16
Sam starrte ungläubig auf die leeren Gerüste, auf denen nur eine Sekunde zuvor noch sechs wuchtige ›Cockpits‹ gestanden hatten. Das muß ein Trick sein. Das muß...
Ihr Verstand weigerte sich, ihren Sinnen zu vertrauen. Was ich gerade gesehen habe, widerspricht allen Naturgesetzen. Also kann ich es nicht gesehen haben. Ihre Gedanken waren überhastet, erregt, panisch. Es ist ein Trick, eine Täuschung. Teufel, ich habe David Copperfield im Fernsehen die Freiheitsstatue verschwinden lassen sehen. Natürlich wußte er, daß er Zuschauer hatte. Üben diese Typen hier nur für einen pompösen Zaubertrick?
Aber während ihr Intellekt rebellierte, wußte ein anderer Teil ihres Wesens - ein tieferer, zentralerer Teil -, daß sie soeben Zeuge eines bedeutenden und überwältigenden, aber nicht ganz und gar unmöglichen Geschehens geworden war. Ihr Verstand mochte sich aufplustern und protestieren, soviel er wollte, die Cockpits waren wirklich verschwunden. Sie waren fort... nach Irgendwo.
›Virtuelle Welten.‹ ›Anderswann.‹ Amy Langland hatte davon gesprochen. Sind die Cockpits in eine ›virtuelle Welt‹ gesprungen? Befinden sie sich jetzt im Anderswann?
Sie lehnte sich an den großen Metallkäfig neben sich, ließ sich von dessen Solidität und dem kalten Metall an ihrer Haut beruhigen. Wenigstens darauf kann ich mich noch verlassen, dachte sie. Stahl ist noch immer hart, der Boden trägt weiter mein Gewicht, ich kann die Luft immer noch atmen ...
Während sie ihre mentalen Klimmzüge beobachtete, fühlte sie die Last der Verwirrung, der Rebellion schwinden. - Na gut, warum spreche ich es nicht aus? Die Angst. Die Welt sieht immer noch genauso aus wie vorher, machte sie sich klar. Nur weil ich etwas gesehen habe, das ich nicht erklären kann, muß noch nicht meine ganze Weltsicht ihr Fundament verlieren. Sie atmete tief ein, dehnte ihre Lunge auf deren maximale Kapazität, dann ließ sie die Luft langsam mit leisem Zischen entweichen. Die Spannung in Kehle und Brustkorb und die drohende Panik in ihrem Geist verringerten sich dramatisch. Sie wandte sich wieder den Cockpitreihen zu, und zum ersten Mal konnte sie die leeren Gerüste betrachten, ohne von einer Welle der Furcht erfaßt zu werden.
Tatsache: Die Cockpits waren dagewesen, und nun waren sie fort. Tatsache: Die sechs Personen, die hineingestiegen waren, hatten sich auf eine Mission unbekannter Art vorbereitet. Tatsache: Die ›Translokation‹ -das war doch das Wort gewesen, oder? - war von Andrea mit Hilfe der komplexen Computeranlage kontrolliert und veranlaßt worden. Tatsache: Es war nicht zum ersten Mal geschehen. Schlußfolgerung:...
Sam schüttelte den Kopf. Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Sie brauchte mehr Daten.»Control von Alpha One.« Wills Stimme aus dem Lautsprecher erschreckte Sam so sehr, daß sie fast aufgeschrien hätte. »Translokation erfolgreich. Wie sieht die Telemetrie aus?«
Samantha drehte sich zu Andrea und den Kontrollkonsolen um. Sechs Monitore in der oberen Bildschirmreihe zeigten weiter die Köpfe Wills und seiner Teamkameraden. Die unteren Bildschirme waren noch immer leer.
Andrea überprüfte die Datenanzeigen. »Wir empfangen Telemetriedaten bei fünf«, bestätigte sie. »Wie ist euer Empfang?«
»Fünf bei fünf und baumwipfelhoch«, antwortete Will mit einem breiten Grinsen. »Empfangt ihr unsere Peilung?«
Andrea sah hinüber zu John. Er lächelte. »Wir haben eure Spielzeuge fest im Griff, Team Alpha«, erklärte er fröhlich.
»Hier bei uns ist alles in Ordnung«, gab Andrea
zurück. »Mission fortsetzen, Alpha One.«
Wills Grinsen wurde noch etwas breiter. »Ein dikkes Roger,
Control.«
Macintyre beugte sich vor und zog das Mikro an seinen Mund. »Will«,
sagte er. Seine Stimme war leise, aber der Ernst in seinem Ton war
nicht zu überhören. »Bitte sei vorsichtig. Ich mache keine Witze.
Ich will niemandem einen Verlust unserer Leute erklären müssen.
Okay?«
Auf dem Monitor verblaßte Alpha Ones Grinsen ein wenig. »Ich hab's
gehört, Mac«, stellte er in ehrlichem Ton fest. »Wir gehen's
langsam und vorsichtig an.« Ein leises Klicken kam aus dem
Lautsprecher. Auf dem Bildschirm bewegten sich Wills Lippen lautlos
weiter. Anscheinend hatte er auf eine andere Frequenz umgeschaltet,
um sich mit seinem Team zu unterhalten.
Macintyre deutete auf die untere Bildschirmreihe, die immer noch
nur gelegentliches Flackern zeigte. »Wo bleibt die Sicht?« fragte
er.
Andrea arbeitete an ihren Kontrollen und beobachtete die Ergebnisse
auf den Datenschirmen. »Wir haben leichte harmonische
Verzerrungen«, murmelte sie. »Ich bin dabei, sie auszugleichen...«
Die sechs linken Bildschirme der unteren Zeile leuchteten einen
Augenblick lang reinweiß auf, dann verwandelten sie sich in
Fenster, die in ein wogendes Chaos wiesen. »Verstärke
Primärempfang... jetzt.« Die sechs
Bildschirme wurden klar.
Sam starrte mit verwirrtem Stirnrunzeln auf die Monitore.
Eine wüste Einöde... Das war ihr erster
Eindruck. Die sechs unteren Schirme zeigten samt und sonders eine
scheinbar leblose Einöde, ähnlich den zerfurchten Wüsten in den
›Überflugstaaten‹ wie Nevada oder im östlichen Utah. Die
Videoschirme zeigten Farbbilder, aber die Szenerie schien
ausschließlich aus Grau- und schwachen Brauntönen zusammengesetzt,
denen auch ein Schwarzweißbildschirm gerecht geworden wäre. Über
dem Gelände hing eine niedrige, solide Wolkendecke. Im Augenblick
schien es nicht zu regnen, aber der Boden wirkte durchnäßt, um
nicht zu sagen schlammig. In der Ferne glaubte Sam Bergketten
erkennen zu können. (Stimmt, erinnerte
sie sich. Der Techniker hat was von den
›Bergen außerhalb von Rolandsfeld‹ gesagt.) Erst nach ein
paar Sekunden bemerkte sie, daß die sechs Ansichten sich
geringfügig in Sichtposition und Blickwinkel unterschieden.
Offensichtlich empfingen die Geräte Bilder von sechs verschiedenen
Kameras -wahrscheinlich einer pro Cockpit.
Und was passiert jetzt? Sam stellte
sich vor, wie die sechs Cockpits, auf mysteriöse Weise in diese
wilde, lebensfeindliche Umgebung befördert, bewegungslos auf dem
harten Boden standen. Was machen sie
nun - Räder ausfahren und
herumfahren...?
»Okay, Team Alpha.« Sam blickte auf den Schirm mit Wills Bild und
sah ihn nach Steuerknüppel und Gashebel des Cockpits greifen.
(Knüppel und Gashebel? Was, zur Hölle, sollen
die ihm nützen?) »Radiale Aufteilung. Zieht einen halben
Klick auswärts und erstattet Bericht. Und los.« Auf dem Schirm sah
Sam ihn den Gashebel nach vorne drücken.
Der Blickpunkt am linken Ende der Monitorzeile veränderte sich
sofort. Sam starrte entgeistert, als das Gelände vorbeiraste. Es
war schwer, ohne Vergleichsobjekt Entfernungen zu messen, aber sie
schätzte, daß Wills Fahrzeug - was auch immer es war - sich mit
dreißig Meilen in der Stunde oder mehr über den zerfurchten
Wüstenboden bewegen mußte. Gleichzeitig erkannte sie, daß die
Kamera sich nicht in Bodenhöhe befand, wie sie zunächst angenommen
hatte, sondern fünfzehn bis achtzehn Meter über der Landschaft
hing.
Okay. Anscheinend steuert er irgendein
Flugzeug oder einen Hubschrauber. Aber wie? Die Cockpits
hatten aber überhaupt keine Möglichkeit der Fortbewegung, das wußte
sie. Sie waren keine hypermodernen SF-›Flugwagen‹. Die Kästen boten
einfach nicht genug Platz für die nötigen Apparaturen. Und sie
hatte sich bereits selbst überzeugt, daß dies keine Simulation war.
Mit einem leisen Seufzer stellte sie die Frage zurück und schob sie
im Geiste in den bereits zum Bersten gefüllten Ordner mit der
Aufschrift ›Noch zu klären‹.
Sie überprüfte die anderen Schirme und sah ganz ähnliche Bilder,
aber aus anderen Blickwinkeln. Anscheinend verteilten die sechs
Mitglieder von Team Alpha sich über die Landschaft. (Ehrlich?, kommentierte sie ihre Schlußfolgerung
sarkastisch. Was hast du denn gedacht,
was ›radiales Aufteilen‹
meint?)
Endlich hielten die sechs Kameras an. Sam sah auf die Uhr.
(Wenn das Team einen halben Kilometer
ausgerückt ist, bedeutet das - sie rechnete schnell im Kopf
nach -, daß diese Dinger, was immer sie sein
mögen, sich mit rund achtzig Kilometern in der Stunde bewegen. Das
macht etwa fünfzig Meilen.) Sie konzentrierte sich auf einen
der Schirme, der noch Bewegung zeigte, und beobachtete aufmerksam,
wie die Fahrt sich verlangsamte und zum Erliegen kam. Soweit sie
erkennen konnte, kam es zu keiner Veränderung in der Flughöhe.
Also eine Art Hubschrauber.
Eine Frauenstimme drang aus dem Lautsprecher.
»Alpha Four, bereit.«
»Alpha Two, klar zum Einsatz.«
»Alpha Three, bereit.«
Nachdem der Rest des Teams sich gemeldet hatte, war wieder Wills
Stimme zu hören. »Okay, Team Alpha, aufgepaßt. Denkt daran, was Mac
gesagt hat. Nehmt's leicht. Das hier ist nur eine Probemission. In
Ordnung, dann mal los.«
Die Bilder auf allen sechs unteren Schirmen drehten sich rapide -
anscheinend ließen die Teammitglieder ihre Fahrzeuge für einen
Augenblick um die Mittelachse rotieren. Die verschiedenen Ansichten
waren zu verwirrend, als daß Sam sich ein Gesamtbild hätte machen
können, deshalb konzentrierte sie sich auf einen der Schirme: auf
Wills.
Der Teamchef schien auf den nächstgelegenen Berg zuzufliegen. Das
zerklüftete Gelände zog rapide unter ihm vorbei. Sam schätzte seine
Geschwindigkeit auf beinahe sechzig Meilen in der Stunde - neunzig
Stundenkilometer. Zum erstenmal bemerkte sie, daß die Bewegung des
Fahrzeugs, zumindest nach der Bildschirmanzeige zu urteilen, nicht
gleichmäßig war. Statt dessen unterlag sie einer gewissen
Vibration, einem regelmäßigen Stoß oder Zucken etwa jede halbe
Sekunde. Tiefflugturbulenzen?
spekulierte sie, dann verwarf sie diese Hypothese wieder -
Turbulenzen waren niemals so gleichartig und regelmäßig. Es
muß eine Art harmonischer Effekt sein,
entschied sie. Vielleicht eine Besonderheit
des Antriebs, den das Fahrzeug benutzt. Sie grinste,
zufrieden darüber, dieses Rätsel gelöst zu haben.
»He, Alpha Three!« krähte Will über den Lautsprecher. »Let's
party!« Auf dem Schirm des Teamleiters kippte der Horizont weg, als
lege er sein Fahrzeug in eine enge Wende. Sams Blick zuckte auf die
obere Monitorzeile. Will grinste wie ein Bandit und hantierte an
den Rundumkontrollen. »Wie wär's mit einem Tänzchen?« rief er. Sam
sah wieder auf die unteren Bildschirme und wartete darauf, daß
etwas Verwertbares in Sicht kam. Da war es, eine blitzartige
Bewegung am Rand des Schirms...
Und dann gab es eine atmosphärische Störung, und die
Beobachtungsschirme waren tot. Die Lautsprecher krachten und
zischten. Der Funkkontakt war abgebrochen.
Andrea und der Techniker sprangen augenblicklich auf, schrien
einander Anweisungen zu, drückten Knöpfe, gaben Befehle ein.
Zahlreiche der digitalen Datenanzeigen auf den Computerkonsolen
wurden dunkel oder füllten sich mit sinnlosem Kauderwelsch.
Macintyre griff nach dem Mikrofon. »Team Alpha, bitte melden«,
bellte er. »Team Alpha, könnt ihr mich hören?« Er drehte sich zu
Andrea um. »Haben wir noch Telemetriekontakt? «
»Wir haben die Niedrigbandträgerwelle und die sekundäre Modulation,
sonst nichts. Was, zum Teufel, ist da passiert?« Sam konnte eine
Spur von Panik in Andreas Stimme erkennen.
»O Shit...« Das kam von John. Er zeigte auf den großen
Wellenformmonitor. Die komplexe modulierte Sinuswelle verschwamm,
teilte sich in ihre beiden Teilwellen. »Wir driften.«
»Reit sie.« Macintyres Stimme war lauter, als Sam sie bisher je
gehört hatte. Als der Techniker sich über seine Tastatur beugte,
wandte Macintyre sich an Andrea. »Was ist mit den
Peilzeichen?«
Die Frau tippte eine Befehlszeile in die Tastatur und starrte auf
die Ergebnisanzeige. Im hellen Licht der Quarzhalogenlampen sah Sam
den Schweiß auf ihrer Stirn glänzen. »Sie werden schwächer.
Amplituden runter auf 35 Prozent und fallend, DatalinkIntegrität
fällt aus...«
»Kannst du sie zurückholen?«
Andrea drehte sich um und sah Macintyre in die Augen. »Ich weiß es
nicht«, stellte sie leise fest.
»Versuch es«, befahl der junge Ingenieur. »Mach schon!«
Die Frau nickte und konzentrierte sich auf die Konsole. Ihre Finger
tanzten über die Kontrollen. »Team Alpha, bitte melden.« Jetzt, da
sie eine Aufgabe hatte, war ihre Panik verflogen, und ihre Stimme
klang beinahe unbeteiligt. »Notrückholtranslokation. Ich
wiederhole, Notrückholtranslokation. Wir holen euch zurück.« Sie
drehte sich zu dem Asiaten um. »Fertig? Auf mein Zeichen.
Rückholtranslokation - drei... zwei... eins... Polarität umkehren!«
Drei Augenpaare - vier, wenn man Sam mitzählte
- fixierten die leeren Gerüste. Eine endlose Sekunde lang geschah
gar nichts. Dann peitschte nochmals derselbe grelle Lichtblitz
durch Sams Augen. Als sie durch die Tränenflut wieder etwas sehen
konnte, waren die sechs Cockpits zurück, als wären sie nie fort
gewesen. Nur schien ihre dunkelgraue Metallhülle jetzt von weißem
Reif bedeckt zu sein. Kondensation?
Das Dach von Wills Cockpit wurde entriegelt und glitt mit einem
Knall zurück, der laut genug war, um Sam zusammenzucken zu lassen.
Der muskulöse Pilot schwang sich aus dem Cockpit und blieb ein paar
Sekunden regungslos stehen, dann ging er die Reihe entlang und half
dem Rest seines Teams beim Ausstieg. Sie waren zurückgekommen,
vollzählig und, soweit Sam es sehen konnte, unverletzt. (Körperlich
unverletzt jedenfalls, fügte sie hinzu.
Psychisch wirkten sie, als hätten sie sich soeben sämtlich für den
Caterpillar-Club qualifiziert.) Sam zog sich tiefer in die Schatten
zurück, als die Mitglieder von Team Alpha sich den Konsolen
näherten.
Macintyre erwartete sie vor dem Kontrollzentrum. »Was ist
geschehen, Will?«
»Unerwartete Gesellschaft.« Der stämmige Pilot lächelte. Er
versuchte, draufgängerisch und unbeschwert zu klingen, aber in Sams
Ohren klang es wie das unsichere Pfeifen eines Kindes, das für eine
Wette über einen mitternächtlichen Friedhof wanderte. »Weißt du
noch? Ich habe vorausgesagt, daß die Einheimischen uns früher oder
später bemerken und nachsehen kommen werden?«
»Diese Diskussion können wir später nachholen«, erwiderte
Macintyre. Die Erleichterung in seiner Stimme war unüberhörbar.
»Erzähl, was geschehen ist.«
Will zuckte die Schultern und strich sich eine Haarsträhne aus der
Stirn - dann runzelte er die Stirn, als überrasche es ihn, daß
seine Finger auf Schweiß gestoßen waren. »Das Übersetzen lief gut -
glatt und sauber. Keine Probleme, keine Haken. Wir bereiteten uns
gerade auf die Mission vor, als wir die Bogies orteten.«
»Bogies?« wiederholte Macintyre.
»Acht Stück«, bestätigte der Pilot. »Vielleicht auch zehn. Sie
befanden sich tiefer im Berggebiet, wo unsere Sensoren nicht so
sauber zeichnen konnten, aber sie waren eindeutig da. Vielleicht
einen Klick entfernt, und sie stürmten geradewegs auf uns zu. Ja,
und dann kamen die Störsendungen. Mein Radarschirm ist ein Omelett,
mein Zielsuchsystem erfaßt Felsen, Vögel und allen möglichen Shit,
und alles, was ich über Commlink höre, ist Rauschen.«
»Die lokale und die Kommunikation mit
der Basis war ausgefallen?«
»Beide, Mac«, bestätigte Will. »Totalausfall.« Er versuchte sich an
einem erneuten Grinsen, und diesmal gelang es ihm schon besser.
»Verdammt gut, daß ihr uns zurückgeholt habt. Ansonsten hätte es
für uns ganz schnell verflucht
interessant werden können.«
Macintyre sah alles andere als erfreut aus. »Störsender?«
wiederholte er leise.
»Ich weiß, wie Störsender arbeiten, Mac. Glaub es mir,
okay?«
»So etwas ist bisher noch nie vorgefallen.« Macintyre schüttelte
den Kopf. »Bist du sicher, daß die Störsendungen für euch gedacht
waren?«
Will rollte mit den Augen. »So was ist schwer festzustellen, weißt
du?« stellte er in ironischem Tonfall fest. »Die ganzen Kommgeräte,
die einem was über die Störsendungen sagen könnten, sind damit
beschäftigt, gestört zu werden, wenn du verstehst, was ich sagen
will.«
Macintyre ließ sich keinerlei Regung anmerken. »Und die Banditen -
hatten die es auf euch abgesehen, oder waren sie nur zufällig in
der Nähe?«
Der Pilot zuckte vielsagend die Schultern. »Ich erinnere mich an
eine der ersten Lektionen, die ich auf der Flugschule gelernt habe,
Mac. Entscheidungen trifft man gestützt auf Möglichkeiten, nicht
auf Absichten. Acht oder zehn Bogies mit Störsenderunterstützung haben die Möglichkeit,
meine Leute in Schlackehaufen zu verwandeln. Ob sie die Absicht
haben? Ich werde ganz bestimmt nicht abwarten, um es
herauszufinden.«
Macintyre nickte. Er klopfte dem Piloten auf die Schulter. »Du hast
recht, Will. Ich bin nur froh, daß wir euch zurückholen
konnten.«
Will lachte. »Nicht halb so froh wie ich.« Er sah hinüber zu den
anderen Mitgliedern von Team Alpha, die in einer engen Gruppe
zusammenstanden und sich leise unterhielten. »Brauchst du meine
Leute noch?«
»Ich denke, mit der Nachbesprechung können wir noch ein Weilchen
warten«, erwiderte Macintyre mit einem angedeuteten
Lächeln.
»Okay, Leute.« Will drehte sich zu seinen Kameraden um. »Unter die
Dusche, und danach ist Miller Time.« Er warf Macintyre einen
schrägen Blick zu. »Die Control Crew bezahlt, stimmt's, Mac?«
Sam saß auf dem Betonboden, den Rücken am Metallkäfig. Der Druck des Metalls gegen ihren Rücken war zu einer vertrauten, wenn auch unangenehmen Konstante geworden, und eine leise Vibration schien sich durch ihren Körper bis zu den Ohren fortzupflanzen. Sie befand sich tief in den Schatten, außer Sicht der Kontrollkonsolen oder der Cockpits auf ihren Gerüsten. In den Randbereichen ihres Bewußtseins schrillten Alarmglocken: Jede Sekunde, die sie noch länger hier blieb, erhöhte die Gefahr einer Entdeckung. Es bestand eine gute Chance, daß bereits jemand den verlassenen Lastzug mit Petries vermißtem Ausweis in Verbindung gebracht hatte, aber sie ignorierte die Warnungen. Ich brauche Zeit zum Nachdenken, stellte sie sicher zum dutzendsten Male fest. Ich muß das enträtseln, muß herausbekommen, was das mit Pop-Pop zu tun hat. Herausfinden, was es mit mir zu tun hat.
Sie konnte Andrea hören, die sich noch immer bei den Kontrollkonsolen aufhielt. Will und die übrigen Mitglieder von Team Alpha waren vor zehn Minuten abgezogen, vermutlich, um zu duschen und sich umzuziehen. Sobald sie fort waren, hatten Macintyre, Andrea und John eine leise, angespannte Diskussion darüber geführt, was mit der Mission schiefgelaufen sein konnte. Von ihrer Position aus hatte Sam nur jedes dritte oder vierte Wort aufschnappen können, und was sie mitbekam, war Technokauderwelsch wie ›Resonanzüberlagerung‹ und ›Impulsmodulationsmuster‹ gewesen. Gemeinsam hatten Macintyre und Andrea die beiden Wellenformen auf der Hauptanzeige neu synchronisiert. Soweit Dooley es aus den Gesprächsfetzen rekonstruieren konnte, hatten die Störsendungen, die zum ›Abdriften‹ geführt hatten, aufgehört, und das System war wieder stabil.
Nach ein paar weiteren Minuten der Überprüfung verließen Macintyre und John die Halle und ließen Andrea allein zurück, die noch einige Diagnoseprogramme für die Kommando- und Kontrollsysteme fahren wollte. An diesem Punkt zog Sam sich von ihrem Beobachtungspunkt in eine Position zurück, in der sie weniger Gefahr lief, bemerkt zu werden.
Okay. Sehen wir mal, ob wir eine vernünftige Antwort für das alles finden können. Cockpits mit sechs ›Piloten‹ waren verschwunden - oder scheinbar verschwunden, korrigierte sie sofort - und zurückgekehrt. Wohin waren sie verschwunden? Die oberflächliche Antwort lautete: »An einen Ort namens Solaris Sieben«, aber das führte nur zu weiteren Fragen.
Will hatte sich ausgedrückt, als wären er und sein Team in eine Art Gefechtssituation geschickt worden, in der sie in den Hinterhalt einer Gruppe ›Bogies‹ geraten waren - feindlicher Maschinen der Gegenseite. Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Das Ganze konnte leicht eine simulierte Mission derselben Art sein, wie sie die Jägerjockeys in Edwards absolvierten. Wie wäre es damit? fragte sie sich. Zwei Simulatorstationen, unabhängig voneinander, aber über ein Netzwerk verbunden. Will und seine Crew sind zu ihrer Mission aufgebrochen, ohne zu wissen, daß eine andere Gruppe - nennen wir sie Team Beta -gleichzeitig in ihren Simulatoren saß. Team Alpha stellt überrascht fest, daß Team Beta es auf dem simulierten ›Schlachtfeld‹ erwartet... und ist erst recht überrascht, als die gegnerische Truppe Störsender benutzt, um sie außer Gefecht zu setzen.
Sam nickte langsam. Das ergab einen gewissen Sinn. Gehen wir einen Schritt weiter, entschied sie. Team Alpha und Team Beta sind in eine Art langfristiges Kriegsspiel verwickelt. Beide Teams erhalten Missionen, die sie ausführen müssen, aber sie haben gleichzeitig die Freiheit, ›Aggressor‹ zu spielen und die Pläne des jeweils anderen zu stören. Fast wie in echten Kampfoperationen. Sie veränderte ihre Sitzhaltung, um die Anspannung in ihren Knien zu lindern.
Das ist ein verteufelt hartes Trainingsprogramm, dachte sie beeindruckt. Selbst die Edwards Air Force Base hatte nichts Vergleichbares, jedenfalls nicht, soweit sie es wußte. Könnte Generro Aerospace an einem neuen Trainingsprogramm für Piloten von Abfang- und Angriffsjägern arbeiten?
Okay, damit hatte sie eine vorläufige Hypothese, die zumindest einen Teil der seltsamen Geschehnisse erklärte, deren Zeuge sie geworden war. Nun war es an der Zeit zu versuchen, sie zu widerlegen.
Erstes Problem: Als Team Alpha auf die Störsender traf, reagierten Macintyre und die anderen, als wären die Piloten in echter Gefahr. Warum, wenn das Ganze nur eine Simulation war?
Vielleicht, weil der Sieg in diesem Kriegsspiel in Gefahr war, überlegte sie. Diese neue Taktik der Aggressortruppe hätte sie wertvolle Punkte in der Endwertung gekostet.
Und manchmal wird man von einer Simulation so gepackt, daß man voll hineingezogen wird - man vergißt, daß es nicht real ist. Sie grinste, als sie sich an ihre eigene Reaktion beim letzten ›Flug‹ im Edwards-Simulator erinnerte. Sie hatte ehrlichen Zorn gefühlt, als ihr ›Flügelmann‹ - der in Wirklichkeit nur einer Computersimulation entsprochen hatte - von einer MiG-29 Fulcrum abgeschossen wurde.
Zweites Problem: Was für eine Art Fahrzeug und Gefecht versuchte man hier zu simulieren, zum Teufel? Kampfhubschraubergefechte ergaben keinen Sinn, die Taktiken, die Will und die anderen eingesetzt zu haben schienen, wären in einem Choppergefecht umständliche Arten des Selbstmords gewesen. Warum sollte jemand etwas absolut Unrealistisches simulieren?
Vielleicht ist das nur ein Probelauf, dachte sie, eine Art ›Generalprobe‹ für neue Technologien. Wenn Macintyre und seine Kumpane die anfänglichen Probleme erst ausgebügelt haben, entwickeln sie im Anschluß eine anständige Simulation für etwas wirklich Wichtiges.
Drittes Problem: Sie seufzte. Tja, das war der
wirkliche Knackpunkt, nicht wahr?
Wohin sind die Cockpits verschwunden?
Als der grelle Lichtschein aufflammte, was ist
da mit ihnen geschehen? Sie konnte in Gedanken so viele
Erklärungsansätze durchspielen, wie sie wollte, um ihre Hypothese
einer Simulation zu rechtfertigen, aber das beantwortete alles noch
nicht die eigentliche Frage: Was ist mit den
Cockpits geschehen?
Schließlich lachte sie mürrisch auf. Wie lange
kann ich das Unvermeidliche hinauszögern? fragte sie sich
mit beißendem Sarkasmus. Wie lange kann ich
mentale Spielchen treiben? Ich weiß, was ich tun muß, um die wahren Antworten auf diese Fragen
zu finden. Mit einem Grunzen zwang sie sich aufzustehen und
huschte zwischen den summenden Maschinen entlang, ihre nächste
Lügengeschichte vorbereitend.
Sie ging aus derselben Richtung auf die halbkreisförmige
Kommandostation zu, in der Macintyre und die anderen verschwunden
waren. Andrea bemerkte ihre Ankunft nicht, bis Sam sich laut
räusperte. Die schmalgesichtige Technikerin wirbelte mit einem
Keuchen herum.
»Sorry, ich wollte Sie nicht erschrecken.« Es kostete Sam ihre
ganze Willenskraft, die Stimme gleichmäßig und das Lächeln
freundlich und unschuldig zu halten.
Die Frau blinzelte. »Schon gut, äh...«
Sam streckte die Hand aus. »Samantha Dooley.« Andrea zögerte einen
Augenblick, aber ihre Erziehung gewann schnell die Oberhand. Sie
packte Sams Hand mit festem, trockenem Griff. »Andrea Wallinger.
Ich... äh... ich hatte noch nicht...«
»Ich weiß«, unterbrach Sam mit einem entschuldigenden Grinsen. »Ich
habe mir nicht die Zeit genommen, mich mit allen hier bekannt zu
machen, wie ich es hätte tun sollen.«
Andrea blinzelte wieder. »Sie sind neu?« Eine Spur von Mißtrauen in
ihrer Stimme ließ Alarmglokken in Sams Kopf klingeln.
»In gewisser Hinsicht«, erwiderte sie. In Gedanken betete sie, daß
ihr Bluff funktionierte. »Ich bin gerade von New Horizons
abgestellt worden.«
Ihr Gegenüber entspannte sich spürbar. »O natürlich.« Sie zögerte.
»Dooley?« wiederholte sie fragend. »Habe ich schon von Ihnen
gehört?«
»Wahrscheinlich nicht von mir«, gab Sam mit einem kurzen Lachen zu.
»Aber das kommt vielleicht noch.« Sie machte eine Pause, als sei
ihr gerade etwas eingefallen. »Sie denken wahrscheinlich an meinen
Vater«, schlug sie vor. »Oder an meinen Großvater.« Andrea runzelte
die Stirn. »Jim Dooley, junior und senior?«
Andreas Miene klarte auf. »O ja, natürlich. Sie sind Teil
dieser Familie?« Sie schüttelte
lächelnd den Kopf. »Ein ziemliches Erbe.«
»Ziemlich große Fußstapfen«, korrigierte Sam, ebenfalls
lächelnd.
Die andere Frau lachte. Wenn sie lächelte, war ihr Gesicht
ausgesprochen hübsch, stellte Sam fest. Es war nur Andreas konstant
ernste Miene, die sie so unscheinbar aussehen ließ. »Ich bin
sicher, im Laufe der Zeit werden Sie die schon ausfüllen,
Samantha.«
»Tja, um ehrlich zu sein, habe ich hier und jetzt eine Chance,
damit anzufangen.« Sam nahm sich zusammen. Zeit für die große Lüge. »Mr. Macintyre hat mich
auf dem Flur getroffen und hierhergeschickt. Ich soll durch U-N-V
Eins-Drei-Sieben.«
»Wie?« Andrea runzelte wieder die Stirn. »Wann?«
»Jetzt.« Sam hielt den Atem an.
»Jetzt?« Andrea klang entsetzt. »Das
kann nicht Ihr Ernst sein.«
Sam gab sich überrascht. »Wieso?« fragte sie. Sie deutete auf den
Hauptschirm, auf dem ein einzelner synchronisierter Wellenstrang in
brillantem Grün leuchtete. »Er hat gesagt, Sie hätten Solaris
Sieben sicher erfaßt.«
»Na ja, schon, aber...« Andreas Hände flatterten wie verletzte
Vögel. »Aber wir haben ein paar ernste Probleme...«
Wieder schnitt Sam ihr das Wort ab und legte diesmal eine Spur von
Ungeduld in ihre Stimme. »Das weiß ich. Will hat mir alles darüber
erzählt. Genau deswegen will Mac mich jetzt rüberschicken.
Erkundung, um zu sehen, wie sich die Lage entwikkelt.« Sie
gestikulierte in Richtung der Wellenformen. »Sie haben sie
kongruent«, stellte sie fest. »Sie können mich sofort
translozieren, und ich kann Mac den Bericht liefern, bevor er
ungeduldig wird. Okay?«
Andrea wirkte nicht überzeugt. »Vielleicht sollte ich direkt mit
Mac reden.« Sie griff nach einem auf der Konsole montierten
Telefonhörer, den Sam bis jetzt übersehen hatte.
Sie hatte Mühe, ihre aufkommende Panik zu verbergen und scheinbar
sorglos die Schultern zu zukken. »Wenn Sie es für nötig halten, ihn
zu stören. Er hat gerade eine Besprechung mit Mr. Leclerc, aber
wenn Sie dazu seine ausdrückliche Erlaubnis brauchen...« Sie ließ
den Satz verklingen.
Die Technikerin verlagerte unbehaglich das Gewicht von einem Fuß
auf den anderen. Sam konnte die Unsicherheit in ihren Augen sehen,
konnte beinahe ihre Gedanken hören: Übernehme
ich die Verantwortung selbst, oder laufe ich um Erlaubnis zu
Mac?
Ich habe sie fast soweit, dachte Sam. Sie braucht nur noch einen kleinen Schubs. Aber er darf
nicht zu hart sein.
Sam schaute auf die Uhr und zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich ist
es ohnehin egal«, sagte sie. »Das Missionsfenster ist fast zu.
Vielleicht nächstes Mal.« Sie drehte sich um.
»Äh... Samantha...?«
Ja! So beiläufig, wie sie konnte,
drehte Sam sich wieder um. »Nh-hm?«
»Wenn es wirklich so wichtig ist...«
Sam zuckte die Achseln. »Mac scheint der Meinung zu
sein.«
Andreas Miene entspannte sich, als sie ihre Entscheidung getroffen
hatte. Sie warf Sam sogar ein kurzes Lächeln zu. »Wie groß
ist Ihr Fenster?«
Sam blickte wieder auf die Uhr. Es war 12:11 Uhr. Sie zuckte noch
einmal die Schultern. »Er wollte eine Translokation bis 12:15...
Wenn das noch geht.«
Andrea sah auf die Uhr der nächsten Konsole. »Das schaffen wir.
Nehmen Sie Privateer. Ich lade das Gerüst auf.«
»Danke, Andrea. Ich schulde Ihnen was.« Sie lief hinüber zu den
Cockpits und kämpfte darum, sich ihren Triumph nicht anmerken zu
lassen.
Privateer war das zweite Cockpit von rechts, eines der beiden, die
an der ersten Mission nicht beteiligt gewesen waren. Rechts neben
ihm stand Calamity Jane, auf der linken Seite Call of the Wild,
immer noch von einer dünnen Reifschicht bedeckt. Sam schwang sich
in das Cockpit und machte es sich bequem.
Es war nicht annähernd so beengend, wie es von außen und auf den
Monitoren ausgesehen hatte. Sie hatte mehr Hüft-, Schulter- und
Beinraum als in den meisten Flugsimulatoren, die sie in Edwards
benutzt hatte, und viel mehr Platz als
in dem Formel-EinsRennwagen, den sie einmal hatte fahren dürfen.
Sie brauchte sich nicht einmal zu ducken. Sam griff nach hinten und
zog das undurchsichtige Kanzeldach auf den Schienen vor, bis es
einschnappte. Im Innern ihres Metallkokons konnte sie das Summen
und Brummen der stromfressenden Elektronik nicht mehr hören, das
die Halle erfüllte. Hier drang nur noch das leise Sirren der
Klimaanlage an ihr Ohr.
Hastig versuchte sie sich zu orientieren. Unter ihren Füßen
befanden sich zwei Ruderpedale. Sie legte die Hand um den
Steuerknüppel rechts neben dem Sitz. Ihr Zeigefinger legte sich von
selbst um einen Auslöser im Pistolenstil, und auf der Oberseite des
Knüppels fand sie je einen blauen und grünen Daumenknopf. Links von
ihr befand sich der Gashebel - ein einfacher Quergriffhebel, wie
die Automatikschaltung in einem alten Wagen, mit einem Daumenknopf
am rechten Ende. (Eine Hubschraubersimulation
kann das nicht sein. Die Kontrollen stimmen
nicht.)
Genau vor ihr befand sich zwischen zwei mit roten, blauen und
grünen Knöpfen besetzten senkrechten Armaturen ein großer, an einen
Fernseher erinnernder Monitor. Er zeigte kein Bild, aber
vereinzelte, an seinen Rändern tanzende Lichtpunkte bewiesen, daß
er eingeschaltet war.
Unter dem Hauptschirm befand sich etwas, das an einen Radarschirm
erinnerte oder möglicherweise an die Gefahrenanzeige in einem F-16
Falcon. Zwei sich überschneidende Linien unterteilten den Schirm in
Quadranten, während zwei weitere Linien in anderer Farbe ein bis
zum Bildschirmrand reichendes Dreieck eingrenzten, dessen
Scheitelpunkt im Zentrum des Schirms lag. (Eine Art Radarkeil? fragte
Sam sich. Oder eine Art Schußfeldbegrenzung?) Auf derselben Konsole, links neben dem Radarschirm, sah sie eine Kompaßrose und etwas, das nach einem Tachometer aussah und von 0 bis 170 eingeteilt war. (Meilen pro Stunde? Kilometer pro Stunde? Oder Knoten durch 10 - wie im Falcon?) Auf der rechten Seite befanden sich zwei weitere Anzeigefenster - beide leer -, die mit ANZEIGESCHLÜSSEL und SCHADEN beschriftet waren. Der Rest der Armaturen...
Sie schüttelte den Kopf. Im Grunde nur noch mehr Knöpfe - beleuchtete Tasten und kleine alphanumerische Tastaturen. Die wenigsten waren gekennzeichnet, und die trugen rätselhafte Aufschriften wie AK/10 und PPK. Insgesamt war das Cockpit weniger komplex als das eines modernen Düsenjägers, aber sie hatte trotzdem keine Chance, es auf den ersten Blick zu durchschauen. Halt dich an das, was du weißt, Dooley, ermahnte sie sich selbst. Knüppel, Gas und Ruderpedale reichen für den Anfang.
»Samantha?« Andreas Stimme drang krachend aus einem kleinen Lautsprecher irgendwo hinter Sams Kopf. »Alles okay?«
Sam sah nach oben und bemerkte das schwache Glitzern von Glas über dem Hauptbildschirm, das die Position der Videokamera verriet. Sie grinste in die Kamera, während sie ein kleines Auslegermikro zurechtbog. Sie senkte den Kopf und suchte nach dem ›Sprechen‹-Knopf. Da, das müßte er sein: der kleine rote Knopf neben dem Gas. Sie drückte ihn und hörte ein leises Knacken im Lautsprecher. »Dooley One, Check«, bestätigte sie knapp. »Telemetrie gut. UFTCockpit online.« »Wie sieht's mit den Wellenformen aus, Andrea?« »Synchron«, bestätigte die Technikerin. »Stufe zwei, primäres auf zwei Milliarden Volt.«
Sam schloß die Augen und versuchte sich auf ihre Sinneseindrücke zu konzentrieren. Wenn Andrea die Wahrheit gesagt hatte, flossen soeben zwei Milliarden Volt - zwei Gigavolt - durch das Metallgerüst, auf dem ihr Cockpit stand. (Mit welcher Spannung arbeitet ein elektrischer Stuhl? fragte sie sich plötzlich. Sind das nicht nur läppische zweitausend Volt...?) Sie konnte ein leises Kribbeln auf ihrer Haut spüren, besonders im Nacken, aber es war unmöglich zu sagen, ob das von der elektrischen Spannung herrührte oder nur ein Zeichen von Streß war.
»Welche Koordinaten, Dooley One?« fragte
Andreas Stimme.
Sam zögerte. »U-N-V Eins-Drei-Sieben«, antwortete sie
schließlich.
»Ja, weiß ich«, stellte Andrea geduldig fest. »Aber welche
Koordinaten?«
Oh-oh. Sam zermarterte sich das Hirn. Was hatten Will,
Macintyre oder wer auch immer über Koordinaten gesagt? »Dieselben
wie bei der letzten Mission, bitte«, meinte sie und zwang sich,
gelassen zu klingen. Was war es noch?
»Die Berge außerhalb von Rolandsfeld. Setzen Sie mich an derselben
Stelle ab wie Will, falls das geht.«
»Na ja, ich kann Sie in die Nähe bringen«, erklärte Andrea. »Reicht
plus/minus zehn Zentimeter?« Das war ein
Witz, erkannte Sam mit einem Aufatmen der Erleichterung.
Vielleicht funktioniert die große Lüge
tatsächlich.
»Rückholkriterien bestätigen, Dooley One.«
»Standard.«
»Start der Automatiksequenz«, verkündete Andreas Stimme.
»Induktanzfelder stabil. Gerüstsystem erhält Energie.«
Einen Augenblick lang schien eine Million winziger Insekten über
Sams Haut zu krabbeln. Es kostete sie Mühe, sich nicht mit den
Händen über Gesicht und Beine zu fahren. Es ist nur ein Magnetfeld, ein starkes Magnetfeld. Das
Kraftfeld läßt die Härchen auf der Haut einander
abstoßen.
»Stetig bei ein Gigahertz«, stellte die krachende
Lautsprecherstimme fest. »Translokation in drei... zwei...
eins...«
Und mit einem gewaltigen Ruck fiel die ganze Welt unter Samantha
weg.