33. Kapitel
Jon lag dösend neben Allison, die Beine an ihrem seidenen Po. Ihre Haut war wirklich ein Weltwunder. Neu animiert, drückte er sich an sie, und sein Glied stieß sanft an ihr Kreuz. Einen Moment lang musste er an Parsifal denken. Wenn es möglich wäre, das hier in Form eines Computerspiels in virtuelle Realität umzusetzen, wäre er schon nach ein paar Monaten in der Lage, Bill Gates aufzukaufen.
Jon lächelte. Die letzte Nacht war ebenso unglaublich wie die beiden vorausgegangenen Nächte mit Allison und der absolute Höhepunkt einer ganzen Reihe äußerst erfolgreicher Nächte gewesen. Wenn er sich seine jüngsten sexuellen Erfolge als militärische Siege vorstellte, dann war Allison Waterloo und er der Duke of Wellington.
Wieder regte sich sein Glied. Vermutlich würde er in seinem ganzen Leben keinen vollkommeneren Augenblick erfahren. Und doch fehlte ihm etwas. Aus irgendeinem Grund musste er an die Bibel denken – nicht weil Allison ein Segen war, obwohl sie wahrhaftig wie ein Engel aussah, sondern wegen der Art, wie in der Bibel der Sex beschrieben wird. Wenn Männer mit Frauen schlafen, hieß es in der Bibel, dass sie »sie erkannten«. In gewisser Weise konnte er das gut verstehen, weil der Akt, Allison zu besteigen und ihre Schönheit nackt und offen unter sich liegen zu sehen, zugleich ein Akt der Erkenntnis war. Und wenn er dann in sie eindrang, kam noch die Erregung der Inbesitznahme und eine tiefere, verbotenere Erkenntnis dazu. Aber trotz allem kannte er Allison nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Vielleicht würde er sie eines Tages kennen lernen, aber er hatte keine Ahnung, was er dabei herausfinden würde. Im Augenblick wusste er nur, dass sie vollkommen war und dass seine Bewegungen auf ihr und in ihr und über ihr zu einem Pas de deux geworden waren, erotischer und schöner als jedes Ballett. Aber er war sich auch darüber im Klaren, dass er neben einer Fremden lag. Und er war für sie noch schlimmer als ein Fremder, denn er war auch noch ein Hochstapler.
Jons Lider flatterten. Er setzte sich auf und reckte sich. Allison drehte sich auf den Rücken und enthüllte damit nicht nur ihr reizendes Gesicht und den Glorienschein ihres silberblonden Haars auf dem Kopfkissen, sondern auch ihre absolut makellosen Brüste. Es war erstaunlich, aber sein Glied schwoll schon wieder an, als wäre dreimal nicht genug gewesen.
Genau genommen war der Sex mit ihr zwar gut, aber nicht wirklich umwerfend gewesen. Allison war es gewohnt, befriedigt zu werden, und als Geliebte auch nicht annähernd so gut wie beispielsweise Beth, aber allein ihr Anblick hatte ihn für vieles entschädigt. Er dachte gerade über einen weiteren Versuch nach, als sein Telefon klingelte.
Er hatte sie in seine Wohnung mitgenommen und damit die Regeln gebrochen, was Tracie gar nicht gefallen hätte, und nun wurde er dafür bestraft. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er das Telefon einfach ignorieren sollte, aber er wollte nicht, dass Allison glaubte, sie sei für ihn so wichtig, sonst kam er bei ihr womöglich nie mehr zum Schuss. Er hoffte nur, dass es nicht Beth war. Nach dem zweiten Klingeln griff er dann doch zum Hörer.
»Hey, Jon. Weißt du, was heute für ein Tag ist?«, fragte eine männliche Stimme. Jon wäre fast der Hörer aus der Hand gefallen.
»Dad?«, sagte er, aber mehr fiel ihm nicht ein. Er hatte seit mindestens zwei Jahren nichts mehr von seinem Vater gehört – mit Ausnahme einer Ansichtskarte aus Puerto Rico und eines Briefes aus San Francisco mit der Bitte, einhunderttausend Dollar in ein spekulatives Unternehmen zu investieren, das sein Vater zusammen mit zwei anderen Verlierertypen aufziehen wollte. Er hatte nicht einmal den Prospekt richtig verstanden, seinem Vater aber trotzdem eine Postanweisung über tausend Dollar geschickt und ihm viel Glück gewünscht. Seither hatte er nichts mehr von ihm gehört.
»Dad...«, wiederholte er. Neben ihm drehte Allison sich um und hob den Kopf. Auf die Arme gestützt, schaute sie ihn an. Aber er wollte in diesem Augenblick nicht angesehen werden. Er setzte sich auf, schwang die Beine über die Bettkante auf den Boden und drehte ihr den Rücken zu.
»Heute ist mein Tag, Jon. Vatertag. Schon mal davon gehört? Und ich bin dein Vater.«
Seine Stimme klang so flehend, dass Jon ganz anders wurde. Hatte er schon so früh am Tag getrunken? Jon hatte noch immer keine Uhr, aber es war noch relativ früh am Tag – extrem früh jedenfalls für Alkohol. Natürlich wusste er nicht genau, in welcher Zeitzone sich Chuck gerade aufhielt, oder auch nur in welcher Hemisphäre. Vielleicht war in Singapur ja gerade Cocktailstunde.
»Ich habe mich gefragt, ob du vielleicht Zeit hättest, mich zu treffen«, sagte sein Vater. »Ich habe eine weite Reise gemacht, mein Sohn, um dich zu sehen.«
Jon zuckte ein wenig zusammen. Wenn sein Vater ihn »mein Sohn« nannte, war das ein sicheres Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Sein Vater hatte sich immer dagegen gesträubt zuzugeben, dass er älter als fünfunddreißig war, daher war es ein wenig ungünstig für ihn, einen Sohn in Jons Alter zu haben. Er wurde immer älter, seine Frauen jedoch nicht, aber qualitativ ließen sie doch erschreckend nach. Jon seufzte und hoffte, dass sein Vater es nicht gehört hatte. »Klar«, sagte er. »Klar können wir uns treffen.«
 
»Scheiße! Scheiße«, sagte Tracie, während sie die Papiere überflog, die auf dem Fußboden ihres Wohnzimmers verstreut lagen.
»Ach komm, so schlecht sind seine Eier gar nicht«, meinte Laura. Sie nahmen gerade ein spätes Frühstück ein, das – erstaunlicherweise – Phil zubereitet hatte. Er hatte darauf bestanden. Obwohl er die Eier gebraten hatte, bis sie braun waren, während die Kartoffeln noch fast roh und daher unangenehm hart waren, hatte Tracie das alles kaum registriert. Stattdessen trauerte sie ihrem Vatertagsartikel nach, der wie üblich von Marcus verstümmelt worden war. Es war ihr nicht leicht gefallen, das Thema aus einer halbwegs originellen Perspektive abzuhandeln, aber am Ende hatte sie ihren Artikel über alternative Väter selbst recht gut gefunden. Ein Priester, der geholfen hatte, ein Dutzend Waisenjungen großzuziehen, war darin ebenso vorgekommen wie ein Yuppie, der für einen vaterlosen, an den Rollstuhl gefesselten Neunjährigen den Ersatzvater spielte, ein Typ, der ein Sommerlager geleitet und dabei wochenlang Dutzenden von Jungs die Eltern ersetzt hatte, und etliche Großväter, die ihre Enkel großzogen.
Der ursprünglich vier Spalten lange Artikel war auf weniger als eine Spalte zusammengestrichen worden; nur die Großväter waren noch im Detail erwähnt, während für die anderen jeweils nur ein knapper Satz geblieben war. Außerdem hatte jemand anders den üblichen Mist darüber geliefert, wie »normale« Kinder mit »normalen« Vätern feierten, zusammen mit einer Liste von Restaurants, in denen ein spezieller Vatertagsbrunch serviert wurde. Wütend warf sie einen Blick auf die Verfasserzeile und sah, dass ihr Name zwar dastand, aber mit dem Zusatz »Mit einen Sonderbericht von Allison Atwood«. »Verdammt noch mal!«, schrie Tracie und schleuderte die Zeitung durchs Wohnzimmer.
Ohne ihren Kummer überhaupt zu bemerkten, fragte Phil sie: »Wie findest du die Eier?«
Sie hörte, wie Laura hinter ihr ein Lachen unterdrückte, schaffte es aber dann, ihre Wut auf die Zeitung lange genug zu verdrängen, um sich zu Phil umzudrehen und ihm ein verkrampftes Lächeln zukommen zu lassen. »Danke, die sind echt gut.« Bei sich dachte sie jedoch, dass sie ihm sicher schon hundertmal Frühstück gemacht hatte, ohne Aufhebens und fast immer ohne jeden Dank. Wenn ein Typ aber einmal im Leben ein Ei brutzelt, erwartet er dafür gleich den Nobelpreis.
»Ehrlich? Sie schmecken dir?«, fragte Phil noch einmal – wahrscheinlich, weil sie ihn nicht ausgiebig genug gelobt hatten. Nicht zum ersten Mal fragte sich Tracie, ob sie es vielleicht irgendwie schaffen könnte, ohne Sex zu leben.
 
Sich von Allison loszureißen war nicht halb so schmerzhaft gewesen wie die Furcht vor dem, was Chuck Delano diesmal für ihn auf Lager hatte.
Jon hasste seinen Vater nicht. Hätte er das gekonnt, wäre manches für ihn einfacher gewesen. Er brachte ihm eher eine Mischung aus Entrüstung und Mitleid entgegen. Das Mitleid hatte ihn dazu bewogen, aus dem Bett zu steigen, sich anzuziehen und ein Taxi zu rufen. Wieder fragte er sich, was ihn wohl erwartete.
Als Jon im Teenageralter war, hatte sein Vater ihn zu etlichen seiner kleinen Ausflüge mitgenommen. Chuck – er wollte nicht Dad genannt werden – saß dabei immer einer jungen Frau gegenüber, redete aber mit Jon. »Ich möchte dir mein neues Mädchen vorstellen, mein Sohn. Ist sie nicht ein Prachtstück?«
Es hatte viele solcher Frauen gegeben, denn obwohl Jon es sich nur ungern eingestand, war sein Vater ein attraktiver und manchmal auch charmanter Typ. In jener Zeit hatte Chuck als Schürzenjäger seine aktivste Phase gehabt. Als es mit seiner Karriere bergab ging, verlor er auch sein gutes Aussehen, und er hatte im Southern Comfort mehr Trost gefunden als alle Südstaatler zusammen. Und immer häufiger hatte Chuck ihn als lebendes Requisit eingesetzt, das ihm bei den Frauen helfen sollte. Er hatte keine andere Wahl gehabt – sein Vater hatte ein Besuchsrecht -, und irgendwo hatte er ja auch tatsächlich den Wunsch verspürt, seinen Vater zu sehen. Welchem Kind wäre es nicht so gegangen? Als Jon allmählich erwachsen wurde, war Chuck davon noch weit entfernt. Kurz vor seiner Abreise aus Seattle in weitgehend unbekannte Gefilde war er mit Jon zum letzten Mal ausgegangen. Wieder einmal hatte er bei einem Job Schiffbruch erlitten und war nach ein paar Drinks und jeder Menge Selbstmitleid schließlich sentimental geworden. »Ich muss irgendwo anders von vorn anfangen«, hatte er erklärt. »Hab mir schon alles genau überlegt. Und du sollst auch daran beteiligt sein. Du bist schließlich mein Fleisch und Blut.« Obwohl Jon zu diesem Zeitpunkt schon seit ein paar Jahren bei Micro/Con arbeitete, riet ihm sein Vater zu kündigen. »Solange du für andere arbeitest, wirst du nie reich«, sagte er. »Glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede. Von nun an geh ich eigene Wege.« Und dann hatte sich dabei total verlaufen.
Jon hatte anfangs nicht gemerkt, dass eine sehr junge Frau von der Bar aus zu ihnen herüberschaute, bis sein Vater ihn auf sie aufmerksam machte. Sie sah aus wie eine Neuntklässlerin. Jon hatte fast den Eindruck gehabt, dass sie an ihm interessiert war. »Ich hab mir schon überlegt, ob ich sie fragen soll«, hatte Jons Vater gesagt. »Was willst du sie fragen? Welche Noten sie in der Schule hat?«, hatte Jon gefragt. »Nein. Nein, ob sie mich heiraten will«, hatte sein Vater wie selbstverständlich geantwortet.
Jon ließ den Taxifahrer an der Ecke halten, an der er sich mit seinem Vater verabredet hatte. Hier in der Nähe des Busbahnhofs wirkte das Viertel reichlich heruntergekommen. Was konnte er seinem Dad bloß kaufen? Eine Flasche Southern Comfort? Ein Oneway-Ticket nach Südamerika? Er ging in den Drugstore in der Mitte des Häuserblocks.
Er entschied sich für ein After Shave – das klassische fantasielose Vatertagsgeschenk. Während er es einwickeln ließ, fiel ihm ein, dass Phil hier irgendwo wohnte und Laura überlegt hatte, hierher zu ziehen, bis Tracie sie davor gewarnt hatte. Obwohl ihm der Wind die Tränen in die Augen trieb, musste er lächeln. Heute Abend hatte er Tracie einiges zu erzählen.
Sein Vater hatte ihm eine Adresse ein paar Häuserblocks nördlich der Stelle gegeben, an der er sich jetzt befand – ein Restaurant namens Howdies. Ein Stück weiter vorn konnte Jon es sehen. Es war eines jener großen, scheußlichen und lauten Lokale, in denen die Leute aßen, die mit den Überlandbussen unterwegs waren.
Als er die Tür aufstieß, wurde ihm von einem Automaten ein »Hallo« entgegengeplärrt. Ansonsten bot einem das Lokal mit seiner trostlosen Ansammlung von Resopaltischen und Plastikstühlen nicht gerade einen herzlichen Empfang. An einer langen Wand erstreckte sich eine Theke, an der man den Hackbraten vom Vortag, Makkaroni mit Käse oder Karotten und Erbsen haben konnte. Jon fühlte sich hier etwa so elend wie die Schüsseln mit braun gerändertem Eisbergsalat, die, von allen verschmäht, die Salatabteilung krönten. Vom Eingang her erblickte er den geisterhaften Schimmer eines weißen Gesichts unter einer Mütze und eine ebenso weiße Hand, die ihm zuwinkte. Jon ging durch den langen Gang auf seinen Dad zu.
Sobald er ihn aus der Nähe sah, bemühte er sich, keinen Laut von sich zu geben und ihn nicht anzustarren, aber die Augen abzuwenden wäre nicht weniger grausam gewesen. In den zwei Jahren, die seit ihrer letzten Begegnung vergangen waren, schien Chuck um zwanzig Jahre gealtert. Sein Vater versuchte mühsam aufzustehen, aber Jon bedeutete ihm sitzen zu bleiben, und nahm ihm gegenüber Platz. Er küsste oder umarmte ihn nicht, streckte ihm aber die Hand entgegen. Die Hand seines Vaters war abgemagert, die Haut pergamentartig. Jon war von seinem Aussehen so schockiert, dass er kein Wort herausbrachte. »Hallo, Jon«, sagte Chuck. »Gut siehst du aus.« Das war nicht gerade die beste Eröffnung, weil Jon schlecht mit dem üblichen »Du auch« antworten konnte. Er wühlte in seiner Tasche herum und überreichte Chuck wortlos sein Geschenk. Chuck nahm es und betrachtete es verständnislos, als handele es sich um einen Meteoriten oder eine Kugel Büffel-Mozzarella. »Was ist denn das?«, fragte Chuck.
»Das ist... das ist... ein Geschenk. Du weißt schon, zum Vatertag.«
Chuck starrte das Päckchen an, machte aber keine Anstalten, es zu öffnen. Dann schüttelte er mehrmals den Kopf. »Du bist wirklich ein guter Junge, Jonathan. Du gerätst wohl eher deiner Mutter nach.« Unwillkürlich musste Jon nicken. »Du siehst gut aus. Still crazy after all these years, was?«
Den Song hatten seine Mutter und Chuck immer zusammen gesungen, wenn sie guter Laune gewesen waren. Jon erinnerte sich noch an eine Fahrt nach Vancouver, als die beiden auf den Vordersitzen trällerten und er von hinten einstimmte. »Kannst du dir immer noch kein Auto leisten?«, fragte sein Vater, und als Jon gerade protestieren wollte, hob Chuck seine knochige Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. »War doch nur ein Scherz«, sagte er. »Ich weiß doch, wie gut es dir finanziell geht.«
»Und woher weißt du das?«, fragte Jon.
»Deine Mutter hält mich auf dem Laufenden. Übers Internet. Danke, dass du gekommen bist, mein Sohn«, sagte Chuck, und Jon spürte schon, wie sich ihm das Herz zusammenzog. Die Sache mit dem »Sohn« war in aller Regel das Vorspiel zu einer Bitte um Geld, aber diesmal wartete er vergebens darauf. Chuck redete über sein Haus in Nevada, das Gärtnern, Football, Donald Trump, die bevorstehenden Wahlen und eine Episode von Frasier, in der Niles und sein Vater mit derselben Frau ausgehen wollten. Nichts von allem wies in irgendeine konkrete Richtung, und Jon fragte sich schon, was das sollte, bis sein Vater seine Mütze hob und sich mit der Hand über den kahlen Schädel fuhr. »Es juckt wie verrückt«, sagte Chuck. »Aber das soll ja ganz normal sein nach einer Chemotherapie.« Erst in diesem Augenblick wurde Jon alles klar. Noch bevor er etwas sagen konnte, beugte sich Chuck vor und schaute ihm zum ersten Mal in die Augen. »Meine Chancen stehen gar nicht so schlecht«, meinte er. »Jedenfalls hab ich noch keine Metastasen. Ich muss ein paar Bestrahlungen mitmachen, und mit ein bisschen Glück ist dann wieder alles in Ordnung.«
»Gut«, brachte Jon mühsam heraus. Er hatte nicht die Kraft, auch nur eine Frage zu formulieren – um was für eine Art von Tumor es sich handelte, ob er operabel gewesen war, wie groß die Chance auf Heilung genau war... All das ging ihm in Sekundenschnelle durch den Kopf, aber er starrte nur die zusammengeschrumpfte Hülle seines Vaters an und stellte keine einzige Frage. »Du siehst gut aus, Chuck«, sagte er stattdessen, und zum ersten Mal lachte sein Vater.
»Du bist wirklich ein Witzbold«, sagte Chuck und schüttelte seinen zerbrechlich wirkenden Kopf. Er war immer so eitel gewesen. Jon fragte sich, ob er sich nun überhaupt noch Gedanken über sein Aussehen machte oder ob er sich nur noch aufs Überleben konzentrierte. Wieder fand er, dass dies eine allzu persönliche Frage gewesen wäre.
So hatte er seinem Vater nicht viel zu sagen. »Ich wünsch dir alles Gute«, murmelte er schließlich. »Wenn ich irgendwas tun kann …«
»Na ja, ich hab mich ehrlich gesagt schon gefragt, ob ich wohl irgendwie von deiner Krankenversicherung profitieren könnte«, sagte Chuck. »Das wäre natürlich eine große Hilfe. Ich hab leider nicht die Voraussetzungen, um wie du immer gleich dranzukommen.«
»Mach dir mal darüber keine Gedanken«, sagte Jon. »Ich ruf gleich morgen beim zuständigen Sachbearbeiter an.« Er bezweifelte zwar stark, dass er für seinen Vater – einen bereits kranken Mann, mit dem er seit fünfzehn Jahren nicht mehr zusammenlebte – irgendetwas herausschlagen konnte, aber zumindest konnte er jede Behandlung bezahlen, die dazu beitrug, Chuck zu heilen oder wenigstens seine Schmerzen zu lindern.
»Vielleicht ginge es ja auch über die Versicherung deiner Mutter«, fügte Chuck hinzu. »Ich wollte sie sowieso mal besuchen, solange ich hier bin. Lebt sie eigentlich wieder mit jemandem zusammen?«
»Ja.« Die Lüge ging Jon so glatt über die Lippen, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan als zu lügen. Ihren sterbenskranken Exmann zu pflegen war wohl das Allerletzte, was seine Mutter jetzt brauchen konnte. »Er würde dir bestimmt gefallen. Er ist Profi-Catcher.«
»Ich hätte deine Mutter nie verlassen dürfen«, gestand Chuck.
»Du hättest sie auch nie betrügen dürfen«, fügte Jon hinzu und bedauerte im nächsten Augenblick schon, dass ihm das herausgerutscht war. Aber sein Vater nickte nur.
»Mach bloß nicht die Fehler, die ich gemacht habe, Jon«, sagte er. »Such dir eine liebe Frau, und bleib bei ihr. Du wirst es nie bereuen.«