KAPITEL 21

Shield

Dice blicke auf sein Spiegelbild im undurchsichtigen Fenster des Humvees und seufzte. Mit Deep Shield zu arbeiten glich dem Versuch, durch dieses verdunkelte Glas zu sehen. Sie hatten ihm erzählt, es gebe ein Problem mit einem Mechanismus, aber sie wollten ihm nicht verraten, mit welchem. Er hatte gefragt, was für Werkzeuge er mitbringen sollte. Sie sagten, keine – die Werkzeuge würden sie stellen. Er musste deshalb annehmen, dass es um eine der Einheiten ging, die sie selbst entwickelt hatten, was die Frage aufwarf:

Warum werde ich gebeten, Troubleshooter zu spielen und sie zu reparieren?

Er merkte an einer leichten Veränderung des Fahrgeräusches, dass sie die Anlage von Deep Shield erreicht hatten. Es war, als würde der Humvee durch eine enge Gasse rollen oder vielleicht durch einen Tunnel. Wie immer endete die Fahrt in dem großen Hangar, man führte ihn in die Werkstatt, die er immer benutzte, wenn er bei den Deeps arbeitete, und präsentierte ihm die Hirnschale eines Roboters. Sie hätte von einem seiner Roboter stammen können … außer dass sie zweimal so groß und seltsam geformt war. Die Hirnschalen der Forward-Kinetics-Roboter waren nahezu kugelförmig; diese hier war etwa wie ein Football geformt.

Das war das eine, und dann fehlte die CPU. Das konnte er feststellen, ohne die Schale zu öffnen. Das gesamte Gewicht lag in einem Ende.

„Woher stammt das?“, fragte er die Technikerin, die man ihm zugeteilt hatte – ein weiblicher Sergeant namens Cherise Kelly.

„Von einer unserer neuen Einheiten“, antwortete Sergeant Kelly, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Die auf dem Hob-bot-Design basieren, wie Bilbo?“

„Ja, Sir.“

„Ich tappe hier im Dunkeln, Cherise. Was können Sie mir noch über die Einheit sagen?“

Sie sah aus, als wäre ihr nicht wohl in ihrer Haut. „Es tut mir leid, Dr. Kobayashi, aber ich bin nicht befugt, Ihnen mehr zu verraten.“

„Nun, Sie werden mir mehr verraten müssen, denn ich muss wissen, was zum Teufel Sie von mir erwarten.“

„Wir haben gehofft, Sie könnten sie reparieren.“

„Sie reparieren. Was tut das Ding? Oder was tut es nicht, sollte ich vielleicht besser sagen.“

„Es funktioniert nicht. Die Einheit verliert immer das Gleichgewicht.“

„Wo ist die CPU?“

„In unserem Labor.“

„Ich muss sie sehen.“

„Tut mir leid, Sir, das dürfen sie nicht. Sie ist geheim.“

Er dachte einen Moment darüber nach, dann sagte er: „Okay. Ihnen ist klar, dass ich möglicherweise nichts tun kann, wenn ich die zentrale Recheneinheit nicht sehe.“

Sie sagte nichts.

Er balancierte die Hirnschale auf der Handfläche. Sie kippte auf die Seite, auf der sich der Kreiselmechanismus befand. „Ich habe keine Ahnung, wie die Schale mit der CPU darin im Gleichgewicht ist. Möglicherweise werde ich das Problem nicht lösen können.“

„Ja, Sir.“

„Gut.“ Er seufzte. Wissenschaft ohne Kommunikation endet selten in Fortschritt, dachte er. Wieso verstehen diese Leute das nicht? Dice legte die Schale auf die Werkbank und musterte die Werkzeuge, die sie ihm zur Verfügung gestellt hatten. Sie waren wie diejenigen, die er zu Hause bei Forward Kinetics hatte, aber den Verschlüssen der größeren Einheiten angepasst. Komisch. Er sah keinen Grund, warum die Standardgrößen nicht funktioniert haben sollten. Kein Wunder, dass Werkzeuge beim Militär immer so viel kosteten wie eine Flotte Teslas.

Er griff sich ein Werkzeug, entfernte die Verschlussbolzen und legte die Hirnschale offen auf der Werkbank aus. Gegenüber der leeren Vertiefung, in der das gar nicht so kleine Gehirn des Roboters hätte sein müssen, befand sich ein geschlossenes Gehäuse für den Kreiselstabilisator, mit dessen Hilfe der Roboter das Gleichgewicht hielt. Nach einem Blick darauf hatte Dice eine ziemlich gute Vorstellung, wo das Problem liegen könnte, er musste das Gehäuse nicht einmal öffnen dafür.

Sollte er es seiner Betreuerin sagen? Allein der Gedanke ließ ihn beinahe laut aufstöhnen. Geheimniskrämerei war das, was einem Newman-Motor am nächsten kam – sie nährte sich von sich selbst. Er hatte immer in einer offenen Umgebung gearbeitet, in der man Informationen teilte. Informationen zu tauschen war der Treibstoff, der den Motor von Kreativität und Erfindergeist am Laufen hielt. Doch konfrontiert mit der Verschlossenheit bei Deep Shield fühlte er sich so wenig zum Austausch bereit wie noch nie in seinem Leben.

Er holte tief Luft und schüttelte den momentanen Aussetzer seiner Vernunft ab. Dann öffnete er die Abdeckung des Kreiselmechanismus und fand seinen Verdacht bestätigt.

„Der Roboter kann also das Gleichgewicht nicht halten, sagten Sie, Sergeant Kelly?“

„Ja, Sir. Er ist bei den einfachsten Manövern nicht in der Lage, aufrecht zu bleiben. Tatsächlich ist er sogar instabil, wenn er stillsteht.“

„Das habe ich mir fast gedacht. Die Hirnschale sitzt in der Vertikalen, richtig?“

„Ja.“

„Dann haben Sie vermutlich zwei Probleme. Eins ist, dass der Kreiselstabilisator zu klein ist. Das andere ist seine Platzierung. Entweder Sie brauchen einen wesentlich größeren Kreisel, der auf der CPU sitzt, oder Sie brauchen zwei, die eine Idee größer sind als dieser hier und links und rechts der CPU sitzen. Das gilt vor allem, falls Sie jemals vorhaben, die Hirnschale in der Horizontalen balancieren zu lassen, was vermutlich der Fall ist.“

„Das kann ich nicht sagen, Sir.“

„Natürlich nicht.“

Die Technikerin betrachtete die Hirnschale nachdenklich. „Wenn ich fragen darf, Doktor, warum brauchen Ihre Roboter keinen doppelten Kreisel?“

„Ihre Ingenieure haben zu viele Variablen auf einmal verändert, Sergeant. Sie haben Größe, Form und Ausrichtung der Hirnschale geändert, sie haben den Kreisel an einer anderen Stelle in ihr angebracht und sie haben – falls ich mich nicht irre, und das glaube ich nicht – außerdem Größe und Gewicht der CPU verändert. Und sie haben all das getan, ohne den Kreisel zu modifizieren oder ihn zum Ausgleich zu ergänzen. Das jedenfalls ist meine begründete Vermutung.“

Ein Lächeln spielte um die Mundwinkel der Technikerin. „Megan sagte schon, dass Sie ein schlauer Bursche sind, Dr. Kobayashi. Und sie hat recht. Das alles können Sie bei einem Blick auf eine fast leere Hirnschale feststellen?“

„Sergeant Kelly, ich lebe und atme Roboter, und ich träume von Robotern. Na ja, wenigstens habe ich früher von ihnen geträumt … bevor ich eine Freundin hatte.“ Das brachte ihm nicht den Lacher ein, auf den er gewartet hatte. „Jedenfalls …“ Er gestikulierte zu dem Mechanismus, der auf der Werkbank lag. „Das hätte nie funktionieren können.“

„Nein, Sir, das verstehe ich jetzt.“

„Das ließe sich natürlich viel schneller beheben, wenn sie mir einfach Zutritt zu Ihrem Labor gewähren würden, damit ich daran arbeiten kann.“

„Es tut mir leid, Sir, aber das geht nicht. Es ist …“

„Geheim, ich weiß. Aber warum? Was haben Sie da drin, das ich nicht schon gesehen habe?“

Sie antwortete nicht.

Er fuhr sich frustriert mit der Hand durchs Haar. „Schauen Sie, Cherise, ich möchte nur den Roboter sehen, zu dem das hier gehört. Ich will keinen Zugang zu irgendetwas sonst.“

Sie sah ihn lange einfach nur an, dann sagte sie: „Sie dürfen den Roboter nicht sehen, Sir.“

„Wovon, zum Teufel, sprechen Sie? Ich habe die verdammten Dinger konstruiert!“

„Es tut mir leid, Sir. Sie dürfen die Roboter nicht sehen. Außer dem verbesserten Hob-bot und der Thorin-Serie sind alle unsere Roboter geheim.“ Das brachte sie in einer kühlen Art vor, die keinen Widerspruch duldete.

„Lassen Sie mich mit Megan reden.“

„Es tut mir leid, Lieutenant Philips ist im Moment nicht zu sprechen. Sie ist mit Praxistests beschäftigt.“

Dice machte sich nicht erst die Mühe zu fragen, was Megan Philips testete. Er war sich ohnehin nicht sicher, ob er es wissen wollte.

Er gab noch einige Empfehlungen für ein neues Design des Roboterschädels ab, basierend auf den dürren Informationen, die er besaß, dann stieg er in den großen Humvee, um zu Forward Kinetics zurückzukehren. Zu seiner Überraschung hatte es sich Lanfen bereits auf dem Rücksitz bequem gemacht, sie war offensichtlich nach dem Unterricht für ihre Gruppe auf dem Heimweg zum Basislager.

Er sprach auf der Fahrt nur sehr wenig mit ihr, aber sobald sie auf ihrem Firmengelände ausgestiegen waren und der Humvee weggefahren war, sagte er: „Ich muss mit Ihnen reden.“

Sie sah ihn von der Seite her an. „Natürlich. In Ihrem Büro?“

„Ja. Nein, warten Sie.“ Er blieb stehen und spähte zu dem Gebäude. Was, wenn sein Büro verwanzt war? Aus irgendeinem Grund erschien ihm die Idee nicht so verrückt, wie es vor einem Jahr noch der Fall gewesen wäre. „Lassen Sie uns einfach im Park spazieren gehen, ja?“

„Ooookay“, sagte sie und folgte ihm über den Gartenweg.

Er entfernte sich von dem Gebäude und mied sorgfältig die Gärtner, die über ihre Pflanzen gebeugt waren. Er war sich ziemlich sicher, dass er Lanfen einen Schrecken einjagte, ging aber wortlos weiter, bis er sich halbwegs sicher fühlte.

Schließlich blieb er stehen. „Ich weiß nicht, wie ich dieses Gespräch beginnen soll, deshalb komme ich einfach gleich zur Sache“, sagte er. „Haben Sie draußen in den Deeps etwas bemerkt, was Ihnen unheimlich erschien?“

Sie wirkte nicht allzu überrascht von der Frage. „Definieren Sie unheimlich.“

„Muss ich das wirklich?“

Sie lächelte süßsauer. „Eigentlich nicht. Was ist los?“

„Ich wurde zu ihnen gerufen, um ein Problem mit einem Teil zu lösen – einem Kreiselstabilisator, von dem sie glaubten, er würde nicht richtig funktionieren. Er befand sich in einer Hirnschale, die sie nach einer Konstruktion von mir geschaffen hatten, aber sie haben die Größe verändert, die Gestalt, alles. Sie wollten mir nichts außer dem defekten Teil zeigen. Sie ließen mich nicht einmal die CPU des Roboters sehen, ganz zu schweigen davon, dass sie mich in ihr Labor gelassen hätten. Ich musste alles im Hangar erledigen.“

„Ja, ich weiß, dass sie Veränderungen vornehmen. Ihre Fu-Bots sind größer, schwerer. War es der Schädel von so einem?“

„Nein, bei den Kung-Fu-Robotern habe ich geholfen. Diese Gehirnschale war um ein Vielfaches größer als selbst bei ihren Fu-Bots, und sie war anders geformt.“ Er stellte einen länglichen Rundkörper mit Gesten dar. „Was immer es war, es ist jedenfalls umgefallen.“

„Geheime Konstruktionen seitens der Regierung, also … Das war zu erwarten, oder?“

„War es das?“

Sie kaute auf der Unterlippe. „Ich weiß nicht. Die Geheimniskrämerei wirkt tatsächlich ein bisschen übertrieben. Es sei denn …“

„Es sei denn, sie tun Dinge, die nicht im Vertrag stehen“, beendete Dice ihren Gedankengang.

„Wie könnten wir es herausfinden? Ich meine, sie werden keinen von uns …“

Sie blieb stehen und sah ihn an. Dice lief ein Kribbeln über den Rücken. Er war sich ziemlich sicher, dass sie den Gedanken gleichzeitig gehabt hatten.

Sie lächelte. „Ich kann in ihr Labor gelangen. Daran haben Sie gedacht, oder?“

„Es ist mir in den Sinn gekommen.“

„Okay. Morgen. Ich kann aber nicht lange bleiben.“

„Das müssen Sie nicht. Sie müssen nur schauen, was sie da drinnen haben.“

„Ich werde es versuchen.“

„Mehr kann ich nicht verlangen.“

Sie machten beide kehrt, als hätten sie es vereinbart, und spazierten so lässig zum Gebäude zurück, wie es zwei Menschen nur möglich war, die gerade beschlossen haben, das Militär ihres eigenen Landes auszuspionieren.

Alles wie gehabt, nichts Neues unter der Sonne.

So dachte Mini inzwischen über ihr Engagement bei Deep Shield. Sie war über die erste Begeisterung hinaus, weil sie diesen überkompetenten Leuten etwas beibringen konnte. Sie waren ein eigentümlich fokussierter Haufen, der sie komisch ansah, wenn sie von der Kunst schwärmte, die sie unterrichtete. Für diese Leute diente das Malen mit Pixeln und Photonen einem Zweck, der mit der Kunst an sich oder der Freude an Kreativität nichts zu tun hatte. Sie konzentrierten sich absolut auf diesen äußeren Zweck und übten wie besessen, makellose Bilder nur mit ihren Gedanken zu erschaffen. Sie waren auch gut darin, aber nach Minis Ansicht mangelte es ihnen an echter Leidenschaft. Für sie war es eine Übung in Kontrolle, nicht in Kreation. Und Kontrolle langweilte Mini irgendwie.

Als ihre Unterrichtseinheit an diesem Freitag schließlich zu Ende war, hätte sie die Wände hochgehen können. Mehrmals hatte sie um ein Haar die Geduld mit der Gruppenleiterin, Rachel Cohen, verloren. Wäre nicht der Welpe in der Gruppe gewesen – ein Corporal namens Morris Baxter, der die reine Freude am Schöpferischen zu genießen schien –, wäre sie ausgerastet. Sie mochte es nicht, wenn sie ausrastete. Es stand ihr nicht. Ein bisschen wie die Maus, die brüllte.

Als die letzten Deeps am Ende des Tages ihr Labor verlassen hatten, salutierte sie ironisch dem leeren Eingang und überlegte, ob sie noch einen gestreckten Mittelfinger hinterherschicken sollte. Doch sofort bekam sie Schuldgefühle. Sie waren zu bedauern, nicht zu verspotten. Bis auf Corporal „Bax“ Baxter hatten sie keine Ahnung, was ihnen entging, weil sie sich so gänzlich auf das Produkt konzentrierten, dass sie keine Freude aus dem Prozess ziehen konnten.

„Ich brauche meine Dosis“, sagte sie laut zu sich selbst und machte sich auf den Weg in den Garten, um nach Jorge zu suchen. Ein kurzes Gespräch mit dem Gärtner – mit jemandem, der Leidenschaft für etwas empfand, auch wenn die meisten Leute sagen würden, es seien nur Pflanzen – würde sie den ganzen Frust mit ihrer Gruppe vergessen lassen.

Normalerweise räumte Jorge an einem Freitag um diese Zeit den Werkzeugschuppen auf und bereitete die Arbeit der nächsten Woche vor, aber als Mini beim Schuppen ankam, war er nirgendwo zu sehen. Sie stöberte ein wenig herum und hielt nach ihm Ausschau, aber dann gab sie es auf und beschloss, dass ein Spaziergang über die Gartenwege reichen musste, um ihre Stimmung zu lockern. Sie war beinahe wieder beim Gebäude von Forward Kinetics angelangt, als sie ihn im Schatten einer kleinen Ahorngruppe arbeiten sah. Doch als sie näher kam, erkannte sie, dass es gar nicht Jorge war. Sie dachte, es müsste einer seiner Mitarbeiter sein, der sicher wusste, wo sein Boss war. Erst als sie unmittelbar hinter dem Mann stand, erkannte sie, dass er ein völlig Fremder war.

Er drehte sich zu ihr um und lächelte. „Guten Tag, Miss“, sagte er. Er ähnelte Jorge kein bisschen. Er war viel jünger und trug das schwarze Haar kurz geschnitten statt nach hinten gekämmt.

„Hallo“, sagte sie. „Äh, haben Sie Jorge gesehen?“

„Wen?“

„Jorge Delgado, den Chef der Gärtner. Er ist doch nicht krank oder etwas?“

„Es tut mir leid, Miss, Jorge arbeitet nicht mehr hier. Der Vertrag mit seiner Firma wurde gekündigt.“

„Warum?“

„Das weiß ich nicht, Miss.“

„Dann gehören Sie also zu der neuen Firma, die sich um die Außenanlagen kümmert?“

„Ja.“

„Wer hat Ihr Unternehmen engagiert?“

„Das weiß ich nicht, Miss. Ich wurde Mittwoch hierher versetzt.“

„Verstehe“, sagte sie. „Vielen Dank, jedenfalls.“

Sie ging zum Gebäude zurück, verwirrter als zuvor. Jorge hatte nicht gewusst, dass man seiner Firma kündigen würde, als sie zuletzt mit ihm gesprochen hatte, was – du lieber Himmel – am Mittwochmorgen gewesen war. Und sie bildete sich nicht nur ein, dass dieser neue Typ genauso klang wie die Leute in ihrer Kunst-Gruppe. „Mittwoch hierher versetzt“ – das klang so offiziell, genau wie das ständige „Miss“.

Militärsprache – das war es.

Es war auch keine Einbildung, dass ein Funkgerät aus seiner Tasche geschaut hatte. Sie blieb stehen, um eine Blüte von einer Heckenrose zu pflücken und beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er sprach in das Funkgerät. Berichtete er von seiner Unterhaltung mit ihr?

Sie schob den Unterkiefer vor, steckte sich Jorges Rose hinter das Ohr und marschierte in das Gebäude. Halb Flamencotänzerin, halb Stierkämpfer machte sie sich daran, die Quelle dieser Verarsche zu suchen.

Eugene hatte die Hosen voll, man konnte es nicht anders beschreiben. Er hatte den Gewerbepark verlassen, um in einem Bistro im Ort etwas zu holen, das Mini „Candy Coffee“ nannte – mit sehr viel Schlagsahne und extra Mokka darin – und schaute unterwegs noch in einen Drugstore, um Nachschub an Müsliriegeln und Lakritzstangen für seine Schreibtischschublade zu kaufen.

Er hatte sich nichts dabei gedacht, als ein junger Mann in einem T-Shirt der Orioles und einer verspiegelten Sonnenbrille im Coffeeshop mit ihm in der Schlange stand, aber als er denselben Mann dann im Drugstore in einem dieser geneigten Deckenspiegel sah, schauderte er von den Spitzen seiner Nerd-Frisur bis zu den Sohlen seiner Sneaker.

Es war ihm irgendwie gelungen, gelassen dreinzuschauen, als er zu seinem Wagen zurückging und einstieg. Dort tat er ein, zwei Minuten lang so, als würde er sich mit dem Radio und dem Ladegerät für sein Handy beschäftigen, was ihm erlaubte, den Typ aus dem Augenwinkel zu beobachten, als dieser den Laden verließ und auf dem Gehsteig stand.

Eugene konnte wegen der verspiegelten Brille nicht sagen, ob der Mann zu ihm schaute, aber er war nicht überrascht, als er ein Handy herausfischte und hineinsprach, während er vor dem Laden auf und ab lief.

Na schön. Spielen wir dieses Spiel.

Er ließ seinen Wagen an und fuhr rückwärts aus dem Stellplatz. Dann steuerte er die Ausfahrt des Parkplatzes an, wobei er immer wieder einen Blick in den Rückspiegel warf. Irgendwann zwischen zwei Blicken war der Orioles-Fan verschwunden. Als Eugene schließlich auf die Straße einbog, tauchte ein silbergrauer Honda hinter ihm auf.

Er fuhr eine alternative Route zu Forward Kinetics zurück, sie führte ihn unter anderem am Drive-In-Fenster eines Dairy Queen vorbei, wo er zusätzlich zu dem Macchiato noch einen Oreo Blizzard hinunterzwang. Zuletzt sah er den silbergrauen Honda, als er in den Gewerbepark einbog. Der Wagen fuhr geradeaus weiter.

Eugene ging direkt zu Chucks Büro, und das ungute Gefühl in seinem Magen rührte nicht von der Überdosis Zucker her.

Die ganze Woche hatte Lanfen nach einer Gelegenheit gesucht, einen Blick hinter die Kulissen von Deep Shield zu werfen. Das Problem war natürlich, dass sie selten allein war. Sie wurde überallhin begleitet und verbrachte den größten Teil ihrer Zeit mit ihrer Gruppe.

Die Gelegenheit ergab sich schließlich, als die Gruppe sich am Freitagnachmittag trennte. Sie hatten ein bisschen früher Schluss gemacht, um an einer Unterweisung teilzunehmen, und der Fahrer, der ihr zugeteilt war, war noch anderweitig beschäftigt.

„Macht es Ihnen etwas aus, hier auf Ihren Fahrer zu warten?“, fragte Reynolds mit einer Geste, die den Übungsraum einschloss. Seine Mitschüler hatten ihre Roboter bereits hinausgeführt, aber Thorin stand noch in Habachtstellung neben ihm. „Es dürfte höchstens zwanzig Minuten dauern.“

Lanfen zuckte mit den Achseln und ließ sich im Schneidersitz auf der Matte nieder. „Das ist in Ordnung für mich. Ich bleibe einfach hier und entspanne mich. Ein bisschen zusätzliche Meditation schadet nie.“

Er lächelte sie an, dann drehte er sich um und griff mental nach Thorin.

Lanfen kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf den großen Roboter. Im nächsten Moment sah sie die Welt durch seine Optik. Sie hatte sich vorher gefragt, ob sie mit Lieutenant Reynolds’ Bewusstsein kollidieren würde, wenn sie sich zeitgleich in den Roboter versetzte, aber sie tat es nicht. Andererseits versuchte sie auch nicht, Thorin zu kontrollieren. Sie kam einfach mit, als der Roboter und sein Lenker den Übungsraum verließen und einen Teil von Deep Shield betraten, zu dem man Lanfen und ihren Kollegen keinen Zugang gewährt hatte.

Die Flure – Grau auf Blau – sahen nicht anders aus als die in den öffentlicheren Bereichen, nur dass bewaffnete Wachen links und rechts der Türen standen. Reynolds nickte ihnen zu und bewegte Thorin weiter den Gang entlang. Sie kamen an mehreren geschlossenen Türen vorbei, und Lanfen begann schon zu bezweifeln, ob sie noch etwas von Interesse sehen würde, als der Roboter eine Tür auf der rechten Seite des breiten Korridors aufstieß.

Sie betraten einen lang gestreckten Raum, dessen Wände von etwas gesäumt waren, das Lanfen an die Ladestationen der Borg in Star Trek erinnerte. Es gab Dutzende davon. Diejenigen, die der Tür am nächsten waren, gehörten den Angehörigen ihrer Gruppe, aber dahinter …

Im Übungsraum sog Lanfen scharf die Luft ein.

Hinter den inzwischen vertrauten, größeren Hob-bots standen Reihen von Maschinen, die sie winzig klein aussehen ließen. Sie waren massiver, schwerer und wirkten irgendwie missgestaltet. Ihre Beine waren dick wie Baumstämme und endeten in Konstruktionen, die definitiv keine Füße waren. Sie sahen eher wie die Raupenketten von Panzern aus.

„Was zum Teufel …?“, murmelte Lanfen.

Thorin schwenkte nach links und bestieg ein niedriges Podest, ehe er sich zum Raum umdrehte. Lanfen sah durch die Augen des Fu-Bots, wie Lieutenant Reynolds den Saal verließ. Sie wartete, bis die Tür geschlossen war, ehe sie den Roboter übernahm und seinen Kopf in alle Richtungen drehte, um eine Übersicht über den Raum zu erhalten. Sie wünschte verzweifelt, sie könnte ein Foto machen, aber alles, was sie hatte, waren ihre Beobachtungsgabe und ihr Gedächtnis.

Sie versuchte, sich auf die Panzerketten und die seltsam verdickten Unterarme zu konzentrieren. Manche Details konnte sie jedoch nicht richtig erkennen.

Sie musste einen näheren Blick darauf werfen.

Sie wollte Thorin gerade wieder auf den Boden hinunterführen, als eine Tür am Ende des Raums aufging und zwei uniformierte Männer eintraten, in ein Gespräch vertieft. Sie ließ den Roboter erstarren, ein Bein in der Luft, um von dem Podest zu steigen, der Kopf den Neuankömmlingen zugewandt.

Lanfen nahm wahr, wie ihr der Schweiß über den Rücken lief, aber sie ließ sich nicht davon ablenken. Langsam setzte sie das Bein des Roboters auf den Boden und drehte den Kopf wieder geradeaus.

„Großer Gott“, entfuhr es einem der Männer. Er starrte sie (oder vielmehr Thorin) an. „Hast du das gesehen?“

„Was gesehen?“ Der zweite Mann folgte dem Blick des ersten.

„Ich könnte schwören, dieser Roboter hat sich bewegt.“

„Lass das. Hier drin ist es auch ohne deinen Scheiß schon unheimlich genug. Gehen wir lieber etwas essen, bevor ich nichts mehr runterkriege vor Schreck.“

Sie gingen.

Lanfen holte tief Luft und begann, Thorins Kopf wieder zu drehen.

„Ms. Chen?“

Eine Hand berührte ihre Schulter und ließ sie laut aufschreien.

Sie öffnete die Augen und sah in das Gesicht ihres ständigen Begleiters und Fahrers.

„Es tut mir leid“, sagte er und sah verlegen aus. „Ich wollte Sie nicht erschrecken. Wir können fahren, wann immer Sie so weit sind.“

Sie holte tief Luft. „Gut. Sehr gut. Ich bin so weit.“ Sie stand auf, warf Bilbo einen Abschiedsblick zu und folgte dem Mann nach draußen. Ein Teil von ihr wünschte, sie könnte den Roboter mitnehmen, ihn von diesem Ort wegholen. Es war eine irrationale Reaktion. Bilbo hatte keine Gefühle, es war ihm vollkommen gleichgültig, wo er untergebracht war. Alles, was er an Persönlichkeit besaß, war ihre Persönlichkeit.

Sie verweilte ein wenig bei diesen Gedanken – bei der Vorstellung, dass Bilbo in gewissem Sinn ein Zuhause für ihr Bewusstsein war, ein vertrauter Landeplatz an diesem fremden Ort.

„Alles in Ordnung mit Ihnen, Ms. Chen?“, fragte der Fahrer, als er ihr die hintere Tür des Humvees aufhielt. „Sie sehen ein bisschen blass aus.“

„Kann sein, dass ich mir etwas eingefangen habe“, sagte sie und schniefte zur Bekräftigung. „War ein langer Tag.“

„Ja, Ma’am“, sagte er freundlich und chauffierte sie zurück zu Forward Kinetics, wo ihr erster Tagesordnungspunkt ein Spaziergang im Park mit Dice sein würde.