KAPITEL 4
Forward Kinetics
Unser eigenes Labor.
Den Worten haftete ein Zauber an, dachte Chuck. Ihr eigenes Labor hatte einen Namen: Forward Kinetics, und es befand sich in der Mitte eines Technologieparks (mit Betonung auf Park) in Silver Spring, Maryland. Es war eine allein stehende Einrichtung – darauf hatte Matt bestanden – in einem niedrigen, siebenhundertfünfzig Quadratmeter großen Split-Level-Gebäude, das aussah, als würde es den sanft geneigten Hang hinunterpurzeln, auf dem es stand. Es war sowohl schön als auch funktional, ein Meisterwerk aus Holz, Beton und Glas mit ein paar Schieferelementen. Frank Lloyd Wright hätte es für gut befunden.
Chuck musste zugeben, dass Matt einen Sinn für Ästhetik hatte. Anstelle der mit Lichtbirnen gefüllten Logos aus Kunststoff in Primärfarben, wie es die meisten anderen Hightech-Firmen benutzten, prangte auf ihrer Fassade ein bronzenes, von hinten beleuchtetes stilisiertes Gehirn voller Zahnräder, die sich um die Buchstaben FK schlangen.
Chuck bemerkte die äußeren Vorzüge des Gebäudes und die parkartige Anlage jeden Montagmorgen, wenn er auf den kleinen, von Bäumen gesäumten Parkplatz am oberen Ende des Hangs fuhr. Aber die inneren Vorzüge nahmen ihn täglich und in jedem Augenblick gefangen. Von den hohen Fenstern, durch die Licht in die zweistöckige Eingangshalle strömte, bis zur Dachlinie mit ihren dicken Zedernbalken, von den Travertinböden bis zu den stilisierten, handgefertigten Lampen wirkte das Labor warm und einladend.
Heute war ein besonderer Tag im werdenden Leben von Forward Kinetics. Heute würden sie ihren Forschungsplan abschließen. Sie hatten seit Wochen Ideen gesammelt und die ganze Breite der Anwendungsmöglichkeiten ausgelotet, mit der sie ihre Versuche beginnen konnten. Heute würden sie die endgültige Auswahl festlegen und das Rekrutierungsverfahren planen.
Chuck wusste bereits, dass er und Matt nicht einer Meinung waren, was eine würdige Disziplin darstellte, aber sie hatten sich darauf geeinigt, den Input des gesamten Führungsstabs zu berücksichtigen, zu dem nun auch Eugene und Dice gehörten. Ihre offiziellen Bezeichnungen waren Laborleiter beziehungsweise Leiter Robotik, so stand es zumindest auf ihren Visitenkarten und Bürotüren, aber Chuck bezweifelte, dass einer der beiden sich als Leiter von irgendetwas begriff.
Das Laborpersonal – sie waren nur zu sechst – war kompetent und leitete sich größtenteils selbst, deshalb hatte das Labor eher den Charakter einer parlamentarischen Demokratie als einer wohlwollenden Diktatur … zumindest solange Matt Streegman nicht die Befehle gab. Wie Chuck schnell begriff, hatte Matt eindeutige Ansichten zu allem – selbst zu Dingen, von denen er Augenblicke zuvor zum ersten Mal gehört hatte – und handelte aufgrund dieser Ansichten, bis ihm jemand einen verdammt guten Grund liefern konnte, es besser nicht zu tun.
Das verursachte einige Wirbel im ruhigen Strom der Ideen und Aktivitäten, aber die gute Seite an Matt Streegman war, dass er ohne zu zögern sagte: „Ach so. Gut, dann machen wir es anders“, sobald man ihm beweisen konnte, dass er mit seiner Meinung falsch lag.
Problematisch wurde es, wenn ihm niemand eindeutig beweisen konnte, dass er falsch lag. Dann gab es zwei Möglichkeiten: einen empirischen Beweis finden oder nachgeben und alles nach Matts Vorstellungen machen. Und genau das taten sie … mehr oder weniger. Chuck war ein alter Hase darin, den Eindruck zu erwecken, als würde er nachgeben. Seine Mutter hatte immer gesagt, er sei passiv aggressiv. Und die musste wissen, wovon sie sprach.
„Morgen, Dr. Brenton“, begrüßte ihn der Angestellte am Empfang, der einen sanft geschwungenen, mit Holz verkleideten Tisch in der sonnigen Eingangshalle besetzte und herzlich wenig zu tun hatte, da die Hektik des Umzugs vorbei war.
„Morgen, Barry.“ Chuck grinste den jungen Mann an. „Wie läuft es bei Temple Run?“
„Äh, super. Ich bin seit fünfzehn Minuten nicht gestorben.“
„Sicher zur Enttäuschung sämtlicher Zombie-Affen. Genießen Sie die ruhige Phase, Barry. Ich habe so ein Gefühl, dass es hier bald rundgeht.“
„Ja, Sir.“
Chuck trabte die kurze Treppe hinunter zur Büroebene. Matt trank bereits Kaffee in dem kleinen Konferenzraum, in dem sie sich jeden Morgen für eine kurze Besprechung ihrer Aktivitäten und Ziele trafen. Bisher hatten sich die Meetings darauf konzentriert, die grundlegende Ausstattung und die Verfahren des Labors festzulegen. Nachdem das erledigt war, wandten sie sich nun dem vorrangigen Ziel zu, lukrative und nachhaltige Nutzungsmöglichkeiten für kinetische Technik zu ermitteln.
„Hallo“, begrüßte Chuck seinen Partner. „Sind Dice und Euge schon da?“
Matt sah von seinem iPad auf und nickte. „Schon seit einer Weile. Sie sind im Labor und spielen an ihren Computern herum. Wollen wir eine Wette abschließen?“ Chuck stellte seine Laptoptasche auf dem ovalen Konferenztisch ab und ging zum Sideboard, um sich einen Kaffee zu holen. „Ich spiele nicht. Ich verliere immer.“
„Es ist aber ganz einfach. Ich wette, es gibt keine Überschneidungen zwischen Ihrer Auswahl und meiner.“
Chuck schnaubte höhnisch. „Machen Sie Witze? Die Wette nehme ich nicht an.“
„Kommen Sie. Zehn Dollar, dass ich recht habe.“
Chuck ging zum Tisch zurück, stellte seinen Kaffee ab und packte den Laptop aus. „Ich sagte doch, dass ich nicht wette. Und wenn ich es täte, würde ich nicht mit Ihnen wetten, schon gar nicht um richtiges Geld.“
„Worum lohnt es sich sonst zu wetten?“
„Ich glaube, das ist die falsche Frage. Ich glaube, die Frage muss lauten: Was sonst ist belanglos genug, um damit zu spielen?“
Matt öffnete den Mund zu einer Erwiderung, wurde aber unterbrochen, als Dice und Eugene mitten in einer ihrer häufigen, aber freundschaftlich geführten Auseinandersetzungen zur Tür hereinrauschten.
„Ich sage dir, Euge“, ereiferte sich Dice, „solange wir unsere Abhängigkeit von Firmware nicht beenden können, ist das alles reine Sondierung. Wer um alles in der Welt würde bei der Tiefseeforschung an einer gottverdammten Nabelschnur hängen wollen? Eins der ersten Dinge, die wir tun müssen, ist, eine unabhängige Schnittstelle entwickeln.“
„Das mag ja sein“, widersprach Eugene, „aber sich jetzt darauf zu konzentrieren, hieße, das Pferd von hinten aufzäumen.“
„Seht ihr?“ Dice machte eine resignierende Geste zu den beiden bereits Anwesenden. „Er ist ein Fortschrittsgegner. Pferde aufzäumen, du meine Güte.“
„Guten Morgen, meine Herren“, sagte Matt. „Wenn Sie Kaffee möchten, holen Sie ihn bitte jetzt, damit wir zur Sache kommen können.“
Eugene salutierte und drehte sich auf dem Absatz zur Kaffeemaschine um. Dice stellte seinen Laptop ab und zog eine Dose Coke aus der Jackentasche. Matt rief die Laborassistentin Ventana Salazar herein, damit sie Protokoll führte.
Matt führte ein straffes Regiment bei Besprechungen – was Chuck abwechselnd begrüßte und bedauerte. Manchmal war es gut für die kreativen Säfte, wenn man ein wenig abschweifte. Deshalb war der EQ als Diagnosewerkzeug beinahe so wichtig geworden wie der IQ. Matts Verstand jedoch beschäftigte sich bereitwilliger mit Zahlen und Statistiken als mit gefühlsbetonter Kreativität. Und es waren Matts Zahlen, wie sich Chuck in Erinnerung rief, die ihm erlaubt hatten, das Feld der Neurokinetik aus der Theorie in die Wirklichkeit zu holen.
„Chuck?“
Matt sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der ihn – korrekterweise – der Tagträumerei bezichtigte.
„Tut mir leid. Ich war in Gedanken.“
Matt deutete auf seinen Laptop. „Wollen Sie Ihre Liste zuerst auf den Tisch legen?“
„Ja, warum nicht. Ich habe fünf Anwendungsgebiete: körperlich Behinderte, insbesondere Menschen mit zerebraler Kinderlähmung, Parkinson oder MS, medizinische Anwendungen, Polizei, Rettungskräfte und Künstler, vor allem computergestützte Anwendungen in bildender Kunst und Musik.“
„Das sind sechs, Chuck.“
„Okay, dann eben nur die Kunst.“
Der große Plasmabildschirm am Ende des Tischs erwachte zum Leben, als Ventana Chucks Liste eingab.
„Gut, dass Sie diese Wette nicht angenommen haben“, sagte Matt. „Gut für mich, meine ich. Ich habe mich getäuscht. Es gibt tatsächlich eine Überschneidung. Ich habe rechnerunterstütztes Konstruieren, also CAD, Produktion, private Sicherheitsdienste – nicht ganz die Polizei, aber nahe dran – Videospielentwicklung und Videospiele als Konsument.“
Chuck runzelte die Stirn. „Was ist mit Medizin? Der Bereich Medizin muss doch wenigstens enthalten sein.“
Matt hob die Hand. „Erst die Listen, dann die Diskussion. Dice, was hast du?“
Dice hatte Feuerwehr/Polizei („Ich denke da etwa an Bombenentschärfung“, sagte er), Konstruktion, Zugang für Behinderte und Medizin.
Eugene schlug vor: Mobilität für Behinderte, Medizin, Computerkunst, Tiefseeerforschung und -bergung sowie Archäologie.
Chuck wies mit einem Kopfnicken zu dem großen Schirm. „Sind also die, wo wir uns überschneiden, automatisch drin?“
Matt schüttelte den Kopf. „Nein.“
Nein?
Doch bevor Chuck protestieren konnte, sagte Matt: „Ich denke, wir sollten das Für und Wider jeder einzelnen Wahl diskutieren. Aber greifen wir uns die niedrig hängenden Früchte zuerst. Nehmen wir Polizei und private Sicherheitsdienste. Fantastische Marktchancen hier. Denken Sie nur an die Anwendungsmöglichkeiten: Bombenentschärfung, der Einsatz von Robotern bei der Sicherung von … na ja, was eben gesichert werden muss. Die Vermeidung von körperlicher Gefahr für die Menschen, die den Roboter bedienen, wäre dabei ein großes Plus.“
„Aber Sicherung ist bereits mithilfe von Drohnen möglich“, warf Chuck ein.
„Nicht auf die gleiche Weise, Doktor“, sagte Dice. „Es wird sein, als wäre die Wache direkt vor Ort. Wenn man die Kinetik dann noch mit virtueller Realität verbindet – unschlagbar.“
„Ganz zu schweigen davon, dass man eine Menge tödlicher Irrtümer eliminiert, die in der Hitze des Gefechts passieren, wenn man die Sicherheit des Beamten aus der Gleichung entfernt“, überlegte Eugene. „Ich sehe da eine starke gesellschaftliche Wirkung.“
„Für die Polizei und private Sicherheitsfirmen bereitwillig viel Geld bezahlen werden“, schloss Matt. „Ich glaube, über Anwendungen im Bereich Sicherheit sollten wir auf jeden Fall relativ früh nachdenken.“
„Dazu müsste in puncto Robotertechnik allerdings noch einiges getan werden“, räumte Dice ein, „aber doch, ich würde hier auch eine Priorität setzen.“
„Gut. Damit hätten wir dann auch einige verwandte Technologien als Ergänzung zu dem ursprünglichen Angebot. Sicherheits-Robotik.“
„Höre ich ein Ja bei Sicherheit?“, fragte Ventana und blickte fragend in die Runde.
Matt warf einen flüchtigen Blick zu den andern und reckte dann den Daumen in die Höhe.
Von mir aus, dachte Chuck. Es ist auf jeden Fall ein guter Einsatz der Technik.
Tana tippte die Worte „Sicherheit, polizeiliche Anwendungen“ und hob sie farbig hervor.
„Wunderbar“, sagte Matt. „Wie sieht es jetzt mit computerunterstütztem Konstruieren aus? Der Nutzen liegt auf der Hand, und wir haben bereits jemanden im Programm.“
„Wir haben sogar zwei Leute im Programm“, sagte Chuck. „Sara und Mini.“
Matt blieb einen Moment stumm, sein Gesichtsausdruck war undurchsichtig.
„Mini macht kein CAD. Sie macht Kunst.“
„Mit einem Computer.“
„Das ist eine andere Anwendung, Chuck. Für das, was Sara macht, gibt es industrielle Verwendungszwecke. Es gibt einen Markt dafür. Kann man wirklich sagen, dass sich das, was Mini tut, so kreativ es sein mag, vermarkten lässt?“
Chuck schnürte es die Kehle zu. Er schluckte. „Matt, Mini ist so ziemlich von Anfang an im Programm. Sie ist intelligent und experimentierfreudig.“
„Sie hat uns sehr geholfen, unsern Ansatz zu verfeinern“, ergänzte Eugene.
Matt durchbohrte sie beide mit seinem zu direkten Blick. „Wir müssen potenziellen Investoren beweisen, dass das, woran wir arbeiten, einen Nutzen in der realen Welt haben kann.“
„Reale Welt?“ Chuck lachte und zeigte zum Schirm. „Videospiele?“
„Videospiele sind nicht nur ein riesiger Markt“, entgegnete Matt ruhig – zum Aus-der-Haut-Fahren ruhig, wenn Chuck ehrlich war –, „sondern sie bieten auch großartige prototypische Verfahren, um zu zeigen, dass Neurokinetik Programmierern erlauben wird, Codes wesentlich effizienter und effektiver zu schreiben und zu testen. Und wiederum haben wir bereits einen Programmierer im Programm, der zufällig auch Künstler ist. Troll kreiert immerhin seine eigenen Geschöpfe und programmiert ihre Bewegungen. Ich würde sagen, er ist – genau wie seine Disziplin – ideal, um uns die Art von Modell zu liefern, das Investoren und potenzielle Kunden interessieren dürfte.“
Chuck atmete geräuschvoll aus. „Schön. In Ordnung. Das leuchtet mir ein. Aber was ist mit Anwendungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität?“
„Ich denke nicht, dass wir zu diesem Zeitpunkt behinderte Menschen zu Testzwecken einsetzen müssen“, sagte Matt mit einem Blick auf Chuck. „Was Troll im Bereich des Programmierens oder Sara mit einem CAD/CAM-Apparat tun können, kann ein behinderter Programmierer oder Konstrukteur genauso gut.“ Er schwenkte seinen Sessel zu Chuck herum, seine Augen leuchteten. „Überlegen Sie nur. Unsere neurale Schnittstelle könnte einem behinderten Ingenieur erlauben, ein CAD/CAM-Programm zu nutzen und sie könnte Bauarbeitern ermöglichen, gefährliche Ausrüstung aus der Ferne zu bedienen oder heikle Verfahren anzuwenden, ohne dass sie sich selbst in Gefahr begeben. Denken Sie nur an die Vorteile bei Rettungseinsätzen oder der Brandbekämpfung.“
„Das sind genau die Dinge, an die ich denke.“
„Aber haben Sie auch bedacht, wie schwer sie zu testen sein werden? Sollen wir ein paar Gebäude niederbrennen, nur um zu zeigen, dass ein Feuerwehrfahrzeug einen Brand löschen kann, ohne dass Feuerwehrleute ihr Leben aufs Spiel setzen? Haben Sie bedacht, wie teuer es wäre, diese Dinge auch nur versuchsweise zu erkunden, bevor wir die Wirksamkeit der Technik für andere, kleinere Disziplinen bewiesen haben?“
Da war was dran. „Gut, aber Computerspiele?“
Matt pflanzte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich mit ernstem Gesicht zu seinem Partner. „Chuck, heute sind es Computerspiele und morgen medizinische Programme, die Ärzten erlauben, feinste Eingriffe im menschlichen Körper vorzunehmen, ohne dass sie Werkzeuge benutzen müssen, die zu groß für die Aufgabe sind. Wir müssen die Wirksamkeit des Verfahrens auf eine Weise demonstrieren, die jeder versteht, aber ohne Menschenleben zu gefährden. Mal angenommen, wir würden tatsächlich aus dem Stand eine medizinische Anwendung testen. Wer würde sich wohl für eine solche Studie melden?“
„Niemand.“
„Richtig. Also, dann weiter im Text. Wir haben Sicherheit, CAD/CAM und Videospielentwicklung bzw. ihre Anwendung. Was kommt als Nächstes?“
Was als Nächstes kam, war Bauwesen. Chuck begann dagegen zu argumentieren, aber Matt überzeugte ihn, dass es der ideale Bereich war; sie konnten herausfinden, ob ihre Technik einem erfahrenen Bauarbeiter erlaubte, schweres Gerät zu dirigieren. Einen kleinen Schaufelbagger würden sie sich ja wohl leisten können.
Die endgültige Liste war festgezurrt: CAD/CAM, Programmieren, Videospiele, Bauwesen und Sicherheit. Matt vertrat den Standpunkt – und ließ sich nicht davon abbringen –, dies seien Einstiegsanwendungen für alle andern.
Chuck konnte nicht umhin zu bemerken, dass es außerdem die kommerziellsten Anwendungen waren – und die auf Matts ursprünglicher Liste.
Chuck hatte es sich schwer vorgestellt, Mini Mause mitzuteilen, dass sie nicht mehr für das Programm gebraucht wurde. Er hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass es für ihn schwerer sein würde als für sie, und dass am Ende sie diejenige sein würde, die ihn tröstete, weil er sie gehen lassen musste.
„Hey, ist schon in Ordnung, Doc“, sagte sie und legte ihm ihre kleine Hand auf die Schulter.
Sie saßen sich in zwei Sesseln in seinem geräumigen, hellen Büro gegenüber. Chuck hatte es nicht fertiggebracht, hinter seinem Schreibtisch zu sitzen wie ein Collegeprofessor, der eine Studentin durchfallen lässt … oder wie ein Boss, der eine Angestellte feuert.
„Ehrlich. Ich glaube, ich habe mich sowieso ein wenig zu sehr in die Sache hineingesteigert. Ich habe nicht mehr so viel Kunst zustande gebracht, weil ich den ganzen Tag in Gedanken bei dem war, was ich im Labor als Nächstes tun würde.“ Sie lachte, ein heller, heiterer Klang, bei dem sich Chuck zumindest wünschte, er würde sich besser fühlen. „Wer weiß? Vielleicht kann ich ja noch auf freiwilliger Basis kommen. Als eine Art Machbarkeitsnachweis, nachdem Sie die Ausrüstung bei den anderen Teilnehmern ausprobiert haben.“
Chuck musterte ihr kesses Gesicht eingehend. „Das würdest du tun? Einfach so in deiner freien Zeit?“
„Sicher, warum nicht. Ich nutze dieses Labor liebend gern als Atelier für meine Kunst. Wo sonst hätte ich Zugang zu einer solchen Ausrüstung? Von einer voll ausgestatteten Küche ganz zu schweigen. Abgesehen davon ist das eine coole Geschichte hier, Doc. Als wäre man dabei, wenn die Zukunft gemacht wird.“
Er lehnte sich zurück und betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. „Ich nehme an, der Umstand, dass du ein Auge auf meinen Laborleiter geworfen hast, spielt nicht mit hinein.“
Ihre Wangen färbten sich rosa.
„Himmel, nein. Ich muss nicht jeden Tag hier sein, um an Eugene ranzukommen.“ Sie lächelte ihn strahlend an und schnellte aus ihrem Sessel. „So, und jetzt gehe ich ins Labor hinüber und schaue, was er davon hält, dass man mich feuert. Willst du zusehen?“
Chuck folgte Mini bis zur Tür des Labors, wo Eugene über einem Modell für die CAD/CAM-Schnittstelle brütete. Sie ging direkt zu seinem Arbeitsplatz und stand einen Moment schweigend da, dann bewegte sie sich gerade so viel, dass der Stoff ihres langen Rocks raschelte.
Eugene sah auf. Chuck hatte noch nie erlebt, dass er sich so schnell auf etwas konzentrierte, was sich nicht in seinem Kopf abspielte.
„Mini, hi. Wusste gar nicht, dass du hier bist.“
„Ich bin nur hier, um mich zu verabschieden, Euge. Doc Brenton hat mir gerade mitgeteilt, dass er mich nicht mehr für das Programm braucht, deshalb …“ Sie zuckte mit den Achseln. „Dann sehen wir uns wohl nicht mehr.“
Eugene starrte sie wie betäubt an. Er hatte natürlich gewusst, dass ihre Teilnahme am Programm endete, aber in echter Eugene-Pozniaki-Manier hatte er die Folgen nicht bedacht.
Er sah von Mini zur Uhr an der Wand über seinem Lichttisch. Fast eins. „Hör zu, ich bin hier gerade mit etwas fertig. Kannst du … ich meine, wollen wir irgendwo Mittagessen gehen?“
Sie nickte lächelnd. Mit ihren verschränkten Händen und dem zur Seite geneigten Kopf brachte sie es fertig, freudig überrascht über einen Wortwechsel zu wirken, den sie von Anfang an inszeniert hatte. Chuck hatte fast Mitleid mit Eugene. Fast.
Er macht grinsend kehrt und ging in sein Büro zurück. Minerva Mause mochte klein sein, aber man durfte sie eindeutig nicht unterschätzen.