17. Kapitel
Tränen rollten über Tracies Gesicht, aber sie
wischte sie nicht weg. Sie kniff nur die Augen zusammen, um sie
herauszuquetschen, und spürte, wie eine in die Falte neben ihrer
Nase rollte und sie kitzelte. Sie streckte die Zunge heraus und
leckte sich die Träne von der Oberlippe. Sie schmeckte nur ein
klein wenig salzig.
»Wie viel Salz?«, rief sie Laura zu, von der nur
der Hintern zu sehen war, weil ihr Kopf gerade tief in einem
Unterschrank verschwunden war, in dem sie nach etwas suchte. »Soll
ich Salz reintun?«
Laura brummte und zog den Kopf aus dem Schrank.
»Nö. In den Tomaten ist so schon genügend Natrium. Ich finde, die
anderen Gewürze und der natürliche Salzgeschmack der Tomate machen
zusätzliches Salzen überflüssig.«
Tracie nickte, wobei ihr eine Träne vom Kinn
tropfte. Sie fiel auf das Schneidebrett und benetzte eine
Zwiebelscheibe. Sie hätte die Zwiebeln schon früher in den Topf
werfen können, um ihren Tränenstrom endlich zum Versiegen zu
bringen, da sie sie schon so fein gehackt hatte, wie sie konnte,
aber sie wollte erst Lauras Zustimmung einholen.
»Übrigens«, erklärte Laura, als sie sich
aufrichtete, »wenn du die Zwiebel vor dem Hacken ein paar Minuten
ins Gefrierfach legst, musst du nicht heulen.«
»Wenn ich Zeit hätte und mir solche Sachen merken
könnte, würde ich wohl auch zu den Frauen gehören, die sogar ihre
Strumpfhose ins Gefrierfach legen, damit sie keine Laufmaschen
kriegt.«
»Funktioniert das?«, fragte Laura.
Tracie zuckte mit den Achseln. »Wie soll ich das
wissen? Ich gehöre nicht zu diesen Frauen.«
»Gott sei Dank!«, rief Phil vom Sofa herüber.
»Strumpfhosen turnen schon genug ab. Eisgekühlte wären mehr, als
ich ertragen könnte.«
Tracie nahm das Hackbrett und hielt es über die
Pfanne, in der bereits die Butter am Schmelzen war. »Einfach
reinwerfen?«, fragte sie. Dann sah sie einen roten Fleck auf dem
Schneidebrett und merkte, dass sie nicht nur die Zwiebel
geschnitten hatte, sondern auch sich selbst, und zwar tief in den
Daumen. »Ogottogott!«, sagte sie.
Laura war augenblicklich bei ihr. Tracie hielt den
Daumen hoch, von dem das Blut nun die ganze Hand
herunterlief.
Eine Zeile aus einem der Gedichte von Sylvia Plath
fiel ihr ein, die Laura und sie so schätzten.
»›Trepanierter Veteran‹«, sagte sie laut.
»He, hör auf, Sylvia zu zitieren, während du in den
Bohneneintopf blutest«, sagte Laura, die innerhalb weniger Sekunden
Tracies Daumen unter den Wasserhahn hielt, ihn desinfizierte und
straff bandagierte. Mittlerweile war auch Phil zu ihnen
getreten.
»Hey, Mädchen, hast du dich geschnitten?«, fragte
er. »Willst du nicht lieber das Handtuch werfen?« Lässig begann er
an seiner Bassgitarre zu zupfen. »Du bist sowieso für andere Dinge
bestimmt«, fügte er mit einem lüsternen Grinsen hinzu.
»Hey, reiß dich bloß zusammen. Ich koche das
schließlich für dich«, mahnte Tracie und warf nicht das Handtuch,
dafür aber die Zwiebel in die brutzelnde Butter. Fast
augenblicklich erfüllte ein köstlicher Duft die Küche. Tracie kam
sich vor wie die Lifestyleköchin Martha Stewart. »Tadam!«
Laura nickte und kontrollierte die Zwiebeln. »Rühr
sie ab und zu mal um. Wir wollen sie schließlich braun, nicht
verbrannt.« Dann schaute sie zu Phil und wieder zu Tracie. »Schenk
ihm ein bisschen Beachtung«, flüsterte sie ihr zu. »Er bettelt
geradezu darum.«
»Na hör mal, für wen mach ich das hier denn?«,
fragte Tracie laut. »Für ihn arbeite ich mir hier den Daumen
wund.«
Phil zuckte nur mit den Achseln. Laura wandte sich
ihm zu. »Erinnerst du dich noch an die Partridge-Familie?«, fragte
sie.
»Klar«, antwortete Phil. »Dieser Keith war ein
Widerling.«
»Das kommt nur daher, weil du eifersüchtig auf ihn
warst«, konterte Laura. Tracie hätte fast laut losgelacht. »Ist dir
eigentlich aufgefallen, dass Danny die Bassgitarre immer wie eine
Leadgitarre gespielt hat?«, fragte Laura.
»Nicht möglich!«, staunte Phil.
Tracie fragte sich, ob Phil in letzter Zeit nicht
ein wenig zu kurz kam, bei all ihren Aktivitäten mit Jon und Laura
oder im Fitnessstudio mit Beth und den anderen. Und wenn schon,
entschied sie dann, so schlecht ist das gar nicht unbedingt.
Normalerweise war schließlich sie diejenige, die zu kurz kam
und allenfalls zwischen seinen Proben, seine Schriftstellerei und
seine weniger genau definierten sonstigen Aktivitäten eingeschoben
wurde. Sie schaute zum Topf mit den geschälten und gewürfelten
Tomaten, die bereits auf der anderen Platte vor sich hin
köchelten.
»Du wirst schon ganz scharf sein auf die
Tomatensoße, wenn sie fertig ist«, sagte sie.
»Richtig«, bestätigte er. »Ich werde bestimmt ganz
scharf sein, wenn sie fertig ist.«
Tracie wandte sich an Laura. »Wann gebe ich die
Zwiebeln zu den Tomaten?«, fragte sie.
»Wenn sie schön braun sind.« Laura überlegte. »Ich
betrachte es als meine heilige Pflicht, dir zu erklären, dass
manche Kochschulen es für besser halten, die Tomaten zusammen mit
den Zwiebeln anzuschwitzen. Ich dagegen gehöre der Schule an, die
daran glaubt, dass eine Tomatensoße eine Tomatensoße ist und
deshalb alles andere hinzugefügt werden muss. Und dass gebräunte
Zwiebeln einfach besser schmecken.«
So todernst war Laura nur, wenn sie übers Kochen
redete oder über Peter. Zum Glück hatte sie in den vergangenen paar
Tagen
viel von Ersterem und nichts von Letzterem getan. »Ich gehöre
deiner Schule an«, sagte Tracie nicht weniger ernst. »Und ich
hoffe, eines Tages im Jahrbuch deiner Schule zu stehen und das
Zeichen deiner Schule zu tragen.«
»Und was ist das für ein Zeichen?«, fragte Phil
gelangweilt. »L für lahm?«
»L für Lauch«, erklärte Tracie.
»L für Linsen«, fügte Laura hinzu, und beide
kicherten.
»L für langweilig«, entgegnete Phil. »Und
zwar ihr alle beide.« Er legte die Bassgitarre hin. »Mein Gott, ist
das öde.«
»Das bist du, doch was bin ich?«, wagte Tracie zu
singen. In Encino hatten sie und Laura das immer zurückgerufen,
wenn andere Mädchen sie mit Schimpfwörtern bedacht hatten.
Bohnenstange und Klößchen, die Dürre und ihr Dickerchen, sogar die
zwei Lesben. Seit Jahren hatte sie nicht mehr daran gedacht. Sie
tänzelte zum Sofa hinüber und umarmte den bedauernswerten Phil.
»Denk doch nur – selbst gemachte Spaghettisoße, so oft du willst!«
Dann beugte sie sich zu ihm hinunter, um ihn zu küssen, aber er
entzog sich ihr.
»Mein Gott«, sagte er, »du stinkst vielleicht.« Sie
hielt die Hände an die Nase, und sofort begannen ihre Augen wieder
zu tränen.
»Puh.« Sie rannte zur Spüle und griff nach der
Seife.
»Das wird nicht viel nützen«, erklärte ihr Laura,
nahm eine Zitrone, beklopfte sie rundum mit dem Griff eines Messers
und schnitt sie schließlich mit der Klinge durch. »Hier, versuch’s
mal damit.«
Tracie presste sich den Zitronensaft auf die Hände
und wusch sie dann rasch noch einmal mit Geschirrspülmittel.
Nachdem sie den brodelnden Inhalt ihres Topfes überprüft hatte,
begab sie sich wieder zum Sofa und setzte sich neben ihren
brodelnden Freund.
»Komm her«, sagte sie und zog ihn zu sich, bis sein
Kopf auf ihrer Brust ruhte. Er wollte sich ihr entziehen, aber sie
klemmte seinen Kopf mit dem Kinn ein. »Vergiss mal für einen
Augenblick
die Gitarre und leg deine hoch begabten Finger hierher«, flüsterte
sie. Er drehte sich zu ihr um und wollte gerade etwas sagen, als
das Telefon klingelte. Sie beugte sich zu ihm hinüber. »Merk dir,
was du sagen wolltest«, sagte sie und nahm den Hörer auf.
Jons Stimme knallte ihr ins Ohr. »Okay, vergiss
es«, schnaubte er. »Das war ein saudummer Plan und überhaupt von
Anfang an eine ganz blöde Idee. Außerdem funktioniert das sowieso
nie. Es geht einfach nicht...«
»Hallo, Jon.« Tracie blieb gelassen. Phil verdrehte
die Augen und zog seinen Kopf aus ihrer Umklammerung. Was soll’s;
musste sie ihn eben später noch einmal anheizen. Eine Frau kam nie
zur Ruhe.
»Es funktioniert nicht«, sagte Jon. »Ich bin nicht
erziehbar.«
»Wir haben noch nicht mal richtig angefangen, und
du ziehst schon den Schwanz ein?«, mahnte Tracy entrüstet.
»Wir sind die, die noch überhaupt nicht
angefangen haben«, erinnerte Phil sie, während Jon ebenfalls
redete, aber sie verstand seine Antwort nicht. Sie tätschelte Phils
Knie. Schon gut, schon gut.
»Was?«, fragte sie Jon. Er schwafelte irgendwas von
Flughafen und dass sie nichts von seiner Reise wusste und dann von
einer Schwangeren und... Da Phil aufstand und seine Jacke anziehen
wollte, musste sie ihn bei der Hand nehmen und aufs Sofa
zurückziehen, um ihn schnell noch zu küssen, bevor er ging. Als sie
wieder zum Telefon kam, war Jon gerade am Ende seiner Schilderung
angelangt.
»Ein Verrückter«, sagte er. »Sie hat mich für eine
Art Terroristen gehalten.«
»Ist doch nicht schlecht für den Anfang«, sagte
sie. Klar war nur, dass er offensichtlich versucht hatte, eine Frau
anzumachen. »Besser ein Terrorist als ein Langweiler. Ist doch viel
erotischer.«
»Falsch. Lieber das, was ich vorher war, als ein
gescheiterter Ted Kaczynski.«
»Ich dachte, Ted Kaczynski ist gescheitert«, sagte
Tracie und streichelte dabei Phils Arm. »Sie haben ihn schließlich
erwischt,
nicht wahr?« Phil begann allmählich, sich für das Gespräch zu
interessieren.
»Die Soße muss umgerührt werden«, rief Laura. »Soll
ich es machen, oder willst du?« Tracie wusste, wie ernst Laura ihre
Kocherei nahm, und so gab sie ihr mit einem Zeichen zu verstehen,
dass sie gleich kommen werde.
»Mach bitte keine Scherze«, flehte Jon. »Du warst
ja nicht dabei. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für einen
Blick sie mir zugeworfen hat.«
»Ist euch eigentlich schon mal aufgefallen, dass
Ted ein Name für Verlierer ist?«, fragte Phil laut. »Du weißt schon
– Ted Kennedy, Ted Kaczynski, Ted Bundy.«
»Ich lasse mich schon aus Prinzip nie mit Teds
ein«, pflichtete Laura ihm bei. »Bei Eds entscheide ich von Fall zu
Fall.«
Jon redete noch immer, aber Tracie hatte nicht
allzu viel mitbekommen. Mit »hmm« und »aha« versuchte sie, Jon zu
trösten. Als er fertig war, wartete sie einen Augenblick ab und
sagte dann, um Optimismus bemüht: »Vielleicht ruft sie dich ja
an.«
»Sie mich anrufen?«, wiederholte Jon. »Ich kann von
Glück reden, wenn mich nicht die Polizei anruft. Du verstehst
nicht.« Selbst vom anderen Ende der Stadt hörte Tracie ihn seufzen.
»Du hättest dabei sein sollen«, wiederholte er. »Ich bin wirklich
ein hoffnungsloser Fall. Ich hab mich verhalten wie ein
Verrückter.«
»Manche Frauen mögen Verrückte«, versuchte Tracie
ihn zu beschwichtigen. Phil begann, an ihrem Ohr zu knabbern, und
Laura stemmte die Hände in die Hüften, um entrüstet Soßenalarm zu
geben.
»Aber nicht von der Sorte«, meinte Jon
finster.
»Jedenfalls kriegst du ein Fleißsternchen«, sagte
sie. »Du hast dir zu hohe Ziele gesteckt. Es ist einfach zu
schwierig, jemanden so mir nichts, dir nichts anzuquatschen, so
ganz ohne Gemeinsamkeiten.« Sie stieß Phil weg und stand auf.
»Die Soße muss umgerührt werden«, wiederholte
Laura. Tracie ging zum Herd hinüber und verpasste dabei einen Teil
von dem, was Jon sagte. »Moment mal. Langsam«, bat sie. Ihre
Versuche,
ihn zu trösten, hatten nichts gefruchtet. Aus seiner Tonlage
schloss sie, dass sie diese Angelegenheit wohl doch ernster nehmen
musste. Er war offensichtlich völlig durcheinander.
»... weil ich mir alles so schön ausgedacht hatte.
Ich dachte, ich hätte den perfekten Plan. Aber man kann so etwas
nicht planen. Man kann es nicht kontrollieren. Weil als ich am
Flughafen angekommen bin und bei dem Flug keine war, die in Frage
kam – ich meine, da war schon eine, die in Frage gekommen wäre,
aber die war zu gut, und wie ich schon sagte, die andere war
schwanger.«
»Welche andere?«, fragte Tracie, während sie den
Kochlöffel nahm und die Soße umrührte. Sie fühlte sich in
verschiedene Richtungen gleichzeitig gezerrt. Wie brachten Frauen
es bloß fertig, zwei oder drei Kinder großzuziehen?
»Hat Dan seine Bassgitarre wirklich wie eine
Leadgitarre gespielt?«, fragte Phil.
»Hundertprozentig«, sagte Laura. »Und wusstest du
eigentlich, dass Laurie magersüchtig war?«
»Ehrlich? Auf die war ich rattenscharf.«
Tracie versuchte, sie mit Handzeichen zum Schweigen
zu bringen. Jon redete immer noch. »Also bin ich zum nächsten
Gepäckband und hab Carole angesprochen, aber dann war natürlich
mein Gepäck auf dem falschen Band, und da bin ich wohl in Panik
geraten und hab was Blödes gesagt, und dann hat sie sich verhalten,
als ob ich -«
»Wer ist Carole?«, fragte Tracie, während Laura ihr
ein paar große Blätter in die Hand drückte, mit denen Tracie nichts
anzufangen wusste.
»Das Mädchen, das ich auf dem Flughafen kennen
gelernt habe«, sagte Jon, dem anzuhören war, dass er allmählich die
Geduld verlor. »Carole.«
»Reg dich nicht auf, ich hör dir schon zu. Ich hab
nur ihren Namen nicht mitbekommen.« Was hab ich wohl sonst noch
alles nicht mitbekommen?, fragte sich Tracie. »Wohin wolltest du
eigentlich?«, hakte sie nach.
»Wohin ich wollte? Nirgendwo hin.«
»Und wo hast du diese Carole kennen gelernt?«
»Heute Abend auf dem Flughafen.«
»Aber warum warst du auf dem Flughafen, wenn du
nirgendwo hinfliegen wolltest? Warst du mit Carole verabredet?«
Tracie konnte sich nicht erinnern, dass es in Jons Leben eine
Carole gab. Inzwischen zog Laura Tracie ein Blatt aus der Hand und
warf es in die Soße.
Als Nächstes fuhr sich Phil mit dem Zeigefinger
über die Kehle, um ihr zu bedeuten, sie solle das Gespräch endlich
beenden, aber das konnte sie nicht. Laura nahm ihr den Kochlöffel
wieder ab. Tracie entschuldigte sich achselzuckend. »Ich verstehe
immer noch nicht«, sagte sie zu Jon. »Was hast du eigentlich am
Flughafen gewollt?«
Während sie mit der einen Hand umrührte und mit der
anderen das Telefon ans Ohr hielt, erzählte er ihr eine lange,
verrückte Geschichte, die nur Jon so erzählen konnte. Sie lachte
ein paar Mal, bis sie merkte, dass sie ihn damit womöglich kränkte.
Danach schaffte sie es, sich während seines restlichen Vortrages
zusammenzunehmen. Jon war wirklich eine Marke.
»Jedenfalls hab ich ihr meinen Namen und meine
Telefonnummer auf die Hand geschrieben. Kannst du dir vorstellen,
wie peinlich das für mich war?«
»Was soll’s, du siehst sie ja sowieso nie
wieder.«
»Vielleicht doch. Sie hat nämlich was bei Micro/Con
zu tun.« Dann verlor er endgültig jeden Bezug zur Realität. »Meinst
du, wenn ich herausfinde, wo sie wohnt, und dann ein, zwei Tage
warte, dass sie dann vielleicht mal mit mir ausgeht?«, fragte
er.
»Ich meine höchstens, dass sie dir dann die Polizei
auf den Hals hetzt«, erklärte Tracie. »Du hast es immerhin
versucht, und jetzt vergiss es. Es gibt Dutzende andere. Jedenfalls
kriegst du eine Eins für Originalität, und ein paar Sonderpunkte
für die Raffinesse, aber ansonsten war es keine so gute
Idee.«
»Warum denn nicht?«, fragte er. »Nur weil ich in
Panik geraten bin? Vielleicht könnte ich es ja noch mal
versuchen?«
»Nein, auf keinen Fall.« Sie seufzte und warf einen
Blick auf die Soße, die richtig schön eindickte. »Hör mal, ihr zwei
hattet nicht das Geringste gemeinsam, außer dass ihr beide am
Flughafen wart. Ihr wart nicht mal im selben Flugzeug. Im
Normalfall muss schon irgendeine Art von Gemeinsamkeit da sein,
wenn was laufen soll«, erklärte sie. »Also hast du dir selbst ein
Bein gestellt.«
Im Grunde war die Idee ziemlich raffiniert, dachte
sie. Ein bisschen verrückt, aber typisch Jon. Dass er fähig war,
sich so etwas auszudenken, entlockte ihr ein Lächeln. Und dass er
unfähig war, die Sache durchzuziehen, war eben typisch für ihn. Er
war vollkommen gaga, aber auf eine irgendwie süße Art. Eines Tages
würde er einen richtig guten Ehemann abgeben. Aber als Erstes
musste sie für ihn ein Date organisieren. Sie drehte die Hitze
unter ihrer Soße zurück, und Laura nickte zustimmend.
Sie versuchte, sich einen Ort einfallen zu lassen,
an dem Menschen zusammenkamen. Eine Kneipe oder ein Klub durfte es
nicht sein, weil sie wusste, dass Jon sich da nie wohl fühlen
würde, sondern – der Gedanke überkam sie wie eine Lawine, und sie
lächelte über ihre eigene Analogie. Perfekt! Viel besser als ein
Flughafen. »Hör mal«, sagte sie, »ich hab da eine Idee. Wie wär’s,
wenn ich dich an einen Ort bringen würde, wo es etwas gibt, worüber
du mit Frauen reden kannst?«
»Sprichst du mit mir?«, fragte Phil und zog die
Brauen hoch. »Ich wäre nämlich interessiert.« Tracie schaute ihn
stirnrunzelnd an.
»Wohin denn?«, fragte Jon zur gleichen Zeit
misstrauisch.
»Ich weiß es, und du wirst es schon rechtzeitig
erfahren«, erklärte Tracie.
»Jetzt wird’s ernst«, unterbrach Laura sie. »Jetzt
geht es nämlich ans große Abschmecken.« Tracie nickte ihr zu und
signalisierte: »Eine Minute noch.«
»Vertrau mir einfach«, beruhigte sie Jon und fragte
sich, ob sie sein Flughafen-Fiasko in ihren Artikel einarbeiten
konnte. Es wäre eine echt komische Sache, aber genau das würde ihm
wohl
missfallen. Schuldbewusst dachte sie, dass sie Jon endlich von
ihrer Idee mit dem Artikel erzählen sollte, aber das konnte sie auf
keinen Fall jetzt tun – nicht nach dieser Demütigung, und nicht
solange sie Laura und Phil im Nacken hatte. »Nur nicht die Nerven
verlieren«, versuchte sie ihn aufzumuntern. »Ich finde es schon mal
toll, dass du die Initiative ergriffen hast. Rom ist auch nicht an
einem Tag erbaut worden. Auch die längste Reise beginnt mit einem
kleinen Schritt...«
»Und zu wenige Köche verderben die Soße«, fügte
Laura viel sagend hinzu.
»Gut Ding wird Eile haben«, mischte sich Phil
ein.
»Das stimmt aber nicht«, sagte Laura zu ihm.
»Schon kapiert«, sagte Jon zu Tracie.
»Will Weile heißt es«, erklärte Laura. »Will
Weile.«
»Was heißt Will Weile?«, fragte Phil.
»Man sagt: Gut Ding will Weile haben«, führte Laura
aus.
»Was für ein gutes Ding?«, erkundigte sich
Phil.
Laura gab es auf.
»Also«, sagte Tracie zu John, »ich hätte da einen
Plan. Bist du dabei?«
»Ich weiß nicht.«
»Du hast mir damals versprochen, dass ich das
Mathe-Examen schaffen würde, und ich verspreche dir jetzt, dass ich
dir ein Date verschaffe«, versicherte ihm Tracie.
»Also gut«, sagte er, aber er klang noch immer
reichlich niedergeschlagen.
»Will Weile haben«, schrie Laura dazwischen.
»Ich muss jetzt Schluss machen. Wir unterhalten uns
morgen darüber«, sagte Tracie zu Jon.
»Na schön. Danke, Tracie.«
»De nada.«
Erleichtert schaltete Tracie das Telefon aus und
legte es an den Rand des Herds. »Du musst jetzt den Oregano und die
übrigen Kräuter reintun«, wies Laura sie an. »Aber erst mal möchte
ich, dass du noch mehr Knoblauch dazugibst.«
»Muss ich schon wieder Knoblauch hacken?«, fragte
Tracie angewidert. Damit hatte sie noch vor den Zwiebeln begonnen.
Sie würde wohl nie wieder sexy riechen, es sei denn, dass die
neapolitanische Küche Phil anturnte. Gnadenlos drückte Laura ihr
Knoblauchzehen und Schneidebrett in die Hand. Tracie folgte ein
paar Minuten lang brav ihren Anweisungen, bis erneut das Telefon
klingelte. Achselzuckend gab sie Laura zu verstehen, dass sie auch
nichts dafür könne, und nahm den Hörer ab. Es war Beth.
»Ich ruf ihn jetzt an. Ich sitze hier allein, und
er sitzt da drüben allein, und es gibt überhaupt keinen Grund,
warum ich ihn nicht anrufen sollte«, meinte Beth.
»Du wirst ihn nicht anrufen«, erklärte
Tracie. »Erstens ist er höchstwahrscheinlich nicht allein. Zweitens
hat er ganz klar zu verstehen gegeben, dass er keine Beziehung mit
dir will. Und drittens ist er dein Chef, falls du das vergessen
haben solltest. Wenn du so weitermachst, verlierst du nicht nur
seinen Respekt, sondern irgendwann auch noch deinen Job.«
»Ich will meinen Job nicht mehr«, jammerte Beth.
»Das ist doch die reinste Folter, ihn jeden Tag zu sehen, ohne ihn
haben zu können.«
Tracie schüttelte den Kopf. Die Haare fielen ihr in
die Augen. Sie musste wirklich daran denken, einen Termin mit
Stefan auszumachen. Beth stöhnte. Wie Beth wegen eines Fieslings in
mittleren Jahren mit beginnender Glatze so gefühlsduselig werden
konnte, überstieg ihren Verstand. Sie brauchte dringend eine
Ablenkung. »Du hast Wichtigeres zu tun«, erklärte ihr Tracie. »Ich
möchte, dass du deinen Kleiderschrank nach Sachen durchforstest,
die du für ein Date am Freitag anziehen kannst.«
»Wozu die Mühe?«, fragte Beth. »Ich hab doch schon
seit Monaten kein Date mehr gehabt.«
»Nächsten Freitag hast du eines«, informierte
Tracie sie. »Ich hab es organisiert.« Laura tippte sich mit dem
Zeigefinger an die Stirn, um Tracie zu sagen, was sie von ihr
hielt. Dann deutete sie auf die Soße.
»Und mit wem?«, fragte Beth, und Tracie hörte die
Neugier und das Interesse aus ihrer Stimme, obwohl Beth versuchte,
sich gleichgültig zu geben. »Doch wohl hoffentlich keiner von
deinen elenden Musikern«, fügte Beth hinzu. »Ich will nicht schon
wieder die ganze Nacht ein Bier nach dem anderen ausgeben wie beim
letzten Mal.«
»Nein, nein«, versicherte ihr Tracie. »Dieser Typ
ist wirklich cool, und Musiker ist er auch nicht.« Es war wohl
besser, wenn sie ein bisschen geheimnisvoll tat. Sie log: »Was er
beruflich so macht, weiß ich nicht genau, aber er ist wirklich
süß.«
»Und wie heißt er?«, fragte Beth.
»Jonny«, log Tracie.
Laura stemmte erneut beide Hände in die Hüften –
gar kein gutes Zeichen -, und Phil war gewaltig am Schmollen. »Ich
muss jetzt Schluss machen«, erklärte sie Beth. »Wir sprechen uns
dann morgen bei der Arbeit.« Das wird ihr wenigstens was zum
Nachdenken geben, dachte sie, als sie auflegte und sich wieder
Laura zuwandte.
»Du machst ein Date für ihn aus?«, fragte
Laura.
»Also, zuerst dachte ich, ich bringe ihn wohin, wo
er selber ein Mädel aufgabeln kann. Aber falls das nicht
funktioniert, braucht er ein Date.«
»Ich würde freiwillig mit ihm ausgehen«, meinte
Laura. »Ich meine nur zum Üben.«
»Ach, schon gut«, sagte Tracie so beiläufig wie
möglich. »Aber das wäre wohl keine so gute Idee. Nicht nachdem du
ihn auf dem Markt hast abblitzen lassen.« Sie dachte einen
Augenblick nach. »Beth wird es gut tun. Sie versucht gerade, über
Marcus wegzukommen.«
»Die Beth aus dem Fitnesscenter?«, fragte Laura.
»Das ist doch eine dumme Kuh.«
»Schon, aber immerhin ist sie attraktiv, und es
geht ja nur um ein Date.«
Laura drehte sich zum Sofa um, als wollte sie Phil
fragen...
aber Phil war nicht mehr da. »Wo ist er denn hin?«, fragte sie
Tracie.
Tracie zuckte mit den Achseln. Er war wohl im
Schlafzimmer und schmollte. Sie deckte den Topf mit dem einzigen
Deckel ab, den sie im Haus hatte und den sie aus einem Teller und
Alufolie improvisiert hatte. »Kann ich das jetzt so vor sich hin
köcheln lassen?«, fragte sie. Sie fühlte sich, als würde sie in
zehn Richtungen gleichzeitig gezerrt. Sie musste unbedingt zu Phil,
um ihn zu besänftigen, und sie musste auch an ihrem Artikel
arbeiten oder zumindest ihre Notizen auf den neuesten Stand
bringen.
»Aber klar doch«, meinte Laura bissig. »Was ist
Tomatensoße schon, verglichen mit wahrer Liebe?«
Tracies Hand stank nun wirklich grauenhaft nach
Knoblauch. »Ach, komm schon, Laura. Gib mir lieber mal’ne
Zitrone.«
»Tut mir Leid, keine Zitrone mehr da – von dem
Typen da drin abgesehen«, sagte Laura fröhlich und deutete mit
einer Kopfbewegung zum Schlafzimmer.
»Danke«, sagte Tracie. »Pete ist auch ein ganz
toller Typ.«
»Aber Pete ist nicht in meinem Schlafzimmer«,
erklärte Laura. »Ich muss da nicht reingehen und Frohsinn
verbreiten.«
Phil lag auf ihrem zerwühlten Bett, die Gitarre
neben sich. Er atmete tief, das Gesicht in eines ihrer Kissen
gedrückt. Irgendwie aber merkte Tracie, dass er nur so tat, als
schliefe er. Das hatte sie als Kind auch immer gemacht, wenn ihr
Vater nach ihr sah. Sie setzte sich aufs Fußende des Bettes und
legte ihm zärtlich die Hand auf den Knöchel. »Schläfst du schon?«,
fragte sie.
Übertrieben plötzlich hob er den Kopf. »Nein«,
sagte er einen Augenblick später und rieb sich mit dem Handrücken
über ein Auge. »Ich wollte nur noch ein paar Sachen auf der Gitarre
ausprobieren.«
Das Wissen, dass er seine Gelassenheit nur
vorspielte, hatte etwas sehr Intimes; es war, als hätte sie ein
Kind dabei ertappt, wie es etwas vortäuschte. In vieler Hinsicht
war er ja auch wie ein Kind. Tracie wurde beinahe schüchtern. »Hör
mal, ich bin total im Rückstand mit meinem Hackbraten-Artikel, und
außerdem
soll ich über die Eröffnungsveranstaltung im EMP berichten. Weißt
du noch? Vielleicht magst du ja mitkommen?«
»Ins EMP? Mein Gott, das EMP ist stinklangweilig.«
Wieder erkannte Tracie, dass er nur seine Enttäuschung verbarg. Bob
hatte davon gesprochen, dass die Glands durch Vermittlung des
Freundes eines Freundes von ihm vielleicht im Experience Music
Project spielen dürften, aber der Auftritt – falls man ihn dort
jemals ernsthaft in Erwägung gezogen hatte – war nie zu Stande
gekommen. Seither hatte Phil für das Museum, das im ganzen Land
Schlagzeilen machte, kein gutes Wort mehr übrig. Manchmal hatte
Tracie großen Respekt vor Phils Bilderstürmerei und seiner inneren
Unabhängigkeit, aber mitunter – so auch in diesem Fall – schwante
ihr, dass er ganz einfach vorsorglich bestimmte Dinge ablehnte,
bevor sie ihn ablehnen konnten.
»Frank Gehry soll auch kommen«, redete Tracie ihm
zu. Gehry war das Genie, welches das Experience entworfen
hatte.
»Na und?«, brummte Phil. »Die haben
zweihundertfünfzig Millionen für etwas ausgegeben, das aussieht wie
das Wrack vom Bus der Partridge-Familie.«
»Ich will versuchen, ein Interview mit ihm zu
machen«, sagte Tracie. »Mein Vater kennt ihn von L.A. her.«
»Nur zu«, sagte Phil. »Lass die Beziehungen
spielen, die die anderen nicht haben. Mach nur, mir soll es recht
sein, wenn du’s auf andere Weise nicht schaffst, aber erwarte nicht
von mir, dass ich dir dabei zuschaue oder etwa helfe.«
Tracie schüttelte den Kopf. Warum musste er bloß so
eklig sein? Manchmal hatte sie den Eindruck, dass immer, wenn sie
einander nahe waren, Phil alles kaputt machen musste. Sie zuckte
mit den Achseln. Sie wollte ihm nicht nachlaufen oder ihn
bedrängen, doch dann fiel ihr ein, dass es vielleicht noch eine
andere Möglichkeit gab, und sie startete einen zweiten
Versuch.
»Willst du auch ganz bestimmt nicht mit?«, fragte
sie. »Das könnte doch ganz lustig werden. Wir könnten tanzen, so
wie früher.« Als sie sich gerade kennen gelernt hatten, tanzten sie
ganze
Nächte durch. Sie war von seinen verrückten Bewegungen fasziniert
gewesen. Sie waren... einfach einzigartig. Er tanzte nicht wie ein
Weißer, versuchte sich aber auch gar nicht erst an einer albernen
Rapper-Imitation. Er bewegte sich vielmehr wie ein Ballettroboter.
Tracie kam es vor, als hätten sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr
miteinander getanzt. »Ach komm«, bettelte sie.
Phil ließ sich auf die Matratze zurückfallen. »Nöö.
Ich will jetzt wirklich noch ein bisschen üben.«
So ein Blödsinn!, dachte Tracie. Sie versuchte,
sich nicht anmerken zu lassen, wie verärgert und verletzt sie war.
»Na schön. Ich dachte nur, du möchtest vielleicht Bob Quinto, den
Manager, kennen lernen. Der sucht Leute...«
»Willst du mich etwa schon wieder überreden, irgend
so einen spießigen Job anzunehmen?«, fragte Phil und setzte sich
auf.
O nein, bloß nicht wieder die Tour. Nicht heute
Nacht. »Aber nein. Ich meine doch nur...«
»Ich meine nur, dass du mir offensichtlich nicht
allzu viel zutraust. Und das gefällt mir gar nicht.« Phil schwang
seine langen Beine über die Bettkante und begann, einen Fuß in
seinen Stiefel zu schieben.
»Tut mir Leid. Ich dachte nur, er wäre für dich
eine gute Connection. Und danach, dachte ich, könntest du
vielleicht hierher zurückkommen und...«
»Vergiss es, Tracie. Ich habe spät noch eine
Probe.« Er schlüpfte in den anderen Stiefel.
»Auch gut«, sagte sie. »Ich wollte sowieso noch an
meinem Verwandlungsartikel arbeiten.«
»Auch gut«, wiederholte Phil. »Dann sind wir also
beide beschäftigt. Schade nur, dass ich das nicht vorher wusste.
Dann hätte ich nicht so viel Zeit damit verschwendet, auf dich zu
warten.« Er stand auf und verstaute seine Gitarre in der Hülle.
»Viel Glück mit deinem Hackbraten.«
»Das ist jetzt aber nicht nett«, fauchte sie.
»Ich denke schon«, sagte Phil. »Nett für dich. Nett
für dein
Ego.« Dann legte er den Kopf schief. »Du könntest die nächste Emma
Quindlen werden«, sagte er, Jon dabei fast perfekt
imitierend.
»Anna, nicht Emma«, knurrte Tracie ihm nach, als er
die Wohnung verließ.