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Irgendein selbsternannter Experte hat einmal gesagt: »Für einen aggressiven Piloten ist eine MiG an sechs Uhr besser als gar keine MiG.« Sam Dooley fing an, ernste Zweifel an dieser Perle der Weisheit zu entwickeln.
Verdammt noch mal... Ja, die MiG-25 ›Foxbat‹ hing immer noch an Dooleys Heck - ›klebte an sechs Uhr‹ - nicht abzuschütteln, etwa drei nautische Meilen hinter ihr. Die Radarimpulse der MiG peitschten über Dooleys F-16 Fighting Falcon und versuchten, die kleinere Maschine zu erfassen, um endlich eine Rakete landen zu können. Warnsummer dröhnten in Dooleys Ohren - und Warnlichter blinkten auf dem Kontrollbrett des Falcon. Noch hatte das Radar sie nicht sicher erfaßt, und es gab kein Anzeichen für einen Raketenabschuß, aber das war nur noch eine Frage der Zeit, wenn sie nicht schleunigst etwas unternahm. Unglücklicherweise hatte Dooley nicht die geringste Idee, was dieses ›etwas‹ sein konnte.
Ihr Blick flog über die Instrumente des Jägers. Flughöhe knapp unter siebzehntausend Fuß, Fluggeschwindigkeit fallend auf 400 Knoten. Ohne daß es ihr bewußt wurde, drückte Dooley den Gashebel durch die Sicherungsarretierung und startete die Stufe-3-Nachbrenner. Als die Geschwindigkeitsanzeige im HUD auf 450 kletterte - die optimale ›Drehgeschwindigkeit‹ für den Falcon - riß sie das Flugzeug in eine scharfe Rechtskurve und spannte in Erwartung des Andrucks die Muskeln.
Ein erneuter Blick hinüber zur MiG. Der zweimotorige Jäger driftete aus seiner Position, als der feindliche Pilot einen Sekundenbruchteil zu langsam auf Dooleys Manöver reagierte. Er driftete ab, aber nicht weit genug. Dooley konnte vor ihrem inneren Auge weit genug. Dooley konnte vor ihrem inneren Auge Düsenturbinen auf Nachbrenner schaltete und sich mit maximalem Andruck in ein Korrekturmanöver legte. Tod und Teufel!
»Rogue Two, wo zur Hölle stecken Sie?« bellte
Dooley.
Die Stimme ihres Flügelmanns drang aus dem Ohrhörer des Helms -
angespannt, gepeinigt, beinahe, als säße ihm ein Elefant auf der
Brust. »Rogue One, ich kämpfe gegen zwei MiGs, bin total in der
Defensive. Hier bei mir ist alles Delta Sierra.«
Trotz ihrer Lage mußte Dooley grinsen. Delta Sierra - Pilotenslang
für ›Dogshit‹. ]a, hier bei mir ist auch Delta
Sierra...
Wie ging noch der Spruch aus Top Gun?
»Ich trete auf die Bremse, dann fliegt er voll vorbei...« Lachhaft.
So was funktionierte nur im Film. Hier draußen in der Wirklichkeit
- ›am spitzen Ende‹ - war es nicht so einfach, jemanden an sich
vorbeirauschen zu lassen. Ich trete auf die
Bremse, und er fegt mich vom Himmel...
Ein heiseres Schnarren traf Dooley wie ein elektrischer Schlag.
Rakete im Anflug. Der Foxbat hatte eine
radargesteuerte AA-7 Apex-Rakete abgefeuert, und plötzlich reichte
Delta Sierra nicht mehr aus, ihre Lage zu beschreiben. Daten
zuckten durch Dooleys Gedanken. Die Apex hatte eine
Höchstgeschwindigkeit von Mach 3,5, weit über 2000 Knoten, und
konnte Kurven mit einer Geschwindigkeit fliegen, die einen Piloten
aus Fleisch und Blut umbringen würde. Dooleys einzige Hoffnung
bestand in der Tatsache, daß der MiG-Jockey zu nah war - innerhalb
der effektiven Minimalreichweite der Rakete. Die optimale
Entfernung für den Einsatz einer Apex war zehn nautische Meilen
oder mehr, bis zur Maximalentfernung von 25 Meilen. Auf drei Meilen
Distanz bestand die Chance, daß die Apex nicht genug Zeit hatte, um
ihre Flugrichtung nach dem Start zu korrigieren und Dooleys
Maschine sicher zu erfassen.
Mit einem stummen Stoßgebet kehrte Dooley die Wende um, zog den
Falcon zurück nach links und stieß gleichzeitig vier Pakete
Störfolie aus. Die Streifen aus metallbeschichtetem Mylar, speziell
entwikkelt, um das Lenkradar zielsuchender Raketen zu verwirren,
breiteten sich hinter Dooleys Maschine aus. Gashebel bis zum
Anschlag - der Pratt & Whitney F100 Turbinenpropeller des
Falcon heulte auf. Steuerknüppel vor, Nase auf den drei Meilen
unter ihr liegenden Boden. Im Sturzflug versuchte Dooley auch noch
das letzte Quentchen Geschwindigkeit aus der F-16 zu holen, das ihr
die Naturgesetze zugestanden...
Etwas zuckte über dem Kuppeldach des FalconCockpits vorbei, so
dicht, daß Dooley es fast hätte berühren können: die Apex, die mit
dreifacher Schallgeschwindigkeit vorbeisauste, durch die
Folienstreifen und das verzweifelte Ausweichmanöver der F-16
getäuscht. Alles ging so schnell, daß Dooley es kaum bewußt
wahrnahm. Sie legte den Jäger in eine harte Rolle, dachte an die
Belastung der kleinen Tragflächen und sah deren Umrisse vor ihrem
inneren Auge wie zitternde Lichtblitze auf einem
Computerschirm.
»Rogue One.« Die Stimme ihres Flügelmannes klang scharf, hell -
Angst? »Rogue One, ich habe drei von
ihnen an mir dran!«
Dooley suchte den Himmel nach Rogue Two ab, während der Falcon
seine Wende zum Abschluß brachte und die Nase wieder hob.
Da, vier Meilen entfernt. Die blaugraue
Bemalung der anderen F-16 machte es sonst schwierig, sie vor den
hohen Zirruswolken zu entdecken, aber jetzt zog sie eine schwarze
Rauchspur hinter sich her, die wie ein riesiger Finger auf die
Maschine zeigte. Die drei MiGs an ihrem Heck waren deutlich zu
erkennen, tödliche dunkle Pfeile am hellen Firmament. MiG-29
Fulcrums, schneller und wendiger als der Foxbat, möglicherweise
ebenso flink wie der F-16 Falcon. Während Dooley noch hinsah, brach
unter der Tragfläche des vorderen Fulcrum Rauch hervor. Eine weiße
Klaue mit einer Spitze aus Feuer streckte sich nach Rogue Two
aus.
»Rogue One... Teufel, Atoll im Anflug, ich steck in
Schwierigkeiten...«
Rogue Twos Falcon rollte um die Längsachse, aber es war zu spät.
Dooley konnte keine Einzelheiten ausmachen, aber das war auch nicht
notwendig, oder? Näherungszünder. Sprengkopfexplosion. Sekundäre
Detonationen. Die F-16 wurde von einer Kette schmutzig-roter
Rauchbälle vom Himmel gefegt, als der dreizehn Pfund schwere
Gefechtskopf der Atoll-Rakete glühendes Schrapnell in die
Tragflächentanks des Jägers schleuderte und dessen Treibstoff zur
Explosion brachte. Die Stimme in Dooleys Ohr verstummte mitten im
Schrei.
Irgendetwas loderte in ihren Eingeweiden. Wut?
Ist es das? Ein Teil ihres Verstands beurteilte das Gefühl
als unangebracht... aber es war nicht der Teil, der ihr Flugzeug
kontrollierte. Mit einem unartikulierten Knurren riß Dooley den
Falcon in eine enge Steigkurve und zog gleichzeitig den Gashebel
aus der Nachbrennerposition, um den Wendekreis zu verkleinern. Wo
ist die gottverdammte MiG?
Da war sie, weit außer Kurs. Dooley lächelte grimmig. Du hast es vermasselt. Du hast dir eingebildet, mit der
Rakete hättest du mich erledigt, und hast dich zurückfallen lassen,
um das Schauspiel zu genießen.
Er soll bezahlen, murmelte eine Stimme in ihrem Hinterkopf.
Er soll bezahlen. Wieder zog Dooley den
Knüppel an den Körper und setzte alles an Beschleunigung ein, was
der Falcon liefern konnte.
Der MiG-Jockey wußte, daß er einen Fehler begangen hatte. In dem
verzweifelten Versuch, einen zweiten zu vermeiden, versuchte er den
schweren Abfangjäger zu drehen und Dooleys Manöver abzuwehren. Aber
es war zu spät, und Dooley wußte es, tief in ihren Eingeweiden
wußte sie es, da, wo man absolute Wahrheiten spürt. Der Foxbat mit
seinen zwei mächtigen Düsentriebwerken war schnell, im
Geradeausflug fast anderthalbmal so schnell wie der Falcon. Aber er
war auch groß und schwer, ohne Nutzlast fast 20 Tonnen, mehr als
das Doppelte des Gewichts einer F-16. Ein Ausbund an Kraft und
Masse, den es hier und jetzt zu bändigen galt. Indem er sich hatte
zurückfallen lassen, hatte er seinen Positionsvorteil verloren -
und wenn Dooley ihre Sache gut machte, würde er bald noch sehr viel
mehr verlieren.
Die drei MiG-29 waren nach dem Abschuß von Rogue Two bereits in
schnellem Anflug auf Rogue One. In wenigen Augenblicken würden sie
Dooley erreichen. Wahrscheinlich brachten sie sich bereits in
Position für den Einsatz ihrer wärmesuchenden Raketen. Im Gegenzug
- auch wenn es kaum allzuviel nutzen konnte - schoß sie fünf
Leuchtkugeln ab, glutheiß lodernde Zielobjekte, um die
IRSuchautomatik der Raketengefechtsköpfe zu verwirren. Eine andere
Möglichkeit blieb ihr im Augenblick nicht. Ich
werde euch auch noch kriegen, versprach Dooley den Fulcrums
leise.
Ihr enges Wendemanöver erfüllte seinen Zweck. Der Falcon drehte
sich im Wendekreis der VerfolgerMiG und brachte die feindliche
Maschine auf zwölf Uhr. Um seine Wendegeschwindigkeit zu erhöhen,
hatte der Foxbat-Pilot die Nachbrenner eingeschaltet, und die
beiden Triebwerke spien schwarzen Rauch. In Dooleys Ohr sang der
Suchton der SidewinderRaketen unter den Tragflächen des Falcon
seinen Grabgesang. Im HUD - Head-Up-Display - der F-16 näherte sich
der Suchkopf der kastenförmigen Zielmarkierung um die MiG. Suchkopf
und Markierung trafen sich und blinkten auf. Das Schnarren der
Sidewinder in Dooleys Ohrhörer verwandelte sich in ein helles
Jaulen.
Die Rakete schoß davon, noch bevor Dooley sich bewußt wurde, daß
sie den Feuerknopf gedrückt hatte, und jagte an der Spitze einer
weißen Rauchspur auf den feindlichen Jäger zu. Dooley stieß ein
zufriedenes Knurren aus. Hinter dem Foxbat flammten die winzigen,
sonnenhellen Punkte der Leuchtkugeln auf, ein verzweifelter Versuch
des Piloten, die Sidewinder abzulenken. Aber solange die
Nachbrenner arbeiteten, blieb die MiG die stärkste IR-Quelle am
Himmel. Ein Blinder hätte die Hitze auf hundert Schritt
fühlen können. Dooley ließ ihre Rakete
nicht aus den Augen und beobachtete, wie sie schnurgerade durch das
Leuchtkugelfeld schoß und im rechten Triebwerk des Foxbat
explodierte. Wieder flammten sekundäre Explosionen auf, als der
Treibstoff des Ziels Feuer fing. Sie schrie ihren Triumph
hinaus.
Der Falcon bockte wie ein Auto, das mit Highwaytempo in ein
Schlagloch fährt. Auf dem Kontrollbrett blitzten die Warnlichter,
und Alarmsummer gellten. Dooley überprüfte sofort ihre Heckzone,
obwohl sie schon wußte, wer an sechs Uhr aufgetaucht war.
Ja! Einer der Fulcrums hatte sich in Stellung gebracht und hing nun
in bester Angriffsposition wenig mehr als eine Meile hinter ihr.
Viel zu nah für Raketen, aber in idealer Entfernung für das
30-mm-Geschütz des Jägers ... das bereits vollauf damit beschäftigt
war, Dooleys Maschine schrottreif zu schießen.
Sie schaltete die Warnsummer aus und warf gleichzeitig einen Blick
auf die Warnanzeigen an der rechten Seite der Kontrollen.
Warnlämpchen brannten über NAV und WEP ARM. Shit! NAV bedeutete, das Trägheitsnavigationssystem
des Falcon war ausgefallen - nicht so schlimm, zumindest nicht
akut. Aber die Warnleuchte bei WEP ARM schien ein herber Schlag:
der Zentralmechanismus, der die Waffensysteme der F-16 scharf
machte, war beschädigt und nicht mehr funktionsfähig. Ihr Jäger
trug noch drei Luft-Luft-Raketen unter den Tragflächen, aber Dooley
konnte sie nicht mehr abfeuern. Zeit, die
Kanone zu ziehen.
Mit einer Daumenbewegung machte sie das M61A1-Geschütz des Falcon
scharf. Du willst spielen? Dann wollen wir mal
sehen, wie heiß du wirklich bist.
Aber das war sinnlos. Dooley stand allein gegen drei Gegner - vier,
falls der zerstörte Foxbat einen Flügelmann hatte, der darauf
wartete, einzugreifen. Ein Luftkampf gegen eine derartige Übermacht
war Selbstmord, gleichgültig, wie gut ein Pilot war. Die einzige
logische Alternative bestand darin, die Flucht zu ergreifen, den
Nachbrenner voll aufzudrehen und zu beten, daß die MiG-Jockeys auf
eine Verfolgung verzichteten.
Nicht, daß die Fulcrums Dooley eine günstige Gelegenheit geboten
hätten, sich davonzumachen. Der Falcon wurde erneut
durchgeschüttelt, als ein zweiter 30-mm-Feuerstoß seinen Rumpf
aufriß. Wieder schrillten die Warnsummer, und rote Lämpchen
flakkerten ihre Alarmmeldungen von den Kontrollen. Die HUD-Symbole
verschwanden von der halbverspiegelten Scheibe über der Konsole.
Rauch? dachte Dooley, als die
Feuermelder aufheulten. Oder bilde ich mir das
nur ein?
Sie trieb den Knüppel nach vorne, richtete die Nase des Falcon auf
den tief unter ihr liegenden Boden und stieß gleichzeitig den
Schubhebel bis zum Anschlag durch. Die F-16 sprang nach
vorne...
Zu spät. Die Rückenlehne des Pilotensitzes rammte Dooleys Nieren
mit der Gewalt eines austretenden Maulesels. Das Cockpit kippte zur
Seite, Dooleys Helm schlug mit betäubender Gewalt gegen das
Kanzeldach. Alle Warnlichter auf den Kontrollen blinkten blutrot.
»Achtung! Achtung!« krähte die
synthetische Stimme des Bordwarnsystems - ›Bitching Betty‹ wurde
sie von den Piloten genannt - dann verstummte sie.
Raketentreffer. Was könnte es sonst sein? Der Falcon war außer Kontrolle, scherte wild, wurde von der Wucht der Explosion herumgewirbelt. Die Welt auf der anderen Seite des Kanzeldachs drehte sich in einem wilden Reigen - Himmel, Erde, Himmel. Dooley kämpfte mit dem Knüppel, versuchte verzweifelt, die F-16 wieder in ihre Gewalt zu bekommen. Die Fluggeschwindigkeit fiel rapide, das Triebwerk war ausgefallen. Die Überziehungswarnung heulte kurz auf, dann verstummte sie, als der Strom ausfiel.
Dooleys Instinkt übernahm die Führung. Ihre Hände zuckten zu den Schleudersitzgriffen, zerrten hart. Keine Reaktion.
...Natürlich nicht. »Shit!« Während über dem Kanzeldach die ganze Welt sich weiter in einem hypnotischen Tanz drehte, löste Samantha Dooley den Kinngurt ihres Helms, hob die Acrylschale von ihrem Kopf und schüttelte das lange braune Haar aus.
»Shit!« sagte sie laut. Dann bellte sie: »Okay,
genug.«
Die Lichter auf den Kontrollen gingen aus, das Rauschen der an der
Kanzel vorbeijagenden Luftmassen verstummte. Einen Augenblick
später verschwand die wild wirbelnde Außenwelt und machte dem
stumpfen Grau der Bildschirmkuppel Platz. Mit einem leisen Sirren
bewegte sich der Simulator ein letztes Mal auf den
Hydraulikstützen, und das Cockpit kehrte in eine waagerechte Lage
zurück.
Dooley streckte den Arm aus, entriegelte das Kanzeldach und klappte
es weg. Sie löste die Druckleitungen und Telemetriekabel von ihrem
Andruckanzug. Die Simulatoren in Edwards
lassen nichts aus, dachte sie mit trockenem Humor, dann
kletterte sie ins Freie, die Metalleiter drei Meter hinab zum
Hallenboden.
Lt. Benjamin Katt wartete außerhalb der Kuppel, in seinen
Drehsessel zurückgelehnt, die Füße auf einer Ecke des
Computertischs. Er grinste wie ein Bandit und wirkte unverschämt
selbstzufrieden und entspannt, dachte Sam wütend. »Na, wie
war's?«
»Was, zum Teufel, sollte das?«
Katt zuckte die Achseln. »Du hast gesagt, du willst eine
Herausforderung«, stellte er fest, und sein Grinsen wurde noch
breiter, soweit das überhaupt möglich war.
»Eine Herausforderung?« Sam legte den Helm vorsichtig neben seine
Füße auf den Tisch, um ihn dem Lieutenant nicht an den Kopf zu
werfen. »Herausforderung? Zwei Falcons
gegen einen Foxbat und drei Fulcrums? Drei! Das würde ich keine Herausforderung
nennen!«
»Ich habe keine Beschwerden von Rogue Two gehört.«
Sie schnaubte verächtlich. »Nein, den hast du zu einem derartigen
Hefeteilchen programmiert, daß er nicht mal das Maul aufgemacht
hat.«
Katt zuckte wieder mit den Schultern. »Hefeteilchen hin,
Hefeteilchen her, du hast auch nicht viel länger durchgehalten als
er.«
Allmählich filterte Sams Körper das Adrenalin aus dem Blutstrom,
und ihre Wut verrauchte. In wenigen Minuten würde der
unvermeidliche Adrenalinkater folgen, das Gefühl der emotionalen
Ausgelaugtheit, das nach einer Periode starker Anspannung auftrat.
Aber noch fühlte sie sich ganz gut - müde, ausgewrungen wie ein
nasses Handtuch, aber ganz gut. Sie verzog die Lippen zu einem
halben Lächeln. »Ja, ja.« Sie zog einen Handschuh aus und fuhr sich
mit den Fingern durch das schweißnasse Haar. »Okay, ich
habe gesagt, ich brauche eine
Herausforderung. Aber, gütiger Himmel, Ben, drei Fulcrums? Nennst du das fair?«
Er breitete die Arme aus. »He, wer hat behauptet, das Leben sei
fair? Scheiß passiert.«
Sam lachte. »Das war kein Scheiß - das war Durchfall.«
»Wette ist Wette.«
»Als ob ich das nicht wüßte.«
»Ein Restaurant meiner Wahl, richtig?«
Sam schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Ich habe eine
grauenhafte Vorahnung. Das wird teuer.«
»He, keine Bange - nur zwei Wochensolde, versprochen.« Katt
verschränkte die Hände im Nacken. »Heute abend?«
»Heute geht's nicht, sorry.« Sie lächelte süß. »Ich bin schon
vergeben.«
»Nh-nh«, widersprach Katt
nachdrücklich. »So funktioniert das nicht. Erst die Arbeit, dann
das Vergnügen. Zahl deine Schulden, danach kannst du zu deiner Verabredung.«
Sie trat zu ihm und tätschelte ihm die Wange. »Ach, Ben«, flötete
sie. »Du weißt doch, daß ich den Abend
lieber mit dir verbringen würde.« Es fiel ihr schwer, nicht
loszuprusten, aber sie konnte ihm ohnehin am Gesicht ablesen, daß
er ihr kein Wort glaubte. Aber sicher,
sagte sein Blick. »Ernsthaft, ich bin für ein paar Tage nicht in
der Stadt.«
»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«
Sie zögerte. »Nicht geschäftlich«, antwortete sie langsam.
Aber auch nicht zum
Vergnügen.
Einen Moment lang erwartete sie, daß er weiterfragte, aber dann
nickte er. Gar nicht mal so unsensibel,
dachte sie, ...für einen Piloten. »Wie
du willst. Nächste Woche geht's auch noch.« Sein Raubtiergrinsen
kehrte zurück. »Aber dann müssen wir uns mal über Zinsen für
verspätete Bezahlung unterhalten.«
Sie klopfte ihm noch mal auf die Wange, diesmal fest genug, daß er
es spürte. »Laß die Hose zu, Soldat.« Ihr Ton war gespielt streng.
»Oder...« Sie zögerte, mit einem Ausdruck tiefer Nachdenklichkeit.
»Oder vielleicht...« Sie trat zwei Schritte zurück und ließ sich in
eine Ju-Jutsu-Abwehrhaltung sinken. »Wie wäre es mit Doppelt oder
Nichts, gleich hier und jetzt? Zwei Würfe von dreien. Wie sieht es
aus, Lieutenant?«
Katt war sofort auf den Beinen und wich in übertriebenem Entsetzen
zurück, die Hände abwehrend vors Gesicht gehoben. »He, bitte,
wirklich. Du weißt genau, daß ich meine Kämpfe nur auf zivilisierte
Art austrage - mit Raketen und Kanonen.«
Sam lachte. Ohne die Kampfhaltung zu verlassen, fuhr sie sich
lüstern mit der Zunge über die Lippen.
»Ich dachte, du wolltest gerne in den Nahkampf mit mir übergehen,
großer starker Mann?«
»Gute Piloten lernen aus ihren Fehlern.«
»Soll heißen...?«
»Nie wieder«, verkündete Katt ehrfürchtig. »Eine Abreibung ist mehr
als genug für meiner Mutter Sohn. Und
jetzt mach, daß du hier rauskommst, bevor du erwischt
wirst.«
Sam lachte. »Bis später.« Sie salutierte lässig und ging zur
Tür.
»He, Dooley!«
Sie drehte sich um. »Ja?«
»Du warst gut, Dooley«, sagte Katt, und zum erstenmal an diesem Tag
war seine Miene ernst. »Gut geflogen.« Damit drehte er sich wieder
zu seinem Computer um.
Samantha Dooley knöpfte die Bluse zu. Nach der Dusche fühlte sich die gestärkte Baumwolle auf der Haut gut an. Eine willkommene Abwechslung vom Druckanzug. Wieso schaffte es die Luftfahrtindustrie - derselbe militärisch-industrielle Komplex, der ein Flugzeug bauen konnte, das schneller flog als eine Gewehrkugel - nicht, einen bequemen Druckanzug zu entwickeln, der einem nicht das Gefühl gab, einen Dauerlauf in einem Taucheranzug absolviert zu haben?
Sie warf Shampoo und Handtuch in die Tasche und schloß den Spind, den Benjamin Katt, unter seinen Kollegen als ›Kit‹ bekannt, ihr geliehen hatte. Inzwischen erwachte das Gebäude, in dem die Simulatoren untergebracht waren, zum Leben. Sie konnte Stimmen auf dem Flur vor dem Umkleideraum hören, Piloten und Techniker, die ein paar Worte miteinander wechselten, bevor sie sich an die Arbeit machten. Sam zog den Reißverschluß ihrer Tasche zu und machte sich auf den Weg zum Notausgang an der Rückseite des Gebäudes. Es war ein offenes Geheimnis, daß Piloten und Simulatorentechniker außerhalb der offiziellen Betriebszeiten Freunde in die Geräte ließen, aber niemand legte Wert darauf, es den kommandierenden Offizieren unter die Nase zu reiben. So anstrengend Ben Katt auch sein konnte, sie wollte ihm keinen Ärger machen - zumindest nicht allzuviel. Sie schlüpfte durch den Notausgang und schloß leise die Tür.
Im Osten ging gerade die Sonne über den Cady Mountains auf, aber der Wind blies bereits warm und trug den unverwechselbar süßlichen Duft in ihre Nase, den Dooley jedesmal mit der Wüste in Verbindung brachte. Es würde wieder ein heißer Tag werden. Sie konnte sich das Flimmern der heißen Luft über der harten Oberfläche des ausgetrockneten Rogers Lake vorstellen, von dem Thermalwinde aufstiegen, die stark genug waren, um unvorsichtigen Jetjockeys die Kontrolle über ihre Maschine zu rauben.
Um sie herum begann der Alltag auf der Edwards Air Force Base. In der Ferne, auf dem Flugfeld, konnte sie das Brüllen aufwärmender Düsentriebwerke hören, mit dem unverwechselbaren Knattern eines Hubschrauberrotors als Kontrapunkt. Dreitausend Fuß über ihr zerriß ein Schwarm von vier F-15 Eagles die Morgenluft mit einem reißenden Lärm, der sie an einen Riesen denken ließ, der eine gewaltige Leinwand zerfetzte. Sie sah den eierschalenblauen Jägern hinterher und genoß das durchdringende Donnern ihrer Triebwerke. Der Sound der Kraft, dachte sie. Eine Serie krachender Donnerschläge schüttelte sie durch, als die Eagle-Piloten die Nachbrenner aktivierten und die Flugzeuge steil in den Himmel stiegen. Die Eagles schossen senkrecht empor, waren schnell nur noch winzige Punkte am Firmament, dann verschwanden sie völlig außer Sicht.
Eine Gruppe Piloten in Fluganzügen trat aus dem Gebäude auf der anderen Seite des Parkplatzes. Sam erkannte zwei von ihnen, John ›Chopstick‹ Lui und Lincoln ›Cerberus‹ Brown, zwei von Ben Katts engsten Freunden. Die Namen der vier anderen kannte sie nicht, aber wahrscheinlich hatte sie sich auch mit ihnen mindestens einmal schon unterhalten. Jägerpiloten, nicht wahr? dachte sie lächelnd. Selbsternannte Mitglieder dieser Bruderschaft von Kriegern. Manchmal erstaunte es sie immer noch, wie sehr sich Piloten ähnelten, als wären sie alle aus einer Form gegossen. Sicher, es gab Unterschiede. Immerhin waren auch Jägerjocks Individuen. Aber es war schon seltsam: die Unterschiede schienen hauptsächlich den Zweck zu besitzen, die Gemeinsamkeiten zu betonen. Wie ist so etwas möglich? Ist es die Flugausbildung, die das aus ihnen macht, die sie allesamt zum Prototyp, zum Stereotyp eines Jagdpiloten formt? Oder kommen von vornherein nur die von schnellen Jets angezogenen Kandidaten durch die Ausbildung, die dem Archetyp entsprechen? Sie kicherte. Sind alle Angler Lügner, oder gehen nur Lügner angeln? Was kam zuerst...?
Chopstick und Cerberus lächelten ihr zu und winkten. Die anderen starrten sie nur mit unverhüllter Bewunderung an. Sam lächelte. Sie wußte, daß sie in ihrer weißen Bluse und den hellbraunen Slacks im Jeansschnitt gut aussah: groß, schlank und selbstbeherrscht. Genauso gefiel es ihr. Sie sah, wie einer der Piloten - ein kleiner, stämmiger Bursche mit sandblondem Haar - seinem Kumpel einen Rippenstoß versetzte und etwas zumurmelte, ohne die Augen von Dooley zu nehmen. Ich frage mich, was sie über mich reden, dachte sie. Sie wissen natürlich, daß Ben mich in den Simulator läßt. Wahrscheinlich denken sie, wir schlafen miteinander. Ben würde sicher niemandem erzählt haben, daß es so wäre - so gut kannte sie ihn schon - aber er würde wohl auch keine besonderen Anstrengungen unternommen haben, Spekulationen darüber ein Ende zu bereiten.
Sie kicherte. Sex hatte eindeutig ganz oben auf Ben Katts Liste gestanden, als sie sich kennengelernt hatten. Er war aggressiv und selbstsicher gewesen, aber weder aufdringlich noch arrogant - so, wie Männer sein können, die sich selbst genau kennen und mögen. Eine Menge Frauen wären seinem Charme erlegen. Sind es wahrscheinlich schon, dachte Sam trocken. Aber Sam Dooley hatte schon vor langer Zeit gelernt, wie sie mit brünstigen jungen Hirschen umgehen mußte, um ihren manchmal empfindlichen männlichen Stolz nicht zu verletzen. Sie hatte von Anfang an völlig klargemacht, daß sie Benjamin Katt mochte und seine Gesellschaft als Freund schätzte, aber mehr nicht. Zumindest nicht in der näheren Zukunft. Und wenn ich von meinen bisherigen Erfahrungen ausgehe, gab sie sich selbst gegenüber zu, ist der Tag, an dem ich zulasse, daß eine Freundschaft diese Grenze übertritt, der Anfang vom Ende.
Ben hatte ihre Bedingungen akzeptiert - ein weiterer Beweis, wenn sie den gebraucht hätte, daß seine Selbstsicherheit nicht nur Fassade war - auch wenn er bis heute nicht auf Zweideutigkeiten und Anspielungen verzichtete. Wahrscheinlich mehr, um den Erwartungen zu genügen, als aus irgendeinem Glauben, damit etwas erreichen zu können. Sie kamen gut miteinander aus, und daß sie einander beide etwas geben konnten, worauf der andere Wert legte, half auch noch.
Für Sam war dieses Etwas natürlich der Zugang zu der breiten Palette teurer Flugsimulatoren auf der Edwards Air Force Base. Offiziell waren diese mehrere Millionen Dollar teuren Maschinen für Zivilisten gesperrt - nicht aus Angst, sie könnten die Anlagen beschädigen, sondern mehr wegen der Gefahr, daß sich unter diesen ›Zivilisten‹ ausländische Spione befinden konnten, die mehr über die Möglichkeiten amerikanischer Kampfflugzeuge erfahren wollten, als dem Militär recht war. Wie üblich sah die Wirklichkeit auch hier völlig anders aus. So ziemlich jeder Pilot auf dem Stützpunkt schmuggelte ab und zu einen Freund oder eine Freundin zu einer Simulatorsitzung oder sogar für einen kurzen Flug in einem Zweisitzerjet ein. Die Offiziere drückten ein Auge zu, solange die Regelverstöße nicht zu offensichtlich wurden. Sam mußte laut auflachen, als sie sich an den Piloten erinnerte, der versucht hatte, ein junges Groupie im Cockpit seines Düsenjägers zu vernaschen. Er hatte behauptet, das sei so ziemlich das einzige gewesen, was er dort noch nicht getan hätte. Er hatte sich bei dem Versuch einen Wirbel ausgerenkt und über Funk eine Bodencrew rufen müssen, die ihn aus der Maschine hob. In dieser Hinsicht hatte Ben weniger Grund zur Sorge als viele andere Piloten - weil Sam eine erstklassige Fliegerin war. Falls ein Offizier unverhofft in eine ihrer Simulatorsitzungen platzte oder die Telemetriebänder überprüfte, bestand keine Gefahr, daß er irgendein Hefeteilchen kreuz und quer durch den simulierten Himmel wanken sah. Er würde jemanden sehen, der einen Instinkt dafür besaß, alles aus einer Maschine herauszuholen. Teufel, solange man nicht meine Stimme hört oder mich aus dem Simulator steigen sieht, gibt es kein Anzeichen dafür, daß ich nicht auch ein Jägerjockey mit beinahe soviel Flugstunden wie Ben bin.
Und dann war da die Gegenleistung. Für Ben bestand sie in Flugstunden an den Kontrollen eines Helikopters. Er war auf Jets ebenso ausgebildet wie auf so ziemlich allen Festflügelmaschinen, die es nur gab, und er prahlte Sam gegenüber regelmäßig, selbst einen Backstein fliegen zu können, solange jemand Tragflächen daran anbrachte. Er liebte die Geschwindigkeit, die Erregung, die Gefahr. Aber er genoß auch die Möglichkeiten eines Hubschraubers, die ihm kein Überschallabfangjäger bieten konnte: bewegungslos in der Luft zu hängen, die Maschine um ihre eigene Achse zu wenden, rückwärts oder seitwärts zu fliegen, Punktlandungen. Und das konnte Sam ihm bieten. Seit zwei Jahren, seit ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag, flog sie für WestAir, eine Hubschrauber-Rundfluggesellschaft in der Nähe ihrer Wohnung in Venice, knapp südlich von Santa Monica. Die Bezahlung war nicht so toll, und manchmal hatte sie es herzlich satt, Grüppchen auswechselbarer Touristen durch die Luft zu karren, damit sie jeden Tag über denselben Sehenswürdigkeiten in Ahs und Ohs ausbrachen. Aber zumindest konnte sie fliegen und wurde dafür bezahlt! Und sie hatte schon ziemlich früh eine Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber getroffen, die ihr erlaubte, den Kopter in ihrer Freizeit zu benutzen, solange sie alle Treibstoff- und Wartungskosten übernahm. Besser als nichts, viel besser, sagte sie sich zum tausendsten Mal.
Es war diese Übereinkunft, die es ihr erlaubte, auf das Tauschgeschäft mit Ben einzugehen. Zuerst hatte sie nicht verstanden, warum er so interessiert daran war (es sei denn, man betrachtete das Ganze als langfristigen Versuch, sie doch noch zwischen die Laken zu bekommen). Er übernahm ohne das geringste Murren alle Treibstoffkosten für ihre Ausflüge, obwohl es auf Edwards genug Hubschrauberpiloten geben mußte, die einen anderen Offizier jederzeit gerne hätten mitfliegen lassen. Und die Maschinen, die er dort hätte fliegen können! Huey Cobras, Apaches - Kampfhubschrauber, schnell und wendig. Wie konnte ein Bell Jet Ranger - eine Touristenschaukel, Grundgütiger! - dagegen bestehen?
Als ihr die Antwort schließlich aufgegangen war, hatte sie diese eigentlich recht einleuchtend und zugleich höchst amüsant gefunden. Es lief alles auf eben dieses ›Jägerpiloten-Stereotyp‹ hinaus und damit natürlich mal wieder auf den guten alten männlichen Stolz. Ben konnte einfach keinen seiner Kollegen bitten, ihn mit hoch zu nehmen, weil er damit hätte eingestehen müssen, daß es etwas gab, worin ein anderer besser war.
Selbst jetzt, Monate nach dieser interessanten Entdeckung, mußte sie lachen, wenn sie daran dachte. Ben Katt war ein guter Jägerjockey und steuerte seine Maschine mit einer verteufelt guten Intuition. Wenn man bedachte, wie wenig Stunden er an den Kontrollen eines Hubschraubers verbrachte, mußte man eingestehen, daß er auch das verflucht gut machte. Aber er war nicht der Beste, und genau darum ging es. Das konnte er nicht zugeben und seinen Kameraden auf dem Stützpunkt nicht eingestehen.
Natürlich war diese Haltung dumm. Katts Spezialität waren Festflügler; sein Interesse an Drehflüglern war nicht mehr als ein Hobby. Und dafür machte er sich gut - bemerkenswert gut - verbesserte sie sich. Seine Landungen waren bei ihren letzten Ausflügen deutlich sanfter geworden. Aber hatte das in seinen Augen irgendeine Bedeutung? Nein, natürlich nicht. Es war völlig irrational.
Aber Männer sind nun mal
irrational, nicht wahr? Na ja, gab sie zu, vielleicht nicht
alle Männer. Vielleicht nicht einmal
die meisten Männer. Aber, und das war
sie bereit zu beschwören, alle männlichen Jägerpiloten. Sie
schüttelte den Kopf und sah den Männern in den khakifarbenen
Overalls nach, wie sie im Hangar verschwanden.
Jägerpiloten wußten, daß sie im Cockpit
Könner waren. Das war ihr Job, jeder Tag war ein Erfolg - und jeder
Tag, an dem sie nach einer Trainingsmission oder einem Luftkampf
mit ihren Kumpels in einem Stück zurückkamen, lieferte eine
Bestätigung dieser Tatsache. Aber dann machten sie den Fehler,
anzunehmen, sie wären außerhalb des
Cockpits ebensolche Könner. Jeder einzelne Jägerpilot, den Sam
jemals kennengelernt hatte, hielt sich für den besten Autofahrer,
den besten Faustkämpfer, den besten Athleten, den besten Liebhaber
- und das konnte einfach nicht stimmen.
Zum Beispiel Benjamin Katt. Als er zu Beginn ihrer Freundschaft
erfahren hatte, daß Sam Kampfsport praktizierte, hatte er
vorgeschlagen, sie könnten sich einmal zu einem Übungskampf auf der
Matte treffen. »Nur so zum Spaß«, hatte er gesagt. (Ja, klar. Ihm ging es nur darum, mich auf den Rücken zu
legen - wo und wie auch immer.) Er hatte ihr versichert,
selbst Kampfsporterfahrung zu haben. Sicher, das war bereits ein
paar Jahre her, und er war vielleicht etwas eingerostet - aber
manche Dinge verlernt man einfach nicht, richtig? Sam hatte
versucht, es ihm auszureden, aber heute war ihr klar, daß sie die
Sache völlig falsch angepackt hatte. Sie hatte ihm sorgfältig
erklärt, daß sie mehr als nur ›etwas‹ Erfahrung hatte. Sie
trainierte regelmäßig, um in Form und in Übung zu bleiben, und war
alles andere als eingerostet. Aber genau dieser energische Versuch,
es ihm auszureden, war ein Fehler gewesen, wie sie schnell erkannt
hatte. Sie hatte Ben ungewollt in eine Lage manövriert, in der er
nicht zurückstecken konnte, selbst wenn
er gewollt hätte. Er mußte ihr und möglicherweise sich selbst nun
beweisen, daß er ihr auf der Matte ebenbürtig war, egal um welchen
Preis.
Am nächsten Abend in Sams Ju-Jutsu-Club war Ben in bester
Macho-Manier auf die Matte gekommen - der unbesiegbare Jagdpilot,
der dem dummen Mädel einen Gefallen tat, das sich einbildete, es
mit ihm aufnehmen zu können. Er hielt sich gut, zugegeben,
überraschend gut sogar. Seine Reflexe waren ausgezeichnet, er traf
blitzschnelle Entscheidungen, und sein über die Jahre geschärfter
Killerinstinkt leistete ihm gute Dienste. Jedenfalls für eine
Weile. Aber sie hatte nicht lange gebraucht, um ihn aus der
Defensive zu locken, so daß sie seine Stärken und Schwächen
abschätzen konnte. Er war schnell und stark, aber schließlich
setzten Sams Erfahrung und Übung sich durch - außerdem war ihr
Killerinstinkt auch nicht von Pappe.
Wenigstens hatte Ben darüber seinen Humor nicht verloren. Er war
großzügig genug gewesen, seine Niederlage einzugestehen, nachdem
sie ihm zum zwölften Mal auf die Füße geholfen hatte. Er hatte sich
höflich vor ihr verneigt, als sie sich umziehen gegangen waren, und
sogar hinterher das Bier bezahlt.
Aber er hatte ihr Revancheangebot immer wieder abgeschlagen, und
sie fragte sich noch immer, was er wohl den anderen Piloten erzählt
hatte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß er ihnen die
ganze Wahrheit gesagt hatte, aber andererseits hatte sie
festgestellt, daß sie seitdem mit erheblich mehr Respekt behandelt
wurde. Sie lachte wieder und strich sich eine lange braune
Haarsträhne aus dem Gesicht. Irgendwann muß
ich mal das Florett und die Maske vorholen und Ben fragen, ob er
Lust hat, gegen mich zu fechten...
Grendel war in der hintersten Ecke des Besucherparkplatzes
abgestellt, gleich am Zaun. Er leuchtete weiß in der kalifornischen
Sonne. (besser ein paar hundert Meter weiter laufen, als
Lackkratzer von anderer Leute Autotüren ausbessern zu müssen.) Sam
warf die Tasche auf die Rückbank und stieg in das Mustang-Kabrio.
Grendels leistungsstarker Fünflitermotor sprang beim ersten Versuch
an, und Sam tippte auf das Gaspedal, um das Donnern der Maschine zu
hören.
Einige ihrer Bekannten hatten ihr ziemlich zugesetzt, als sie sich
das große Kabriolett im Jahr zuvor zugelegt hatte. »Kauf dir einen
Importwagen«, hatten sie alle geraten. »Laß dir doch bloß keinen
DetroitSchrott andrehen.«
Aber zwischen ihr und diesem Mustang war es Liebe auf den ersten
Blick gewesen. Der Wagen hatte einerseits eine nostalgische
Bedeutung für sie: Ihr Vater, Jim Dooley, Jr., hatte einen Mustang
gekauft, als er 1965 neu auf den Markt gekommen war, zwei Jahre vor
seinem Tod. Hinzu kam sein Aussehen und das Gefühl, hinter seinem
Steuer die Straße entlangdas Gefühl, hinter seinem Steuer die
Straße entlang PS-Motor konnte das Kabrio auf gut 140 Meilen in der
Stunde treiben, wenn sie Vollgas gab. Zugegeben, die Steuerung ließ
Wünsche offen. Der Wagen hatte zuviel PS und war ein wenig
kapriziös. Es gehörte nicht viel dazu, in der Kurve die Kontrolle
über ihn zu verlieren. Aber sie hatte nicht lange gebraucht, um
sich die sanfte und dabei doch feste Handhabung anzueignen, die
Lenkrad und Gaspedal verlangten. Daß sie die Goodyear Eagles der
Standardausstattung gegen Pirelli-Flachprofilreifen ausgewechselt
hatte, war eine weitere Hilfe gewesen.
Während der schwere V-8-Motor warmlief, schob Sam eine Spange ins
Haar und setzte eine Ray-BanPilotensonnenbrille auf. Sie senkte die
automatischen Fenster und machte es sich auf dem lederbezogenen
Fahrersitz bequem. Ein guter Tag zum
Autofahren, dachte sie lächelnd. Grendel war ein Wagen für
den Highway, und jetzt bot sich ihr die perfekte Gelegenheit, ihn
auszufahren. Als sie den Parkplatz verließ, röhrte der Motor des
Mustang einen Kontrapunkt zum Donnern der Jets.