14. Das Schlafende muss erwachen
Jakov zog also in den Raum über der Anbaugarage. So
erfüllte er Woltans Forderung und konnte sich dennoch an ein Leben
mit den Valentins gewöhnen. Istvan hatte, aus nachvollziehbaren
Gründen, die Bibliothek vernachlässigt. Doch damit war es
schlagartig vorbei. Für ihn war es die perfekte Ausrede, um nicht
allzu viel Zeit mit seinem neu entdeckten Halbbruder verbringen zu
müssen. Ich konnte gar nicht viel dagegen machen, immerhin konnte
Istvan sogar behaupten, dass sich der Bürgermeister bei ihm über
die wechselnden Öffnungszeiten beschwert hatte. Zwar tauchte ich
jetzt wieder regelmäßig in der Bibliothek auf und versuchte
vorsichtig das Thema Jakov anzuschneiden, aber er wich mir jedes
Mal aus. Das Einzige, worüber er reden wollte, waren die Fakten und
die Situation, aber nicht darüber, was ihn eigentlich beschäftigte.
Es war frustrierend, vor allem weil ich mich nicht darüber streiten wollte, sondern über eines seiner
Geheimnisse, über das ich wieder einmal gestolpert war. Doch
Valentin hatte es mir, in seiner unnachahmlichen Art,
ausgeredet.
„Mach ihm jetzt noch keine Vorwürfe deswegen“,
hatte er gesagt. „Warte noch ab, bis sich das mit Jakov beruhigt
hat. Dann ist er eher bereit zuzuhören!“
Und jedes Mal, wenn ich Valentin fragte, wie
Istvan jetzt, wo er doch angeblich bereit wäre, es loszuwerden, das Wunder fertigbringen sollte, wurde
er noch vager.
„Es braucht Zeit und Geduld. Ich muss jetzt einige
Vorkehrungen treffen. Du und ich, wir
beide, müssen ihn behutsam auf den Weg bringen“, redete er
bedächtig auf mich ein.
„Valentin!“ Was soll das alles heißen?“, jammerte
ich.
„Nur Mut. Bald verstehst du’s.“
Natürlich gefiel es mir nicht, dass ich vor Istvan
Geheimnisse hatte, aber er konnte selbst auch keine allzu weiße
Weste vorweisen. Richtig schwer war es, wenn ich ihn küsste oder
wir uns versteckt und heimlich, genau wie früher, in der Bibliothek
umarmten. Dann kam ich mir wie eine Verräterin vor. Ich fühlte
dabei, trotz aller Wärme und Nähe, das Trennende eines
Geheimnisses. Die Sache begann langsam an mir zu nagen. Darum
richtete ich meine Aufmerksamkeit auf unseren neuesten Gast und
seine sichtlich gespannte Beziehung zu … na ja, fast jedem. Leider
gelang mir das immer seltener.
Denn das Sonderbare an Geheimnissen ist, dass sie
eine Art Eigenleben entwickeln, wie ein unheilvolles Geschwür
breiten sie sich stetig aus. Selbst wenn du gewillt bist, es
bewusst zu ignorieren. Natürlich hatte ich auch schon zuvor
Geheimnisse gehabt. Die Geheimhaltung der Existenz von Werwölfen
und meine Beziehung zu Istvan zum Beispiel. Doch diese Art von
Geheimnissen waren Notwendigkeiten, genau wie das Belügen meiner
Familie und Freunde zu ihrem eigenen Schutz.
Aber Istvan nicht zu sagen, dass ich wusste, er
wäre beinahe ein begnadeter Krieger geworden, und dass es nur noch
an ihm liege, die Mauer zwischen uns zu überwinden, war eine
bewusste Lüge. Ein abscheuliches Geheimnis, das mich irgendwie von
ihm fernhielt und vor allem davor, meine angestaute Wut über seinen
erneuten Vertrauensmangel und sein Verschweigen loszuwerden.
Langsam gärte es in mir. Jakov und die Valentins waren das einzige
Ventil, das mir noch blieb. Aber wirklich, jedes einzelne Mal, wenn
Istvan mich in diesen Tagen ansah, wich ich seinem Blick früher
oder später ungeschickt aus. Es muss ihm langsam
auffallen, befürchtete ich.
Ein paar Tage nach Jakovs Überlauf kam ich in die Bibliothek. Istvan hatte mich
um Hilfe gebeten. Es war kurz vor dem Ende der Öffnungszeit. Ich
fand ihn im größten Saal, wo er bereits dabei war, Bücher für Jakov
zusammenzustellen. Wir hatten beschlossen, ihm ein Buchpaket
vorbeizubringen, da er weder Fernseher noch Radio in seinem Zimmer
hatte. Aus irgend-einem Grund brachte er es nicht über sich, nachts
sein Zimmer zu verlassen, mit den Valentins fernzusehen oder mit
ihnen zu Abend zu essen. Ich hielt es für ein einigermaßen gutes
Zeichen, dass Istvan es zumindest bemerkt hatte und versuchte Jakov
den Aufenthalt etwas gemütlicher zu gestalten.
„Hi. Ich komme etwas spät. Entschuldige. Aber ich
musste noch mit Malz telefonieren. Nichts allzu Aufregendes“,
begrüßte ich ihn überfallsartig und war wieder dabei, ihm nicht zu
lange in die Augen zu sehen.
„Schon in Ordnung. Ich musste sowieso noch
nachsehen, welche Bücher ich entbehren kann und welche auf keinen
Fall die Schwelle der Bibliothek verlassen werden, um ihn Jakovs
Chaos unterzugehen“, scherzte er und deutete darauf hin, dass sich
sein Halbbruder als fürchterlicher Chaot entpuppte, der nichts vom
Aufräumen oder Möbeln im Allgemeinen hielt. Er hauste fast wie ein
Bettelstudent.
„Er ist eben mehr der Hemingway-Typ“, warf ich
grinsend ein. Istvan lächelte schwach zurück.
„Hemingway“, ging es ihm auf, „ja, genau. Das
passt“, murmelte er noch, bevor er in den Englischen Saal
verschwand, um zwei seiner Bücher zu holen. Er kam mit den in Leder
gebundenen Werken zurück und legte sie in den braunen Karton, den
ich auf einem der Schreibtische zusammengestellt hatte.
„Was denkst du? Moby Dick,
ja oder nein?“, fragte ich nach seiner Meinung und war mir
eigentlich sicher, dass es Jakov gefallen könnte.
„Definitiv, ja. Wer solange mit cholerischen
Werwölfen zusammenleben musste, dürfte sich auf Kapitän Ahabs
Schiff ganz wohlfühlen“, scherzte Istvan ironisch, ohne die
Bitterkeit zu verbergen.
So ging es fast eine Stunde. Jeder von uns schlug
ein Buch vor und gemeinsam entschieden wir, ob es in den
Jakov-Karton kam oder nicht. Schwierig wurde es erst, als ich
plötzlich, wie konnte ich nicht genau sagen, eine Ausgabe von Jack
Londons ‚Ruf der Wildnis‘ in der Hand
hielt, nachdem schon ‚Der Seewolf‘
eingepackt war. Mit fragendem Blick sah ich Istvan an, dessen grüne
Augen zweifelnd aufleuchteten.
„Vielleicht versteht er es ja falsch. Auch wenn
ich nicht sein größter Fan bin, möchte ich ihn nicht vor den Kopf
stoßen. Ich … Wir brauchen ihn noch“, gab Istvan merkwürdig
schuldbewusst zu.
„Ja, aber er könnte es auch als eine Geste des
guten Willens betrachten, wenn du ihm einen Wink gibst“, deutete
ich mit dem Buch in der Hand an. Istvan zog die Stirn kraus. Er
verstand mich nicht recht, deshalb ging ich zum anderen
Schreibtisch, holte eines der Lesezeichen heraus, auf das er den
Namen der Bibliothek samt Öffnungszeiten hatte drucken lassen, und
legte es in das Buch, um die bewusste Seite zu markieren. Dann
überreichte ich es ihm und konnte mir dabei ein wenig Pathos nicht
verkneifen, weil ich meinen Einfall ziemlich clever fand. Er nahm
das dünne Büchlein in die Hand und öffnete es an der entsprechenden
Stelle. Das Kapitel mit der Überschrift Um die
Liebe eines Menschen sprang ihm förmlich in die Augen, die
sich etwas weiteten, als er meine Absicht zu verstehen begann. Er
nickte langsam und bedächtig, dann meinte er:
„Gut, dass ich mich in ein so kluges Mädchen
verliebt habe … Gut für mich“, flüsterte er und berührte dabei
zärtlich meine Wange und die Stelle hinter meinem Ohr.
„Gut für mich, dass du eine Schwäche für mich
hast“, stammelte ich verlegen, bevor ich den London-Klassiker ganz
oben auf die Kiste tat. Er wünschte sich jetzt von mir geküsst zu
werden, das spürte ich ganz deutlich. Aber ich konnte es nicht. Es
wäre kein reiner Kuss gewesen, der das wundervolle Gefühl für ihn
ausgedrückt hätte. Sondern ein Kuss, der mir ins Gedächtnis
gebracht hätte, dass ich den wundervollsten Mann auf der Welt, den
ich liebte, belog. Also lächelte ich gezwungen, schnappte mir den
Karton und ging eilig in Richtung Tür.
„Wir sollten uns beeilen, bevor die Leute von der
Arbeit nach Hause kommen. Sonst müssen wir noch getrennt fahren“,
erinnerte ich ihn und köderte Istvan damit. Denn ich wusste, er
wollte gemeinsam mit mir fahren.
„Du hast recht. Aber darf ich den schweren Karton tragen, Joe?“, fragte er in
einem verhaltenen Befehlston.
„Keine Chance“, zischte ich abweisend. Ich kam mir
schon unnütz genug vor in der Gegenwart der starken, übermäch-tigen
Valentins.
„Das ist kein Mann-Frau-Ding“, seufzte er genervt.
„Ich bin einfach nur um ein Vielfaches stärker als du. Also bitte,
lass mich das nehmen“, sagte er, seine unwiderstehliche Samtstimme
absichtlich gebrauchend. Es war so unfair von ihm. Dieser Stimme
konnte man nicht widerstehen, ich schon gar nicht.
„Weil du es bist“, lamentierte ich und übergab mit
einem Ächzen die schwere Kiste.
Wir gingen sofort in das Garagenappartement zu
Jakov. Ein Vorteil der Werwölfe? Man muss sich nie anstandshalber
anmelden, denn jeder weiß sowieso, ob man hier ist oder nicht. Der
große Raum hatte keine Fortschritte zu verzeichnen. -Seine
Klamotten, ein Sammelsurium aus T-Shirts, Kapuzenshirts und Jeans,
die Istvan für ihn besorgt hatte, lagen verstreut auf dem Boden
oder über den Holzstühlen. Es war so offensichtlich, dass Jakov
nicht gewohnt war, in einem richtigen Haus zu wohnen. Das Feldbett,
das Istvan aus dem Weinkeller hergebracht hatte, war von Jakov
einfach in die hinterste Ecke des Raums geschoben worden. Er machte
sich nicht einmal die Mühe, es zu beziehen. Die Kissen und Decken
lagen roh darauf. Der Schreibtisch, der schon zuvor hier gestanden
hatte, ebenso wie die zwei Kommoden wirkten mehr als verwaist.
Schließlich war Jakov mit nichts als seinem nackten Leben hierher
gekommen. Ein trister Anblick, den ich versuchte, so gut es ging zu
ignorieren. Istvan trat durch die Tür, nachdem er kurz geklopft
hatte, sah sich kurz mit angehaltenem Atem um und wir entdecken
Jakov auf dem Bett lümmelnd. Fast hätte er verloren gewirkt, wäre
nicht dieser leicht lässige, aufmüpfige Ausdruck auf seinem Gesicht
gewesen.
„Mal wieder ihr zwei“, begrüßte er uns. Ich wusste
nicht, was diese als Begrüßung getarnte Bemerkung bedeuten
sollte.
„Ja, wir schon wieder“, ätzte Istvan ebenso
gezwungen lässig zurück.
„Wäre dir ein anderer Besuch lieber?“, fragte er
Jakov schnippisch.
„So war’s nicht gemeint. Ich bekomme nur langsam
das Gefühl, dass ich so was wie eure tägliche gute Tat bin“, meinte
er bitter.
„Ich fürchte, da musst du durch“, versuchte ich
seinen bitteren Humor aufzunehmen.
„Scheint so“, murmelte er. „Bei euch macht es mir
gar nicht so viel aus, aber bei …“, begann er und brach schnell
wieder ab.
„Bei?“, versuchte ich zu helfen. Istvan beobachte
ihn aufmerksam.
„Bei Serafina ist es mir unangenehm. Sie fragt mich ständig, wieso ich ihrer
Familie aus dem Weg gehe, wieso ich nicht mit ihnen zu Abend esse.
Und, und, und“, sagte er gekränkt. „Sie muss doch merken, dass es
für mich nicht so einfach ist“, fügte er erklärend hinzu.
„Wegen Woltan?“, fragte Istvan nach und blieb
angespannt.
„Unter anderem. Mit Marius komme ich ganz gut aus.
Mit ihm ist es einfach. Man spielt eine Runde Karten mit ihm,
verliert ein paar Mal erbärmlich und schon ist man sein Kumpel.
Aber Woltan sieht mich immer an, als wollte er mich von seiner
Schuhsole kratzen. Valentin ist ständig gezwungen, zwischen uns zu
vermitteln. Das macht es nicht besser. Wie könnte ich da einfach
abends hingehen und mit einer zusammengehö-rigen Familie einen Film
sehen. Das geht doch nicht. Ich gehör da nicht hin. Ich gehöre
nicht dazu. Ich gehöre nirgendwo hin, nirgends dazu“, klagte er
lautstark, im Zimmer umhertigernd.
Jakov machte jetzt seinem Ärger und seiner
Frustration Luft.
„Tut mir leid, dass du dich hier nicht so
wohlfühlst, wie du gehofft hast“, sagte Istvan aufrichtig, klang
aber etwas hilflos. Was konnte man da tun? Dann fiel mir wieder
unser Mitbringsel ein.
„Vielleicht brauchst du nur ein wenig Ablenkung.
Istvan und ich haben dir etwas mitgebracht, das die Nächte etwas
kürzer werden lässt und die Langweile vertreibt“, meinte ich und
holte zusammen mit Istvan den Karton von der Vortreppe. Jakov sah
sich die Bücher genau an, stöberte scheinbar interessiert in den
englischen und deutschen, bevor er wieder zu uns aufsah.
„Das war eine gute Idee. Ich habe schon länger
keine Bücher in Englisch gelesen.“ Er war gerade dabei etwas zu
sagen, als er die Jack-London-Ausgabe entdeckt und etwas irritiert
in die Hand nahm.
Jakov schlug sie, genau wie von mir beabsichtigt,
an der markierten Stelle auf und las die Überschrift. Kurz sah ich
etwas über seine braunen Augen ziehen, das wie Dankbarkeit aussah,
aber so schnell verschwand, wie es gekommen war.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Joe“, begann
er verhalten.
„Du irrst dich, wenn du denkst, dass das nur auf
mein Konto geht“, sagte ich ihm eindringlich und deutete verstohlen
auf Istvan.
„Danke“, sagte er kratzig zu Istvan.
„Gern geschehen“, erwiderte dieser ebenso
unbestimmt. Die beiden machten einen auf die Dauer wahnsinnig. So
unnachgiebig.
„Haltet ein“, sagte ich übertrieben, „mir wird
sonst noch warm ums Herz, bei eurer übermäßigen Gefühlsbekundung“,
zischte ich sarkastisch. Es war mir unabsichtlich
herausgerutscht.
Beide schenkten mir einen abmahnenden Blick, der
sie zum ersten Mal als verwandt erkennen ließ. Sie neigten auf
dieselbe Weise den Hals, wenn sie einen strafend ansahen. Der
Anblick war merkwürdig und brachte mich ungewollt zum Lachen, was
niemand außer mir verstand. Ich wurde nun auch noch mit
hochgezogenen Augenbrauen bedacht.
„Wenn ihr euch jetzt sehen könntet, Jungs“,
schmunzelte ich, „die Familienähnlichkeit ist frappant.“ Meine
letzten Worte wurden geflissentlich ignoriert, in einer stillen
Übereinkunft, bevor Istvan das Thema wechselte.
„Was ich dich schon seit Tagen fragen wollte,
wieso hast du … haben wir Petre nach Georgien geschickt und
Radu in den Ural? Wieso denkst du, dass Farkas in sein
Ausbildungslager zurückgekehrt sein könnte?“, frage Istvan
ernst.
Sofort war meine Stimmung verflogen und ein
krampfender Kloß rührte sich wieder in meinem Magen, jetzt wo die
Sprache auf Farkas kam.
„Na ja. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Dimitri
und Vladimir in den Ural zurückgekehrt sind, aber sobald Farkas
klar wird, dass ich ihn verraten habe und ‚Die Drei‘ führerlos
sind, wird er nach Georgien gehen müssen. Er braucht einen neuen
Jakov, falls ihr versteht“, meinte er
bitter und verschwörerisch.
„Du denkst, er will dich ersetzen?“, fragte ich
ihn aufgewühlt.
„Ich denke, Jakov will uns damit zu verstehen
geben, dass er seine Nachkömmlinge darum
kämpfen lassen wird, wer seine nächste rechte Hand wird. Und dieses
Mal wird er ihn noch gründlicher aussuchen. Jemand nehmen, der noch
brutaler und rücksichtsloser ist“, versuchte mir Istvan zu
erklären, während Jakov auf meine Reaktion wartete. Ich konnte
nicht richtig reagieren und nickte unbestimmt.
„Wie lange wird es dauern? Ich meine, wie lange
werden wir vor einem weiteren Angriff sicher sein?“, fragte ich
merkwürdig geschäftlich, obwohl ich Gänsehaut bekam bei der
Vorstellung.
„Wir sind auf jeden Fall sicher, bis der nächste
Vollmond im Juli vorüber ist, da die Kämpfe um meine Nachfolge nur
als Wolf stattfinden dürfen. Sollte er keinen geeigneten Werwolf
finden, wird er nach einem Ersatzkrieger suchen oder ihn erst
erschaffen müssen. Dann würde es noch mindestens einen weiteren
Monat oder sogar länger dauern“, versicherte er mir und sah mich
dabei an, als müsste ich mich erleichtert oder getröstet fühlen.
Das tat ich auch. Aber seine Andeutung, dass wegen mir, wegen
unserer Situation, irgendein Unschuldiger da draußen Farkas Biss
zum Opfer fallen sollte, behagte mir gar nicht. Ich versuchte den
Gedanken abzuschütteln, aber ein flaues Ziehen im Magen
blieb.
„Zumindest haben wir ein paar Wochen Ruhe“, sagte
ich zittrig. Meine Stimme klang so weit weg. Istvan bemerkte es,
kam zu mir und schlang seinen rechten Arm schützend um meine Hüfte.
Die aufziehende Wärme bewirkte, dass das Ziehen nachließ.
Und als ich schon fast so weit war, mich wieder
wie ein halbwegs normaler Mensch zu fühlen, musste Jakov ganz
unvermittelt eine Frage stellen, die ich nicht hören wollte:
„Wie geht es dir eigentlich mit deinem
Problem, Istvan? Taucht es noch auf oder
ist es schon weg?“
Sofort versteifte sich Istvan. Seine Finger an
meiner Hüfte verkrampften sich merklich. Einen Augenblick lang
entstand ein flüchtiger, unangenehmer Moment, besonders weil Istvan
merkte, dass ich fast noch mehr verkrampfte als er selbst. Mit
eingesogenem Atem antworte er ihm zögerlich: „Nein, es ist noch
nicht weg. Es ist noch da. Seit einiger
Zeit ist es nicht mehr an die Oberfläche gekommen, aber ich weiß
dennoch, dass es noch immer in mir ist“, murmelte Istvan fast
tonlos.
Ich fühlte mich schuldig und eine tiefe
Traurigkeit setzte sich in mir fest, weil ich ihm nicht sofort
sagte, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein könnte, bis es
endlich weg sein würde. Sage es ihm?,
zischte meine innere Stimme. Jakov hat dir die
perfekte Vorlage geliefert, argumentierte sie gegen meine
Vernunft und mein unliebsames Versprechen. Aber ich tat es nicht.
Ich fühle mich plötzlich taub und schwer. Auch Jakov schien zu
bereuen, dass er dieses heikle Thema angeschnitten hatte.
„Ihr werdet schon noch einen Weg finden“,
nuschelte Jakov unbestimmt. Wir waren heftig darum bemüht,
zuversichtlich zu nicken, aber ich konnte mir nur ein trauriges
Lächeln abringen, das Jakov verdächtig musterte. Ich hatte
plötzlich Angst, dass mich mein Herzschlag oder etwas anderes
verraten hatte. Doch keiner sagte etwas in dieser Richtung.
Plötzlich hatte ich es eilig, hier hinauszukommen, und sah
gekünstelt auf die Uhr.
„Wir sollten gehen. Ich muss noch einiges an
Arbeit erle-digen“, schob ich ein, bevor ich Istvan am Arm
zog.
„Na gut, dann bis zum nächsten Mal. Bin schon
gespannt, welches Carepaket es dann sein wird. Klamotten und Bücher
hab ich ja jetzt genug“, lachte er, bevor er hinzusetzte: „Ich
könnte ein Auto gebrauchen. Eine Camaro würde mir auch gefallen.
Oder ein roter Flitzer vielleicht.“
„Übertreib es nicht“, schalt ihn Istvan
brüderlich, bevor er wieder seine distanzierte Zurückhaltung
einnahm und mit mir zu den Valentins hinüberging, die von den
neuesten Entwicklungen im Zusammenleben mit Jakov berichteten:
Woltan genervt, Serafina, sichtlich um Freundlichkeit bemüht,
Valentin zufrieden und Marius erfreut, da er jetzt ein neues Opfer
beim Pokern gefunden hatte.
Zwei Tage später nutzte ich die herrlichen
Sonnenstrahlen des Juni, um mein Auto zu waschen. Ich war damit
schneller als erwartet fertig und wartete nur noch darauf, dass es
endlich dunkel würde, was jetzt immer länger dauerte, denn dann
würde Istvan vorbeikommen. Er war es auch, den ich erwartete, als
es an der Tür klopfte, die ich ohne zu zögern aufmachte. Doch vor
mir stand, ich erstarrte förmlich bei seinem Anblick, mein Bruder
Viktor. Mit einem breiten Lächeln und mit seinem fröhlichen, hellen
Gesicht grinste er mich an, während ich es nicht fertigbrachte,
sein Lächeln zu erwidern.
„Ich dachte, ich komme lieber persönlich vorbei.
Offenbar sind drei Nachrichten nicht genug, dich dazu zu bringen,
mich zurückzurufen“, schalt er mich halb ernst, halb feixend, ganz
nach seiner, unserer Art.
„Oh, verdammt! Das Essen!“, sagte ich und schlug
mir dabei auf den Kopf. Ich hatte es vollkommen vergessen. Bei
aller Geheimniskrämerei, Jakov, meinen Jobs und Istvan war Viktors
Angebot, wieder einmal zum Essen vorbeizukommen, völlig
untergegangen.
„Es tut mir wirklich leid. Ich hoffe Paula ist
nicht allzu sauer. Irgendwie hab ich es total vergessen“, gestand
ich lieber gleich.
„Nicht so schlimm. Sie wusste nur nicht, ob sie
dich doch noch mit einplanen soll oder nicht. Es kommen auch ein
paar Arbeitskollegen von uns.“ Das klang nach einer größeren Sache
als ursprünglich geplant. Auf so etwas hatte ich absolut keine Lust
oder darauf, dass Paula wieder einmal versuchen könnte, mich mit
einem ihrer oder Viktors Kollegen zu verkuppeln. Ich war, auch wenn
niemand davon wissen durfte, bereits vergeben, auf jede Art und
Weise, wie eine Frau nur vergeben sein konnte.
„Ich will dir eigentlich nicht schon wieder
absagen, aber ich hab noch soviel Arbeit bis dahin zu erledigen,
dass ich es nicht schaffen werde. Wirklich“, murmelte ich und sah
ihn flehend an, was bei Viktor manchmal Wirkung zeigte.
„Na gut. Das versteh ich ja. Aber was zur Hölle
ist in letzter Zeit mit dir los? Du, die Zuverlässigkeit in Person,
schaffst es nicht einmal mehr zurückzurufen oder mal
vorbeizuschauen. Wann warst du eigentlich das letzte Mal bei uns,
ohne Einladung?“, fragte er etwas gekränkt und mit einem leichten
Vorwurf in der Stimme.
„Mea culpa, mea maxima culpa“, lamentierte ich mit
einer schuldbewussten Miene, was Viktor ungewollt zum Lachen
brachte.
„Ich verspreche dir, Bruderherz, irgendwann in
nächster Zeit überfalle ich euch beide und dann darfst du auch den
Film aussuchen, selbst wenn es der schlimmste Actionfilm aller
Zeiten ist.“ Er verzog abwägend den Mund, während ich die
unter-gehende Sonne hinter ihm deutlich wahrnahm. Ihm war nicht
entgangen, dass ich ihn nicht hereingebeten hatte. So wie er die
Autoschlüssel in der Hand hielt, wusste ich aber, dass es sich nur
um einen kurzen Stopp handelte, was mir mehr als recht war. Istvan
würde bald hier auftauchen. Das Timing von Viktor war schon immer
schlecht gewesen.
„Also gut“, meinte ich fast abweisend. „Dann wäre
ja alles geklärt. Ich gelobe Besserung und du, in deiner Weisheit
und Güte, vergibst mir meine Sünden“, fasste ich zusammen und riss
mich sehr zusammen, ihn nicht zum Auto zu
drängen.
„Du kannst wohl nie ernst sein“, sagte er
kopfschüttelnd und machte sich zu seinem Pick-up auf. Ich konnte
mir nicht verkneifen zu denken: Du hast ja nicht
die geringste Ahnung, wie ernst ich sein kann und wie es in mir
zurzeit aussieht, als ich ihm beim Davonfahren zusah. Fast
in derselben Sekunde hörte ich Istvan von hinten auf mich zukommen.
Er musste schon eine Weile im Haus gewesen sein, machte sich aber
erst jetzt, da Viktor weg war, bemerkbar.
„Ich dachte, es wäre dir lieber, wenn ich solange
im Wintergarten warte, bis ihr fertiggeredet habt“, erklärte er
mir.
„Ja, danke“, murmelte ich unwillig, „scheint so,
als würde ich das mit dem Doppelleben immer weniger gut
hinbekommen“, wandte ich ein.
„Vielleicht solltest du weniger Zeit mit mir
verbringen und dich mehr um sie kümmern“, schlug er vor. Ich konnte
an seiner Stimme nicht erkennen, ob er das wirklich wollte, wusste
nur, dass er mit „Sie“, Viktor, Paula und Carla meinte. Ich
versuchte darüber nachzudenken, aber das gelang mir nicht, weil ich
dabei ständig seinen heißen Atem, der angespannt auf mich traf, in
meinem bloßen Genick spürte. Ich drehte mich zu ihm um, sah ihm zum
ersten Mal bewusst in die Augen, ohne dass dieses Mal das
Schuldgefühl überwog, und stellte mir vor, weniger Zeit mit ihm zu
verbringen. Schon der Gedanke machte mich trist und
unglücklich.
„Das vergiss besser gleich!“, befahl ich streng.
„So einfach wirst du mich nicht los“, flüsterte ich, die Hände um
seinen Hals schlingend. Als ich mein Gesicht in seiner Brust
verbarg, hätte ich fast glauben können, alles wäre in Ordnung, wenn
ich es nicht besser wüsste.
Wie wenn er es geahnt hätte, fühlte ich seine
tröstende Hand auf meinem Haar, bevor seine Finger begannen, meinen
losen Knoten zu lösen. Immer wieder dieses Liebkosen meiner
Haarsträhnen. Es brachte die Stimmung zwischen uns zum Schmelzen.
Eigentlich hätte ich an diesem Abend tatsächlich noch schreiben
müssen, doch jetzt wollte ich nur noch mit ihm ins Bett. Leider
nur, um zu schlafen.
Die ganze Zeit, als wir eng umschlungen in meinem
Bett lagen, lief dieser dumpfe Satz als Dauerschleife, als
Hintergrundgeräusch, mit: Du darfst es ihm nicht
sagen. Du musst dein Versprechen halten. Du darfst es ihm jetzt
noch nicht sagen … Immer und immer wieder …
In diesem scheinbar ruhigen, aber innerlich
angespannten Zustand hörte ich seine Stimme hinter mir erwachen,
die mir bewusst machte, dass er genauso wenig schlafen konnte wie
ich. Er war in einer sonderbar nachdenklichen Stimmung, die
seltsamerweise zu meiner passte, obwohl er das ja nicht wissen
konnte, da ich darüber schwieg.
„Ich fand es schöner, als wir noch alleine waren“,
flüsterte Istvan unvermittelt in mein Ohr und umarmte mich noch
etwas fester.
„Ja, ich weiß, was du damit meinst. Aber du kannst
die anderen nicht immer ausschließen oder von dir fernhalten“,
bläute ich ihm sanft ein.
Er murrte unzufrieden hinter meinem Rücken.
„Du bist eben doch ein einsamer Wolf!“, sagte ich
tonlos vor mich hin.
„Nicht mit dir“, unterbrach er mich schnell.
„Und für die Valentins gehörst du sowieso zur
Familie, ob es dir passt oder nicht“, erinnerte ich ihn.
„Ja, aber als streunendes schwarzes Schaf“,
korrigierte er ironisch.
„Wohl eher als Wolf im
schwarzen Schafspelz!“
Wir lachten beide hart und heftig über meinen
Scherz. Das bebende Lachen, das wir nicht unter Kontrolle hatten,
drückte seine Brust rhythmisch gegen meinen Rücken. Meine Haut
überzog sich umgehend mit einem Glühen. Ich versuchte, mich nicht
darauf zu konzentrieren. Sag es ihm, dann musst du
diese Dinge nicht mehr ignorieren, schrie mein Inneres laut
und dröhnend. Zum Glück holte mich seine Stimme zurück.
„Oh, Joe!“, stöhnte er laut. „Wo hast du nur
deinen unerschütterlichen Sinn für Humor her?“
„Du meinst wohl, meinen Hang zu unangebrachten Scherzen“, schlug ich schmunzelnd
vor.
„Ich meine … vor ein paar Minuten war ich noch
mies gelaunt und fühlte mich … übervölkert von Werwölfen … triefte
vor Selbstmitleid … und jetzt … jetzt ist mir leichter, viel
leichter!“, seufzte er zufrieden und schmiegte sich wieder mehr an
mich.
„Du tust mir ja auch gut!“, hauchte ich. Es klang
noch ehrlicher als beabsichtigt.
„Schön, das zu wissen“, sagte er noch, bevor sich
seine Stimme veränderte. Jetzt hatte er diesen rauen Tonfall mit
beherrschter Atmung.
„Küss mich, ja?“
Als ob er mich fragen müsste, als ob ich nicht
wollen würde. Ich begann mich schon umzudrehen, noch bevor ich sein
„Ja?“, vernommen hatte. Ich presste mit plötzlich aufgewachter
Dringlichkeit meine Lippen auf seine, die uns beide erschreckte.
Auch wenn ich sofort den Schwindel spürte, -konnte ich nicht
anders, als mich gleich nach dem ersten Atemzug, der auf den Kuss
folgte, von ihm zu lösen, um mich umzu-drehen. Ich verbarg mein
Gesicht schuldbewusst im Kissen, unfähig, ihn anzusehen, und gab
vor, vollkommen übermüdet einzuschlafen. Aber ich war mir fast
sicher, dass er an meinem verdächtigen Herzschlag hören konnte,
dass ich ihm nur etwas vorspielte.
Später in dieser Nacht wachte ich aus einem
unruhigen Schlaf auf. Unwillkürlich, wie einer bösen Vorahnung
folgend, fuhr mein linker Arm über die leere Seite meines Bettes,
von der ich wusste, dass er sie ausfüllen
sollte. Ich fuhr erschrocken hoch und sah mich im Zimmer um, als
würde er sich hier materialisieren, nur weil ich ihn suchte.
Unwirsch schälte ich mich aus dem Bett und lief die Treppen
hinunter. Ich fand ihn auf der Couch vor, wo er sich vor mir
versteckt hatte. Meine polternden Füße hatten Istvan geweckt. Als
er mich mitten in der Dunkelheit auf den Treppen entdeckte und ich
ihn mit verschlafenen Augen musterte, begegneten sich unsere Blicke
eindringlich. Mein erster Gedanke war, dass Istvan mir auf die
Schliche gekommen war, mir misstraute und deshalb nicht mehr mit
mir im selben Bett schlafen wollte. Ich fühlte dabei einen bösen
Schauer, als würde jemand über mein Grab steigen. Mein zweiter
Gedanke war nicht viel besser. Vielleicht dachte er, ich hätte die
erwachende Leidenschaft unseres kurzen Kusses nicht unter Kontrolle
und war hierher gegangen, um mich vor sich zu schützen. Dieser
Gedanke machte mich wütend auf mich selbst und mein verdammtes
Geheimnis. Ich spürte diese unbändige Wut in mir brodeln, während
ich Istvans gesenktem, ermattetem Blick auswich, weil er mir in der
Seele wehtat. Ohne auch nur ein Wort dazu zu sagen, ging ich zurück
in mein Zimmer und ließ ihn, wie er es wollte oder nicht anders
konnte, auf dem Sofa schlafen. Ich tat in dieser Nacht, die
eigentlich schon eher ein Morgen war, kein Auge mehr zu und
beschloss, sofort, nachdem Istvan zur Bibliothek gegangen war, mit
Valentin zu reden. Und dieses Mal würde ich nicht nachgeben. Ich
würde Istvan keinen Tag mehr länger anlügen. Ich konnte und wollte
es nicht mehr. Die letzte Nacht war das Zünglein an der Waage, der
letzte Stoß am Abgrund. Was sollten wir beide denn noch alles
ertragen müssen, ehe wir endlich zusammen sein konnten?
Valentin hatte mehr Verständnis, als ich
angenommen hatte. Vielleicht tat ich ihm unrecht, als ich ihn so
anfuhr. Aber ich war mit meinen Nerven am Ende, hatte kaum
geschlafen und einen kläglichen Abschied von Istvan hinter mir. Und
es war noch immer Vormittag! Bis zum Mittag stand also unser Plan
für Istvan, auch wenn ich nicht alle Details verstand und Valentin
mir nicht alles erzählte, fest. Doch trotzdem war ich mehr als
willig, als er vorschlug, keine Zeit mehr zu verschwenden und
sofort zu Istvan in die Bibliothek zu fahren. Damit wir nicht zu
verdächtig wirkten, fuhren wir getrennt, mit einem kurzen Abstand
hintereinander zur Bücherei und trafen uns vor dem Eingang
wieder.
„Keine Sorge“, sagte Valentin zu mir und seine
warmen Augen unterstrichen seine Worte. „Es ist heute keiner da“,
ver-sicherte er mir und drehte das Geöffnet-Schild um, damit jeder
denken würde, dass die Bibliothek unbesetzt wäre. Ich öffnete die
Tür und sah zu Valentin hinüber, der in Richtung des Ungarischen
Saales deutet, wo er Istvans Geräusche hörte. Noch ehe ich dorthin
gelangen konnte, kam uns schon der überraschte Istvan
entgegen.
„Was macht ihr denn hier?“, fauchte er
fassungslos. „Dann auch noch zusammen“, presste er anklagend
hervor.
„Es hat uns niemand gesehen und keiner wird
stören. Ich habe dafür gesorgt“, beschwichtigte Valentin. „Wir sind
hier, weil Joe und ich mit dir ein längst überfälliges Gespräch
führen müssen. Ich warne dich lieber gleich vor. Es könnte dir
nicht gefallen, was wir dir zu sagen haben.“
Istvan verschränkte die Arme vor der Brust und
warf mir, mir alleine, einen vorwurfsvollen Blick zu, der mich an
die letzte Nacht erinnerte.
Umgehend kochte der unterdrückte Zorn in mir hoch
und ich fuhr ihn mit aufgerissenen Augen an. „Das alles wäre gar
nicht nötig … jedenfalls nicht so, wenn du nicht ständig etwas vor
mir verbergen würdest, Mr.
Ich-erwog-mich-zum-Krieger-ausbliden-zu-lassen!“, knallte ich ihm
vor dem Latz. Er riss ertappt die Augen auf und zog sich von mir
zurück. Ich konnte die Hitze meines rot gewordenen Gesichtes
brennen fühlen. Ich hasste diesen Zorn, aber er war da.
„Ja, ich meine dich, Liebling“, setzte ich noch
einen drauf, bevor Valentin mir besänftigend den Arm auf die
Schulter legte und beschwichtigend den Kopf schüttelte, als wollte
er sagen: „Genug“.
„Seit wann weißt du das schon?“, verlangte Istvan
von mir zu wissen.
„Jetzt dreh den Spieß nicht um!“, warnte ich ihn,
vor allem deswegen, weil seine Reue darüber so schnell verflogen
schien.
„Aber wenn du es unbedingt wissen musst, seit dem
letzten Angriff durch ‚Die Drei‘“, antworte ich ruhiger. Mein Blut
kochte etwas weniger, jetzt wo ich es endlich losgeworden war, das
verdammte Geheimnis.
„Wieso hast du denn nichts gesagt?“, stöhnte er
verständnislos. Verwirrt.
„Ich denke, das sollte ich erklären“, mischte sich
Valentin vorsichtig ein. „Um ehrlich zu sein, ich habe Joe darum
gebeten, dir nichts zu sagen. Sie wollte es natürlich gleich, aber
ihr letzter Traum hat etwas aufgeworfen, dass dieses etwas
umständliche Vorgehen notwendig machte“, deutete er Istvan
gegenüber an, der noch mehr verwirrt schien, als er es ohnehin
schon war. Das Einzige, was er zustande brachte, war ein
betroffenes „Was?“
„Joe hat dich als Krieger geträumt, Istvan.
Verstehst du nicht? Joe sieht deine Zukunft als Krieger und für
mich bedeutet das … für mich ist es nur dann vorstellbar, wenn
…“, begann Valentin und wurde von Istvan rüde unterbrochen.
„… wenn ich in der Lage bin dieses Ding in mir zu
überwinden und meinen Wolf vollständig anzunehmen“, -vollendete er
geistesabwesend. Er sah für den Bruchteil einer Sekunde fast
blutleer aus. Istvan war sich dessen also bewusst. Tief in seinem
Innern musste er es ebenso geahnt haben wie ich, wie
Valentin.
„Nur so werden wir in der Lage sein, wieder
zusammen zu sein, Istvan. Sag mir jetzt nicht, dass es das nicht
wert ist“, flehte ich unsicher. Ich hatte den Furienton abgelegt
und war sofort zum sanften Ton einer verliebten Frau übergegangen.
Er sah mich lange, nachdenklich an, sodass ich schon Angst hatte,
er könnte darüber anders empfinden als ich. Doch das blitzende Grün
in seinen Augen ließ mich hoffen.
„Natürlich will ich das, Joe!“, versicherte er mir
und nahm meine Hand, die kraftlos an meiner Seite hing, aber
dadurch wieder zum Leben erwachte.
„Dann willigst du ein?“ Ich hielt den Atem
an.
„Sag ja“, forderte ich sehnsüchtig.
Er schien mir jetzt genauso ungeduldig wie ich,
das wollte ich ausnutzen.
„Aber wie, Valentin? Wie ist das möglich? … Worin
soll ich einwilligen?“, fragte er aufgebracht nach und nahm mich in
den Arm. Demnach war ich jetzt seine Stütze, das gab mir ein gutes Gefühl.
„Ich werde dir alles noch erklären, euch beiden.
Jetzt ist nur wichtig, dass du bereit bist.
Wirklich bereit. Und einwilligst, alles zu tun, um endlich mit dir
selbst ins Reine zu kommen“, murmelte Valentin.
„Ja, ich werde alles tun, was du für nötig hältst.
Alles. Versprochen. Ich will nur, dass es endlich weg ist. Damit
wir“, jetzt presste er mich fest an sich, „wieder
zueinander gehören können!“
„Gut!“, kommentierte Valentin fast trocken.
„Aber was tun wir jetzt genau?“, fragte ich in
Istvans Armen.
Valentin durchbohrte uns beide mit seinem dunklen
Blick und ließ die Augen erst zu mir und dann zu Istvan wandern,
bevor er unheilvoll sagte:
„Wir erwecken das Schlafende!“