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Es war schwer - manchmal verteufelt schwer -, aber Samantha schaffte es, ihre Überlegungen für die nächsten Tage hintenanzustellen. Bis Maggie zurückrief und ihr erzählte, was sie durch den Dschungeltelegrafen der 99er über die Liste von Pop-Pops Besuchern erfahren hatte, konnte sie nichts Sinnvolles unternehmen. In der Zwischenzeit machte sie einfach mit ihrem Leben weiter, so schwer es ihr auch fiel: hauptsächlich flog sie, und dazwischen existierte sie nur, bis es Zeit wurde, wieder zu fliegen.
Wenn sie an Gertrudes Kontrollen in der Luft war, fiel es leicht, sich in den Komplexitäten und Eindrücken des Fliegens zu verlieren. Am Boden jedoch war es weit schwerer, die seltsamen Entwicklungen zu vergessen. Wenn ihre Gedanken sie zu überwältigen drohten, schnappte sie sich Grendel und lenkte den Wagen hinaus auf die Freeways des Los Angeles Basin. Im Verlauf von fünf bis sechs Tagen entdeckte sie Bereiche des ausufernden Stadtgebiets, deren Existenz sie bis dahin nicht einmal erahnt hatte, obwohl sie seit über zehn Jahren hier lebte. Aber ihre Lieblingsstrecke blieb die Fahrt über Griffith Park nach Norden zum Los Feliz Boulevard, wo sie den Mustang durch die engen Straßen schleudern konnte, die an den staubtrockenen Hängen hinauf und den zugewachsenen Arroyos entlang führten.
Am ersten August, zwei Tage nachdem sie die Arbeit wiederaufgenommen hatte, fand sie eine Nachricht von Morton Kerr auf dem Anrufbeantworter vor. Anscheinend zog Pop-Pops Haus bereits Interessenten an, und verschiedene Leute hatten Angebote eingereicht. Die Beträge, die der Anwalt beiläufig erwähnte, waren astronomisch - mehr Geld, als Sam jemals aus einer einzigen Quelle zu erhalten erwartet hätte - und seine Botschaft ließ Zuversicht erkennen, daß der schlußendliche Verkaufspreis noch höher liegen würde. Vielleicht sollte ich mich zur Ruhe setzen, überlegte sie. Oder ich könnte mit dem Geld meine eigene Flugschule aufmachen. Mit einem Schnauben ordnete sie diese Gedanken unter der mentalen Kategorie Zukunftspläne ein. Sie war noch nie eine Frau gewesen, die unter irgend etwas einen Schlußstrich zog, bevor sie sich davon überzeugt hatte, daß wirklich alles geregelt war - einer der Charakterzüge, der sie zu einer guten Pilotin machte - und die mysteriösen Begebenheiten rund um Pop-Pops Ableben waren ganz eindeutig noch nicht geregelt. Wenn ich das erst hinter mir habe, versprach sie sich selbst, dann kümmere ich mich darum, wie's weitergeht.
Trotz ihrer Vorsätze hatte sie ihre Verdächte und Besorgnisse bis zum Abend des 3.August beinahe vergessen. Ihr Leben hatte wieder seinen früheren Rhythmus gefunden, und sie hätte sich relativ leicht einreden können, daß sich im Grunde nichts verändert hatte - daß die ganzen Ereignisse in Gold Beach nie stattgefunden hatten. Daher war sie völlig überrascht, Joe Mountain warten zu sehen, als sie nach einem Flug in den Sonnenuntergang mit Gertrude in der Mitte des Helipads aufsetzte. Während über ihnen die Rotorblätter langsam zur Ruhe kamen, half sie den Passagieren - wieder mal eine japanische Familie, drei Generationen - aus dem Heli und erinnerte sie mit Hilfe von Gesten daran, den Kopf unten zu halten. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß sie alle unter den rotierenden Blättern vorgekommen waren, ohne den Kopf zu verlieren, und ihren Dank zusammen mit einem großzügigen Trinkgeld in Empfang genommen hatte, ging sie hinüber zu dem gedrungenen Mechaniker.
gedrungenen Mechaniker.
Dollar-Schein, den ihr das Familienoberhaupt in die Hand gedrückt hatte. »Was meinst du, können wir die Japaner dazu bewegen, den anderen Touristen Unterricht im Trinkgeldgeben zu erteilen?«Joe lachte laut. »Sieht so aus, als ob das Bier
auf dich geht. Es ist Miller Time.«
»Wann ist für dich mal keine Miller
Time, Joe?« Sie boxte ihm auf die Schulter. Es war, als würde sie
gegen den Hubschrauber schlagen. »Ich dachte, du hättest längst
Schluß gemacht.«
Er schüttelte den großen Kopf. »Ich dachte mir, du möchtest das
hier vielleicht noch bekommen, bevor du fährst.« Er griff in die
Oberschenkeltasche des Overalls und zog einen sorgfältig gefalteten
Stapel Faxpapier heraus. »Ist über den Kasten gekommen, als Becky
gerade abschließen wollte«, erklärte er. »Ich habe mir gedacht, du
willst vielleicht nicht bis morgen früh drauf warten.«
Sam nahm die Blätter aus seiner dickfingrigen Hand und klappte sie
auf. Sie überflog die erste Seite, dann faltete sie das Bündel
wieder zusammen und schob es in die Tasche. »Danke, Joe. Du hattest
recht. Ist es okay, wenn ich dir das Bier wann anders
ausgebe?«
Der Mechaniker ließ in gespielter Entmutigung den Kopf sinken. »Die
Geschichte meines Lebens«, klagte er. »Dann werd ich mich mal nach
Hause schleichen und in Gesellschaft meiner lieben Freunde Sam
Donaldson und David Letterman ein paar Kalte kippen.« Er klopfte
ihr auf die Schulter. »Bis morgen früh, Sam.«
Es kostete Sam ihre ganze Selbstbeherrschung, nach Hause zu fahren, Grendel zu parken, die Tür abzuschließen und es sich bequem zu machen, bevor sie das Fax wieder ausfaltete und las. Es war von Maggie, von Hand auf dem Briefpapier der Ophir Flight School geschrieben, wo sie arbeitete.
Sam,
sorry, daß es so lange gedauert hat, aber der
99er-Dschungeltelegraf ist auch nicht mehr, was er
in der guten alten Zeit mal war. Hat wohl was damit
zu tun, daß die Frauen zu sehr mit dem Wahren Leben beschäftigt
sind, wenn Du mich fragst. Als ob es
etwas Wichtigeres gäbe als Schwesternschaft und
den ganzen Mist.
Ich habe mich nach all den Namen erkundigt, die
Du mir gegeben hast, aber wie Du es wolltest, habe
ich bei Simon Warner ›Druck‹ gemacht. Hier ist, was
ich herausgefunden habe. Ich hoffe, es ist das, wonach Du gesucht
hast. (He, Kiddo, Du bewegst Dich
dieser Tage ja wirklich in hehren und bemerkenswerten Kreisen.
Weißt Du zufällig, ob Simon derzeit eine
ständige Bettgefährtin hat? Ich überlege mir, mich
um den Posten zu bewerben.) Man sieht sich. Sam schmunzelte
und blätterte zur zweiten Seite
der Nachricht. Sie war ebenfalls in Maggies großzügiger Handschrift
gehalten und mehr oder weniger
wie ein Lebenslauf angelegt, der die wichtigsten Daten und
Ereignisse im Leben von Simon Warner, Esquire, aufführte. Einen
Großteil der frühen Geschichte kannte Sam schon, wenn auch nicht
annähernd so
genau. Eine lange Periode als FTE, Flugtestingenieur, bei der Air
Force, von 1963 bis 1967 in Edwards, wo er in einer erstaunlichen
Serie von Experimentalflugzeugen die Grenzen des Möglichen getestet
hatte. Anscheinend hatte er seinen Platz im
X15-Raketenflugzeugprogramm gefunden - er lehnte
eine Gelegenheit, am Mercury-Raumflugprogramm
der NASA teilzunehmen, ab, weil er kein ›Büchsenfleisch‹ werden
wollte (Sam mußte grinsen, als sie
das las) - und hatte in diesem Zwischending zwischen Flugzeug und
Raumschiff ein halbes Dutzend
Rekorde gebrochen, bevor er das Militär verlassen
hatte und in die Privatwirtschaft gewechselt war. Flugtestingenieur
bei McDonnell Douglas. FTE bei Fairchild. FTE bei Grumman. FTE bei
General Dynamics ... Sam konnte nur noch den Kopf schütteln.
Mann, der Kerl muß so ziemlich an jeder
wichtigen Düsenjägerserie beteiligt gewesen sein, die in den
letzten dreißig Jahren entstanden ist. Sie über
flog den Rest der Liste. Nichts Besonderes... Moment mal. Was war das?
Die handgeschriebene Zeile sprang sie förmlich
an: 1971 bis 1978 Flugtestingenieur bei Generro
Aerospace.
Sam sank in den Papasan, starrte das Fax an. Generro Aerospace.
Die Firma, für die Dad geflogen
ist, als er starb.
Hat Warner Dad gekannt?
In den fast zwanzig Jahren seit dem Tod Jim Dooleys, Jr., hatte Sam
wiederholt versucht, Leute zu
finden, die ihn gekannt hatten, mit ihm geflogen
waren. Wie sich herausstellte, ohne großen Erfolg.
Als sie alt genug war, die Spur aufzunehmen und die
Namen weiterzuverfolgen, an die sie sich aus ihrer
Kindheit erinnerte, verdiente diese den Namen Spur
noch kaum. In manchen Fällen hatte sie einfach nicht
genug Informationen gehabt. ›Pat und Maureen aus
Pax River‹ war einfach nicht genug, um irgend etwas
von Wert aufzuspüren. In anderen Fällen waren die
Personen tot, hatten das Militär verlassen und waren
im nicht annähernd so umfassend dokumentierten
Zivilleben untergetaucht, oder sie waren in der byzantinischen
Bürokratie der Streitkräfte verlorengegangen. Wie groß war die
Wahrscheinlichkeit gewesen, daß sie durch puren Zufall auf ihre bis
jetzt beste
Verbindung stoßen würde? Zufälle kommen
vor, sagte sie sich. ... Aber man
sollte nicht drauf wetten. Sie überflog die Angaben zu Sid
Warner noch
einmal und versuchte, sich ein Bild von der Laufbahn des Mannes und
seinem Leben ganz allgemein
zu machen. Nach ein, zwei Minuten legte sie die Papiere beiseite
und versuchte, ihn zu fassen zu bekommen. Ein
Testpilot unter Testpiloten, mußte sie
zugeben. Während seiner ganzen Laufbahn
immer
ganz vorne, nie ›hintenan‹ - der
Alptraum jedes Karrieremenschen - außer
beim Raumprogramm, und da
war es seine eigene Entscheidung. Sie schüttelte
den
Kopf. Und möglicherweise hat er die richtige
Entscheidung getroffen, wenn er ein echter Pilot bleiben
und nicht zu einer Mischung aus Versuchskaninchen
und Galionsfigur verkommen wollte. Keinerlei Hinweise auf
eine Ehefrau oder Kinder - ungewöhnlich,
aber so etwas kam vor. Und auch das konnte durchaus eine bewußte
Entscheidung gewesen sein. Die
besten Testflugaufträge damals, die Missionen, die
eine Laufbahn wirklich weiterbringen konnten, waren häufig kaum
verschleierte Selbstmordaktionen
gewesen, und möglicherweise hatte er sich einen
Vorsprung bei der Vergabe ausgerechnet, wenn er
auf Bindungen verzichtete.
Warner war Mitglied in den angesehensten und
wichtigsten Clubs und Vereinen, wenn auch teilweise
nur ehrenhalber. Unter anderem gehörte er zur Society
of Experimental Test Pilots (SETP, das Pantheon der
Testpilotenbruderschaft) und - wie Sam mit trockenem Grinsen
feststellte - zum inoffiziellen ›Caterpillar Club‹, dessen
Mitgliedschaft auf Piloten beschränkt war, die schon einmal
gezwungen gewesen waren, mit dem Schleudersitz aus einer
abstürzenden Maschine auszusteigen, um ihr Leben zu retten. Sie
fragte sich,
aus welchem Verein er Pop-Pop kannte.
In seiner Laufbahn gab es keine ungewöhnlichen,
wirklich auffälligen Punkte. Zugegeben, es war
interessant, daß er anscheinend keinen Vollzeitjob
mehr gehabt hatte, seit er vor neun Jahren Generro
Aerospace verlassen hatte, weder als Pilot noch als
etwas anderes, aber das mußte nicht allzuviel heißen. Laut Maggies
Dossier war Simon Warner 1926
geboren worden, also war er zweiundfünfzig gewesen, als er bei
Generro ausschied. Das war kein ungewöhnliches Alter, um sich zur
Ruhe zu setzen,
ganz besonders nicht für jemand mit Warners Laufbahn - und den
Pensionsansprüchen, die er sich dabei erworben haben dürfte.
Anscheinend gab ihm
das die Freiheit zu tun, was ihm in den Sinn kam,
einschließlich kurzzeitiger Funktionen als Berater
und Public-Relations-Mann für verschiedene Ingenieursfirmen: hier
eine Woche, da zwei. Maggies
Aufstellung enthielt die wichtigsten - Sam hatte von
ein paar gehört - sie deutete aber an, daß sie sich die
meisten erspart hatte.
Samantha seufzte und überlegte, ob sie sich eine
Zigarette anzünden sollte. Interessanter
Hintergrund,
entschied sie. Hochinteressanter Hintergrund.
Besonders, weil er möglicherweise Dad und Pop-Pop
gekannt hat.
Sie unterwarf sich dem Verlangen ihres Körpers
nach Nikotin und zündete sich eine an. Dann blies sie
den Rauch an die Zimmerdecke und schloß die Augen. Okay, überlegte sie. Ich habe
Hintergrundinformationen über Simon Warner. Hintergrund, aber
nichts
Aktuelles. Lohnte es sich, weiterzugraben, herauszufinden,
was er zur Zeit machte und wo sie in Kontakt
mit ihm treten konnte? Immerhin gab es nicht einmal
die Andeutung einer Verbindung zwischen ihm und
dem Rätsel um Jim Dooleys Tagebuch.
Doch, es lohnt sich, entschied sie.
Irgend etwas
tief in ihren Eingeweiden, eine Art Instinkt, nagte an
ihr, erklärte Warner irgendwie zu einer Schlüsselfigur in dem
ganzen Geschehen. Es gab keine vernünftige Erklärung dafür: Nicht
ein Punkt im Leben des
Simon Warner ergab für ihren Verstand eine logisch
nachvollziehbare Verbindung zu den Ereignissen der
letzten Zeit. Aber im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, auf den
unlogischen Teil ihres Bewußtseins zu
hören.
Was ich wirklich brauche, sind
Informationen
darüber, wo Warner heute steckt. Wahrscheinlich
habe ich das Mags nicht deutlich genug gesagt. Sie
sah auf die Uhr der Stereoanlage. Es ist noch
nicht zu
spät, bei ihr anzurufen und sie zu bitten, mir eine Telefonnummer
oder Adresse zu besorgen. Sie griff
nach dem Telefon.
Es klingelte, bevor sie es berührt hatte. Das elektronische
Zwitschern ließ sie überrascht zusammenzucken. Sie nahm den Hörer
ab. »Mags?«
Am anderen Ende blieb es stumm, dann fragte eine Stimme, die Sam
sofort erkannte: »Könnte ich
bitte mit Samantha Dooley sprechen?«
Sam lächelte. »Ich bin am Apparat, Amy. Wie
geht's?«
»Erwartungsgemäß«, antwortete Amy Langland
trocken. Ihre Stimme hatte dieselbe Schärfe, an die
sich Sam noch von ihrer ersten Begegnung her erinnerte - eine
Schärfe, die jeden, der sich nicht die Mühe machte, tiefer zu
blicken, davon überzeugte, daß
Amy eine eiskalte alte Hexe war. Die Stimme und ihr
Mittelwestakzent riefen Sam immer das Bild eines
alternden Tomboys vor Augen, der den Männern in
Rauchen, Saufen und Fluchen in nichts nachstand -
und das beschrieb Amy Langland ganz genau. »Ich
höre, du hast momentan ein paar Probleme.« Sam blinzelte
überrascht, dann fragte sie: »Hast du
das von Maggie Braslins?«
Langland zögerte einen Augenblick, bevor sie
langsam antwortete: »Na, ja, von ihr.« Eine längere
Pause, dann: »Habe ich etwas Falsches gesagt?« Ihre
Stimme war so sanft, wie es ihr nur möglich war. »Nein. Nein, ist
schon okay.« Sam runzelte die
Stirn. Mags, ich dachte, wir wären
übereingekommen, daß du dich bedeckt hältst.
»Sie hat mir nicht allzuviel darüber erzählt, was
los ist«, fuhr Langland fort. Sie schnaubte. »Vielleicht, weil ihr
klargeworden ist, daß sie besser die Klappe gehalten hätte, schätze
ich. Wenn du mir ein paar Einzelheiten mitteilen willst? Vielleicht
kann ich helfen. Und wenn nicht, ist es mir auch recht.
Du
brauchst dich nicht bedrängt zu fühlen.«
Sam zögerte eine Weile. Dann wurde ihr Lächeln
breiter. »Ich kann die Hilfe gebrauchen, Amy. Ich
versuche Informationen über einen Simon Warner zu
bekommen.«
»Hm. War es das, was Maggie wollte?«
»Nicht nur Warner«, erklärte Dooley. »Aber er ist
im Augenblick der Wichtigste.« Und sie listete die
übrigen Personen auf, an denen sie interessiert war,
wie sie es schon für Braslins getan hatte. Als sie fertig war,
hörte sie nur Schweigen. »Amy?«
»Ich bin noch da«, erwiderte Langland leicht gereizt. »Ich denke
nach - etwas, wofür ihr jungen Dinger euch viel zu wenig Zeit
nehmt, wenn du mich
fragst.« Sie machte eine Pause, dann summte sie
nachdenklich und etwas schräg ein paar Akkorde einer alten
Count-Basie-Nummer. »Da hast du dir ja
eine illustre Gruppe zusammengesucht, Mädchen.« »Du kennst die
Namen?«
»Die meisten«, bestätigte Langland. »Ich muß zugeben, ein paar der
Leute habe ich seit Jahren nicht
mehr gesehen, aber völlig fremd sind mir nur ein,
zwei der Namen. Was willst du über sie wissen?« Sie überlegte,
ordnete ihre Gedanken. »Alles
im
Grunde«, stellte sie schließlich fest. »Oder alles, was
besonders interessant sein könnte«, korrigierte sie
hastig.
»Könntest du das möglicherweise ein wenig präzisieren, Kleine?«
fragte Langland trocken. »Interessant ist für mich ein sehr weiter
Begriff. Es wäre einfacher für mich, ihn einzugrenzen, wenn ich
wüßte, ob du sie flachlegen, umlegen oder in Ketten legen
willst.«
Samantha lachte auf. »Da ist was dran.« Sie überlegte wieder.
»Okay«, sagte sie nach einer Weile.
»Sagen wir ›alles Verdächtige‹ alles, was dir auffällt,
was nicht ins Bild paßt. Sorry, Amy«, erklärte sie.
»Ich will dich nicht ärgern. Ich weiß
nicht, wonach
ich suche. Außer bei Warner. Ich will nur wissen, wo
er momentan steckt und wie ich Kontakt mit ihm bekommen
kann.«
»Hmf.« Langland schnaufte. »Ich nehme nicht an,
du könntest mir mitteilen, warum du überhaupt nach
etwas suchst? Nein, nein«, schnitt sie Sam eine etwaige Antwort
gleich im Ansatz ab. »Vergiß es, das
war nur die krankhafte Neugier einer alten Frau. Ich
werde ein wenig Zeit brauchen«, stellte sie nachdenklich
fest.
»Mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das, was es
mal war.«
»Danke, Amy. Das meine ich ernst.«
»Hmf. Was immer.« Langland wischte Sams Dank
beiseite, als bereite er ihr ein leises Unbehagen.
»Margaret Braslins erkundigt sich auch schon nach
diesen Leuten?«
»Stimmt«, bestätigte Sam. »Mags hat gesagt, sie hat
es auf den Dschungeltelegrafen der 99er gegeben.« »Hat sie das?
Hmf, das wäre nicht nötig gewesen,
die anderen Schwestern damit zu belasten. Aber ich
schätze, was passiert ist, ist passiert.« Langland betonte den
letzten Satz fast wie eine Frage. Aber bevor
Sam antworten konnte - oder sich auch nur entscheiden konnte, ob
eine Antwort nötig war - redete sie
weiter. »Egal. Ich rufe in ein paar Tagen wieder an,
Samantha. Wenn ich meinem alten Schädel die richtigen Erinnerungen
abgerungen habe.«
»Danke, Amy«, erklärte Sam noch einmal. »Ja, na ja, spar dir das,
bis wir wissen, ob mir irgendwas einfällt.« Ein Knacken, und die
Leitung war
tot.
Zu Sams Überraschung waren es Maggie und der Dschungeltelegraf, die zuerst weitere Informationen lieferten. An den beiden nächsten Tagen trafen Notizen von Maggie über das Faxgerät von WestAir ein - weitere Hintergrunddaten, immer wieder ein wenig. Sams erste Reaktion war, jede Notiz durchzugehen, sobald sie eintraf, aber nach kurzem Nachdenken kam sie zu dem Schluß, daß es sinnvoller war, abzuwarten, bis sie einen vernünftigen ›Fundus‹ an Daten hatte, den sie abarbeiten konnte. Auf diese Weise hatte sie mehr Chancen, ungewöhnliche Verbindungen, Gemeinsamkeiten oder Anomalitäten zu bemerken.
Als sie sich schließlich mit den Faxblättern hinsetzte, wurde ihr schnell klar, daß sie sich das Abwarten hätte sparen können. Selbst wenn sie der Bericht über Sid Warner nicht vorgewarnt hätte, wäre ihr der eine Punkt, den eine ungewöhnliche Anzahl dieser Personen gemeinsam hatte, bestimmt nicht entgangen.
Sie hatten alle irgendwann
auf die eine oder andere Weise mit Generro Aerospace zu
tun.
Samantha kletterte aus dem Papasan und drückte ihre erst halb
gerauchte Zigarette aus. Sie breitete die Faxbögen auf dem Boden
aus und ging sie noch einmal durch. Es gab keinen Zweifel. Von den
zwölf Leuten, deren Namen sie Maggie gegeben hatte, besaßen acht
eine Verbindung zu Generro (neun, wenn man Sid Warner einrechnete).
Zugegeben, die Art der Beziehung variierte - nur zwei hatten als
Piloten für die Firma gearbeitet, die anderen als Berater, Manager
oder technische Repräsentanten - und die Perioden ihrer
Anstellungen schienen sich nirgends sonderlich zu überschneiden.
Trotzdem erschien es ihr bemerkenswert.
Sie legte die Blätter beiseite, griff sich das Telefonbuch und
blätterte die Einträge unter L durch. Tatsächlich fand sie einen
Eintrag für ›Langland, Amy L.‹ mit der amüsanten Adresse Aloha
Street - in Los Feliz, nicht in Glendale, aber doch ganz in der
Nähe. (Sam schüttelte den Kopf. Die Welt ist
klein. Auf ihren Streifzügen durch Griffith Park war sie
wahrscheinlich auf eine knappe Meile an Langlands Wohnung
herangekommen, ohne es zu ahnen.) Sie schrieb sich die Nummer
heraus, nahm den Telefonhörer ab und wählte.
Langland meldete sich fast augenblicklich. »Samantha«, sagte sie,
nachdem Dooley sich zu erkennen gegeben hatte. »Sorry, daß ich mich
nicht gemeldet habe. Es kam was dazwischen, und ich hatte noch
nicht die Zeit, die ich gedacht hatte, dafür zu haben.«
»Schon okay, Amy«, beruhigte sie die ältere Pilotin. »Wann immer es
dir paßt. Aber ich habe zwei besondere Fragen.«
»Ach? Hat der Dschungeltelegraf was gebracht?«
»Mehr oder weniger.«
»Dann mal los.«
»Simon Warner erst mal. Hast du eine Adresse oder Telefonnummer
rausgefunden?«
»Nh-nh«, wehrte Langland sofort ab. »Da bin ich überfordert. Ich
habe ein paar alte Sachen über ihn, aber er ist umgezogen, ohne
eine Nachsendeadresse zu hinterlassen. So was ist bei Piloten nicht
ungewöhnlich, wie du weißt.«
»Diese alte Adresse: war die in Denver?«
»Hä?« Sam sah geradezu vor sich, wie Langland überrascht aufs
Telefon starrte. »Nein. In Burbank. Das ist aber wirklich schon Jahre her. Ich habe versucht, ihn
wiederzufinden, aber da war nichts zu machen. Und
zweitens?«
»Amy, was kannst du mir über Generro Aerospace erzählen?«
Langland sagte eine Weile gar nichts. »Generro«, murmelte sie dann.
»Generro...«
»In Moreno Valley«, half Sam.
»Ich weiß, wo sie sitzen«, bellte Langland fast. »Ich versuche nur,
mich zu erinnern.« Eine weitere Pause. »Dein Vater ist für Generro
geflogen.«
»Habe ich dir das in Kansas City erzählt?«
»Du hast es irgendwo mal erwähnt. Generro - der Thunderflash,
korrekt?«
»Genau die.«
»Sie waren eine Weile ein heißer Tip, soweit ich mich entsinne«,
redete die alte Frau weiter, beinahe mit sich selbst und so leise,
daß Sam sich anstrengen mußte, sie zu verstehen. »Sie hatten ein
paar gute Ingenieure, gute Konstrukteure. Mit etwas Glück hätten
sie wirklich groß rauskommen können. Wirklich groß. Im Grunde war es nur Pech, daß
nichts daraus geworden ist. Aber so war das damals. Ideen allein
genügten nicht - man brauchte auch noch Glück, damit der Blitz
einschlug.«
»Was war an dieser Firma, das sie so attraktiv machte?«
»Attraktiv?« Langland schnaubte. »Nichts eigentlich. Es war einfach nur ein
Flugzeughersteller.«
»Wie kommt es dann, daß so viele der Leute, die ich dir genannt
habe, irgendwann dort gearbeitet haben?«
»Hä?« Langland klang überrascht. »Wie?«
»Die zwölf Namen, die ich dir letztens gegeben habe«, erläuterte
Sam. »Neun dieser Leute hatten eine Verbindung zu Generro.
Neun. Ich frage mich nur, warum, was
sie angezogen hat.«
»So war das damals einfach«, stellte Langland fest. »Es war eine
viel kleinere Industrie als heute, eine kleine, enge Gemeinschaft.
Teufel, Mädchen, alle zwölf waren
irgendwann bei McDonnell Douglas, oder?«
»Stimmt, aber zwischen Generro Aerospace und McDonnell Douglas
besteht ein großer Unterschied. Milliarden Dollar
Unterschied.«
»Mag sein.« Langland verstummte kurz, dann fragte sie: »Kannst du
mir erklären, warum du an diesen Leuten so interessiert
bist?«
Sam überlegte einen Augenblick, dann schüttelte sie den Kopf, auch
wenn Langland das natürlich nicht sehen konnte. »Reine Neugier,
Amy«, stellte sie fest. »Wahrscheinlich ist es gar nicht so
wichtig.«
»Hrmpf.« Die ältere Frau klang keineswegs überzeugt. »Aus ›reiner
Neugier‹ horcht man nicht den Dschungeltelegrafen ab, wie du es
tust.« Sie machte eine Pause. »Aber wenn du nichts sagen willst,
ist das natürlich dein gutes Recht. Wir leben immer noch in einem
freien Land, mehr oder weniger.«
»Kennst du jemand, der immer noch mit Generro zu tun
hat?«
»Aus reiner Neugier?« fragte Langland sarkastisch. »Nein, nicht,
daß mir jetzt im Augenblick jemand einfiele. Die Firma hat vor
fünf, sechs Jahren ihren ganzen Betrieb umgestellt, weißt du.
Großes Managementausmisten, rollende Köpfe in der Verwaltung,
knöcheltiefes Blut in den Chefetagen, so wie ich es gehört
habe.«
»Warum?«
»Wegen der gottverdammten Rezession natürlich«, schleuderte
Langland zurück. »Wahrscheinlich hatte ein paar feige Säcke unter
den Hauptaktionären die Panik gepackt. So was soll alle Tage
vorkommen. Soweit ich es mitbekommen habe, hat das Generro fast den
Garaus gemacht. Der gesamte Flugbetrieb wurde eingestellt.« Sie
schnaufte verächtlich. »Wahrscheinlich irgendein idiotischer
Erbsenzähler. Flugoperationen kosten eine Menge Geld, aber es ist
gerade diese Art kostspielige Entwicklungsarbeit, die eine Firma
gesund erhält.«
»Generro ist nicht mehr gesund?«
»Ich sage lieber nichts mehr, sonst zeigt mich irgendein blöder
Börsenmakler noch an, ohne Lizenz Anlageberatung zu betreiben.« Der
grimmige Tonfall Langlands brachte Sam zum Schmunzeln. »Jedenfalls
scheint niemand von der alten Garde an Bord geblieben zu sein,
niemand, der in den Siebzigern oder früher da gearbeitet hat.« Sie
zögerte. »Ist dir das eine Hilfe, Kindchen?«
Sam war sich nicht sicher. Nach Langlands Beschreibung sah Generro
jedenfalls stark nach einer Sackgasse aus.
Aber da war immer noch dieses seltsame Gefühl in ihrer Magengrube.
»Das kann man nie wissen, Amy. Das kann man nie wissen.«