18

Der Einschlag der Raketen war furchtbar, apokalyptisch - es war, als wäre Samantha der Himmel auf den Kopf gefallen. Das Cockpit hallte wie ein Gong. Es war ein einziger, überwältigender Schlag, als wären alle zwölf Raketen in einer perfekt getimten Salve gleichzeitig detoniert. Sams Kopf schlug gegen das Kanzeldach, und ein greller Lichtschein explodierte in ihrem Schädel, gefolgt von Dunkelheit.

Sie erwachte ein paar Sekunden später. Als erstes spürte sie den Schmerz, ein brutales Hämmern in der rechten Schläfe und ein schärferes, loderndes Reißen im linken Knie. Einen furchtbaren Augenblick lang wußte sie nicht, wo sie war, was geschehen sein konnte. Dann schlug die Erinnerung über ihr zusammen und verlieh der Szenerie, die sie umgab, einen Sinn.

Das Cockpit lag auf der linken Seite. Offensichtlich war der Mech gestürzt oder von den Raketentreffern umgeworfen worden. Falls ihr Sitz über Sicherheitsgurte verfügte, hatte Sam sie nicht gesehen, und als der riesige Roboter aufgeschlagen war - Mama mia, was muß das für ein Schlag gewesen sein! Fünfzig Tonnen über sechzig Fuß... -, war sie hart mit dem Kopf gegen die Seitenwand geschlagen. Ich kann froh sein, daß ich mir nicht den Hals oder den Schädel gebrochen habe, erkannte sie schaudernd. Der Querstab des Gashebels bohrte sich schmerzhaft in ihre Rippen. Sie fluchte und wälzte sich zur Seite.

Es war dunkel im Cockpit. Das einzige Licht kam von den wenigen noch funktionierenden Schaltern und Datenanzeigen. Der Hauptbildschirm und die Radaranzeige waren beide dunkel. Zwei Warnschalter glühten dunkelrot.

Was ist mit dem Funk? fragte sie sich. Plötzlich erfüllte dieser Gedanke ihr Bewußtsein. Sie griff hinüber und drückte mehrmals auf den Sprechknopf des Funkgeräts. Der Lautsprecher blieb stumm - kein Rauschen, kein elektronisches Knacken, wenn sie das Mikro einschaltete. Das bedeutete nicht notwendigerweise, daß sie nicht mehr senden konnte, machte sie sich Hoffnung, nur, daß sie nicht empfangen konnte.

Sie schaltete das Mikro wieder ein. »Control von Dooley One.« Sie versuchte, die Stimme emotionslos und berufsmäßig zu halten. Zu ihrem Bedauern mußte sie erkennen, daß es ihr nicht gelang. »Ich bin noch ganz, aber von meinem Gefährt kann ich dasselbe nicht behaupten. Die meisten Systeme scheinen beschädigt oder ausgefallen, und ich würde sagen, die einzige Möglichkeit, dieses Ding wieder in Bewegung zu setzen, ist, daß es jemand abschleppt. Können Sie mich hier rausholen? Over.«

Sie gab den Sprechknopf frei. Der Lautsprecher blieb tot.
Ein eisiger Lufthauch schien über Sams Nacken zu streichen. Sie schaltete das Mikro wieder ein. »Control von Sam Dooley. Ich lebe noch, und ich erbitte sofortige Rückholung. Können Sie mich empfangen? Over.«
Schweigen. Was, wenn sie mich für tot halten? fragte sie sich plötzlich. Was, wenn sie den Kontakt verloren haben? Sie wissen, daß Raketen im Anflug waren. Ich habe es ihnen selbst gesagt. Wenn unmittelbar danach der Kontakt abbricht, was sollen sie da anderes denken? Und werden sie sich die Mühe machen, ein Cockpit zurückzuholen, in dem sie nur eine Leiche vermuten?
Sam war nicht bereit, die Hoffnung aufzugeben. Sie drückte ein weiteres Mal den Sprechknopf des Mikrofons. »Mac, hier ist Sam Dooley.« Sie hörte den Anflug von Hysterie in ihrer Stimme und verachtete sich dafür. »Wenn Sie mich hören können, holen Sie mich hier raus. Ich wiederhole - mein BattleMech ist Schrott, aber ich lebe noch und fühle mich ganz furchtbar einsam, wenn Sie verstehen, was ich sagen will. Sollte es irgendeine Möglichkeit geben, mich wissen zu lassen, daß Sie diese Nachricht erhalten haben, Mac, dann tun Sie's, okay?« Sie ließ den Sprechknopf los und versuchte, eine bequemere Sitzposition zu finden.
Die Klimaanlage war ausgefallen, das kaum hörbare Sirren des Ventilators verstummt. Zum ersten Mal fiel Sam auf, wie heiß es im Innern des Cockpits war. Sie war schweißgebadet, ihr Haar stumpf und lappig, ihre Kleider klebten an der Haut. Zum Teil ging das sicherlich auf Angst und Streß zurück, aber hauptsächlich lag es daran, daß ihr Cockpit große Ähnlichkeit mit einer Sauna entwickelte - bis auf die fehlende Luftfeuchtigkeit. Was hat Will noch über Funk gesagt? Irgendwas über meine Betriebstemperatur, die ›in die Stratosphäre steigt‹, erinnerte sie sich nach kurzem Nachdenken. Liegt da das Problem?
Oder steht der Mech in Flammen ...?

Der Gedanke durchzuckte sie wie ein Stromstoß. Himmel! Sie hatte Sekundärexplosionen gesehen, wenn die anderen Mechs getroffen wurden. Ein Teil davon mochten verzögerte Sprengkopfdetonationen panzerbrechender Projektile gewesen sein, aber zumindest ein paar mußten durch die Explosion eingelagerter Munitionsvorräte entstanden sein. Dieses Ding ist vollgepackt mit MG-Munition, dachte sie. Ich sitze auf einem Pulverfaß, und die Lunte brennt schon...
Sie schüttelte den Kopf. Super. Vor die Entscheidung gestellt zu werden, das habe ich jetzt wirklich gebraucht... Was sollte sie tun - hierbleiben und darauf hoffen, daß Macintyre sie translozierte, bevor sie in einer Munitionsexplosion starb? Oder aussteigen und erst einmal am Leben bleiben, dafür aber die einzige Verbindung zu der Welt aufgeben, aus der sie gekommen war? Herkules am Scheideweg.
Ein dumpfer Knall von irgendwo unter ihr nahm ihr die Entscheidung ab. Irgendwo in den Eingeweiden des am Boden liegenden Mechs war etwas explodiert. Sie drückte ein letztes Mal den Sprechknopf. »Mac, Dooley noch mal. Ich steige aus, Mac. Ich habe keine Wahl. Aber ich bleibe in der Nähe, okay? Wenn Sie mich hier irgendwie abholen könnten, wäre ich Ihnen ausgesprochen dankbar.« Sie unterdrückte den Drang loszuprusten - irgendwie wirkten ihre Bemühungen, cool und profihaft zu klingen, während sie in Wahrheit panische Angst davor hatte, in die Luft zu fliegen oder für den Rest ihres Lebens in dieser Einöde festzusitzen, zutiefst lächerlich. »Hol mich hier raus, Mac, okay? Ich warte. Dooley, over und out.«
Eine weitere Sekundärexplosion schüttelte das Cockpit durch, und die Hälfte der noch funktionierenden Datenanzeigen erlosch. Gegen blinde Panik ankämpfend, suchte Sam mit beiden Händen nach dem Griff des Kanzeldachs. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber dann fand sie den Verschlußgriff und zog.
Nichts. Der Griff rührte sich nicht einmal. O Gott...
Konnte der Aufprall - entweder beim Raketeneinschlag oder im anschließenden Sturz - das Cockpit verformt und das Kanzeldach verkeilt haben? Wenn ja, bin ich tot. Verzweifelt warf sie ihr ganzes Gewicht gegen den Griff. Es war nicht einfach, angesichts der Enge der Kabine und der ungünstigen Lage des Cockpits. Zunächst blieb der Griff wie festgefroren in Position. Dann aber gab er mit einem metallischen Knirschen nach und krachte in die offene Position. Das Schiebedach glitt minimal zurück.
Sam hätte laut jubeln mögen, als sie den haarfeinen Streifen Tageslicht sah. Sie packte die Haltegriffe und schob.
Die Leitschienen des Kanzeldachs waren verbogen. Das erkannte sie im ersten Augenblick. Bei Generro war das Dach glatt und lautlos vor- und zurückgeglitten. Jetzt knirschte es, krachte und stöhnte, und sie benötigte ihre ganze Kraft, es zu bewegen. Aber es bewegte sich. Der Spalt wurde breiter - einen Finger breit, eine Hand breit. Das Dach klemmte, und Angst hielt Sams Herz in eisigen Klauen. Sie atmete tief durch und drückte mit ganzer Kraft.
Sie konnte fast die Sehnen reißen hören, aber das Dach bewegte sich keinen Millimeter weiter. Die Öffnung war inzwischen knappe dreißig Zentimeter breit. Auf der anderen Seite konnte sie das rauhe Gelände des Vorgebirges und die lückenlose graue Wolkendecke sehen. Es darf nicht klemmen, dachte sie verzweifelt. Ich bin fast raus aus diesem Sarg. Wieder warf sie sich gegen die Haltegriffe und drückte mit ihrer ganzen Kraft, bis das Cockpit unter der Anstrengung vor ihren Augen schwamm. Keuchend fiel sie zurück.
Ein Gefühl der Sinnlosigkeit übermannte sie. Was für eine idiotische Art zu sterben! wütete sie in Gedanken. Eingeschlossen in einem gottverfluchten Roboter auf einer fremden Welt... Sie blinzelte die Tränen fort, die ihr in die Augen traten.
Wieder schloß sie die Augen, zwang sich tief und ruhig zu atmen. Nimm dich zusammen, Dooley. Wenn dich irgendwas umbringen kann, dann ist es

Panik. Die Ausläufer der Hysterie zogen sich langsam zurück, verschwanden wie die von der Ebbe davongezogenen Wellen eines eisigen schwarzen Meers.

Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben und ihre Lage objektiv zu analysieren. Sam öffnete die Augen und betrachtete das Kanzeldach und das, was sie von den Schienen, auf denen es sich bewegte, sehen konnte. Sie waren verbogen, aber die Lage war nicht annähernd so schlimm, wie sie hätte sein können. Das Dach hing nur auf einer größeren Ausbeulung fest. Wenn es ihr nur gelang, genügend Kraft aufzubringen, sollte sie es über dieses Hindernis bewegen können. Was sie brauchte, war ein Angelpunkt, eine solide Basis, die es ihr gestattete, Hebelwirkung einzusetzen.

So gesehen war die Lösung einfach. Weil das Cockpit auf der Seite lag, hockte sie unsicher auf der linken Steuerkonsole, mit verdrehten Schultern, um die Haltegriffe des Kanzeldachs fassen zu können. Dadurch konnte sie bei ihren Versuchen, das Dach zu öffnen, nur ihre Armmuskulatur und die Drehmuskeln der Hüfte einsetzen. Was sie brauchte, war eine Möglichkeit, die starken Muskeln in ihren Beinen ins Spiel zu bringen. Sie sah sich noch einmal um und mußte plötzlich grinsen.

Ich bin zu gut erzogen, stellte sie mit bitterer Ironie fest. Selbst wenn es darum geht, mein Leben zu retten, bleibe ich mit den Füßen vom Tisch...

Sie drehte ihren Körper in der Enge des Cockpits und zog die Füße auf das Hauptarmaturenbrett vor dem Pilotensessel. Mit gebeugten Knien drehte sie sich auf die Seite und packte die Haltegriffe. Ein tiefer Atemzug, dann zog sie, so fest sie konnte, mit der ganzen Kraft der Beine und des Rückens. Unter den Sohlen ihrer leichten Wanderstiefel knirschten und splitterten Tastaturen, Knöpfe und Datenanzeigen.

Einen Sekundenbruchteil widersetzte sich das Dach, dann flog es mit einem lauten Kreischen nach hinten davon. Sam wurde völlig überrascht, verlor den Halt und das Gleichgewicht. Mit einem Aufschrei stürzte sie aus dem offenen Kanzeldach und schlug noch einmal mit dem Kopf gegen die Cockpitwand.

Sie kam hart auf Schulter und Hüfte auf. Schmerzen schossen durch ihren Körper. Ihre Kampfsportreflexe sorgten dafür, daß sie abrollte und einen Teil der Sturzenergie abfing. Sie kam an einem Felsblock von der Größe eines VW-Käfers zum Stehen und handelte sich dabei den nächsten Schlag vor den Kopf ein. Tränen standen in ihren Augen und ließen die Welt verschwimmen, als sie sich mühsam in die Hocke aufrichtete.

Ihr linkes Knie explodierte vor Schmerzen, als sie es belastete. Das Gelenk fühlte sich geschwollen und von Flüssigkeit aufgedunsen an. Es klopfte und pulsierte, selbst wenn es unbelastet war, und ein Großteil der Schmerzen war eine Folge des Flüssigkeitsdrucks in der Gelenkkapsel. Aber wenn sie es bewegte oder belastete, verwandelte sich der dumpfe Druck in ein kaum zu ertragendes Stechen, als stoße ein sadistischer Arzt ein rotglühendes Skalpell in die Wunde. Wirklich ein toller Zeitpunkt, dir das Knie zu zertrümmern, Dooley, stellte sie angewidert fest. Fällt dir vielleicht noch etwas ein, wie du das Ganze hier schwieriger machen kannst...? Wenigstens trug das Gelenk ihr Gewicht, entschied sie nach mehreren schmerzhaften Versuchen. Sie würde sicher keinen Sekundenbruchteil davon genießen, aber zumindest konnte sie gehen, wenn es sein mußte.

Muß es sein? Das war natürlich die entscheidende Frage. Zum ersten Mal sah sie sich wirklich um... und war sprachlos.

Ihr BattleMech war vielleicht drei Meter entfernt. Er lag auf der Seite. Einen Augenblick lang stierte sie ihn nur ehrfürchtig an und vergaß alle Schmerzen und Gefahren.

Sie hatte gewußt, daß die Kampfroboter groß waren, aber etwas zu wissen und es zu sehen - erst recht aus dieser Nähe -, das ist etwas Grundverschiedenes. Der BattleMech war gewaltig, so groß wie ein kleines Haus - größer als ein F-lll Jagdbomber und wahrscheinlich auch schwerer.

Sie zitterte. Selbst zertrümmert am Boden, von Raketenfeuer zerbeult und zerfetzt, war er furchteinflößend, als habe sein Konstrukteur ihn bewußt in der Absicht gebaut, seinen Gegnern Angst einzujagen. (Wer weiß? dachte sie.) Sein Torso war schmal und ruhte auf ›Hüften‹ und ›Beinen‹, die ein erstklassiges Gerüst für einen schweren Baukran abgegeben hätten. Sein ›Kopf‹ war gedrungen und saß zwischen riesigen, hochgezogenen ›Schultern‹. Er erinnerte Sam an einen riesigen Geier, in Form gebracht von einem Industriedesigner mit Verfolgungswahn. An der Oberseite des ›Kopfes‹ sah sie das offene Kanzeldach, aus dem sie gefallen war. Mein Gott, dachte sie, ich habe dieses Ding gesteuert!

Die Raketensalve hatte die Panzerung des gestürzten Mechs an sechs Stellen durchschlagen. Das rechte ›Kniegelenk‹ war fast völlig vernichtet. Nur zwei Stromkabel hielten die beiden Beinhälften noch zusammen. Der rechte ›Arm‹ war zerbeult und unter den Rumpfmassen eingeklemmt, während vom linken nur noch ein verkohlter und verdrehter Metallstumpf übrig war. Ein breiter Krater klaffte in der Mitte des Battle-Mech-Brustkorbs, und das Metall im Innern glühte immer noch kirschrot. Funken zuckten und sprangen durch die Öffnung und erinnerten Sam an Bogenschweißarbeiten. Öligschwarzer Rauch stieg aus einem anderen Riß in der Rumpfstruktur der Kampfmaschine auf, und sie glaubte, das Flackern eines Feuers zu sehen. Ich kann verdammt froh sein, daß ich da raus bin, stellte sie bei sich fest.

Natürlich waren drei Meter immer noch ziemlich nah, für den Fall, daß etwas unangenehm Heftiges geschah. Sie kroch in geduckter Haltung um den Felsen und brachte dessen Masse zwischen sich und die umgestürzte Maschine. In seiner Deckung fühlte sie sich endlich ein wenig sicherer und versuchte, Puls und Atmung unter Kontrolle zu bringen.
Der Mech - mein Mech, korrigierte sie in Gedanken - starb nicht widerspruchslos. Elektrische Funken sprühten und knisterten. Überhitztes Metall stöhnte und knirschte, während es abkühlte. Tief im Inneren der Maschine hörte sie ein hohes, schnarrendes Singen, wie ein Motor mit fehlerhaften Lagern.

Jetzt drang ein weiteres Geräusch an ihre Ohren, ein rhythmisches Donnern, das sie mehr durch den Boden fühlte als hörte. O mein Gott, erkannte sie plötzlich. Ich habe gar nicht mehr an die anderen Mechs gedacht...

Irgendwo da draußen warteten noch vier von ihnen, und allermindestens der eine, auf den sie geschossen hatte, würde hierherkommen, um nachzusehen, welches Ergebnis seine Raketensalve gehabt hatte. Was machen sie mit abgeschossenen Mechs? Und was machen sie mit gefangenen Piloten - besonders mit ›Ausländern‹ wie mir...?

Die rhythmischen Erschütterungen - wie die Schritte eines sich nähernden Monsters in einem Godzilla-Film - kamen immer näher und wurden mit jeder Sekunde lauter. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie der Roboter, der ›ihren‹ Mech vernichtet hatte, mit riesigen Schritten über das Gelände stampfte.

Sie schob sich langsam um den automobilgroßen Felsblock und blieb dabei in der Hocke, um möglichst unauffällig zu bleiben. Ihr Knie loderte vor Schmerzen, aber sie unterdrückte den Impuls zu fluchen. Haben diese Dinger Außenmikros? Und wie empfindlich sind sie?

Da war er. Da war die zweibeinige Raketenplattform, die sie fast das Leben gekostet hatte. Der Mech war vielleicht noch zweihundert Fuß entfernt und kam langsam über den unebenen Boden näher. Der rechte Arm hing noch immer leblos vom zerschmetterten Ellbogen herab, aber die gewaltige Waffe im linken zielte auf den Kopf des gestürzten Mechs. Sam schüttelte ungläubig den Kopf. Also wirklich, dachte sie. Glaubst du ernsthaft, das könnte ein Trick sein...? Aber dann erinnerte sie sich, welche Schadensmengen sie die anderen Mechs hatte wegstecken sehen. Es war denkbar, daß die am Boden liegende Maschine noch zu einem letzten vernichtenden Angriff aus nächster Nähe fähig war.

Hinter der Raketenplattform näherten sich zwei weitere der Metalltitanen. Schließlich hielten alle drei in einer kleinen Gruppe an, die Torsen leicht gedreht, so daß sie einander ›ansahen‹. Außer den Geräuschen, die aus dem Wrack ihres Mechs drangen, war nichts zu hören, aber Sam wußte, daß die drei Piloten ihre weitere Vorgehensweise diskutierten.

Schließlich wuchtete der vierte Mech heran und brachte die Entscheidung. Er marschierte geradewegs an den drei anderen vorbei und hielt erst zwölf bis fünfzehn Meter vor Sams Maschine an. Mit dem verlängerten linken Arm zeigte er geradewegs auf den kampfunfähigen BattleMech.

O Shit! Blitzartig erkannte Sam, was als nächstes geschehen würde. Sie warf sich hinter dem Felsblock flach auf den Boden.
Ihre Ohren hallten wider von dem hohen Kreischen ausströmender Hochdruckgase und dem Röhren und Krachen eines heißen Feuers. Sie schrie ihre Angst in den Boden, als ihr die Luft aus den Lungen gesaugt wurde und sie ihre Haare versengen spürte. Ich werde bei lebendigem Leib gebraten ...

Die mörderische Hitze hielt nur zwei Sekunden an. Das Glutofendonnern verstummte, und frische Luft im Vergleich zu dem Drachenodem nur einen Augenblick zuvor eisig kalt auf ihrer Haut - strömte heran, um den entstandenen Unterdruck auszugleichen. Sam keuchte, sog die lebenserhaltende Luft tief in ihre Lungen.

Vorsichtig hob sie den Kopf über den Felsen. Die Trümmer ihres Mechs standen hell in Flammen. Sie waren von einer brennenden Flüssigkeit überzogen, die an Napalm erinnerte. Der feindliche BattleMech stand über dem Wrack, und aus der Mündung des Flammenwerfers in seinem Arm tropften Reste flüssigen Feuers. Während Sam zusah, hob er den Flammenwerfer ein zweites Mal.
Noch einen Schuß überlebe ich nicht! Die Hitze wird mich umbringen. Noch bevor sie den Gedanken ausformuliert hatte, war Sam bereits auf den Beinen und rannte davon. Die Schmerzen, als sie das Gewicht auf ihr linkes Bein legte, waren kaum zu ertragen. Aber das Gelenk hielt. Sie biß die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien, während sie über den zerklüfteten Boden auf ein mit Felsbrocken übersätes Stück Grund ein paar Dutzend Meter entfernt zurannte. Hinter ihr hörte sie das erneute Röhren der Flammen. Sie fühlte die Tentakel der Hitze nach ihr greifen.
»He, du! Stehenbleiben!« Die Stimme war unglaublich, unmenschlich laut - wie ein wütend aufschreiender Riese. Reflexartig sah Sam über die Schulter.
Einer der Mechs - derjenige, der sie mit seiner Raketensalve fast umgebracht hatte - hatte den Torso in ihre Richtung gedreht.
»Anhalten, oder du bist tot!« donnerte die elektronisch verstärkte Stimme... Und diesmal sprach sie Englisch.
Beinahe hätte sie angehalten und die Hände gehoben, um sich zu ergeben. Aber dann erinnerte sie sich an den Anblick ihres am Boden liegenden, mit Napalm übergossenen BattleMechs. Behandeln sie so ihre Feinde. Danke, nein. Sie senkte den Kopf und rannte, so schnell ihr verletztes Knie es zuließ.
»Falsche Entscheidung, Schlange.« Eine krachende MG-Salve unterstrich den trockenen Kommentar. Sam schrie auf, als sie die Kugeln hinter sich in den harten Boden schlagen und die Querschläger jaulend in den Himmel fahren hörte. Der Mechpilot gab eine zweite Salve ab - näher, aber immer noch hinter Sam. Felssplitter peitschten durch die dicken Hosenbeine über die Rückseite ihrer Schenkel. Beim nächsten Feuerstoß bin ich dran...
Aber einen Augenblick später hatte sie die Felsen erreicht, und vor ihr öffnete sich eine der zahllosen schmalen, engen Bodenspalten - möglicherweise die tiefen Spuren früherer Flußläufe. Sie hechtete kopfüber hinein und schlug hart am Boden auf. Sie rollte ab, kam wieder auf die Beine und rannte die Felsspalte hinab. Hinter ihr zerfetzte ein weiterer Feuerstoß den Boden und schlug Funkenregen aus den Felsen. Ein schneller, panischer Blick über die Schulter zeigte ihr, daß sie für den Moment außer Sicht war. Aber sie wußte nur zu gut, wenn der Mechpilot es wirklich darauf anlegte, sie zu töten, genügte dazu eine Rakete. Wer auch immer ursprünglich gesagt hat: ...Knapp daneben ist auch vorbei..., hat keine Explosivraketen benutzt...
Eine engere Felsspalte öffnete sich zur linken Seite, und sie humpelte hinein. Eine weitere Abzweigung, eine weitere Kurve. Noch zwei - die Schluchten oder Arroyos oder Felsspalten oder was immer gingen wie ein Irrgarten ineinander über - und sie war sich nicht einmal mehr sicher, aus welcher Richtung sie gekommen war. Die Erschöpfung und die hämmernden Schmerzen in ihrem Knie ließen ihr Blickfeld schrumpfen, aber sie zwang sich immer weiter.
Irgendwann brach sie zusammen. Sie konnte einfach nicht mehr. Die Umgebung verschwamm vor ihren Augen; ihr Gehirn schien in Watte gepackt. Wenn der Mechpilot mir noch auf den Fersen ist, kann ich ihm nicht einmal ein bewegtes Ziel bieten, dachte sie wie im Rausch.
Aber keine MG-Salve zerfetzte ihren Körper, kein Napalm verwandelte sie in eine lebende Fackel. Die Stille lag über ihr wie eine schwere Decke.
Ohne Vorwarnung verkrampfte sich ihr Magen. Die Anspannung der letzten Minuten hatte sie eingeholt, wie sie jetzt erkannte. Sie würgte, dann erbrach sie ihren Mageninhalt auf den felsigen Boden.
Als die Krämpfe endlich nachließen, wischte sie sich mit dem schweißnassen Ärmel den Mund ab. Igitt. Wirklich reizend, Dooley, dachte sie.
Ein eisiger Wind kam scheinbar aus dem Nirgendwo und jagte heulend und pfeifend durch das Schluchtenlabyrinth. Über ihr drohten die schiefergrauen Wolken zu brechen. Erschöpft blickte sie sich um. Etwa zwei Meter entfernt war ein kleiner Überhang - fast eine Höhle, aber eben nur fast - zu sehen, unter dessen Dach die Seitenwand der Felsspalte leicht ausgehöhlt war.
Keuchend vor Anstrengung, schleppte sie sich hinüber und preßte sich so gut es ging in die Deckung. Sie zog die Knie an die Brust und umklammerte die Beine. Und so weit von zu Hause entfernt, daß sie es nicht einmal fassen konnte, versank sie in einen Zustand geistiger Abwesenheit, der nur sehr entfernt etwas mit Schlaf zu tun hatte.