26. Kapitel
Phil und Laura saßen an Tracies Esstisch und
spielten Karten. Sie spielten um Peanuts – aber nicht um niedrige
Einsätze, sondern wortwörtlich um Erdnüsse, da Tracie zu Phils
Empörung keine Chips besaß. Tracie sah ihre Notizen und Fotos
durch, aber das Gelächter von nebenan lenkte sie zu sehr ab.
Vielleicht lag es auch an etwas anderem. Sie hatte immer noch nicht
richtig mit Jon gesprochen. Schon merkwürdig: Der Artikel wollte
ihr einfach nicht von der Hand gehen, während die Verwandlung
offenbar gewaltige Fortschritte machte. Obwohl sie Jons Version vom
Abend mit Beth noch nicht kannte, war Tracie entschlossen, sich
darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Immerhin lieferte ihr diese
neueste Entwicklung nicht nur einen Schluss für ihren Artikel,
sondern gewissermaßen auch die Rechtfertigung für ihn. Sie sollte
dankbar sein und weiter schreiben.
Aber sie kam einfach nicht voran. Ohne Termindruck
fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Erst einmal wollte sie
lieber etwas essen oder Jon anrufen oder den Fernseher einschalten
oder sich einfach nur eine Minute hinlegen und die Augen schließen.
Am liebsten hätte sie beim Kartenspiel mitgemacht, da die beiden
großen Spaß dabei zu haben schienen.
Tracie hörte, wie Laura die Hand auf den Tisch
knallte und »Rommé!« rief. Auf ihrem Bett sitzend, schüttelte
Tracie aus Mitleid mit Phil den Kopf. Aus ihrer Zeit in Encino
wusste sie, dass Laura in Rommé nicht zu schlagen war. Einmal hatte
sie die gesamte Pfadfinderinnentruppe um ihr Geld, ihren Schmuck
und ihre Barbiepuppen erleichtert.
Tracie musste lächeln, als sie daran dachte, bevor
sie sich wieder zwang, sich auf ihren Artikel zu konzentrieren. Sie
seufzte.
Solange sie nicht mit Jon gesprochen und herausgefunden hatte, was
wirklich mit Beth lief, kam sie nicht weiter.
War Jon auf einmal so unerreichbar geworden? Ging
er ihr womöglich gar aus dem Weg? Unmöglich war es nicht.
Vielleicht mochte Jon Beth ja wirklich. Tracie wusste, dass das
Gespräch ein bisschen heikel werden konnte, da sie fest davon
überzeugt war, dass Beth auch nicht annähernd gut genug und ganz
bestimmt nicht intelligent genug für ihn war. Aber da Jon schon so
lange keine Frau mehr gehabt hatte, bestand natürlich die Gefahr,
dass er Sex mit Liebe verwechselte. Tracie kam zu dem Schluss, dass
sie ganz behutsam versuchen musste, ihn von diesem Irrglauben
abzubringen, gleichzeitig aber dafür sorgen musste, dass er Beth
nicht wehtat, wenn er sich von ihr trennte.
Aber wer weiß, dachte sie, vielleicht klappte es ja
mit den beiden, und ich sollte mich lieber raushalten. Schließlich
waren schon oft genug Freundschaften zerbrochen, wenn Leute sich
ineinander verliebten und heirateten. Sie glaubte, sich zu
erinnern, dass das auch bei den Beatles der Fall gewesen war, war
sich aber nicht mehr sicher, bei welchen genau. Vielleicht bei Paul
und Linda, als sie heirateten.
Heiraten! Die Vorstellung, dass Jon und Beth
heiraten könnten, war für Tracie so absurd, dass sie nicht wusste,
ob sie lachen oder weinen sollte. Mein Gott, dachte sie dann, wozu
verschwende ich eigentlich mit derart blöden Gedankenspielen meine
Zeit? Abermals sagte sie sich, dass die Sache wahrscheinlich nur
ein Strohfeuer war, das in ein paar Wochen erloschen sein
würde.
Tracie schaute auf ihre Zettel, die am Türrahmen
und am Fenster klebten und aus einem Stapel ihrer Ausdrucke ragten.
Beim bloßen Gedanken daran, sie einsammeln und wegpacken zu müssen,
entfuhr ihr ein tiefer Seufzer. Nein – die Zettel blieben, wo sie
waren.
Mittlerweile hörte sie, wie Laura die Erdnüsse auf
ihre Seite zog, während Phil die Karten mischte. »Hast du
abgenommen?«, hörte sie Phil Laura fragen. Zu ihrer Überraschung
schienen
die beiden neuerdings ganz gut miteinander auszukommen, aber
trotzdem war das wirklich nett von Phil. Tracie musste lächeln –
wenn er wollte, konnte er richtig rücksichtsvoll sein.
»Ein bisschen vielleicht«, antwortete Laura, die
sich offensichtlich auf ihr Spiel konzentrierte. Eine kurze Pause
entstand. Tracie kicherte. Wenn er sich einbildete, er könnte sie
damit von ihrem Spiel ablenken, hatte er sich geirrt. Laura war die
einzige Frau in Tracies Bekanntenkreis, der ihr Gewicht egal
war.
»Rommé«, sagte Laura.
»Scheiße«, rief Phil. »Das kann nicht sein. Wir
haben doch erst eine Karte gezogen.«
»Rommé«, wiederholte Laura unbeeindruckt.
»Vergeben!«, schrie Phil.
Ha! Tracie musste erneut kichern. Sie wusste, dass
er damit nicht weit kommen würde.
»Gegeben hast du«, erinnerte Laura ihn.
Tracie hörte, wie Phil sich beklagte und die Karten
zusammenschob. Die beiden diskutierten noch eine Weile, während
Tracie vergeblich versuchte, nicht hinzuhören. Das Ergebnis stand
ohnehin längst fest. Wann kommt endlich Jon?, fragte sie sich. Was
wird er sagen? Was ist nur los mit ihm? Sie streckte sich auf dem
Bett aus und wäre um ein Haar für ein paar Minuten eingedöst. Dann
aber hörte sie ihren Namen. »Ich versuche ja, einige deiner
Ratschläge zu befolgen, aber ich hab nicht den Eindruck, dass
Tracie was davon merkt.«
»O doch, da bin ich mir ganz sicher«, meinte Laura
in dem abwesenden Tonfall, den sie immer anschlug, wenn sie die
Karten zählte.
Tracie fragte sich natürlich sofort, um welchen Rat
es ging, warum Laura ihr nichts davon erzählt hatte und ob Phil
darum gebeten oder Laura diesen Rat von sich aus gegeben hatte. Nun
redete wieder Phil.
»Ich fürchte, du hattest Recht. Ich hab sie wohl...
irgendwie als selbstverständlich betrachtet«, sagte er. »Aber im
Augenblick werd ich das Gefühl nicht los, dass sie dasselbe jetzt
mit mir
macht.« Laura murmelte etwas, was Tracie nicht verstehen konnte.
Dann war Phil wohl am Tisch aufgestanden, weil sie hörte, wie die
Tür zum Kühlschrank aufging. Sie schlich sich zur Schlafzimmertür
und linste hinaus. Phil hatte die Gemüseschublade herausgezogen und
holte gerade einen Kopf Eisbergsalat heraus. Wie war der eigentlich
da reingekommen? Tracie hatte in letzter Zeit nicht eingekauft, und
von Laura wusste sie, dass sie Eisbergsalat nicht ausstehen
konnte.
Phil schnitt den Kopf erst in zwei und dann in vier
Teile und legte diese auf drei Teller. Dann trug er die Teller zum
Tisch. »Willst du was essen?«, fragte er Laura. Phil legte drei
Platzdeckchen und drei gefaltete Papierservietten aus. Dann zündete
er eine Kerze an, wusste aber nicht, wohin damit. Er schaute sich
nach einem Kerzenhalter um, und als er keinen entdecken konnte,
steckte er die Kerze nach Chianti-Art in eine leere Bierflasche.
Was zum Teufel hatte er vor?
»Weißt du, Frauen wollen in den verschiedenen
Lebensphasen ganz verschiedene Dinge«, erklärte Laura ihm jetzt,
während sie die Karten weglegte, ihren Erdnussgewinn einsammelte
und sich wieder Phil zuwandte. »Ich war mal in Sacramento mit einem
echten Vollidioten zusammen, weil ich ihn so aufregend fand. Aber
wenn man älter wird – und ich werde immerhin in zwei Jahren dreißig
-, will man was Stabileres. Jemanden mit einem Job. Jemanden, der
einem auch mal was zurückgeben kann.«
Phil nickte so andächtig, als hörte er gerade das
Evangelium. Tracie fiel die Kinnlade herunter. Sie konnte es kaum
glauben – und schon gar nicht, was er als Nächstes machte: Er nahm
eine bereits geöffnete Dose Ravioli und kippte den Inhalt in einen
bereitstehenden Topf. Sie war baff. Er versuchte, etwas zu essen zu
machen!
Natürlich war sein Versuch lächerlich, aber
immerhin versuchte er es. Es war ja so süß; er kam ihr vor wie
Peter Pan, der versucht, seinen Schatten mit Seife anzupappen. Er
wollte gerade die Platte einschalten, als Tracie aus ihrem Zimmer
kam. Sie hielt es einfach nicht länger aus. Laura saß noch immer am
Couchtisch
und futterte ihren Gewinn auf. Phil stand nun mit dem Rücken zu
ihr und rührte die Ravioli mit einer Gabel um. In diesem Augenblick
meldete sich die Sprechanlage. Jon war endlich da. Tracie rannte
zum Türöffner und ließ Jon herein.
»Erwarten wir noch Besuch?«, fragte Phil.
»Jon kommt noch auf eine Minute vorbei«, erklärte
Tracie.
»Nach allem, was man so von Beth hört, dauert
nichts, was Jon macht, nur eine Minute«, sagte Laura und wackelte
süffisant mit den Augenbrauen.
»Wann hast du denn mit Beth geredet?«, fragte
Tracie. Wie es schien, redete die kleine Miss Plappermaul hinter
ihrem Rücken mit jedem.
»Den halben Nachmittag«, gestand Laura, während sie
Erdnussschalen in einen Papierkorb kehrte. »Sie hat die ganze Zeit
auf einen Rückruf von Jon gewartet, aber der rief einfach nicht an,
und bis dahin brauchte sie jemanden, mit dem sie über ihn reden
konnte«, fügte Laura achselzuckend hinzu. »Ich war nur der
Wahnableiter.«
Tracie schüttelte den Kopf. »Verschon mich bloß mit
Beth«, warnte sie Laura.
»Hey, ich hab hier nicht genug Essen für vier
Leute«, rief Phil, als Tracie zur Tür ging.
»Macht euch da mal keine Gedanken«, erklärte Laura,
»ich muss nicht unbedingt mitessen.«
»Red keinen Quatsch«, sagte Tracie. »Es dauert doch
nur ein paar Minuten. Wir machen einen kleinen Spaziergang, und
danach werden wir alle drei gemeinsam essen.«
Tracie öffnete die Tür, und wie immer umarmten sie
und Jon sich. Sie war gespannt, wie Phil auf den nun auch innerlich
verwandelten Jon reagieren würde, deshalb stellte sie sich auch
hinter Jon, als dieser ins Wohnzimmer trat. Über Jons Schulter
hinweg beobachtete Tracie Phil, wie er Jon von seinem stacheligen
schwarzblauen Hemd bis hinunter zu den Sohlen seiner neuen Stiefel
musterte. Phils Gesichtsausdruck wechselte von Überraschung über
Bestürzung bis hin zu gespielter Gleichgültigkeit –
eine Veränderung, die Tracie stark an Zeitrafferaufnahmen vom
Wechsel der Jahreszeiten im Disney Channel erinnerten.
Lauras Reaktion war zwar um einiges subtiler, aber
auch interessanter – und verriet sehr viel mehr Anerkennung. Laura
starrte Jon unverwandt an, und einen kurzen Augenblick strahlte in
ihren Augen jene Sehnsucht auf, die man sonst nur bei Männern
beobachten kann, wenn sie einen Sportwagen bewundern, der viel zu
schnell oder zu teuer für sie ist.
»Hallo, Jon«, grüßte Laura in einem Tonfall, den
sie nur einsetzte, wenn sie Eindruck schinden wollte.
»Ich glaub es einfach nicht«, platzte Phil heraus,
während Tracie und Jon ins Zimmer traten. Mit einem Mal wurde ihr
klar, dass sie unmöglich vor Phil und Laura mit Jon über das reden
konnte, was geschehen war.
Phil stand auf, stellte die leere Raviolidose ab
und drehte eine halbe Runde um Jon. »Die Sachen hast du doch nicht
selber gekauft«, sagte er. »Das war Tracie.« Er wandte sich an
Tracie. »Wo hast du die Jacke her?«, fragte er. »Die ist fast genau
wie die, die ich mal hatte. Ich will auch so eine.«
»Wir haben sie im -«, begann Jon, aber Tracie
unterbrach ihn.
»Verrate nie deine Quellen«, ermahnte sie ihn und
legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wir gehen spazieren«, sagte
sie zu Phil und Laura und schnappte sich ihren Mantel.
»Was hast du mit deinem Haar gemacht?«, fragte Phil
Jon, während Tracie ihn schon zur Tür hinausschob. Sie hatte die
Hand zwischen seinen Schulterblättern, und bevor er Phil antworten
konnte, hatte sie ihn auch schon hinausbugsiert.
»Bin in einer halben Stunde wieder da«, rief sie
über die Schulter zurück.
Sie gingen die Treppe hinunter und auf die Straße
hinaus, bevor sie wieder etwas sagte. »Also weißt du, ich versteh
dich einfach nicht«, meinte sie, kaum dass sie den nassen Gehsteig
betreten hatten.
»Was?«, fragte er, aber sie merkte schon, wie
verlegen er war. Er passte seine Schrittlänge der ihren an.
»Ich arbeite wochenlang Tag und Nacht mit dir. Ich
besorge dir ein Date. Ich betreue dich sogar noch während des
Dates. Und dann hast du es nicht mal nötig, mich anzurufen und mir
zu erzählen, wie es gelaufen ist, und ich muss von meiner Freundin
erfahren, dass ihr miteinander geschlafen habt!«
Jon schaute betreten auf den Gehsteig. »Hast du
diese Information wirklich gebraucht?«, fragte er. »Na ja,
vermutlich ging es genau darum. Jedenfalls weißt du’s jetzt. In
gewisser Weise können wir unser Experiment also für beendet
erklären. Es hat funktioniert.«
»Darum ging es nicht!«, rief Tracie. »Ich
meine, warum hast du mit Beth geschlafen?«
»Aber hast du nicht genau das von mir erwartet?«,
fragte Jon erstaunt. »War das nicht Sinn der Übung? Mit ihnen
ausgehen, ins Bett gehen und sie dann fallen lassen. Von mir
stammt das ganz bestimmt nicht.«
»Ich glaube kaum, dass ich es so formuliert habe«,
meinte Tracie.
»Formuliert hast du es vielleicht nicht so, aber
wenn ich mich recht erinnere, haben wir gemeinsam darauf
hingearbeitet, mein Zölibat zu beenden.«
Tracie kniff die Augen zusammen. »Aber doch nicht
mit meiner Freundin«, erklärte sie. »Außerdem brauchst du dich gar
nicht so wohl dabei zu fühlen. Beth ist nämlich total
verzweifelt.«
»Glaubst du vielleicht, dass ich nach der
jahrelangen Durststrecke nicht verzweifelt war?«, winselte
er.
Tracie schüttelte den Kopf. Sie hätte ihm am
liebsten eine Ohrfeige verpasst. »Ist dir denn gar nicht klar, wie
gedankenlos das war?«, fragte sie. »Nicht nur, dass du es getan
hast, sondern dass du es ausgerechnet mit Beth getan hast? Sie und
ich, wir reden über unser Privatleben, und von jetzt an werde ich
über dein Liebesleben mehr zu hören bekommen, als mir lieb
ist.«
»Wie bitte?«, sagte Jon. »Ihr beide unterhaltet
euch über euer Liebesleben? Da kann ich doch nichts dafür. Und
außerdem –
wenn du nicht wolltest, dass ich mit ihr schlafe, warum hast du
mich dann mit ihr verkuppelt? Du hast doch das Date mit ihr
organisiert.«
Er kapierte wieder mal gar nichts. »Ich wollte
nicht, dass du mit ihr gleich ins Bett springst«, erklärte Tracie.
»Das sollte doch nur eine Übung sein.«
»Du meinst, eigentlich hätte ich wieder mal
versagen sollen?«, fragte Jon. »Ein weiterer Flop für den
Schlagmann, der nie den Ball trifft? War das so geplant?«
»Du bist kein Baseballspieler, und Beth ist kein
Ball«, fauchte Tracie. »Sie ist gerade erst von Marcus furchtbar
verletzt worden, und ich hatte nicht die Absicht -«
»Von Marcus, deinem Chef?«, fragte Jon. »Sie hatte
was mit Marcus?« Er verdrehte die Augen und lehnte sich an einen
Briefkasten, bis er merkte, wie nass dieser war.
»Ich bin diejenige, die sich hundertmal am Tag ihr
Gejammere über Marcus anhören muss. Ich weiß, was für ein Ekel er
ist.«
»Beth ist mit deinem Chef gegangen, und du hast
mich mit ihr zusammengebracht? Solche Männer gefallen ihr also, und
trotzdem dachtest du, sie wäre die Richtige für mich?«
»Ich dachte natürlich, sie wäre die Falsche
für dich«, korrigierte ihn Tracie. »Erinnerst du dich nicht mehr?
Du solltest ein Kotzbrocken werden.«
»Dann wolltest du also doch, dass ich mit ihr
ausgehe, mit ihr ins Bett gehe und sie fallen lasse«, rief Jon
triumphierend.
»Erzähl du mir nicht, was ich wollte!«,
zischte Tracie.
Sie gingen fast einen ganzen Häuserblock lang
schweigend nebeneinander her. Dann blieb Jon plötzlich stehen,
fasste sie an den Schultern und drehte sie zu sich. Einen
Augenblick lang dachte Tracie fast, er wolle sie küssen. »Tracie,
du bist meine beste Freundin. Warum streiten wir uns? Du hast mir
gesagt, was ich tun soll, und dann, mit wem ich es tun soll. Und
ich hab’s getan. Warum bist du dann so wütend auf mich? Wenn du
möchtest, dass ich Beth nie wieder sehe, dann sehe ich sie eben nie
wieder. Aber bitte sei nicht böse auf mich.«
Tracie schaute ihn an. Trotz all der Veränderungen,
die sie bei ihm bewirkt hatte, war er doch immer noch der alte Jon.
Seine Augen blickten sie warmherzig und flehend an. Sie liebte Jon.
»Ich glaube, ich war einfach nur verletzt«, räumte sie ein. »Ich
habe erwartet, dass du mich gleich anrufst.«
»Es war mir irgendwie peinlich«, gestand er.
»Außerdem war’s schon sehr spät.« Er hielt inne »Ich... ich glaube
auch nicht, dass Männer so über Sex reden wie Frauen.«
»Also gut.« Sie seufzte tief. »Mein Benehmen war
lächerlich«, räumte sie ein. »Ich weiß nicht mal, warum ich so
sauer war. Aber Beth hat den ganzen Tag über von nichts anderem als
dir geredet, und das hat mich fast zum Wahnsinn getrieben.«
»Hat sie das?«, fragte er.
Tracie fragte sich, wie es um sein Selbstvertrauen
auf sexuellem Gebiet bestellt war und wie begründet dieses
Selbstvertrauen war. Wenn sie ihn so in seinem neuen Outfit, mit
seiner neuen Frisur und dem Dreitagebart ansah, wurde ihr zum
ersten Mal klar, dass er vielleicht tatsächlich verdammt gut war.
Sie wandte ihr Gesicht ab, damit er nicht sehen konnte, wie sie
errötete. Es war ein merkwürdiges Gefühl, ihn unter erotischen
Vorzeichen zu betrachten – ein wenig so, wie wenn man seinen Bruder
auf diese Weise sähe. Als er ihren Arm nahm, zuckte sie tatsächlich
zusammen.
»Du bist doch nicht immer noch sauer?«, fragte
er.
»Nein, ich bin nicht mehr sauer«, sagte sie. Wieder
einmal dachte sie, dass das eine gute Gelegenheit sein könnte, ihm
von ihrer Idee mit dem Artikel zu erzählen. Vielleicht hätte sie
nicht mehr so große Probleme, ihn zu schreiben, wenn er erst einmal
Bescheid wusste.
Zurück in ihrer Wohnung wollte sie nur noch ein
Bier und eine Umarmung, doch als sie die Kühlschranktür öffnete und
dann Phils schmollendes Gesicht sah, wurde ihr klar, dass sie wohl
weder das eine noch das andere bekommen würde.
»Hast du kein Bier besorgt?«, fragte sie ihn.
»Nein. Wenn keines da ist, trinke ich auch keines«,
sagte Phil. »Ich versuche, ein bisschen kürzer zu treten.«
Typisch. Er dachte doch immer nur an sich. »Apropos
kürzer – ich muss mir unbedingt die Haare schneiden lassen.
Brauchst du auch einen Haarschnitt, Laura?«
»Ja. Aber vor allem brauche ich Strähnchen.«
»Stefan macht wunderbare Strähnchen. Jon geht auch
zu ihm.«
»Eigentlich müsste der Typ dir Lehrgeld bezahlen«,
erklärte Phil.
»Und du müsstest mir eigentlich Miete bezahlen!«,
konterte Tracie und knallte die Kühlschranktür zu. Phil stocherte
geistesabwesend in den Ravioli herum, nahm eine Flasche Kraft
French Dressing, ging zum Tisch und goss das Zeug schwungvoll auf
die Salatviertel. »Es ist angerichtet.«
»Du hast was zu essen gemacht, Phil?« Sie warf
einen Blick auf den Topf. »Toll. Aber leider hab ich jetzt gerade
keinen Hunger.«
»Aber... ich hab das doch für dich gemacht.«
»Warum isst du nicht einfach mit Laura, während ich
ein Bad nehme?«, schlug sie vor. »Ich will nur noch ins Bett.«
Tracie ging ins Badezimmer. Phil folgte ihr.
»Tracie, das ist wichtig«, sagte er. »Ich wollte es
beim Abendessen mit dir besprechen. Ich dachte, ich könnte... ich
hätte da vielleicht einen Job -« Er brach ab. Sie suchte unter dem
Waschbecken nach ihrem Badeöl.
»Du meinst, bei einer anderen Band? Willst du die
Glands verlassen?«, fragte Tracie kopfschüttelnd.
»Nein, ich meine einen richtigen Job«, sagte Phil.
»Na ja, eigentlich eine Art Ausbildung. Kannst du dir mich in der
Halbleiterherstellung vorstellen?«
Tracie hörte auf, unter dem Waschbecken zu wühlen,
und starrte ihn an. »Hab ich richtig gehört? Du willst Leitern
herstellen?«
»Nein, du hast nicht richtig gehört. Mein
Gott, wenn du mir nur halb so viel Aufmerksamkeit schenken würdest
wie diesem
Computerheini und deinem blöden Artikel, dann wüsstest du jetzt,
wovon ich rede.« Er drehte sich um und ging hinaus.
Na gut. Sollte er doch nach Hause gehen. Sie wollte
ohnehin nur noch ein heißes Bad.