KAPITEL 31
Endgegner
Reynolds fühlte sich, als wäre er in einem zu kleinen Sarg eingeschlossen. Er konnte sich nicht zu voller Größe ausstrecken und hatte kaum Bewegungsfreiheit. Zum Glück hatte sich sein Training bezahlt gemacht. Er würde mehr seine Gedanken benutzen, als Steuerhebel zu bedienen.
In seinem Kopfhörer krächzte es. Es war General Howard. Seine Stimme war von statischem Rauschen verzerrt, aber seine Botschaft war klar: „Diese Leute setzen unseren Stützpunkt gegen uns ein. Beides muss zerstört werden.“
Das Ungetüm war mindestens drei Meter hoch. Es hatte Panzerketten statt Füße und Propellerklingen am Ende der Arme, um sich durch ganze Menschengruppen zu fräsen. Eine Mörserkanone war dort, wo der Magen hätte sein müssen, das Herz war eine Haubitze.
Es war die perfekte Vernichtungsmaschine – allerdings fielen Tim einige Unzulänglichkeiten auf. Die fischschuppenartige Panzerung war unvollständig, und an den Flammenwerfern auf den Schultern fehlten die Brennstoffschläuche.
Es hatte keine Augen im tyrannosaurusförmigen Kopf, aber es brauchte keine. An den hohen Tönen, die es ausstieß, erkannte Tim, dass es stattdessen aktives Sonar benutzte. Und an der Art, wie es auf ihn zukam, erkannte er, dass es ihn bereits ins Visier genommen hatte.
Tim rannte ans andere Ende des Kommandoraums, wo Sara die Stahlverkleidung aus der Wand gebogen hatte, und schlüpfte durch das Loch in das angrenzende Labor. Der T-Rex-Roboter folgte ihm, wie eine Dampfwalze rollte er über die Körper seiner gefallenen Brüder. Er schoss die Haubitze einmal ab und riss ein beträchtliches Loch in die Wand, ehe Tim in den Mechanismus eingriff und die Verschlussschraube unbrauchbar machte. Als Nächstes versuchte er die Mörserkanone, aber die Kolbenfeder war bereits ihrer Spannung beraubt.
Tim kauerte sich in die Dunkelheit hinter einem Computerarbeitsplatz. Er sah nicht das Geringste, aber er hörte das Geräusch des Propellers, der durch die Stahlwand schnitt, als würde er eine Konservendose öffnen. Das Geräusch endete, nachdem er das Antriebszahnrad lahmgelegt hatte, aber inzwischen war der Roboter bereits im Raum.
Tim hörte das „Ping“ des Sonars und das Mahlen der Panzerketten näherkommen, es war vielleicht noch zehn Meter entfernt. Dann wurde es still im Labor. Das einzige Geräusch, das er noch hörte, war sein eigener Herzschlag, das ohnehin das Lauteste von allen gewesen war.
Plötzlich war der Raum in grelles Licht getaucht. Tim musste die Augen abwenden. Der Roboter hatte einen Suchscheinwerfer aktiviert. Seine Ketten wurden eingeklappt und verschwanden im Rumpf; es hallte laut, als massive Ankermechanismen auf den Boden fielen. Der Robo-Boss stand und würde nicht mehr weichen.
Tim sah nach rechts, zum Laborfenster. Er glaubte, Bewegung auf dem Flur zu erkennen. „Reynolds, Sie wertloser Scheißkerl. Sie … Sie Jasager! Zeigen Sie sich!“
„Ja, Sir. Ich bin genau vor Ihnen.“
Kein Zweifel, die Stimme kam aus dem Innern der Kreatur. Tim blinzelte ungläubig.
Der Monsterroboter war für eine Steuerung aus der Ferne noch nicht ausgerüstet, viel weniger war sie erprobt. Reynolds konnte ihn nicht von außen lenken wie Thorin. Aber er konnte ihn von innen heraus steuern. Und genau das tat er nun aus dem mit Leitungen vollgepackten und ziemlich engen Cockpit des Metallbiests.
„Und jetzt zeige ich Ihnen noch etwas anderes … Sir.“
Eine Luke öffnete sich im Torso des Roboters und ein Paar Leitschienen schoben sich daraus hervor. Sie waren etwa fünf Meter lang, und beim Blick darauf hatte Tim plötzlich das Gefühl, als würde er auf Gleisen stehen und auf einen heranrasenden Zug starren.
„Was zum Teufel ist das?“, fragte er laut.
„Eine Railgun.“ Sara war unbemerkt vom Flur eingetreten und stand in der Tür. Sie hatte einen Erste-Hilfe-Kasten und eine tragbare Lampe in der einen Hand und ein Sixpack Dr. Pepper in der andern.
Tim warf einen Blick zu ihr, bevor er sich wieder der Waffe zuwandte. „Wie um alles in der Welt funktioniert sie?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Sara. „Ich habe einmal ein Video von einem Test der Navy gesehen. Sobald sie aktiviert ist, dauert es etwa eine Minute, dann schießt das Projektil heraus und erreicht Überschallgeschwindigkeit.“
„Zwanzig Sekunden sind schon um. Sag mir, wie man sie unschädlich macht.“
„Schnell.“
Tim hatte keine Idee. Er konnte nicht in den Mechanismus eingreifen, wenn er nicht wusste, wie er aussah. Also tat er das Nächstbeste. Er griff in einen Laborarbeitstisch vor sich und schnappte sich eine der kugelförmigen Hirngehäuse, an denen die Deeps gearbeitet hatten. Er klemmte es sich unter den Arm, stürmte auf Reynolds Roboter zu und rammte es tief in die Mündung der Waffe, dann lief er zum Eingang, riss Sara mit auf den Flur hinaus und warf sich auf sie.
Die Implosion kam im nächsten Moment.
Schrapnellsplitter, die in der Laborwand steckten, waren alles, was von der Vernichtungsmaschine übrig war. Das Blut an den Wänden war ausschließlich das von Reynolds.
Sara stand mit zittrigen Knien auf, bürstete sich den Staub von der Kleidung und machte die Lampe an. Dann ging sie, um sich einen Überblick über die Szenerie durch das herausgesprengte Fenster zu verschaffen. Weder sie noch Tim hatten einen einzigen Kratzer durch umherfliegendes Glas abbekommen. Tims improvisierte Rüstung hatte sie gerettet.
Sara betrachtete die Reste von Howards Armee, die über das ganze Labor verschmiert waren, und ihre Reaktion überraschte sogar Tim. Sie fing zu lachen an. Es war ein scharfes, kreischendes Lachen und erinnerte ihn an den Klang von Propellern auf Stahl.
„Lass uns den guten General anrufen“, sagte sie. „Er wird ein für alle Mal akzeptieren müssen, dass die Macht in andere Hände übergegangen ist.“