten Menschen in der Musikindustrie.« Ich bemühe mich um einen leicht bedrohlichen Ton.
Er weist mit dem Kopf zum Farmhaus. »Kommen Sie besser mal rein.«
Es hat funktioniert! So muss sich Phoebe fühlen, wenn sie Angst und Schrecken verbreitet, bis die Leute nach ihrer Pfeife tanzen. Ich folge ihm und ziehe meinen Rollkoffer hinter mir her. Er nimmt ihn mir wortlos ab und drückt die Haustür auf.
Wir treten in ein geräumiges Zimmer mit hoher Balkendecke und einem riesigen gemauerten Kamin, in dem ein Feuer brennt. Das hatte ich mir völlig anders vorgestellt. Keine leeren Flaschen, Pizzakartons oder überquellenden Aschenbecher in Sicht. Alles blitzsauber - nicht das kleinste Fleckchen auf den beiden großen Fenstern, der Fußboden wie geleckt, und ich spreche immerhin als so etwas wie eine Expertin auf dem Gebiet der häuslichen Hygiene. Über dem Kamin hängt ein antiker Bogen samt Pfeil, ein Schränkchen aus Eichenholz beherbergt eine ultramoderne HiFi-Anlage, und ich entdecke Fotos von Wyatt mit seiner Familie und der Band. Vor dem Kamin sind drei Riesensofas in U-Form gruppiert, und an der rückwärtigen Wand steht ein überdimensionaler Flachbildschirmfernseher. Ein goldgelber Labrador döst auf einem Schaffell neben dem Kamin.
Vom Feuer duftet es nach Apfelholz, von den breiten, dunkel glänzenden Dielen nach Bienenwachs. Offenbar kann Wyatt sich eine Haushälterin leisten.
Der Farmmensch hat die Handschuhe ausgezogen und seinen Arbeitsoverall aufgeknöpft.
»Sollten Sie Wyatt nicht vielleicht Bescheid geben?«, frage ich leicht gereizt.
Er lässt seinen halb abgewickelten Schal fahren und grölt zu den Dachsparren hinauf: »Wyatt. Hey! Wyatt.« Dann schlendert er in die Küche, und ich folge ihm. Heiliges Kanonenrohr. Von so einer Küche habe ich immer geträumt. Arbeitsflächen aus Granit, eine Kochinsel, zwei Spülen, ein Profiherd mit sechs Flammen, an einem Gestell aufgehängte Kupferpfannen und eine eingebaute Mikrowelle. Doch bei allem Luxus muss ich die traurige Feststellung machen, dass Wyatt offenbar keine Achtung bei seinen Angestellten genießt - ein verbreitetes Phänomen unter Alkoholikern -, denn der Bauerntölpel da kocht sich ungeniert eine Kanne Kaffee und wärmt eine Portion Apfel-Hafergrütze in der Mikrowelle auf.
Ich beschließe, ihn mit ein bisschen lockerem Geplauder bei Laune zu halten, während wir auf Wyatt warten. Vielleicht fühlt er sich von mir ja ein wenig eingeschüchtert. Vermutlich hat er bisher noch nicht allzu viel Kontakt mit Frauen in Führungspositionen gehabt. »Und, haben Sie augenblicklich auf der Farm viel zu tun?«, frage ich freundlich, ohne ihn meine Absichten merken zu lassen.
»Nein.«
Hmmm. Er zählt eindeutig zu den Typen, die am liebsten mutterseelenallein auf einem Traktor hocken.
»Ich nehme an, Sie werden sich bald ans Pflügen machen«, taste ich mich weiter vor.
»Nein. Boden ist gefroren.«
»Oder ans Futtersilo?«, versuche ich es aufs Geratewohl.
»Nein. Ist gefroren.«
»Die Scheune streichen?«
»Nein. Farbe ist auch gefroren.«
Also mal ehrlich, wenn er nicht so ein Landei wäre, das keine Ahnung hat, wie es in der Welt zugeht, würde mich der Verdacht beschleichen, dass er sich über mich lustig macht.
Schweigen. Dann fragt er: »Was machen Sie in London?«
Was geht Sie das an, hätte ich darauf gerne gesagt. Aber ich will ihn nicht verschrecken. Wahrscheinlich ist er sein Lebtag noch nicht aus Barnsley herausgekommen, darum formuliere ich meine Antwort so, dass er sich darunter etwas vorstellen kann. Und drossle mein Sprechtempo. »Ich arbeite in einem großen Büro mitten in London. Ich fahre mit dem Zug dorthin. Sind Sie schon einmal in einer Großstadt gewesen?«
Er sagt nichts, nimmt stattdessen die Schüssel aus der Mikrowelle. Vielleicht verlangen solch einfache Aufgaben ihm ja seine volle Konzentration ab.
»Oder sind Sie lieber hier auf der Farm?«
»Genau.«
»Sehr weise«, sage ich gönnerhaft. »Auf diesen großen Flughäfen verläuft man sich so leicht.«
»Graham ist also nicht mehr da?«, fragt er.
Graham. Ach, jetzt verstehe ich. Ich habe durchblicken lassen, dass Graham seinen Job verloren hat, und nun macht dieser Kerl mit seinen bäuerlichen Ehrbegriffen sich Sorgen um jemanden, den er gar nicht kennt. Wie edel. Vermutlich kennt er nichts weiter als das Leben auf dieser Farm in Barnsley. Vor meinem inneren Auge sehe ich eine winzige Dorfschule mit einem einzigen Klassenzimmer für sämtliche Kinder, wie in Unsere kleine Farm.
»Graham ist gesund und munter«, sage ich. »Er hat seinen Job aufgegeben, aber er ist nicht traurig deswegen. Nein, er ist glücklich. Er wird mehr mit seinen Enkelkindern spielen können.« Mir fällt ein, dass er Tiere mag. »Vielleicht werden sie sich einen kleinen Welpen zulegen. Sie könnten ihn Max nennen. Die Kinder werden Max kraulen.«
Ich verstumme, aber es erfolgt keine Antwort. Bisher hat er mir nicht das Geringste zu essen oder zu trinken angeboten - mit der Sozialkompetenz ist es hier in Ohio offensichtlich nicht allzu weit her. Meine Hände prickeln, und ich mache mir allmählich ein bisschen Sorgen wegen Frostbeulen. Ich schiebe die Hände in die Manteltaschen und überlege, was ich noch sagen soll.
»Ich heiße Alice«, sage ich. »Und wie heißen Sie?«
Er antwortet nicht sofort, so als hätte er Mühe, sich auf seinen eigenen Namen zu besinnen.
»Dork.«
Wow. »Dork« ist bei uns Briten eine ziemlich beleidigende Bezeichnung für einen nicht allzu intelligenten Menschen. Zum Glück weiß er das nicht. Gottlob muss ich mir darauf keine Antwort ausdenken, denn der Labrador (vermutlich vom Piepsen der Mikrowelle aufgescheucht) hat sich zu uns in die Küche gesellt und stupst Dork mit der Schnauze an. Ist dieses Heischen um Aufmerksamkeit das typische Verhalten eines vernachlässigten Vierbeiners? Ich schätze, es ist lange her, seit Wyatt das arme Geschöpf zu einem ordentlichen Spaziergang mitgenommen oder mit ihm Ball gespielt hat. Ich beschließe augenblicklich, dem Hund mit viel Liebe wieder zu emotionalem Wohlbefinden zu verhelfen.
Von oben immer noch kein Laut. Kein gutes Zeichen. Eigentlich könnte ich in der Wartezeit auch versuchen, an ein bisschen Hintergrundinformationen zu kommen. »Schläft er ihn aus?«
Er kehrt mir immer noch den Rücken zu. »Schläft was aus?«
Ich darf mich nicht scheuen, die unangenehme Wahrheit auszusprechen. »Den Alkoholrausch«, verkünde ich lauthals.
(Die Broschüre für Freunde und Familienangehörige von Alkoholikern legt ihren Adressaten nahe, das Wort Alkohol so häufig wie möglich auszusprechen. »Wenn der Alkoholiker in Ihrem unmittelbaren Umfeld sagt, er würde »einen zischen« oder »sich ein Gläschen genehmigen«, dann korrigieren Sie ihn freundlich, aber bestimmt. »Nein, du nimmst ein alkoholisches Getränk zu dir.«)
»Trinkt er?«, fragt mein Gegenüber mit ausdrucksloser Stimme.
Ich darf nicht zu viel von ihm erwarten. »Hören Sie, Dork, ich weiß, dass Sie Wyatt wohl schützen wollen. Aber ich bin hier, um zu helfen«, sage ich energisch. »Das Problem zu verleugnen, verschlimmert nur die Situation.«
»Die Situation«, sagt er verständnislos.
»Sein Alkoholproblem«, zische ich. »Ganz zu schweigen von den versteckten, zusätzlichen Abhängigkeiten, die vermutlich ebenfalls bestehen.« Ich habe die Broschüre zweimal von vorn bis hinten gelesen und kenne mich entsprechend aus. »Zigaretten, Glücksspiel, Essen …«
»Essen«, unterbricht er mich. »Sie meinen, warme Apfel-Hafergrütze könnte ein Problem sein?« Er beäugt die Schale misstrauisch.
Allmählich geht mir die Geduld aus. »Warme Apfel-Hafergrütze ist ganz sicher kein Problem.«
»Woher wollen Sie das wissen? Was ist, wenn er sie unbedingt haben muss?« Er greift sich einen Löffel aus der Schublade. »Was ist, wenn er sie heimlich isst? Was ist, wenn er täglich einen Sechserpack Hafergrütze verputzt?«
Warum ist Dork auf einmal so redegewandt? Woher weiß er, wo der Löffel zu finden ist? Wer genau ist eigentlich dieser Dork?
»Ganz unter uns«, sagt er und dreht sich um. »Ich habe gehört, dass er hoffnungslos süchtig nach Frühstücksflocken ist.«
Und da, im gleißenden Halogenlicht der Küche, geht mir endlich auf, wen ich vor mir habe.
Zuckerguss und Liebeslieder Roman
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