8. Nah und fern
 
 
So lernte ich also Miriam kennen. Ich hatte etwas vollkommen anderes erwartet, jemand anderen. Miriam war ein kleines, zierliches Mädchen mit rotbraunen Haaren, leichten Sommersprossen um die feine Nase und hübschen goldgrünen Augen. Ich hatte aber jemand Größeren, Auffälligeren erwartet. Doch anscheinend bevorzugte Woltan junge Frauen, die seinen Beschützerinstinkt weckten und auch nötig hatten.
Es war mir schier unbegreiflich, wie diese nette und hübsche Zwanzigjährige in einer Wolfswelt zurechtkommen sollte.
Aber eines war unübersehbar und lag auf der Hand, -Miriam war bis über beide Ohren in Woltan verliebt. Sie schmiegte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit an ihn. Woltan sah sie dabei mit einer solchen Hingabe an, dass es kaum zu ertragen war. In mir regte sich dann sofort die Eifersucht, einfach, weil es ihnen so einfach gegeben war, zusammen zu sein, während Istvan und ich um jede Berührung kämpfen mussten. Ich konnte mir kaum vorstellen, welche Folter es für Serafina, die mit einem absoluten Gehör ausgestattet war, sein musste, mit diesem verliebten Paar unter demselben Dach zusammenwohnen zu müssen. Das war einfach nicht fair. Sie tat mir so leid. Sie, die es so sehr verdiente, nicht länger einsam zu sein. Man sah es Serafina aber nicht an. Zu sehr war ihre eigene Familie daran gewöhnt, sie alleine zu wissen. Mir fiel es aber auf, auch, wenn sie noch so gut darin war, es zu verbergen. Ich bemerkte, wie ihre Augen immer wieder von dem verlobten Paar weg in die Ferne schweiften und eine alte Traurigkeit zu verbergen suchten.
Und dann kam der Maitanz. Rohnitz veranstaltete jedes Jahr eine große Tanzveranstaltung, um den Höhepunkt des Frühlings zu feiern. Die Zwillinge waren begeistert. Serafina konnte endlich wieder unter Leute und hinaus aus dem vor Verliebtheit zu eng gewordenen Haus.
Woltan wiederum wollte sich nicht die Chance entgehen lassen, seine Miriam zum Tanz auszuführen. Wir dachten uns sogar extra deswegen eine passende Geschichte aus. Serafina trat als eine ehemalige Kommilitonin von mir auf, die zusammen mit ihrem Bruder und Vater für ein paar Monate hergezogen war, weil Valentin angeblich an einem Fachbuch über die hiesige Flora und Fauna schrieb. Das würde auch erklären, wieso er öfters die Bibliothek aufsuchen musste und daher natürlich auch Istvan kannte.
Istvan selbst entschloss sich dazu, zu Hause zu bleiben, um keinen unnötigen Verdacht heraufzubeschwören. Ich fand sein Verhalten maßlos übertrieben, doch Valentin bestärkte ihn darin und gegen beide hatte ich mit meinen Argumenten so gut wie keine Chance.
Nicht begeistert darüber versuchte ich dennoch, verständnisvoll zu reagieren.
Am Tag des Maitanzes holte ich Serafina, Woltan und Miriam ab, da sie kein eigenes Auto besaßen. Sie brauchten es ja nicht notwendigerweise. Miriam blieb mir gegenüber immer höflich, aber reserviert. Unsere auffällige Gemeinsamkeit war für sie nicht Grund genug, sich mit mir anzufreunden oder sich mir gar anzuvertrauen. Vielleicht hielt sie mich auch einfach nur für verrückt, weil ich trotz allem, was ihr Woltan über Istvan und mich erzählt hatte, weiterhin mit ihm zusammen sein wollte. Genau wusste ich es nicht.
Am Ende saßen wir alle gemeinsam in Ausgehkleidung in meinem Sportcoupé. Serafina überstrahlte uns alle, wie nicht anders zu erwarten war. Ihre langen Haare fielen ihr glatt und seidig über die nackten Schultern. Sie trug ein gelbes Bustierkleid aus Seide. Miriam hatte sich für ein schlichtes, weißes Sommerkleid entschieden. Ihre rotbraunen Locken hatte sie kunstvoll hochgesteckt, so wie ich es nie fertiggebracht hatte.
Ich selbst hatte mich, nachdem klar war, dass Istvan nicht dabei sein würde, gegen das rote Satinkleid entschieden, das ich nie zu tragen wagte. Das hellblaue, lange Kleid, das ich schon öfter zu solchen Anlässen angehabt hatte, war mir fein genug für die Rohnitzer Frühlingsveranstaltung. Was meine Haare betraf, begnügte ich mich damit, die Seitenpartien am Hinterkopf zu einem lockeren Knoten zu binden. Für mich war das schon eine Leistung.
Der Maitanz war deshalb so eine große Sache, da man dafür jedes Jahr eigens einen Tanzboden aus Holz aufbaute, den die Blumenhändlerinnen mit üppigen Blumen- und Blattgirlanden verzierten. Ein Baldachin aus Frühlingsgewächsen schützte den Tanzboden vor dem Wind.
Als wir endlich dort ankamen, waren die meisten Besucher bereits angekommen. Der große Gastgarten des Hotels wirkte einladend und der Duft der vielen verschiedenen Speisen stieg einem sofort in die Nase. Es gab ein eigenes Buffet mit sehr vielen Obsttorten und Kuchen, über die ich mich gleich hermachte. Schon der erste Bissen der Pfirsichtorte erinnerte mich an Istvans Geburtstagstorte und ich schluckte meine Enttäuschung darüber, dass er mich heute Abend nicht begleiten konnte, hinunter. Während die Valentins zögerlich versuchten, sich eine wenig unters Volk zu mischen, machte ich ein paar Schnappschüsse für mein Lokalblatt. Danach sprang ich sofort in die Bresche und begann meine rumänischen Freunde vorzustellen. Pfarrer Martin, mein alter Freund aus Kindertagen, zeigte sich am interessiertesten. Nicht einmal der keusche Martin war gegen Serafinas Charme immun. Als ich dann bemerkte, dass er begann, Serafina über unsere gemeinsame Studienzeit auszufragen, forderte ich ihn überstürzt zum Tanz auf. Mein holpriges Ablenkungsmanöver funktionierte. Beim Tanzen vergaß Martin seinen ursprünglichen Anflug von Neugier und begann mir stattdessen leise Vorwürfe zu machen, da ich mich zu Ostern nicht hatte blicken lassen. Ich gelobte ihm Besserung und wir tanzten zwei schnelle Nummern lang, ehe ihm die Puste ausging.
Während die Valentins zusammen mit Miriam das Essen kosteten, musste ich einen weiteren Pflichttanz mit dem Bürgermeister hinter mich bringen. Roman Herbst, der noch junge Bürgermeister von Rohnitz, wartete auf einen langsamen Walzer, weil er, wie er mir jedes Jahr immer aufs Neue gestand, nicht gut tanzen konnte. In der Zwischenzeit erzählte er mir von seinen neuesten Projekten. Der große, schlanke Mann hielt sich dann doch ganz wacker. Nichtsdestoweniger konnte er auch beim Walzer nicht verbergen, dass er fürs Tanzen eigentlich zu schlaksig war. Als der Walzer endlich zu Ende ging und meine Zehen wieder in Sicherheit waren, fühlten wir uns beide sichtlich erlöst. Erleichtert lachte er mich an. Die kleinen Falten um seine Augen gruben sich tiefer, als er dann sah, dass hinter mir schon eine ganze Schlange weiterer Frauen auf einen Tanz mit dem alleinstehenden Bürgermeister wartete. Armer Roman, dachte ich und klopfte ihm verständnisvoll auf die Schulter. Dann schnappte sich eine eifrige Frau hinter mir seinen Arm und stieß mich dabei fast um. Woltan lachte laut auf, als er das peinliche Verhalten der mannstollen Frau mitbekam.
Ich setzte mich wieder zu den jungen Valentins. Miriam schien mir etwas gelöster als vorher und sie fragte mich sogar über einige meiner Freunde und Leute, die sie interessant fand, aus. Um unserer frische Bekanntschaft zu vertiefen, versuchte ich mich im Small Talk. Woltan unterbrach uns, denn er hatte endlich einen Song gehört, der ihm gefiel, und wollte diesen Oldie nutzen, um mit Miriam über den Tanzboden zu schweben. Ich lachte über seinen Übereifer. Serafina schüttelte amüsiert den Kopf. Doch dann erstarrte mein Lachen sofort, als ich Istvan unter dem Baldachin am Eingang sah.
Wieso war er doch gekommen?
Ich konnte mir sein Verhalten nicht erklären. Die ganze Zeit hatte ich ihn überreden wollen mitzukommen, doch er ermahnte mich immer wieder, vernünftig zu sein. Und jetzt war er derjenige, der einfach so aus dem Nichts auftauchte, um die Party zu sprengen. Oder war vielleicht etwas Schlimmes passiert, das ihn zwang, hierher zu kommen? Sofort wurde ich nervös und sah Hilfe suchend zu Serafina, die nur mit den Achseln zuckte, nachdem sie meinen Blick erfasst hatte. Mit jedem Schritt, den Istvan näher kam, wurde ich aufgebrachter, nervöser. Was hatte das alles zu bedeuten?
Er blieb wie selbstverständlich hinter mir stehen und sprach Serafina an.
„Schön, dich wiederzusehen. Serafina, richtig?“, fragte er und ich konnte keine Unaufrichtigkeit aus seiner Lüge heraushören. Er war geschickt darin. Sie beide waren es. Es war geradezu unheimlich.
Serafina nickte und reichte ihm über den Tisch hinweg die Hand. Sein Arm streife mich beinahe. Ich musste aussehen, als hätte mich ein Bus erwischt.
„Lass bitte deinen Vater von mir grüßen. Ich hoffe, er besucht mich bald wieder in der Bibliothek. Ich habe ein paar neue Bücher, die ihn bestimmt interessieren“, log er überzeugend. Gott, war dieser Mann ein ausgezeichneter Schwindler! Ich war noch nicht mal ein Amateur im Vergleich mit den beiden.
„Ah, Joe. Hübsches Kleid. Du führst also deine Freunde aus?“, fragte er im lässigen Small-Talk-Tonfall. Es machte mich rasend.
„Mmhm“, bestätigte ich schwach. Er schien sich nicht setzen zu wollen. Ich sollte ihm aber einen Platz anbieten. Das wäre nur höflich und nicht im Mindesten verdächtig.
„Möchtest du nicht Platz nehmen?“, bot ich ihm also an und versuchte, an seinen Augen vorbei zu sehen. Mit wenig Erfolg allerdings.
„Danke. Aber eigentlich dachte ich, dass wir vielleicht ein Tänzchen wagen könnten“, säuselte er in mein Ohr. Er bückte sich dabei tief zu mir herab. Sein Honig-Wald-Geruch strömte zu mir und vernebelte meine Gedanken. Ich sah Serafinas versteinerte Miene sehr wohl. Mit diesem besorgtem Gesichtsausdruck erinnerte sie mich an Valentin. Ich musste vernünftig sein, auch wenn es mir schwerfiel.
„Eigentlich wollte ich noch ein Glas Wein trinken und ich möchte Serafina nicht alleine lassen“, murmelte ich wenig überzeugend.
Er presste seine geschwungenen Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Meine Reaktion ging ihm sichtlich gegen den Strich.
War er verrückt geworden, so unvorsichtig zu sein?
Istvan ließ sich noch tiefer zu mir herab, als könne er mich nicht verstehen, weil es so laut war – was für eine Ironie! –, und flüsterte mir ins Ohr, eindringlich, mit der ganzen Kraft seiner tiefen Männerstimme.
„Verdammt Joe! Tanz mit mir! Du hast auch mit Martin getanzt“, beschwerte er sich gekränkt. „Schließlich gelten wir als Freunde. Also, was ist dabei, wenn du mit mir tanzt?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue und seine grünen Augen flehten mich an.
Wie konnte ich seine Aufforderung da noch ausschlagen?
 
Ich legte meine Hand in seine und folgte ihm zum Tanzboden. Wir warteten am Rand auf den Beginn eines neuen Liedes. Da fiel mir wieder etwas ein.
„Moment mal! Woher weißt du, dass ich mit Martin getanzt habe? Das ist schon eine Weile her“, wisperte ich erstaunt und starrte zum Holzboden. Er wirkte kein bisschen ertappt.
„Ich habe dich schon eine Weile beobachtet. Übrigens, wie geht es deinen Zehen?“, feixte er breit grinsend.
„Meine Zehen sind in Ordnung … Wieso beobachtest du mich? Wozu?“, fragte ich ihn eindringlich. Ich verstand seine Motive nicht.
„Ich dachte, wenn ich dich schon nicht begleiten kann, dann sollte ich das Bestmögliche daraus machen … Aber als ich dich dann auf der Tanzfläche sah, in diesem hübschen Kleid, hab ich mich umentschieden. Du siehst, es ist alles deine Schuld. Du musstest ja unbedingt dieses himmelblaue Kleid anziehen, das deine blauen Augen so gut zur Geltung bringt“, beschuldigte er mich und versuchte sein Grinsen hinter vorgehaltener Hand zu verbergen. Darauf wusste ich keine Antwort. Wieso beschwerte ich mich denn in einer Tour, als wollte ich nicht, dass er mich über die Tanzfläche wirbelte?
Es waren der besorgte Blick von Serafina und der fassungslose Ausdruck auf Woltans Gesicht, die mich so zurückhaltend werden ließen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass sich tausend Augenpaare in meinen Rücken bohrten. Auch wenn es nur Einbildung war, schüchterte es mich doch immens ein.
Ich zuckte merklich zusammen, als Istvan mich am Handgelenk packte und in die Mitte des Tanzbodens führte. Die Luft schien plötzlich wie elektrisch geladen, sogar die Insekten schienen verwirrt herumzuschwirren. Als die Musik einsetzte, ging Istvan in Position und ich versuchte zuerst zaghaft, seinen Bewegungen zu folgen. Bald schon war ich, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz, im Takt und ließ mich von der Musik und dem Schwebezustand, den Istvan mir bereitete, davontragen. Erst nach einer ganzen Weile bemerkte ich, dass „Have You Ever Really Loved A Woman“ gespielt wurde, aber sehr langsam und gemächlich.
„Du führst schon wieder“, beschwerte er sich.
„Entschuldigung. Wenn ich nervös bin, ist es am schlimmsten“, versuchte ich ihm zu erklären und fügte zähneknirschend hinzu:
„Und ich habe das Gefühl, dass uns jeder hier anstarrt, und muss auf jede kleinste Regung, die ich mache, achtgeben.“
Istvan blickte mich fest an. Angestrengte Nachdenken bildete Sorgenfalten auf seiner Stirn.
„Schließ die Augen!“, forderte seine raue Honigstimme sanft. „Vergiss das alles! Vergiss alles um dich herum für diesen einen Tanz!“ Seine Stimme war schon fast hypnotisch, als er dann von mir verlangte: „Denk nur daran …!“
Das befahl Istvan mir zuletzt, dann legte er seine glühende Wange an meine. Ich schloss die Augen noch im selben Augenblick, genau, wie er es verlangt hatte.
Danach konnte Istvan die Drehungen und Bewegungen unseres Tanzes wieder selbst bestimmen und ich fühlte nur noch seine Wange auf meiner, meine Hand in seiner und unsere Pulsschläge befanden sich bald im Gleichklang. Alles schien mir plötzlich im Takt zu sein, miteinander verbunden. Die Drehungen unseres Tanzes fanden ebenso in meinem Inneren statt. Jedes Molekül in meinem Körper schien in Schwingung zu geraten und jede Zelle in mir tanzte mit seiner warmen Nähe. Ich verlor jegliches Gefühl für Zeit und Raum. Dieser Zustand erinnerte mich auffallend an die Momente unseres intimsten Zusammenseins. Mir wurde immer schwindliger und ein Hitzeblitz fuhr durch meinen Körper, der sich von seiner Wange ausgehend bis in meine Zehenspitzen bohrte.
Ich erschrak beinahe zu Tode, als ich die letzten Takte des Liedes herannahen hörte. Automatisch riss ich die Augen auf. Der Schreck löste mich von seiner Wange und ich starrte in seine grünen Augen. An seinem sengenden Blick erkannte ich, dass auch sein Inneres in den kurzen Minuten Feuer gefangen hatte.
Wie gefährlich, dumm und impulsiv war diese Tat? Wie wundervoll und unvergesslich sie war, wusste ich ja bereits.
Wir sahen uns nur einen Wimpernschlag lang an, zu lange. So viel Bedauern und Schmerz in einem einzigen Blickwechsel!
Dann waren wir gezwungen, voneinander wegzugehen, in entgegengesetzte Richtungen, jeder in seine sichere Ecke.
Nur ein Gedanke schoss mir durch den Kopf und hallte immer wieder, immer lauter und drängender nach:
„Manchmal genügt ein Funke, um ein Feuer zu entfachen!“
 
Ich lag bereit seit einer Stunde auf meinem Bett. Das blaue Kleid hatte ich noch immer nicht ausgezogen. Ich konnte an nichts anderes denken, als an Istvan, an unseren hypnotischen Tanz und an den Funken, der sich entzündet hatte. Gedankenverloren spielte ich mit meinen Haaren und wünschte mir, dass er es an meiner statt täte.
Bald konnte ich kaum noch atmen, so fest dachte ich mittlerweile an ihn. Alles hatte sich so vertraut angefühlt, zu vertraut.
Wie konnte gerade Istvan, der sonst immer so umsichtig war, derart leichtsinnig handeln. Er musste doch wissen, was er in mir auslöste, wenn er mir auf diese Weise nahe kam. Und dennoch war er gekommen, gegen jede Vernunft. Bedeutete das, dass er sich genauso elendig nach mir sehnte wie ich mich nach ihm?
Wenn ja, war der Tanz heute mein Zeichen, oder war er gar eine Einladung gewesen? Oder sah ich nur, was ich sehen wollte?
Das wäre gut möglich. Viel zu lange war es her, dass ich seine Hände auf meiner nackten Haut gefühlt hatte …
Ich kam mir schon fast lächerlich vor mit meinem feinen Kleid und den silbernen Schuhen, die so überhaupt nicht zu meiner Flanell-Bettwäsche passten. Wieso ich noch immer keinen Pyjama angezogen hatte, wusste ich nur zu gut. Ich spielte noch immer mit dem Gedanken, zu ihm zu gehen. Jetzt. Sofort. In dieser Nacht.
Die Gefahren, die damit einhergehen könnten, wurden mir von Minute zu Minute unwichtiger. Schienen nicht real zu sein, verglichen mit dem, was er mir in dieser Nacht geben könnte. Womöglich waren seine Bedenken völlig überzogen und sein Monster würde gar nicht erst die Oberfläche erreichen, wenn wir wieder richtig vereint wären, so wie früher. Vor alledem. Wann war ich bloß so pathetisch geworden?
Aber würde ich in offene Arme laufen, oder müsste ich wieder einmal meine ganze Überzeugungskraft aufbieten, wie schon so oft?
Dabei hatte ich schon mehrmals den Kürzeren gezogen, hatte verloren oder war drauf und dran gewesen, ein gebrochenes Herz davonzutragen. Dieses Mal hatte es sich aber anders angefühlt, so als wollte er, dass ich auf ihn zugehe. Wartete er bereits auf mich, konnte das sein? Würde er es als Ablehnung verstehen, wenn ich nicht zu ihm käme?
Ich war nicht bereit, das zu riskieren. Kein verletzter Stolz der Welt war es wert, diese Chance zu verpassen. Lauf! Los!, sagte ich mir.
Ich sollte schon längst auf dem Weg sein.
Plump stolperte ich über meine hohen, silbernen Pumps. Darin zu laufen, war eine zu große Herausforderung für mich. Ich vermisste plötzlich meine Lieblingsstiefel und beinahe wäre der hellblaue Saum gerissen.
Reiß dich zusammen!, ermahnte ich mich zum unzähligsten Mal, als ich Istvans versteckten, kleinen Garten erreichte. Es war kein Licht mehr auszumachen. Sein Haus schien dunkel. Vermutlich war er bereits zu Bett gegangen.
Schlief er bereits tief und fest? Also erwartete er mich gar nicht, oder doch? Schließlich war es weit nach Mitternacht. Auf einmal schien mir meine Eingebung kindisch und meine Rektion vollkommen überzogen. Wenn ich jetzt da reingehe und er mich zurückweist, dachte ich, dann würde mir das verdammt wehtun. Aber wenn doch, was, wenn er doch auf mich wartet?, ratterte es wie Gewehrschüsse in meinem Kopf.
Mein dummes Herz, das jetzt schmerzhaft zu pochen begann, flehte meinen Verstand an, er solle sich bitte verziehen und aufhören, so viel zu grübeln.
Ich musste es versuchen. Das könnte alles verändern, vielleicht sogar zum Besseren. Und selbst wenn nicht, bekäme zumindest Valentin, was er wollte, was er für nötig und unumgänglich hielt:
Einen frustrierten Istvan, der genug motiviert wäre, wofür auch immer. Aber was wäre mit mir?
Ach was!
Ich konnte schon einiges verkraften. Das ganze letzte halbe Jahr lang, hatte ich es bewiesen. Also, Schluss mit dem Zaudern, ordnete ich streng an. Luft anhalten, Herzklopfen ignorieren, oder besser … nutzen!, befahl ich mir selbst und klopfte an Istvans Hintertür.
Er musste schon geschlafen haben, denn sonst hätte er mich längst gehört, besonders mit diesem Puls.
Es dauerte eine Weile, fast eine Ewigkeit, dann hörte ich den Schlüssel. In diesem Licht waren seine Augen dunkel, noch grün, aber anders. Ich erstarrte innerlich, versteinerte förmlich.
„Ich dachte schon, du würdest nie reinkommen. Kam mir ganz schön lächerlich vor, die ganze Zeit im Flur zu warten!“, flüsterte er von einem sanften Lächeln begleitet.
Also erwartete er mich doch, folgerte ich schnell. Aber wieso riss er mich nicht in seine Arme so wie früher, wenn er doch wusste, weshalb ich hier war?
„Du hättest mir doch auch aufmachen können“, entgegnet ich Istvan.
„Ich wollte es dir überlassen. Schließlich habe ich heute schon genug Vorstöße gewagt. Findest du nicht?“, fragte er grinsend und lungerte in der Tür. Es sollte lässig wirken, tat es aber irgendwie gar nicht. Er konnte mich nicht täuschen. Er war nervös!
„Ich wäre nicht hier, wenn ich deine Vorstöße nicht begrüßen würde“, sagte ich und es sollte verführerisch klingen oder kess, tat es aber nicht. Ich war auch nervös, verdammt nervös.
Toll! Eine nervöse Blinde führt einen nervösen Blinden, urteilte ich sarkastisch.
„Lässt du mich rein, oder sollen wir weiter hier draußen herumzappeln?“, fragte ich und trat von einem Fuß auf den anderen, um die Kälte zu verscheuchen.
„Oh. Sicher. Komm rein!“
Natürlich streifte ich seinen Oberkörper, als ich mich an ihm vorbei in den Flur drängte. Ich ging vor. Ins Schlafzimmer. Zurückhaltung schien mir in diesem merkwürdigen Moment geradezu lächerlich zu sein, also versuchte ich es mit Direktheit. Das verschlimmerte unser Nervositätsproblem. Ich konnte förmlich spüren, wie sich jede Sehne und jeder Muskel in Istvans drahtigem Körper bis zum Zerreißen anspannten. Ich war keinen Deut besser. Stand ich nicht mitten im Raum und drehte mich nur nutzlos herum und sah mich in seinem Schlafzimmer um, als hätte ich es nicht schon Hunderte Male ge-sehen? Alles war wie immer: die spärliche Einrichtung, das große Bett und der kleine Sekretär. Aber wir waren anders. Die Geschehnisse der letzten Wochen und Monate hatten uns beide verändert. Wir waren befangener und nicht mehr so vertraut miteinander, zumindest in diesen Dingen nicht.
„Was ist?“, fragte er flüsternd und starrte mich durchdringend an, während er gegen die Wand gelehnt neben der Tür stand. Genau jene Wand, an der er sich abgestützt hatte, als er sich mir zum ersten Mal als Liebhaber näherte. Ich versuchte nicht zu sehr daran zu denken, obwohl mir die Röte und die Hitze ins Gesicht schossen.
„Was ist?“, wiederholte Istvan nochmals und seine aufgerissenen, grünen Augen fixierten meine blutroten Wangen.
„Ich … ich …“, stotterte ich, als hätte ich einen Anfall. Ich konnte nicht sprechen. Alles, was ich sagen wollte, klang irgendwie verdreht und konnte nicht richtig vermitteln, was ich fühlte. Also sagte ich die Wahrheit, obwohl sie mich in die Bredouille brachte.
„Ich habe Angst“, gestand ich kaum hörbar.
Seine grünen Augen verfinsterten sich. Er ging an mir vorbei, fast wie ein Geist und setzte sich auf die Bettkante, mit hängendem Kopf und gesenktem Blick.
„Ich verstehe“, murmelte er, „ich kann es dir nicht vorwerfen.“
Er hatte es vollkommen falsch verstanden, genau, wie ich es befürchtet hatte. Ich setze mich zu ihm, mit dem nötigen Abstand, den wir beide nun brauchten.
„Ich habe Angst, dass wir nicht mehr wir sein können. Als ich dich vorher angesehen habe, da … ich habe mich an das erste Mal erinnert“, sagte ich und starrte dabei auf die Konturen meines Kleides. Und er verstand.
„Wir waren immer in allem so leidenschaftlich. Ein besseres Wort fällt mir dazu nicht ein. Ich habe Angst, dass wir das jetzt nicht mehr sein können. Aber genau das will ich. Ich will es so sehr, dass es wehtut, Istvan“, gestand ich ihm und lieferte mich ihm vollkommen aus. So ehrlich in meinen Gefühlen zu sein, fiel mir selbst bei Istvan schwer. Ich konnte ihm jetzt nicht mehr in die Augen sehen. Doch anscheinend war es genau das, was er wollte. Istvan packte mich an den Schultern und riss meinen Kopf in seine Richtung. Seine grünen Augen trafen mich wie ein Blitz.
„Mir geht es doch genauso, Joe. Was denkst du, wieso ich heute da war. Ich weiß genau, was passiert, wenn wir uns auf diese Weise berühren. Es ist wie ein Naturgesetz! Und dennoch bin ich zum Maitanz gekommen und quäle uns damit beide. Ich bin ein Masochist, aber heute war ich, was dich betrifft, sogar ein Sadist“, presste er gezwungen hervor und seufzte laut und angestrengt, als halte er alles schon zu lange zurück.
„Es gibt kein Zurück mehr. Du weißt es und ich ebenso. Wir haben eine Grenze überschritten, also lass uns jetzt nicht feige sein“, warnte ich ihn und nahm seine Hand in meine. Seine Wärme erreichte mich, aber er wirkte noch immer zögerlich.
Wir saßen viel zu weit voneinander weg. Es machte mich wahnsinnig. Ich kam mir wieder vor wie mit sechzehn, wie als Teenager. Schrecklich! So unsicher und ungeschickt. Ich wollte verhindern, dass Istvan anfing, mich so zu sehen. Mehr als alles andere wollte ich für ihn wieder die Frau sein, die er in seinem Notizbuch beschrieben hatte, die ich sein sollte, die mir aber eher wie der beste Teil von mir vorkam. Ich stellte mir vor, was diese Frau an meiner Stelle tun würde, um Istvan zu überzeugen. Da wusste ich, was ich tun musste. Ich ließ seine Hand los, hielt aber weiterhin seinen Blick fest. Seine grünen Augen folgten mir überall hin. Ich stellte mich vor Istvan, der noch immer auf dem Bett saß und mit sich kämpfte, darum, was in diesem Moment richtig war.
Ich begann mich vor seinen Augen auszuziehen. Das hatte ich bisher noch nie getan. Wir entkleideten uns eigentlich immer gegenseitig. Es gehört zu unseren Gewohnheiten.
Aber manchmal muss man mit der Tradition brechen, entschied ich.
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich seine großen Augen bemerkte. Aber ich ließ mich nicht einschüchtern. Mit pochendem Puls und zitternden Händen fuhr ich fort. Zuerst schlüpfte ich aus den Schuhen, dann begann ich, den seit-lichen Reißverschluss meines Kleides aufzuziehen. Kurz zögerte ich, dann fiel das blaue Kleid zu Boden und bildete einen unför-migen Kreis zu meinen Füßen. Jetzt stand ich vor ihm, dem Mann, den ich liebte, nur in einem blauen Spitzenslip und einem trägerlosen BH. Ich löste meine Haare und atmete endlich wieder, auch wenn es kurz und flach war.
„Wer macht es jetzt wem schwer?“, fragte er rhetorisch. Seine Stimme hatte wieder diesen rauen, reizvollen Unterton, der meine Aufregung maßlos steigerte. Ich versuchte über seinen Witz zu lachen, konnte aber nur verkrampft mit meinen Mundwinkeln zucken.
Ich machte noch einen Schritt nach vor. Alles Weitere hing nun von Istvan ab. Dieser Gedanke brachte mich fast um den Verstand, weil ich jede Sekunde damit rechnete, dass er mir etwas über die Schultern legen und mich bitten würde, vernünftig zu sein, weil er mich doch nur schützen wolle. Doch er stand tatsächlich auf. Ich war so nahe gekommen, dass er, als er sich ganz erhoben hatte, abnorm dicht vor mir stand. Ich atmete dieselbe Luft wie er, genoss dieselbe Wärme. Es war unbeschreiblich herrlich!
Meine Finger zitterten zu sehr, als ich sie an sein Gesicht heranführte. Es war mir peinlich, dass er es mitbekam. Aber es störte ihn nicht. Er kannte meine körperliche Verfassung besser als ich, ich konnte förmlich einen EKG-Streifen auf seinen Augen ablesen, als er begann, meinen Herzschlag zu erfassen und dabei konzentriert zur Seite sah.
„Heute sprengst du sämtliche Dezibelskalen für jemanden wie mich“, murmelte er grinsend und ich konnte deutlich hören, dass auch Istvan das Atmen schwerfiel. Mit den Fingern meiner linken Hand strich ich sanft den Bogen entlang, den sein Wangenknochen bildete. Meine anderen Finger waren damit beschäftigt, seine sengend heißen Lippen zu ertasten. Es war wie nach Hause zurückkehren, in ein gelobtes Land. Istvan sah mich mit einer solchen Zärtlichkeit an, dass ich meinte dahinzuschmelzen, und dennoch fühlte ich mich stärker als je zuvor. Ich, der nasse Fluss, sehnte mich danach wieder von der heißen Wüste umgeben zu werden. Als wir uns so lange und schweigsam in die Augen sahen, erinnerte ich mich an das erste Mal, als ich von ihm und mir als Ozean und Wald gedacht hatte, weil wir blaue und grüne Augen hatten, aber jetzt kamen mir unsere Augen vor wie brennendes Feuer. Mein Augenfeuer, ein blaues Gasfeuer. Sein Augenfeuer, eine lodernd grüne Kupferflamme.
Wir küssten uns sanft und innig. Es war schwer, nicht übereinander herzufallen, nachdem wir so unendlich lange nacheinander gehungert hatten. Aber wir waren beide vorsichtig. Ich, weil ich nicht wollte, dass er um mich und meine Sicherheit besorgt war. Er, weil er sich selbst noch immer nicht traute. Ich spürte noch immer diese Zurückhaltung in ihm, diesen Widerwillen, sich nicht zu sehr gehen zu lassen. Ich wollte es ihm austreiben, denn ich wollte ihn ganz. In diesem Punkt war ich masochistisch und kompromisslos.
Ich presste ihn ganz nahe an mich, sodass er meinen halb nackten Körper deutlich spüren konnte. Er intensivierte seinen Kuss, küsste mich endlich mit offenem Mund. Alles begann sich zu drehen, wurde unscharf, bis auf ihn. Als wir atemlos kurz voneinander abließen, sah ich das Begehren sogar hinter seinen geschlossenen Augen. Es war ebenso in seinem heißen Atem, der nun stoßweise auf meine Wangen traf.
Ich konnte mich kaum noch zusammennehmen und begann, ihm das Hemd vom Leib zu reißen, in einer fast verzweifelt unsanften Geste.
Er stöhnte laut auf und stachelte mich damit nur noch mehr an. Ich ließ mich aufs Bett fallen und zog in mit mir. Er versuchte sich gegen mich zu wehren und war leider stärker als ich.
„Ich weiß nicht. Ich bin nicht sicher. Es könnte doch zu gefährlich sein. Das könnte ich mir nicht verzeihen Joe, wenn doch etwas …“, stammelte er angestrengt und versuchte, mehr sich selbst zu überzeugen als mich. Was ich wollte, wusste ich.
Ich unterbrach ihn, indem ich meine Lippen auf seine presste und an seiner Jeans riss, was ihn zu mir aufs Bett brachte. Er hätte sich mir leicht widersetzen können, aber im Unterbewusstsein hatte er schon nachgegeben.
Als ich seine Schwere auf mir spürte und sich diese unglaubliche Hitze über mir ausbreitete, fühlte ich mich Istvan wieder genauso nahe wie früher. Er begann meinen BH zu öffnen und streifte ihn mir ab, und als sich unsere nackte Haut berührte, ging mein Atem nur noch flach und unregelmäßig. Danach geriet mein Herzschlag vollends außer Kontrolle, aber diese Reaktion kannte Istvan bereits.
Es war zum Sterben schön und so vertraut, ihn wieder auf diese Art zu berühren und zu küssen.
Nach einer Weile waren unsere Küsse nur noch wild und außer Kontrolle. Istvan ließ sich endlich fallen und ich genoss es, als er sein Bein zwischen meine Schenkel presste. An diesem Punkt gab es bei uns für gewöhnlich keine Gedanken mehr. Es fehlte nur noch eine Sache.
Es war eine intime, kleine Geste, die sich von selbst entwickelt hatte. Eine Art letztes Zeichen für unser jeweiliges Einverständnis, bevor wir einander alles gaben, was wir zu geben und zu nehmen hatten. Bald würde es passieren. Ich erkannte die Anzeichen der Bewegungen. Istvan würde mit seiner Hand tief in meine Nacken fassen und ich würde in einer fließenden Bewegung meinen Kopf tief zurücklegen, sodass er seine Lippen auf meine Schulterbeuge legen konnte, um meinen Pulsschlag auf seinem Mund pochen zu fühlen. Danach würde seine andere Hand, wie im Fieber, an meinem Hals hinauf-gleiten bis zu meinem Kinn und es so zur Seite drehen, dass ich ihn ansehen musste, tief und lange, bevor er mich ein letztes Mal küssen würde. Der Kuss, der unser Vorhaben besiegelte. So war es fast jedes Mal gewesen. Und so war es auch dieses Mal. Nur als seine Lippen dann tatsächlich von meinem Puls abließen und ich seine Hand auf meinen Hals fühlte, erstarrte Istvan plötzlich zu Eis. Ich konnte den Stimmungsumschwung in ihm deutlich fühlen. Obwohl ich die Augen geschlossen hatte, erstarrte auch ich.
Als ich die Augen entsetzt aufriss, sah ich, was Istvan zu sehen vermeinte: Seine Hände, die sich um meinen Hals legten, als würde er mich würgen. Aber in seinen Händen war kaum Kraft. Dann musste ich es sehen. Das, was ich zuvor schon kommen gefühlt hatte. Seine Augen verloren das dunkle Grün und wurden von einem irisierenden Smaragd überzogen. Als er das Erkennen in meinen Augen sah, zögerte Istvan nicht lange. Im Bruchteil einer Sekunde sprang er vom Bett hoch und zwängte sich an die andere Seite des Raumes. Ich konnte nichts anderes tun, als mir unbeholfen das Laken überzustreifen und den Gedanken verscheuchen: Das Monster ist jetzt in ihm und es ist meine Schuld!
Istvan presste seinen Rücken so heftig gegen die Wand, dass ich dachte, sie würde bald eine Delle davontragen. Er presste seine Augen fest zu, damit ich es nicht länger sehen musste. Er tat es mehr für sich als für mich, aber das konnte er jetzt nicht wissen. Ich wollte ihm so verzweifelt helfen und stürmte zu ihm.
„Nicht!“, schrie er mir von der anderen Ecke des Zimmers zu, als er meine Absicht an dem Klang meiner Bewegungen erriet.
Ich gehorchte, widerwillig. Er fasste wieder an seinen Hals und nahm den Orion-Anhänger in seine Faust. Dann begann er sich wieder etwas zuzumurmeln, aber dieses Mal verstand ich, was er da stammelte.
„Geh weg!“, zischte, als wäre noch jemand im Raum. Ich zitterte wie Espenlaub. „Ich bleibe bei ihr. Ich komme zurück … Ich bin ich. Ich bin Istvan … Ich bin ihr Orion. Denk an den Klang ihrer Stimme, als sie es sagte … Los, streng dich an! Du kannst das … Denk an das Metall auf deiner Brust, unter ihren Fingern! … Ah!“, stöhnte er laut auf und krümmte sich dabei. Dann öffnete er die Augen und war wieder er selbst. Er wirkte so angestrengt, als hätte er drei Runden gegen einen Profi-boxer hinter sich, allerdings ohne seine Wolfskräfte.
„Also, so machst du es!“, stieß ich erstaunt hervor, nachdem ich endlich begriffen hatte, wie er das Ding in Schach halten konnte.
„Ja, so mach ich es“, sagte er müde und angespannt.
„Das ist alles meine Schuld“, entschuldigte ich mich kleinlaut bei ihm und verbarg eine Träne, die sich lösen wollte.
„Meine ebenso. Ich habe angefangen. Ich habe es zugelassen!“, zischte er und ich wusste, er war dabei, sich selbst zu verfluchen.
Nichts konnte mich jetzt noch zurückhalten. Ich sprang auf und kam an seine Seite, in der festen Absicht, ihn zu umarmen. Aber Istvan presste meine Fäuste, mit denen ich das Laken vor meiner Brust zusammenhielt, noch fester gegen meinen Brustkorb, sodass es mir unmöglich war, ihn zu berühren oder gar zu umarmen. Mein Blick flehte ihn an, aber er nickte nur traurig und seine grünen Augen waren anklagend. Aber der strafende Blick galt nicht mir, sondern ihm selbst. Ich kannte Istvan gut genug, um das zu wissen. Da ich ihn nicht umarmen konnte, lehnte ich meinen Kopf weit genug nach vorne, sodass ich seine Stirn erreichen konnte. Stirn an Stirn, mit -geschlossenen Augen versuchten wir beide nicht zu heulen, obwohl uns danach zumute war. Er wickelte mich noch fester in das Laken. Seine Geste war zärtlich und fürsorglich gemeint, erinnerte mich aber zu sehr daran, dass wir gescheitert waren. Ich ließ meinen Kopf auf seinen Schultern ruhen. Es war eine ungeschickte Trostgeste von uns beiden, aber wir wussten uns nicht besser zu helfen.
„Ich bringe dich nach Hause. Du solltest etwas schlafen“, plapperte er unbeteiligt vor sich hin.
„Ja, ich bin müde. Ich würde gerne schlafen“, log ich gleichgültig. In Wahrheit war es mir vollkommen egal, ob ich etwas Schlaf bekam oder nicht. Ich wollte nur schleunigst nach Haus, um alleine zu sein und ausgiebig zu heulen, ohne dass er es hören oder sehen konnte.
Also brachte er mich nach Hause. Und wie hätte ich mir nicht wie ein dummer Teenager vorkommen sollen, als ich mit seinem Laken um die Schulter, unter dem ich halb nackt war, mitten in der Nacht nach Hause gebracht wurde, nach einem missglückten Sex-Versuch. Es fehlte nur noch ein entsetzter Vater, der mit einer Zornmine auf uns wartete. Aber auf mich wartete nur mein Kopfkissen, in das ich schluchzen und weinen würde. Istvan war wundervoll. Er versuchte so sehr, es besser zu machen. Aber er war selbst so frustriert, dass er mir leidtat, als er mir versicherte: „Das ist nicht das Ende der Welt. Wir haben schon Schlimmeres überstanden. Es wird schon vorbeigehen. Irgendwann“. Ich glaubte ihm kein Wort und er sich auch nicht. Aber Aufgeben kam für mich nicht infrage, nicht, nachdem ich diese Nacht wieder daran erinnert worden war, wofür ich so erbittert kämpfte. Also küsste ich ihn ganz sanft, bevor er vor mir zurückweichen konnte.
„Mehr Glück beim nächsten Mal“, meinte ich schlicht und lächelte in sein erschrockenes Gesicht. Dann zog ich die Tür hinter mir zu und stürmte zu meinem Kissen, das schon auf mich und meine Tränen wartete.