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Der Torposten bei Generro starrte Samantha mißtrauisch an. »Sie sind nicht der normale Fahrer«, stellte er fest.

Sam zuckte die Schultern. Sie saß weit hinten im Fahrersitz, gab sich gänzlich unbeeindruckt und schaute nicht einmal in die Richtung des Wachmanns. Sie trug die Dodgers-Baseballkappe, von der sich das Wiesel unfreiwillig getrennt hatte. Ihr langes Haar hatte sie daruntergeschoben und den Schirm tief über die Stirn gezogen. Eine Zigarette baumelte im Mundwinkel. Ein dünner Rauchfaden schlängelte sich unter die Ray-Ban und brachte ihr linkes Auge zum Tränen, aber sie ließ die Kippe, wo sie war. Sie zog die Nase hoch. »Joe is krank«, meinte sie gelangweilt. (Joe Lindroos war der Name, den sie auf den Fahrtpapieren im Handschuhfach gefunden hatte.) »Hat was Falsches gegessen... oder gesoffen.«

Der Posten - derselbe, der Sam ein paar Tage zuvor eingelassen hatte, wie sie erfreut feststellte - kicherte. »Eine hochprozentige Grippe, möcht ich wetten.« Aber dann wurde er wieder ernst. »Wir wurden von keiner Änderung in Kenntnis gesetzt.«

Sam unterdrückte mühsam einen Seufzer der Erleichterung. Anscheinend hatten weder Joe - der Fahrer, den sie im Waschraum eingesperrt hatte - noch das Wiesel den Diebstahl ihres Trucks bei Generro gemeldet. Warum auch? Wenn einem der Wagen gestohlen wird, informiert man die Polizei, nicht wen immer man gerade besuchen wollte, als der Diebstahl stattfand.

»Da müssen Sie sich an den Dispatcher halten«, stellte sie mit einem Schulterzucken fest. »Ob ich diese Lieferung loswerde oder nicht, geht mir am Arsch vorbei.«

Der Posten wirkte unbehaglich. »Zeigen Sie mir mal Ihre Schwindelbögen«, sagte er nach einem Augenblick des Zögerns.

Schwindelbögen? Sam verspürte ein kaum unterdrückbares Verlangen loszuprusten. Sie hatte den Ausdruck erst ein einziges Mal gehört, in einem dummen Truckersong - ›Convoy‹ oder etwas in der Art - in den Siebzigern, als CB-Funk der letzte Schrei war. Es gibt tatsächlich Leute, die so reden? Sie verkniff sich krampfhaft das Lachen. Verdammt, Dooley, nimm dich zusammen. So komisch war es nun auch nicht. Sie reichte dem Posten die Ladepapiere, die sie auf einem Klemmbrett unter dem Fahrersitz gefunden hatte.

Er blätterte sie durch.

»Sind meine Papiere in Ordnung, Sir?« fragte Sam trocken.
Der Wachmann kniff die Lippen zusammen. Er reichte das Klemmbrett mit einer heftigen Bewegung hoch. »Sie können durch«, grunzte er. »Sie wissen, wohin.«
»Nein, ehrlich gesagt. Wie Sie schon festgestellt haben, bin ich nicht der reguläre Fahrer auf dieser Route.«
»Bis zum Ende durch, dann links«, knurrte der Mann. »Die Laderampe sehen Sie dann schon.« Er gab dem zweiten Mann im Wachhäuschen ein brüskes Zeichen. Mit einem metallenen Knacken setzte sich das Tor in Bewegung.
Sam hob in einem ironischen Salut einen Finger an den Schirm der Baseballkappe. Dann legte sie den Gang ein - vorsichtig! - und rollte durch das Tor. Leise flötete sie den Chorus von ›Convoy‹.
Das Lenkrad lag schwer unter ihren Armen, als sie an der Abzweigung nach links schwenkte. Als der Truck um die Ecke bog, warf sie einen Blick in den rechten Außenspiegel. Die konvexe Oberfläche verzerrte das Empfangsgebäude, das sie ein paar Tage zuvor besucht hatte, und ließ es sich wie ein Beispiel moderner Avantgarde-Architektur winden. Die linke Trasse der Straße führte in gerader Linie zu einem weitläufigen Gebäude, das an einen umgebauten Flugzeughangar erinnerte. Weiter links, abseits vom Rest der Anlage, bemerkte sie den kleinen Betonbau, der beim ersten Besuch ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Die Hochspannungsleitungen, die ihn mit dem Umspannwerk verbanden, glänzten im Sonnenlicht wie Laserstrahlen, die auf unglaubliche Weise zu eleganten Hyperbeln verbogen waren.
Eine kleinere Straße ging nach rechts ab. Ein mit einem Pfeil gekennzeichnetes Schild wies sie als den Weg zur Laderampe aus. Sie zwang den schweren Truck herum. Vor ihr führte eine flache Rampe hart am Rand des umgebauten Hangars nach unten. Sie sah eine leere Laderampe mit zwei nach oben wegschwenkbaren Frachttoren. Offensichtlich wurden Tracks rückwärts die Rampe hinuntergesetzt, bis die Laderampe auf gleicher Höhe mit der Unterkante des Laderaums war. Links neben der Rampe befand sich ein breiter Asphaltplatz - bis auf ein großes Schild mit der Aufschrift DENKEN SIE NICHT EINMAL DARAN, HIER zu PARKEN völlig leer. Ein Wendeplatz für den Lasterfahrer, bevor er den Truck rückwärts auf die Rampe bringt, erkannte sie.
Sam brachte den Lastzug mit zischenden Druckluftbremsen zum Stehen und dachte nach. Sollte sie versuchen, den Laster in Position an die Laderampe zu bringen? Mach keine Witze, Dooley. Gäbe es eine bessere Methode, dich zu verraten, als den Truck in eine Hausecke zu rammen? Ihre Anspannung verriet sich in einem leicht hysterischen Kichern. Ich kann froh sein, daß ich bis jetzt noch keinen Unfall gebaut habe. Sie brachte den Truck auf den Wendeplatz und sah sich um. Es war niemand zu sehen - kein Mensch auf den Betonpfaden zwischen den Häusern und auch niemand auf der Laderampe.
Der riesige Hangar schien keine Fenster zu haben. Okay, dann woll'n wir mal. Sie schaltete den Motor ab, zog die Handbremse an, öffnete die Tür und sprang zu Boden. Die Zigarette landete auf dem Asphalt, wo Sam sie austrat. Dann ging sie zielstrebig auf den umgebauten Hangar zu.
Hinter der Ecke des Gebäudes, links von der Laderampe, befand sich eine einzelne Tür. Als sie sich darauf zubewegte, erwachten neue Zweifel. Sie erinnerte sich an den Gästeausweis, den sie bei ihrem ersten Besuch erhalten hatte, und die ›Smart Card‹ an Leclercs Aufschlag, die von dem Sicherheitssystem an seiner Bürotür gelesen worden war. Wenn die Tür genauso gesichert ist, wird das die kürzeste Unterwanderung aller Zeiten. Sie sah sich zu dem Lastzug um. Was, zum Teufel, mache ich dann? Mit dem Truck durchs Tor brechen? Mit Mühe vertrieb sie ihre Ängste. Es gibt keinen Weg zurück, Dooley. Sie lächelte, aber es fühlte sich an wie eine Grimasse. Denk an den Fischadler - volles Risiko...
Die Tür war zu, aber sie sah keine Kontrolltafel an der Wand neben ihr. Aufs äußerste angespannt, streckte sie die Hand nach dem Knauf aus und drehte ihn.
Das Schloß öffnete sich mit einem metallischen Schnappen, das in ihren Ohren hallte wie ein Schuß. Sie drückte die Tür auf, trat ein.
Im Gegensatz zur gleißenden kalifornischen Sonne schien der Gang, in dem sie sich jetzt befand, düster. Aber wenigstens war er leer. Niemand stellte sie und wollte wissen, was sie hier zu suchen hatte. Eilig ging sie den Gang hinunter und warf einen schnellen Blick auf jede Tür, die sie passierte.
Der dritte Raum auf der linken Seite war als Damenumkleideraum ausgewiesen. Ohne nachzudenken ging sie hinein.
Sie fand sich in einem Raum mit niedriger Decke wieder, dessen Wände auf zwei Seiten mit Metallspinden zugestellt waren. Vor ihnen standen zwei lange hölzerne Bänke. Aus einer offenen Tür in der Rückwand drang das Rauschen einer Dusche. Der Raum war leer.
Hastig sah sie sich um, in der halbwegs verlorenen Hoffnung... Tatsächlich, die Tür eines der Spinde stand einen Spalt offen. Von der Tür hing ein billiges Zahlenschloß. Sie lief hinüber und schwang sie auf. Der kleine Stauraum im oberen Teil des Schranks enthielt ein Paar Joggingschuhe und eine kleine Handtasche. An einem Haken unter der Ablage hing ein mattolivgrüner Overall, über dessen rechter Brusttasche der Name PETRIE eingestickt war. Unwillkürlich sah sie hinüber zu der Tür bei den Duschen. Noch rauschte das Wasser, aber sie erwartete, daß dieses Geräusch jeden Augenblick verstummte. Beeilung, Beeilung! Sie holte den Overall heraus und sah auf den ersten Blick, daß er ihr zu klein war. Hätte eh nichts gebracht, wurde ihr sofort darauf klar. Wenn sie nach ihrer Dusche zurückkam, hätte Petrie das Fehlen ihrer Dienstkleidung bestimmt nicht übersehen.
Ein plötzlicher Impuls ließ sie in den Taschen des Overalls suchen. Vielleicht, vielleicht...
Ja!
Unter dem Stoff einer der Brusttaschen fühlte sie etwas Steifes, das etwas größer war als eine Spielkarte. Mit einem erleichterten Aufatmen zog sie die Ausweiskarte heraus. Wie bei Leclerc war die hellgraue Plastikoberfläche bis auf ein Foto leer. Gott hilft den Dummköpfen, dachte sie sarkastisch. Sie warf einen kurzen Blick auf Petries Bild und sah eine zart gebaute, schlanke Rothaarige mit kurzgeschorenem Haar. Dann hängte sie den Overall wieder an den Haken, schloß die Spindtür so weit, wie sie es zuvor gewesen war, und machte, daß sie wegkam.
Erst als sie wieder auf dem Korridor war, nahm sie sich die Zeit, die Smart Card mit der Krokodilklemme an ihrem Kragen zu befestigen. Sie probierte mehrere Möglichkeiten durch, bis sie eine gefunden hatte, bei der Petries Foto nicht auf den ersten Blick erkennbar war. Wenn sich irgendwer die Zeit nimmt, den Ausweis anzusehen, bin ich erledigt. Aber wenigstens sollte das Sicherheitssystem keine Bedenken dagegen haben, daß Petrie durch die Anlage wandert.
Am hinteren Ende des Flurs sah sie eine rotlackierte Doppeltür. Sie ging mit sicherem Schritt darauf zu, als wisse sie, wohin sie unterwegs war. Kurz vor der Tür blieb sie stehen. NUR AUTORISIERTE PERSONEN warnte ein großes Schild schwarz auf weiß. Darunter verkündete ein kleineres Schild: UFT TRANSPORT. ›Unified Field Theory Transport‹? Wer weiß.
In der Wand neben der Doppeltür war eine kleine Metallplatte mit einer roten und einer grünen Leuchtdiode eingelassen. Es war eine exakte Kopie der Platte an Leclercs Bürotür im Verwaltungsgebäude. Sam zögerte und hob die Hand zu Petries Ausweis. Dann trat sie an die Tür.
Die grüne LED leuchtete auf, und Sam hörte ein leises metallisches Knacken, als die Türverriegelung sich löste. Erst als sie laut aufatmete, wurde ihr klar, daß sie die Luft angehalten hatte. Sie drückte die linke Tür auf und trat hindurch.
Einen chaotischen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, auf eine Filmbühne getreten zu sein, in die Aufbauten für ein millionenschwer budgetiertes Science-Fiction-Spektakel. Vielleicht ist es das, was bei Generro abgeht, dachte sie verunsichert. Filmarbeiten. Keine Sekunde später hatte sie sich wieder im Griff. Das ist kein Filmset. Das hier ist echt.
Wie sie vermutet hatte, war das Gebäude ein umgebauter Flugzeughangar. Die Konstruktion war unverkennbar. Das Dach befand sich hoch über ihr und war in vielleicht achtzehn Metern Höhe von zahlreichen Trägern und Streben gekreuzt. Ringsum ragten nicht-identifizierbare Gerätschaften auf und warfen im Licht einiger vom Dach hängender Leuchtstoffröhreninseln seltsame kantige Schatten. Sam löste sich von der Tür und drückte sich im Schatten eines Geräts an die Wand, das wie eine Kreuzung zwischen einem gewaltigen Van-de-Graaff-Generator und einem enormen Batteriestapel aussah. Außer Sicht des Eingangs ließ sie die Szenerie auf sich wirken.