41. Kapitel
Jon ging mit Lucky über den Pike Place Market. Es
war der erste Tag, an dem es nach Frühling roch. Die Menschen
drängte es ins Freie, und Lucky schnupperte in der Luft, als läge
etwas Neues darin. Jon registrierte nicht einmal die Frauen, die
sich nach ihm umdrehten. Die Nacht mit Allison war für ihn die
letzte überhaupt gewesen, in der er mit einer Frau geschlafen
hatte. Er hatte weder auf Sam noch auf Ruth reagiert, und selbst
Beth hatte irgendwann aufgegeben, ihn anzurufen. Er hatte sich in
die Arbeit gestürzt, aber es war zu spät gewesen, um Parsifal noch
zu retten. Einsam und allein musste er mit seinem ersten
beruflichen Misserfolg fertig werden. Er band Luckys Leine an ein
Geländer neben einigen Tischen im Freien, obwohl das gar nicht
nötig gewesen wäre: Der Hund hätte den ganzen Tag und die ganze
Nacht auf ihn gewartet, angeleint oder nicht. Dann ging er in ein
Geschäft, um Kaffee zu kaufen.
Während er in der Schlange stand, sah er, dass die
Preisschilder unter den Korinthenbrötchen und den Keksen
Haftnotizzettel waren. Er strich über einen davon mit dem Finger
und schüttelte dann den Kopf. Er erlaubte sich grundsätzlich nicht,
an Tracie zu denken, und brachte auch jetzt genügend Disziplin auf,
um sich an diese Regel zu halten. Zuerst hatte ihn die Einsamkeit
so dicht umhüllt wie der Nebel über dem Puget Sound. Er gab nur
ungern zu, wie viele Nächte er bei seiner Mutter verbracht hatte,
während er versuchte, über diese kleine Krise hinwegzukommen. Sie
hatte nie darüber geredet, ihn immer fröhlich begrüßt und nie
Fragen gestellt. Sie hatte ihm lediglich einen Vorschlag gemacht:
»Warum schaust du nicht mal im Tierheim vorbei?« Er hatte sich nie
für einen großen Tierfreund gehalten,
kam sich aber selber ein wenig wie ein Hund im Tierheim vor:
einsam, eingesperrt – jedenfalls emotional – und auf der Suche nach
einem Gefährten. In den Käfigen hatte er dann all die hündischen
Verlierer im Spiel der Liebe gesehen: Welpen, die zu lebhaft waren,
Hunde, die zu groß geworden, nicht niedlich oder klug genug waren
oder einfach kein Glück gehabt hatten.
Jon hatte seinen Kaffee und sein klebriges
Korinthenbrötchen bekommen, das er wie immer mit Lucky teilen
wollte. Der Hund begrüßte ihn mit übertriebenen Freudenbekundungen,
wackelte mit dem Hinterteil und wedelte mit dem Schwanz. Als er ihn
losband und gerade gehen wollte, sah er Beth allein im Café sitzen.
Er könnte ihr aus dem Weg gehen, aber in diesem Augenblick fühlte
er sich trotz Lucky so einsam, dass er zu ihr an den Tisch trat.
»Darf ich?«, fragte er.
Sie schaute hoch. »Aber sicher. Wie geht’s denn so,
Jonny?«
»Jon. Einfach nur Jon«, bat er. »Und das hier ist
Lucky.«
»Ich wusste gar nicht, dass du einen Hund
hast.«
»Ich hab ihn auch erst seit kurzem. Was mich
anbelangt, mir geht’s gut. Und dir?«
»Ach, wie immer«, sagte Beth. Sie nahm ihre Tasse
hoch und trank ihren Kaffee. Dazu aß sie ein Milky Way. »In der
Zeitung macht’s keinen Spaß mehr. Marcus ist von Allison wegen
sexueller Belästigung verklagt worden, und ohne Tracie -«
»Tracie ist nicht mehr bei der Zeitung?«, fragte
Jon. Er hatte sich gezwungen, keine Features mehr zu lesen, um
nicht nach ihrem Namen zu suchen.
»Weißt du denn nicht, dass sie gegangen ist?«,
fragte Beth.
»Nein.« Er strengte sich wirklich sehr an, keine
weiteren Fragen nach Tracie zu stellen, aber es wollte ihm einfach
nicht gelingen. »Wann heiratet sie denn?«, fragte er Beth, beschämt
und verängstigt wegen seiner mangelnden Selbstbeherrschung. Er
konnte es sich nicht leisten, wieder in das Elend zurückzufallen,
das er in den vergangenen Monaten durchgemacht hatte.
»Allison?«
»Nein, Tracie«, zwang er sich zu sagen. Er hatte
ihren Namen
nicht mehr ausgesprochen, seit er sie das letzte Mal gesehen
hatte, und sich geschworen, es nie wieder zu tun. Seine Mutter
hatte aufgehört, sich zu erkundigen, wie es ihr ging, obwohl sie
ihn nie gefragt hatte, was zwischen ihnen vorgefallen war. »Ich
habe gehört, sie und Phil waren verlobt.«
»Ungefähr eine Minute lang«, sagte Beth und schnitt
eine Grimasse. »Sie haben sich getrennt.«
Jon tat sein Bestes, um keinerlei Reaktion zu
zeigen, obwohl ihm schwindlig war. Er hörte nicht, was Beth als
Nächstes sagte, bis sie zu der Stelle kam »… und Tracie arbeitet im
Java, The Hut. Zumindest hat sie das, als ich sie letztes Mal
gesehen habe.«
Das war zu viel auf einmal. Er glaubte, er müsse
sich wohl verhört haben. »Und als was?«, fragte Jon. Vielleicht war
das ja irgendein bizarrer Witz.
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte Beth. »Aber
vielleicht solltest du das besser selber rausfinden. Ich weiß, was
sie für dich empfindet.«
»So?«
»Ach komm. Sie liebt dich doch schon seit Jahren.
Sie hat es nur nicht gewusst«, erklärte Beth. »In manchen Dingen
bin ich gar nicht so blöd.«
»Sie liebt mich?«, fragte Jon.
»Man bleibt doch nicht sieben Jahre mit einem Kerl
zusammen, wenn man ihn nicht liebt«, sagte Beth. »Und du liebst sie
auch noch. Findest du nicht auch, dass es höchste Zeit wäre, euren
Streit zu begraben und den Bund fürs Leben zu knüpfen?«
»Ich knüpf mich höchstens auf.«