24
Sam fiel auf ihr Bett - ein echtes Bett diesmal, keine Pritsche, in einem eigenen kleinen Zimmer - und starrte zur Decke hoch. Und ich dachte, das Gladiatorentraining wäre hart gewesen...
Sie war erschöpft - so erschöpft, daß sie nicht einmal die Kraft aufbrachte, die zwanzig Meter den Flur hinab zur MechKriegermesse zu gehen, obwohl ihr leerer Magen verkrampft war wie eine geballte Faust. Eigentlich ergab ihre Erschöpfung überhaupt keinen Sinn. Was habe ich denn heute schon getan? fragte sie sich. Körperlich, meine ich. Nichts, oder doch fast nichts. Keine Runden um Jared Blochs Folterstrecke. Keine Kampfübungen mit Jonas Clay und den anderen. Teufel auch, dachte sie, man könnte sagen, ich habe nur auf dem Hintern gesessen. Warum bin ich dann so müde?
Sie mußte grinsen. Ich glaube, ich habe meinem Dad einmal genau dieselbe Frage gestellt, erinnerte sie sich. Wir waren im Urlaub, und er ist stundenlang gefahren. Als wir endlich angekommen waren, hat er festgestellt, wie zerschlagen er war. Und ich habe ihn gefragt: »Wie kannst du denn müde sein? Du hast doch den ganzen Tag gesessen.«
Nach ihrer heutigen Erfahrung konnte sie seine Erschöpfung nachvollziehen. Was Laufen, Klettern, Springen oder Kämpfen anging, hatte sie heute so gut wie nichts getan. Aber sie hatte mehr als vier Stunden in einem der modernen BattleMechsimulator-Cockpits des Stalls zugebracht, wo sie von SimTechs trainiert worden war, die auf ihre Weise ebenso unerbittlich und fordernd waren wie Jared Bloch. Sie hatte gelernt, wie man die kolossalen Kampfmaschinen - die echten Mechs, wie Mandelbaum es ausgedrückt hatte - gehen und laufen, zuschlagen und abblocken lassen konnte. Sie hatte die Stärken und Schwächen der atemberaubend starken Waffensysteme kennengelernt: Impulslaser, Autokanonen, Lang- und Kurzstreckenraketen, Partikelprojektorkanonen und den ganzen Rest. Sie hatte gelernt, wie man mit der Abwärme des leistungsstarken Reaktors und der abgefeuerten Waffen fertig wurde.
Es war wie das erste Mal, als sie in Edwards in einen F-16-Jägersimulator gestiegen war... Nein, noch schlimmer, verbesserte sie schnell. Als sie zum erstenmal einen Simulator ›geflogen‹ hatte, war sie zumindest schon mit den Grundprinzipien des Fliegens vertraut gewesen. Sie hatte keine Probleme damit gehabt, das simulierte Flugzeug über den Himmel zu steuern, und reichlich mentale Pferdestärken übrig gehabt, um sich Gedanken über Dinge wie Waffeneinsatz und Taktik zu machen. Aber jetzt?
Jetzt mußte sie lernen, ein völlig neues Fahrzeug zu steuern - von Grund auf - und nebenher in einem Kampf zu überleben. Nach der ersten halbstündigen Simulatorsitzung waren ihre Kleider schweißgetränkt gewesen, und ihre Muskeln hatten von der Anspannung und geistigen Anstrengung gezittert. Und bei ihren drei darauffolgenden, über den Nachmittag und frühen Abend verteilten Sitzungen war der Druck noch stärker geworden. Im Grunde macht das Sinn, dachte sie müde. Die anderen Rekruten des Stalls haben wahrscheinlich alles gelesen, was es über BattleMechtechnologie und Mechsteuerung zu lesen gibt, haben zahllose Kämpfe in den Arenen oder auf Trivid gesehen. Und ich? Sie gluckste. Das einzige Mal, als ich echte BattleMechs in Aktion gesehen habe, war ich viel zu sehr damit beschäftigt, den Arsch versohlt zu bekommen, um mich um Einzelheiten zu kümmern.
Sie kratzte an den trockenen, juckenden Flecken über ihren Schläfen. Heute morgen war eine Tech namens Dawn mit einem batteriebetriebenen Rasierapparat in ihrem Zimmer aufgetaucht und hatte an beiden Seiten des Kopfes Teile ihrer Haarpracht abrasiert. Sie hatte die Frau gewähren lassen, auch wenn sie Dawns Erklärung, warum das nötig war, nicht so recht verstanden hatte.
Als sie zur ersten Simulatorsitzung angetreten war und der Cheftechniker ihr den Helm überreicht hatte, da hatte sie es begriffen. Der Komposithelm aus Acryl war mehr als nur eine Schutzvorrichtung. Es war ein ›Neurohelm‹, ein Gerät, in dessen Innenpolster Induktanzelektroden montiert waren. Soweit sie es verstand - keiner der Techs hatte ihre Fragen mit mehr als dem unumgänglichen Minimum barscher Worte beantwortet, als wäre es unter ihrer Würde, mit einer bloßen Schülerin zu reden -, lasen die Induktanzelektroden ihre Gehirnwellen. Insbesondere diejenigen, die in dem Teil des Hirns entstanden, das für die Verarbeitung ›körpereigener Reize‹ verantwortlich war: für ihren Gleichgewichtssinn. Die Daten aus diesem Teil des Gehirns wurden in das Kreiselstabilisatorsystem des riesigen Metallkolosses unter ihr eingespeist und gestatteten dem Mech, das Gleichgewicht zu halten und aufrecht zu bleiben. Falls sie das alles richtig verstanden hatte, fungierten ihre Sinne und ihr Gehirn als das ›Innenohr‹ des titanischen Fahrzeugs.
Mein Gott, dachte sie sarkastisch. Mandelbaum hat nicht übertrieben, als er den VGL-Simulator als einen schwachen Abklatsch bezeichnet hat. Ruderpedale und ein einzelner Steuerknüppel...? Mach mich nicht lachen!
Im echten BattleMechcockpit kontrollierte sie jedes Detail ihrer riesigen Kampfmaschine. Jedes Detail. Wenn sie sich geradeaus bewegen wollte, mußte sie die Beine des humanoiden Fahrzeugs kontrollieren und gleichzeitig seine Arme, weil diese häufig notwendig waren, um das Gleichgewicht zu wahren. Sicher, vieles davon lief automatisch ab. Sie konnte bestimmte Aspekte der Kontrollen auf Autopilot legen. Das war völlig in Ordnung auf ganz ebenem Gelände, aber sobald sie sich in etwas unfreundlichere Gegenden wagte, mußte sie selbst Aspekte wie die Schrittlänge steuern, die Höhe, bis zu der sie die ›Knie‹ des Mechs hob, und zahllose andere Kleinigkeiten. All die Faktoren, die ins Spiel kommen, wenn ich selbst gehe, erkannte sie. Genauso ist es jetzt - ich muß noch einmal ganz von vorne lernen zu stehen, zu gehen, mich zu drehen, zu laufen ... Nur mit völlig anderer Gewichtsverteilung und körperlichen Möglichkeiten.
Es war eine komplexe Aufgabe - grauenhaft komplex -, aber sie verstand die Vorteile dieser Form des Mikromanagement: Nur wenn man die Kontrolle über jedes Detail der Mechfunktionen hatte, konnte man diese Kontrolle zu seinem Vorteil ausnutzen. Natürlich war sie dazu noch nicht in der Lage - und sie war sich sicher, daß es noch lange dauern würde, bis sie soweit wäre -, aber sie hatte gehört, daß ein guter Mechpilot seine Maschine an einer verdammten Bergwand hochklettern lassen konnte wie einen menschlichen Bergsteiger.
Das liegt für dich noch Jahre in der Zukunft, Dooley, ermahnte sie sich. Im Augenblick kannst du stolz darauf sein, daß du in der letzten Sitzung nur noch zweimal auf deinen metallenen Hintern gefallen bist...
Jemand klopfte an die Tür, leicht, aber
deutlich. »Haben Sie was an?« fragte eine Männerstimme.
Sam wälzte sich mit schmerzenden Muskeln herum und versuchte die
Kraft aufzubringen, wütend zur Tür zu starren. »Ist das ein
Höflichkeitsbesuch, oder kommen Sie zur Leichenbeschau?« Dann
seufzte sie. .»Kommen Sie rein.«
Das Zischen, mit dem die Schiebetür aufglitt, konnte das warme
Glucksen über ihre Antwort nicht überdecken.
Ein junger Mann stand im Eingang. Nein, so
jung nicht mehr, stellte sie schnell fest. Mit seinem
knabenhaften Gesicht, den klaren grünen Augen und dem dünnen
blonden Haarschopf hätte er als verlegener Teenager durchgehen
können. Aber als sie näher hinsah und das feine Netz von Fältchen
um die Augen bemerkte, erkannte sie, daß er ihr wenigstens zwei
Jahre voraus hatte. »Darf ich eintreten?« fragte er. Seine Stimme
war stark und lebendig.
»Ich habe doch schon gesagt, daß Sie dürfen, oder?«
Er zuckte die Schultern. Sein schräges Halblächeln zitterte nicht.
»Ich wollte mich nur noch mal vergewissern.« Er kam herein und sah
sich um. Sam nahm das gesamte Bett in Beschlag - das einzige
Möbelstück in dem winzigen Zimmer -, also lehnte er sich an die
Wand, die Knöchel über Kreuz. Das wirkte nicht sonderlich bequem,
dachte Sam, aber ihm schien es nichts auszumachen.
»Sind Sie nur gekommen, um da rumzustehen und mich anzuglotzen?«
fragte sie ihn.
Er zuckte wieder die Achseln, antwortete aber nicht. Seufzend und
mit Mühe setzte Sam sich auf und sah sich ihren Besucher näher
an.
Er war von mittlerer Größe, vielleicht einen Zoll größer als
Samantha, aber mit erheblich breiteren Schultern. Er wirkte stark
genug, hatte aber die seilartigen Muskeln eines Mannes, dessen
Stärke nicht aus dem Kraftraum stammte, sondern das Ergebnis harter
körperlicher Arbeit war. Er sah gut aus, das mußte sie zugeben ...
Aber sein Gesichtsausdruck zeigte, daß er sich dessen nur allzu
bewußt war. Sie seufzte wieder. Ich kenne
dich, dachte sie. Ich habe dich noch
nie gesehen, aber ich kenne dich trotzdem. Ungebetene Bilder
von Ben Katt und den anderen Jägerjockeys, die sie kannte, flogen
an ihrem inneren Auge vorbei. Dieselbe Sorte
Mann, dasselbe Stereotyp, erkannte sie. Manche Dinge ändern sich nie, nicht einmal, wenn man das
Universum wechselt.
Er hatte natürlich bemerkt, wie sie ihn gemustert hatte, und sein
schräges Lächeln wurde breiter. »Freut mich zu sehen, daß Sie nicht
völlig tot sind«, bemerkte er. »Wir
sind uns noch nicht begegnet. Ich bin Eric Silver, aber man nennt
mich ›Sterlings‹«
Sam schüttelte den Kopf. Bis ins Rufzeichen
...
›Sterling‹ Silvers Lächeln verblaßte. »Stimmt was nicht?«
»Nein. Nein, alles in Ordnung.« Sie streckte die Hand aus. »Ich
würde aufstehen, wenn meine Beine mich noch tragen würden. Ich bin
Samantha Dooley. Man nennt mich Sam.«
Er nahm ihre Hand. Einen Augenblick lang dachte Sam, er wolle sie
küssen, aber dann schüttelte er sie nur mit einem festen
Druck.
»Freut mich, dich kennenzulernen, Sam Dooley«, sagte er, und es
klang ehrlich gemeint. »Harter Tag in der Büchse?«
»Im Simulator?« Sie nickte ernst. »Hart ist
untertrieben.«
Silver nickte. »Aber ich habe gehört, daß du dich für eine Neue gut
gemacht hast«, sagte er. »Ein paar der Techs waren
beeindruckt.«
Sam verzog das Gesicht und erinnerte sich daran, wie der
Cheftechniker sie in einer Sprache, die nach Chinesisch klang,
beschimpft hatte, nachdem sie in ihrem simulierten Mech zum
sechsten Mal in einer Stunde gestolpert und gestürzt war. »Da bin
ich mir nicht so sicher.«
»Ich schon«, sagte er gelassen. »Es ist das erste Mal, daß eine
Fremdweltlerin hier aufgetaucht ist und so schnelle Fortschritte
macht.«
»Hier scheint jeder mit dem ersten Blick zu erkennen, daß ich eine
Fremdweltlerin bin«, stellte sie trocken fest. »Ist es wirklich so
offensichtlich?«
»Tja... ja«, bestätigte Silver lachend.
»Ein paar der Piloten schließen Wetten ab, von welchem Planeten du
kommst.«
Samantha zog die Stirne kraus. »Bist du deshalb hier, Sterling
Silver?« lachte sie. »Um deine Wettkumpel abzuzocken?« Sie
schüttelte den Kopf. »Sorry, mein Freund.«
»Nun ja.« Er breitete die Hände aus. »Den Versuch war es wert.
Macht wohl Sinn, daß du dein Geheimnis für dich behältst, wenn man
bedenkt, wer dich angeworben hat.«
Sam beugte sich stirnrunzelnd vor. »Wie meinst du das?«
»Mandelbaum«, sagte er, als wäre damit alles erklärt. Als er an
ihrer Miene sah, daß sie überhaupt nichts verstand, sprach er
weiter. »Der Rätselmann persönlich. Niemand weiß, woher er kommt,
und der Mann selbst sagt nichts.« Er zuckte die Schultern. »Okay,
jeder weiß, daß er bei Haus Kurita Karriere gemacht hat, bevor er
sich auf Solaris Sieben zur Ruhe setzte. Aber woher kommt er
ursprünglich? Wo ist er geboren worden? Wo hat er seine Ausbildung
erhalten?« Silver schwenkte die Arme. »Mädel, er hat Ideen über
Strategie und Taktik, die ich vorher noch nie gehört hatte.
Niemand hatte von ihnen gehört - nicht
mal die anderen Schlangen, mit denen ich geredet habe. Kein Wunder,
daß er so schnell die Rangleiter raufgefallen ist. Woher
hat er diese Ideen, das ist es, was wir
alle herausfinden wollen.«
Sam bemühte sich, ein Lachen zu unterdrücken. »Da fragst du die
Falsche, Sterling«, antwortete sie ihm, so treuherzig sie
konnte.
»Ja, klar«., schnaubte er künstlich
angewidert. »Ein paar meiner Piloten vermuten, daß du die Tochter
des Alten bist oder zumindest mit ihm verwandt.« Er sah sie hoffnungsvoll an. »Möchtest
du dazu einen kleinen Kommentar abgeben?«
Sie lächelte süßlich. »Sorry.«
»Ja, hab ich mir schon gedacht.« Sein Stirnrunzeln verwandelte sich
in ein hoffnungsvolles Lächeln. »Aber, hör mal, Sam Dooley, wie
wäre es, wenn du einem Piloten die Chance gibst, dir beim
Abendessen etwas zu entlocken? Ich zahle sogar.«
Sam konnte ein Lachen über seine übertrieben erwartungsfrohe Miene
nicht zurückhalten. »Warum nicht? Du gehst voraus, Sterling
Silver.«
Das Dekor der MechKriegermesse war kaum inspirierender als das im
Speiseraum der Gladiatorenschüler, stellte Sam fest. Dieselben
langen Tische, dieselben kahlen Wände, dasselbe billige
Besteck.
Aber das Essen war besser. Das mußte sie zugeben. Und, was noch
wichtiger war, hier gab es Auswahl.
Statt einer simplen Ausgabe für eine vom Küchenpersonal in
Großkübeln hergestellte Einheitsmahlzeit war die MechKriegermesse
wie ein Selbstbedienungsrestaurant aufgezogen. Man hatte die Wahl
unter drei heißen Mahlzeiten und ebenso vielen kalten sowie einer
annehmbaren Bandbreite von Beigaben wie Salaten und Gemüsen.
Während sie am Büffet entlangspazierte, entwickelte Sam den starken
Verdacht, daß die in den Gerichten verwendeten Lebensmittel nicht
die waren, nach denen sie aussahen. Enthielt dieses Gericht, das
für ihre Augen wie Kartoffelsalat aussah, zum Beispiel wirklich
Kartoffeln? Und die Schüssel mit etwas, das sie als Hühnersalat
bezeichnet hätte - also, sie hatte noch nie Hühnersalat von dieser
Farbe oder Konsistenz gesehen.
Silver stand hinter ihr in der Schlange und kicherte, als er Sam
zögern sah. »Fremdweltlerin, hab ich's doch gewußt«, krähte er
triumphierend. Mit einem - nur zum Teil gespielten - ärgerlichen
Schnauben schaufelte Sam eine großzügige Portion eines Gerichts,
das nach Spinatlasagne aussah, auf
ihren Teller.
Es befanden sich nur noch sechs Personen in der Messe. Sam zögerte,
als sie sich mit dem Teller aus dem Selbstbedienungsbereich
entfernte - trotz Silvers Bemerkung, ihr Essen ›bezahlen‹ zu
wollen, forderte niemand Geld von ihr. (Ist
auch besser so, wurde Sam plötzlich klar. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, womit man hier auf
Solaris bezahlt.) Ihr Zögern gab Sterling Gelegenheit, zu
ihr aufzuschließen und ihren Arm zu fassen.
»Warum setzen wir uns nicht mit da rüber?« fragte er und neigte den
Kopf in Richtung eines Pärchens in der hinteren Ecke.
»Warum nicht?« willigte Sam ein. »Ist wohl an der Zeit, daß ich
mich bekannt mache.«
Die beiden anderen sahen auf, als sie näher kamen, warfen Silver
ein schnelles Lächeln zu und versuchten, bei ihren Blicken in
Samanthas Richtung ihre offensichtliche Neugier zu unterdrücken.
»Sam«, erklärte Silver, »ich möchte dir zwei der besseren
MechKrieger unseres Stalls vorstellen - MaryMargaret Richardson und
Lucas Trent. Meg, Luke, wir haben einen Neuzugang: Sam
Dooley.«
Sam musterte die beiden, während sie ihnen die Hand schüttelte und
Begrüßungen austauschte. Was den Körperbau anging, hätten beide aus
einem Ei geschlüpft sein können - genau wie Sterling Silver, fiel
ihr jetzt auf. Sie waren von kompakter Statur, wahrscheinlich sehr
stark, aber nicht übermäßig muskulös. Ihr Haar war kurz geschoren,
mit denselben ›Elektrodenspuren‹ wie auf ihrem Kopf. Aber was ihr
sofort auffiel, waren die Augen: ruhig, gelassen, selbstsicher bis
beinahe an den Punkt, an dem es zu Arroganz wurde.
»Nimm dir 'nen Stumpf«, sagte Meg und deutete auf den Stuhl neben
sich.
Silver setzte sich auf die andere Seite, neben Luke Trent. »Habt
ihr Zeit für ein Schwätzchen?« fragte er die beiden anderen
MechKrieger. »Sam hier hat wahrscheinlich ein Dutzend Fragen, und
ich will nicht ausschließen, daß sie auch eine andere Meinung als
meine hören möchte.«
»Laßt mich erst mal was essen«, sagte Sam und nahm sich ihrer
›Lasagne‹ an. Wie sie schon vermutet hatte, war es in Wirklichkeit
keine Pasta. Was eine Nudelschicht hätte sein sollen, wirkte
knusprig, fast wie dicker Blätterteig, und die Füllung vereinigte
Geschmack und Konsistenz von Rinderhack, Auberginen und etwas
Süßscharfem, fast (aber nicht ganz) wie Nelken. Es ähnelte keiner
Speise, die sie je zuvor gegessen hatte. Aber als sie sich erst an
die exotische Geschmackskombination gewöhnt hatte, fand sie es
ausgesprochen lecker. Sie verschlang mehrere Bissen, bevor sie
fragte: »Seid ihr schon länger im Stall?«
Meg antwortete für beide. »Ich drei Jahre, Luke zwei.« Sie
lächelte, und ihr Gesicht nahm einen fröhlichen Ausdruck an, den
Sam bei jemand mit einem so geschäftsmäßigen Blick nicht erwartet
hatte. »Sterling ist der alte Mann hier: vier Jahre,
richtig?«
»Demnächst«, bestätigte Silver locker.
»Und ihr seid alle hier aus der Gegend?«
»Dem Feld?« Meg lachte. »Keine Chance, Kumpelina. Ich bin die
einzige Solarianerin hier, und ich komme aus Kobe - weiter kann man
sich von Rolandsfeld kaum entfernen, ohne die Stadt zu verlassen.
Luke und Sterling sind Fremdweltler - wie du«, fügte sie
hinzu.
Sam zog eine Braue hoch, sagte aber nichts.
Jetzt ergriff Luke zum erstenmal das Wort. »Hab gute Dinge von den
BüchsenTechs gehört - über dich«, sagte er gelassen. »Du wirst also
mit uns trainieren, ja?«
Sam setzte zur Antwort an, aber Silver kam ihr zuvor. »Ich werd sie
wahrscheinlich noch durch ein paar Simulationen schicken«, stellte
er beiläufig fest, »aber gegen Ende der Woche - ja, da sollte sie
soweit sein, live zu steuern.«
Samantha starrte den Piloten an. Das hörte sie zum erstenmal,
einschließlich der Voraussetzung, daß Silver irgend etwas mit ihrer
Ausbildung zu tun hatte. Aber sie verkniff sich eine entsprechende
Bemerkung. »Danke für das Vertrauensvotum«, erwiderte sie nur und
hielt die Ironie in ihrer Stimme auf einem Minimum.
Der Tisch sank für einen Augenblick in Schweigen, was Samantha
Gelegenheit gab, sich wieder ihrer ›Lasagne‹ zu widmen. Dann
bemerkte Meg: »Du hast doch bestimmt ein paar Fragen,
Sam.«
Sam schnaubte. »Ich weiß nicht mal genug, um kluge Fragen zu
stellen«, knurrte sie mit vollem Mund.
»Warum erzählt ihr mir nicht einfach irgendwas, von dem ihr meint,
ich sollte es wissen? Wie war das für den Anfang?«
Die drei MechKrieger tauschten schnelle Blicke aus, und ihr Lächeln
verblaßte etwas. »Du warst noch nicht außerhalb des Lagers, schätze
ich?« fragte Luke.
»Das soll wohl ein Witz sein?« lachte Sam. »Das ist die erste
Gelegenheit, die ich bekomme, zu denken, von einem Spaziergang ganz zu schweigen.«
Sie stockte, und ihr Lächeln verschwand. »Wieso?«
Es war Sterling, der ihr antwortete. Er sprach mit lockerem
Tonfall, aber Sam hörte den Ernst in seinen Worten. »Manchmal ist
es nicht unbedingt klug, sich als Mitglied des Saberstalls zu
erkennen zu geben. Jedenfalls nicht im Feld.«
»In einem großen Teil von Solaris City nicht«, ergänzte Meg
leise.
»Warum nicht?« Sam beugte sich interessiert vor. »Wo liegt das
Problem? Haben die Leute was gegen MechKrieger? Das ergibt keinen
Sinn.«
Die drei Piloten brachen in schallendes Gelächter aus. Sam fühlte
ein Lodern in ihren Wangen, bis ihr klarwurde, daß die anderen
nicht über sie lachten, sondern
darüber, was sie gesagt hatte... Und sie kannte den
Unterschied.
»Compafiera«, antwortete Luke ernst. »Die Stadt diese ganze Welt -
liebt MechKrieger. Die meisten Krieger
können nirgends hingehen, ohne daß
ihnen eine Herde von Mechhäschen folgt - beiderlei Geschlechts.
Fans, Groupies, die ganze Chose.«
»Bei uns ist es im Grunde nicht anders«, nahm Meg den Faden auf.
»Nur, wenn du die Saberstallfarben trägst, kannst du dir nie sicher
sein, ob eines der Mechhäschen dir nicht einen Vibrodolch in die
Nieren stößt, sobald du ihm den Rücken kehrst.«
Sam runzelte die Stirn und erinnerte sich plötzlich an den
Eindruck, den die Bauweise der Stallanlage bei ihr hinterlassen
hatte, an das Gefühl, daß die Gebäude darauf ausgelegt waren, einem
Angriff standzuhalten. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das
verstehe«, gab sie zögernd zu. »Der Stall hat Feinde? Rivalen bei
den Spielen?«
Die drei MechKrieger zögerten, tauschten erneut Blicke aus. Es war
Silver, der das Schweigen brach. »Es ist etwas komplizierter«,
erklärte er. »Sicher, der Stall hat natürlich Konkurrenten. Wir
sind auf dem Weg nach oben, und dazu müssen wir über die Rücken
anderer Ställe klettern, die ihrerseits alles tun, was nötig ist,
um ihre Stellung in der Rangordnung nicht zu verlieren. Aber auf
der Stufe, von der wir hier reden - noch unterhalb der echten
Showliga , ist ›alles, was nötig ist‹, in der Regel nicht wirklich
bösartig. Es gibt natürlich Dolchstöße, aber nur im übertragenen
Sinn: man setzt Gerüchte in die Welt, um den Ruf des Gegners zu
untergraben, oder politische Winkelzüge, so was in der
Art.«
Er gluckste. »Wir haben wahrscheinlich ein, zwei Geister für andere
Ställe auf unserer Lohnliste. Wohl nicht unter den MechKriegern,
aber fast sicher in den Wartungs- und Techriegen. Genau wie Saber
ziemlich sicher seine Geister bei den wichtigen Konkurrenten haben
wird. In den Topklassen - oben in der Show - kommt es gelegentlich
vor, daß Geister die Mechs eines Rivalen sabotieren, sogar einzelne
Mechjockeys aus dem Weg räumen. Wenn der Saberstall erst einmal
auch da oben angekommen ist, wird es hier wohl auch so laufen. Aber
im Augenblick?« Er zuckte die Achseln. »Üblicherweise kann ein
Geist schlimmstenfalls etwas leichte Industriespionage betreiben.
Wenn einer unserer Techs beispielsweise eine Methode findet, die
Wärmetauscher effizienter zu machen, erfahren innerhalb von ein,
zwei Tagen all unsere Rivalen davon und versuchen, an Hand der
Berichte ihrer Geister auf denselben Trichter zu kommen.« Silvers
Grinsen verblaßte. »Aber wir reden von Schlimmerem.« Er fixierte
Sam. »Du hast gefragt, ob der Saberstall Feinde hat«, erinnerte er
sie. »Die Antwort lautet: mehr oder weniger. Um genau zu sein,
sieht es wohl eher so aus, daß Tai-sa
Mandelbaum Feinde hat. Und die schrekken nicht davor zurück,
jedem, der sich bei diesem Stall verpflichtet, echte
Schwierigkeiten zu machen.«
Samantha schüttelte den Kopf. »Versteh ich nicht«, gestand sie. Das
brachte ihr ungläubige Blikke von Meg und Luke ein, aber sie
betonte: »Wirklich nicht. Hört mal, ich kann euch nicht hindern zu
glauben, was ihr wollt, aber glaubt mir - ich habe keine Verbindung
zu Tai-sa Mandelbaum. Ich weiß nichts
über seinen Hintergrund oder darüber, wer hinter ihm her sein könnte. Aber ich bekomme
langsam das Gefühl, ich sollte es
wissen. Also?«
Nach einem Augenblick des Zögerns nickte Silver. »Okay, Mädel, was
immer du sagst. Fangen wir vorne an. Also, erst mal, Tai-sa
Mandelbaum ist ein Oberst... im
Gegensatz zu einigen der selbsternannten Gestalten, die man in
Solaris City sonst findet. Er hat im Draconis-Kombinat gedient und
sich den Rang verdient...«
»Moment mal«, unterbrach Sam. »Hast du mir nicht gesagt, er wäre
bei ›Haus Kurita‹ gewesen?«
Die drei MechKrieger sahen sich wortlos an. Als Silver
weitersprach, lag ein seltsamer Unterton in seiner Stimme. »Haus
Kurita, Draconis-Kombinat - das ist ein und dasselbe.« Er sprach es
nicht aus, aber Sam konnte die Frage in seinen Augen lesen:
Wo, zum Teufel, kommst du her, daß du
das nicht weißt?
»Weiter«, sagte sie ruhig.
Silver schürzte ärgerlich die Lippen, redete aber weiter. »Soweit
wir gehört haben - natürlich nicht von Mandelbaum selbst«, erklärte
er schnell, »sondern aus den üblichen Quellen -, hat er sich an den
Frontlinien eine mördermäßige Reputation aufgebaut: im Feld, wo's
hart auf hart geht. Den Gerüchten zufolge soll er ein echter
Draufgänger von einem MechKrieger sein, aber gleichzeitig auch ein
ganz ordentlicher Deltaschädel, ein Luft-/Raumjockey.«
Er sah Sam fragend an, als erwarte er eine weitere Zwischenfrage.
Sie hielt ihre Miene ausdruckslos und sagte nur: »Red
weiter.«
»Nachdem er erst einmal Aufmerksamkeit erregt hatte«, fuhr der
Mechpilot fort, »ist er rapide auf der
Offiziersrangleiter nach oben geklettert. Verschiedene
Kommandeursposten, dann eine Art Seitwärtsbeförderung zum
Militärischen Nachrichtendienst. Er hatte den vollen Rang eines
Tai-sa, als er sich zur Ruhe gesetzt hat. Das war vor vier Jahren.
Von Luthien ist Mandelbaum hierhergekommen, nach Solaris Sieben. Er
hatte anscheinend ein Vermögen gemacht - entweder das, oder er war
von vornherein sehr wohlhabend -, denn
als allererstes hat er den Saberstall gegründet. Beide Zweige, um
genau zu sein, die Gladiatorenschule und den Mechstall. Ich war einer seiner ersten
Rekruten.«
»Und der einzige, der bis heute hier ist«, fügte Meg
hinzu.
Einen Augenblick lang wirkte Silver verlegen. »Vielleicht habe ich
ja einfach nicht das richtige Angebot bekommen«, murmelte
er.
Meg erklärte Samantha: »Bei einigen der höherrangigen Ställe gehört
es zur Geschäftspolitik, dem Saberstall vielversprechende
Mechjockeys abzuwerben. Mandelbaum hat ein verfreckt gutes
Trainingsprogramm, und er steht im Ruf, Bauernlümmel zu
Mechzauberern machen zu können. Das einzige Problem ist, sobald er
einen Jockey aufgebaut hat, kommt einer der berühmten und reichen
Ställe - wie Weiße Hand oder Starlight - und wirbt ihn ab.
Mandelbaum kann einfach nicht die Gehälter bieten, mit denen die
großen Jungs um sich werfen.« Sie warf ihrem Freund einen
vielsagenden Blick zu. »Aber Sterling hier hat jeden Versuch, ihn
abzuwerben, kalt abblitzen lassen.«
»Vielleicht bin ich lieber eine große Ratte in einem kleinen Bau
als eine kleine Ratte in einem großen
Bau«, grummelte er.
Meg verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Was immer du dir
einreden willst, Sterling. Hauptsache, du brauchst keine
Angstbegriffe wie ›Loyalität‹ zu benutzen, hm?«
»Du warst dabei, mir von Mandelbaum zu erzählen«, erinnerte Sam
Silver nach einer Weile leise.
»Ja, stimmt.« Er nahm sich ein paar Sekunden, um seine Gedanken zu
ordnen. »Okay«, sagte er schließlich. »Das ist der Punkt, wo die
Sache ein wenig undeutlich wird, weil Mandelbaum nie über sich
redet.« Er warf Sam einen nachdenklichen Blick zu. »Jedenfalls
nicht mit uns...« Er ließ den Gedanken unvollendet. Als deutlich
war, daß Sam nicht darauf reagieren würde, schnaufte er und sprach
weiter. »In der draconischen Hierarchie - oder überhaupt einer Hierarchie, was das angeht - kann
man nicht weiterkommen, ohne Leuten auf die Zehen zu steigen.
Innerhalb und außerhalb des Kombinats,
im übrigen. Es sieht ganz danach aus, als gäbe es da draußen« - er
deutete grobflächig in Richtung von Solaris City und metaphorisch
zu den Welten jenseits von Solaris Sieben - »einige Leute, die
immer noch etwas gegen den Tai-sa haben. Und sie sind bereit, ihre
Antipathie an jedem auszulassen, der mit ihm in Verbindung
steht.«
»Wer?« fragte Sam. »Wer hat so einen Haß auf Mandelbaum?« Sie sah
die MechKrieger sarkastisch lächeln. Okay, gab sie in Gedanken zu. Blöde Frage, Dooley. »Ihr müßt zumindest
Vermutungen haben«, setzte sie nach.
Es war Luke, der reagierte. »Mehr als Vermutungen sind es wirklich
nicht, aber...« Er zögerte, dann: »Okay, wir stellen uns das so
vor. Tai-sa Mandelbaum legt sein draconisches Offizierspatent
nieder und kommt nach Solaris Sieben... Aber so etwas macht man einfach nicht. Ein Oberst des
Militärischen Nachrichtendienstes geht nicht einfach in Pension,
und ganz sicher nicht, um
hierherzukommen, okay? Was werden die Leute also denken?«
Samantha blinzelte. Es ist ziemlich
offensichtlich, oder? dachte sie. »Daß er sich nicht
wirklich zur Ruhe gesetzt hat«, schlug sie vor, »sondern mit einer
Art zeitweiligem Sonderauftrag hier ist.«
Silver nickte. »Ganz genau. Und jetzt nehmen wir mal für einen
Augenblick an, Mandelbaum hat Schluß
gemacht, sich wirklich und endgültig zur Ruhe gesetzt, in Ordnung?
Werden die anderen Nachfolgerstaaten - Davion etwa oder Marik - ihm
das abnehmen?«
Nachfolgerstaaten...? dachte Sam
verwirrt. Aber sie hielt den Mund.
»Natürlich nicht«, beantwortete Silver seine eigene Frage.
Allmählich wurde er warm. »Sie können sich gar nicht leisten, das zu glauben, einfach der Möglichkeit
wegen nicht, Mandelbaum könnte doch
irgend etwas Hinterhältiges hier durchziehen - etwas, das ihnen
Schwierigkeiten machen wird, vielleicht schon in Kürze, vielleicht
irgendwann in der Zukunft. Gut, nehmen wir an, der Tai-sa sei
kein Maulwurf. Je angestrengter die
Sicherheitsdienste der anderen Nachfolgerstaaten ihn unter die Lupe
nehmen, desto weniger finden sie in diesem Fall. Aber wie wird ein
Karrieregeist darauf wohl reagieren, hä?«
Die Antwort darauf wußte sie. »Indem er noch genauer
nachforscht.«
Silver nickte zufrieden. »Wieder richtig«, lobte er.
»Karrieregeister gehen grundsätzlich
davon aus, daß hier irgend etwas Übles abgeht, und wenn sie keine
Hinweise darauf finden, nehmen sie das als Beweis dafür, daß es
besonders clever versteckt ist... was für den Geist bedeutet, daß
die Person, die sie durchleuchten, immens geschickt im Verwischen von Spuren ist. Mit
anderen Worten, ein verdammt heißer Karrieregeist der anderen
Seite. Korrekt?«
Zögernd nickte Sam. Sie hatte keine persönliche Erfahrung mit der
Weltsicht der militärischen Geheimdienste, der ›Military
Intelligence‹ - wenn der Name kein Widerspruch
in sich ist, dachte sie zynisch. Aber Ben Katt und einige
der anderen Piloten hatten ihr einige erschreckende Stories über
die ›Spooks‹ erzählt, mit denen sie in Kontakt gekommen waren.
Für den Spook gilt ›schuldig bis zum Beweis
des Gegenteils‹. Und der Anschein der
Unschuld ist nur ein Hinweis auf einen Gegner, der seine Spuren zu
verwischen weiß... »Also arbeiten Agenten dieser anderen
Nachfolgerstaaten gegen Tai-sa Mandelbaum. Ist es das, was du sagen
willst?«
»Nicht direkt«, verbesserte Silver sorgfältig. »Sie würden mit
nichts derartigem in Verbindung gebracht werden wollen. Falls
Mandelbaum noch zum Geheimdienstapparat des Kombinats gehört, falls er einen Sonderauftrag hat, wissen sie genau, daß jede offene Aktion gegen
ihn nur zur Eskalation der verdeckten Machtkämpfe zwischen den
Nachfolgerstaaten führen würde. Kurita-Agenten machen ein paar
ihrer Agenten kalt, und so weiter, Auge um Auge, Zahn um Zahn, bis
sich alles wieder beruhigt. Soundso viele Operationen gehen den
Bach runter, soundso vielen Spionen wird das Gehirn weggepustet.
Für alle Seiten ein schlechtes Geschäft. Und selbst wenn Mandelbaum
kein Kurita-Geist ist«, fügte Silver
hinzu, »ist er immer noch draconischer Staatsbürger, und das
Kombinat ist ständig auf der Suche nach einem Vorwand, die anderen
Geheimdienstnetze zu stören. Unprovozierte Einmischung in das Leben
eines draconischen ›Zivilisten‹ ist in dem Zusammenhang eine ideale
Entschuldigung.«
Samantha stieß einen leisen Seufzer aus. Und
ich habe mir eingebildet, der Kalte Krieg wäre kompliziert und
bizarr. »Keine direkte Intervention also«, faßte sie
zusammen. »Und indirekte?«
»Über Mandelbaums... nun, nennen wir sie natürliche Rivalen hier auf Solaris«, bestätigte
Silver. »Hauptsächlich andere Ställe. Okay.« Er beugte sich
zielstrebig vor. »Als Fremdweltlerin machst du dir das
wahrscheinlich nicht klar, aber der Saberstall ist ein phänomenaler
Erfolg. Vor vier Jahren gab es noch keinen Saberstall - nicht die
Spur davon. Mandelbaum ist nicht gekommen und hat einen Stall
übernommen, den es schon gab. Er hat all das hier« - er schwenkte
die Arme - »aus dem Nichts aufgebaut. Vier Jahre später - heute -
ist der Saberstall einer der heißen Tips in Rolandsfeld. Sein Ruf
breitet sich aus, sogar noch schneller als im letzten Jahr. Wenn
der Tai-sa das durchhält, treten Saber-BattleMechs in zwei Jahren
in der Show auf, in den Großen Arenen.«
Samantha nickte. Sie besaß keine Hintergrundkenntnisse, um Silvers
Kommentar zu bewerten, aber sie entschied, ihm zu glauben. »Und wie
hat er das geschafft?«
Der blonde Mechjockey grinste. »Das ist die entscheidende Frage,
nicht wahr? Es gibt nur zwei Antworten darauf. Erstens: Er ist
einfach verfreckenkreckt gut bei dem,
was er macht. Er hat zwar mit denselben Vor- und Nachteilen
angefangen, die alle Stallbesitzer haben, aber er hat es
richtig gemacht. Er hat seine
Ressourcen und Leute gut gemanagt. Er hat ein gutes
Trainingsprogramm eingerichtet und, bei aller Bescheidenheit«,
fügte er mit einem selbstgefälligen Lächeln hinzu, »ein paar
verdammt gute Leute angestellt. Er hat innovative Ideen in bezug
auf Taktik, Waffeneinsatz und Mechkonstruktion... aber nichts, auf
das nicht auch jeder andere hätte kommen können. Und zweitens?« Er
kicherte böse. »Zweitens: Er hat irgendeinen besonderen Vorteil, irgendwas, das er aus dem
Kombinat mitgebracht hat. Irgendeine heiße neue Technologie.« Er
schnaubte. »Frag mich bloß nicht, was das sein könnte. Ich bin
hier, seit der Stall die Pforten geöffnet hat, und es gibt einfach keine Geheimtechnologie, die
Mandelbaum seine Erfolge geschenkt hat. Okay«, schloß er seine
Argumentation ab. »Welche dieser beiden Erklärungen werden die
anderen Stallbesitzer wohl glauben? Daß sie den Arsch versohlt
bekommen, weil Mandelbaum einfach besser und klüger ist als sie?
Oder daß Mandelbaum sie überrundet, weil er einen unfairen Vorteil
hat - ganz gleich, wie irrational diese Erklärung auch ist?« Er
fixierte Samantha mit seinen grünen Augen. »Na?« fragte er. »Was
werden sie denken?«
Sie lächelte trocken und nickte. »Ich habe verstanden. Es liegt in
der menschlichen Natur.«
»Stimmt«, bestätigte Silver. »So weit, so schlecht. Um auf den
Anfangspunkt zurückzukommen: Warum sollte irgendein Nachfolgerstaat
gezielt gegen Mandelbaum vorgehen, wenn...«
»Wenn es all diese eifersüchtigen Stallbesitzer gibt, die sich als
Schachfiguren anbieten«, vervollständigte Samantha seinen Satz,
»als ›verzichtbare Werkzeuge‹. Richtig?«
»Ganz genau! Und das«, schloß Silver,
»ist die Geschichte des Saberstalls... und die Erklärung dafür,
warum es ratsam ist, mit dem Rücken zur Wand zu sitzen, wenn du die
Anlage verläßt.« Plötzlich kicherte er. »Nicht, daß dein
Trainingsprogramm dir sonderlich viel Freizeit zugestehen wird,
Dooley. Du hast ein paar lange Tage vor dir, Mädel, das darfst du mir glauben.«