15

Was, zur Hölle, geht hier vor? Der Saal, in dem sich Sam befand, war riesig, kavernenartig. Monströs große Ausrüstungsteile ragten überall zur Decke, und ihre schiere Größe machte es schwer, die Weite des Saals einzuschätzen. Trotzdem kam sie zu dem Schluß, daß er mindestens dreißig Meter breit und vielleicht doppelt so lang sein mußte. Ein Teil der geheimnisvollen Ausrüstung stand frei, etwa eine Gruppe aus sechs ringverstärkten Keramiktürmen rechts von ihr, gewaltige Zylinder von zehn Metern Höhe und gut anderthalb Metern Durchmesser. (Irgend etwas an diesen Säulen weckte eine Erinnerung an einen Physikkurs in Sams Highschoolzeit. Sie erinnern an Teslaspulen, aber wozu könnte irgendwer sechs enorme Teslaspulen brauchen?) Andere Maschinen waren von Gerüsten umgeben, und zwischen manchen erstreckten sich GitterwerkLaufstege. Ihr gegenüber, auf der anderen Seite des freien Mittelraums, sah sie jemand in einem Overall auf einer Plattform hocken und an einem Gerät arbeiten, das an einen überdimensionierten Starkstromtransformator erinnerte.

Die ganze Halle schien in einem allgegenwärtigen Summen zu vibrieren, das so tief war, daß menschliche Ohren es kaum wahrnahmen. Sam hob eine Hand ans Ohr. Ja, sie fühlte das Summen mehr durch die Schädelknochen, als daß sie es hörte. Energie, dachte sie. Jede Menge Energie. Sie schnüffelte und erkannte den typischen Geruch von Ozon. Sie erinnerte sich an das Umspannwerk außerhalb der Halle. Offensichtlich war dies der Ort, an den all die Energie abfloß. Aber warum? Für was?

Über dem unterschwelligen Summen konnte Sam mehrere Stimmen hören, und das, wie ihr jetzt klar wurde, schon seit einiger Zeit. Sie hatte nur nicht darauf geachtet. Sie hielt den Atem an und versuchte, die Worte zu verstehen, aber das elektrische Brummen überlagerte alle Feinheiten, maskierte die Sprache und verhinderte jedes Verständnis. Immerhin gelang es ihr, drei Stimmen zu unterscheiden: zwei männliche, eine weibliche. Eine der Männerstimmen klang vertraut. Ihr überstimuliertes Hirn konnte sie nicht genau einordnen, aber etwas an der Stimme - der Tonfall, möglicherweise die Betonung und Sprachmelodie - überzeugte Sam, daß der Sprecher ihr nicht unbekannt war.

Sie sah sich erneut in der Halle um. Die einzige Person, die sie von ihrer Position aus sehen konnte, war der Techniker hoch auf dem Gerüst. Sie tat zwei tiefe Atemzüge, um wenigstens den schlimmsten Druck auf ihrer Brust zu lindern. Dann setzte sie sich in Bewegung, huschte wie ein Geist von einem Schatten zum nächsten, um die turmhohen Maschinen herum. Überall warnten Schilder vor Hochspannung, unterstrichen durch Zeichnungen menschlicher Gestalten, die von einem Blitz getroffen wurden. Sams Entschlossenheit, nichts zu berühren, wurde noch weiter gestärkt. Sie orientierte sich an den Stimmen und schlich vorwärts in die Mitte der Halle.

Das Zentralareal war heller beleuchtet. Zusätzlich zum Licht der Leuchtstoffröhren erhellte eine Serie kleinerer Scheinwerfer mit dem harten, grellen Schein von Quarzhalogenbirnen einen speziellen, offenen Bereich, der von nicht identifizierbaren Gerätschaften umringt war, die fast bis an die Träger unter der Hallendecke aufragten. Sie ließ sich in die Hocke fallen, schob sich in einem verkrampften Watscheln langsam weiter vor, hielt sich in den tiefsten Schatten. Endlich fand sie einen Beobachtungspunkt, von dem aus sie freie Sicht auf den hellerleuchteten Bereich bekam, an dem sie selbst aber hinter einem drei Meter hohen grünen Metallkäfig, aus dem ein leises Singen drang, das sie an einen Mehrfachkondensator erinnerte, vor zufälliger Entdeckung geschützt war. Wieder kostete es sie Mühe, dem, was sie sah, einen Sinn abzugewinnen:

Drei Computerkonsolen waren in einem großen Halbkreis angeordnet. Ein aus dieser Entfernung nicht zu entziffernder Text lief über verschiedene Monitore, während ein komplexes Muster von Signallämpchen in frenetischem Tempo aufblinkte. Über einer der Konsolen hing eine große Monitorleiste, aber der Winkel, aus dem sie das Geschehen beobachtete, hinderte Sam daran zu erkennen, was die Bildschirme zeigten. An der Rückseite der Konsolen schlängelten sich dicke, locker gebündelte Kabelmassen auf dem Boden. Irgend etwas an diesem Anblick verlieh ihr das sichere Gefühl, daß es sich um eine irgendwie provisorische Einrichtung handelte - wie der Prototyp eines NASA Mission Control Rooms.

Vor einer besonders mit Geräten und Kabeln vollgepfropften Computerstation drängten sich drei Personen. Ein großer Monitor zeigte komplexe, grün leuchtende Wellenmuster. Zwei Wellenmuster, erkannte Sam plötzlich, die sich überlappten, aber nicht synchron liefen. Beide waren im Grunde einfache Sinuswellen, aber auf komplexe Weise wie durch zusätzliche Signale moduliert. Eine der Personen - ein kleinwüchsiger Orientale von Ende Zwanzig in einem weißen Laborkittel - gab Befehle in eine Tastatur unter dem Bildschirm ein. Das grüne Licht des Monitors spiegelte sich in seinen runden Brillengläsern. Hinter dem Orientalen stand eine Frau, ebenfalls im weißen Laborkittel. Sie war größer als er, aber immer noch kleiner als Sam, mit einem schmalen Gesicht und leichtem Knochenbau. Ihr mausbraunes Haar war zu einem strengen Knoten nach hinten gezogen.

Aber es war die dritte Gestalt, die Sams Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Mann trug keinen Laborkittel, sondern eine lockere graue Sporthose und ein weißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Unter den Achseln waren Schweißflecken zu sehen. Groß, mittlere Statur - das braune Haar leicht zerzaust. Hinter der Drahtbrille blitzten kornblumenblaue Augen.

Ernest Macintyre. Wer hätte das gedacht?

Der junge Ingenieur, den sie an Pop-Pops Sterbebett getroffen hatte, starrte mit vorgestrecktem Hals auf den Schirm. Er tippte mit einem schlanken Zeigefinger auf den Monitor. »Wir bekommen immer noch Kanalüberschneidungen.« Seine Stimme war so leise wie in ihrer Erinnerung, aber jetzt besaß sie einen Unterton von Autorität. Hier fühlt er sich zu Hause, dachte Sam. Er ist in seinem Element - mit Computern beschäftigt statt mit Menschen. »Kannst du die Zuleitung von der Quaternärkupplung isolieren und die Harmonie auf der sekundären hochfahren?«

Der junge Asiate warf Macintyre einen fragenden Blick zu, dann zuckte er die dünnen Schultern. »Du bist der Boß, Mac.« Er tippte eine lange Befehlskette ein.

Samantha zuckte zusammen, als das aus dem Käfig neben ihr dringende Singen seine Tonart veränderte. In einem Versuch, den stechenden Schmerz in ihren Ohren zu lindern, bewegte sie den Unterkiefer von einer Seite zur anderen. Auf dem Bildschirm verschoben sich die Wellenformen, überlappten stärker, näherten sich einander spürbar an. Dann trieben sie wieder auseinander. Obwohl sie keinen Schimmer hatte, was sie beobachtete, konnte Sam sich der Anspannung nicht entziehen, die aus jeder Bewegung der drei Personen an den Computern sprach. Als ob man Chirurgen bei der Arbeit zusieht, dachte sie.

Macintyre schnalzte mit der Zunge. »Resonanzeffekte«, murrte er.

»Ich dachte, die hätten wir im Griff«, sagte die Frau.
Macintyre klopfte wieder auf den Schirm. »Die tertiäre um fünf Prozent höher.« Die Wellenformen verschoben sich wieder. »Noch fünf.« Millimeter um Millimeter näherten sich die Wellen einander an. »Und noch einmal fünf...« Die Wellen legten sich übereinander. Es war kein Unterschied mehr festzustellen, eine einzelne, ununterbrochene Linie leuchtete intensiv grün vom Bildschirm herab. »Kongruent«, verkündete Macintyre. »Sichern.« Während der Orientale einen neuen Befehl in den Computer eintippte, drehte Macintyre sich mit einem sanften Lächeln zu der Frau um. »Ich schätze, wir sind bereit für das Team, Andrea.«
Andrea nickte zackig und marschierte schnell davon. Macintyre sah wieder zu der Wellenform hoch und klopfte dem asiatischen Tastaturkünstler auf die Schulter. »Das wird ein guter Tag, John«, erklärte er freundlich.
Sam verlagerte ihr Gewicht, um die Anspannung in den Knien zu reduzieren. Gerade ist etwas Wichtiges vorgefallen. Aber was?
Und von was für einem Team hat er geredet?
Sie brauchte eine bessere Beobachtungsstellung. Es mußte doch mehr geben... bei dem, was hier vorging, als nur diese Computer. Soweit ich es weiß, braucht man keine drei Stockwerke hohen Teslaspulen, um Computer zu betreiben. Sie arbeitete sich entgegen dem Uhrzeigersinn an den Ausrüstungsteilen vorbei, wobei sie versuchte, Macintyre und John an den Terminals aus dem Augenwinkel in Sicht zu behalten.
Nach etwas über zwanzig Schritten hielt sie an. Aus diesem Winkel hatte sie einen besseren Blick auf die herabhängenden Bildschirme, die offensichtlich von Videokameras gespeist wurden. Nur die obere der zwei je acht Monitore umfassenden Reihen von Bildschirmen war in Betrieb, und jeder von ihnen schien dasselbe Bild zu zeigen. Sie kniff die Augen zusammen. Ja. Auf jedem der Schirme war etwas zu sehen, das an das Innere eines Flugzeugcockpits erinnerte, abgesehen von der Tatsache, daß das Kanzeldach undurchsichtig war. Sie konnte rechts einen Steuerknüppel und links einen einfachen Gashebel erkennen. Reihen von Knöpfen, Anzeigelichtern und LED-Datenanzeigen umgaben den Pilotensitz. Ich dachte, Generro hätte die Flugoperationen eingestellt ...
Enttäuscht über ihre Unfähigkeit zu verstehen, was sie sah, schüttelte Sam den Kopf und bewegte sich weiter an den Ausrüstungsstapeln entlang. Der junge Asiate saß noch immer an der Tastatur, aber Macintyre war an eine andere Konsole getreten und drückte Knöpfe an einer Reihe von Geräten, die wie Videorecorder aussahen. Über dem konstanten elektronischen Brummen hörte sie ihn tonlos vor sich hin summen. Sie schlich weiter.
Sie trat um eine gewaltige, brummende Ansammlung von... irgendwelchen elektrischen Apparaten...

und blieb stehen. Was, zum Teufel...? Jetzt sah sie, was jenseits des Halbkreises der Computerkonsolen lag.

Acht... Cockpits, riet sie, was könnte es sonst sein? Jede Einheit war rechteckig, zweieinhalb bis drei Meter lang, etwas über einen Meter breit und anderthalb Meter hoch. Sie waren in zwei - von einem einen guten Meter breiten Mittelgang - getrennten Reihen zu je vier Cockpits aufgebaut. Alle acht waren offen. Die Abdeckungen waren auf Leitschienen zurückgerollt und legten das Innenleben der Kästen frei. Im Innern der Kabinen glänzten vielfarbige Lichter - die Anzeigelämpchen und Datenanzeigen, die sie auf den Beobachtungsmonitoren gesehen hatte, nahm Sam an. Die metallene Außenhaut war dunkelgrau und trug hier und da kryptische Symbole, aus dieser Entfernung unlesbare Beschriftungen und Warnzeichen, ähnlich wie der Rumpf eines Jagdflugzeugs. Komplexe Verdrahtungen verbanden die Cockpits mit der sie umgebenden Ausrüstung und letztlich mit den Computerkonsolen, an denen Macintyre noch immer stand. Nein, entschied sie einen Augenblick später, die Kabel sind nicht an die Cockpits angeschlossen, nicht direkt. Statt dessen schienen sie an den Schienen oder Rahmen - vielleicht war Gerüste das passendere Wort - befestigt, auf denen die Cockpits ruhten. Sie konnte es nicht sicher sagen, aber Sam war sich ziemlich sicher, daß nichts direkt an die Cockpits selbst angeschlossen war. Was für einen Grund könnte das haben?

Sie suchte sich erneut eine bessere Beobachtungsposition und bemerkte etwas, das nun wirklich ihre Neugierde erregte. An der vorderen Hälfte jedes Cockpits prangte ein greller Farbklecks: eine farbenfrohe, auffallende Illustration. Wie die Bugbemalung auf den Bombern des 2. Weltkriegs, dachte sie. Das ihr am nächsten gelegene Cockpit war mit einem Annie-Oakley-artigen Cowgirl verziert, das den Pulverdampf seines Revolvers wegblies. Der Seilschlaufen nachempfundene verschnörkelte Schriftzug ›Calamity Jane‹ rahmte die Figur ein. Auf dem nächsten Cockpit prangte der Name ›Privateer‹. Das Wort lag über dem Bild eines mit gezücktem Entermesser vorpreschenden Piraten. Danach folgte ein mit ›Call of the Wild‹ gekennzeichnetes Cockpit, dessen Emblem die Silhouette eines den Mond anheulenden Wolfs zeigte. Sie konnte die Frontpartien der übrigen fünf Cockpits nicht sehen, ging aber davon aus, daß diese ebenfalls verziert waren.

Langsam dämmerte es ihr. Sie nickte. Cockpits, die nicht Teil eines Flugzeugs sind, an komplizierte Computeranlagen, angeschlossen, wenn auch nur indirekt... Es mußten Simulatoren sein. Sehr viel primitiver als die Simulatoren, die sie in Edwards benutzt hatte - diese hier besaßen keinerlei Bewegungskontrollen, keine Hydrauliksysteme, die reale Bewegungseffekte vortäuschen konnten -, aber es waren eindeutig Simulatoren.

So schnell, wie ihr die Gewißheit gekommen war, ging sie auch wieder. Was für Simulatoren brauchen derartige Mengen an Strom? Und was bedeuten die Wellenformen auf dem Monitor? Diese ganze Sache wollte einfach keinen Sinn ergeben.

Sie hörte Stimmen hinter sich lauter werden und duckte sich tiefer in die Schatten. Die Frau, Andrea, war zurück, gefolgt von sechs Piloten.

Sie sehen jedenfalls nach Piloten aus, verbesserte Sam sich. Sie trugen khakifarbene Overalls, die nach Flugmonturen aussahen, aber was sie überzeugte, war die Art, wie sie sich bewegten. Jeder einzelne von ihnen - fünf Männer, eine Frau - bewegte sich mit jener eleganten Selbstsicherheit, nur einen winzigen Schritt entfernt von Arroganz, die sie mit Ben Katt und den anderen Jetjockeys in Edwards verband. Sie alle waren jung, etwa in Sams Alter, und trugen das Haar beinahe militärisch kurz. Ihr Blick war ruhig, und sie schienen Energie und Aufregung auszustrahlen.

Einer der Piloten, ein muskulöser Mann mit sandfarbenen Haaren und stahlgrauen Augen, trat auf Macintyre zu. Der Flight Leader, erkannte Sam. »He, Mac. Haben wir die Freigabe?«

Macintyre nickte. Er war größer als der Pilot, aber etwas an seiner Haltung wirkte so, als sähe er zu dem anderen Mann auf. »Wir hatten ein paar unerwartete Resonanzeffekte, Will, aber es ist uns gelungen, die Harmonien auszubalancieren und...«

Der Pilot zuckte die Achseln und grinste Macintyre schief an. »Schenk dir dein Technogelaber, Mac«, unterbrach er, wobei sein Tonfall den Worten jede Schärfe nahm. »Mich interessiert nur, ob wir starten.«

Macintyre sah auf den Monitor. Die Wellenformen waren noch immer perfekt synchronisiert. Es stand eine einzelne, leuchtend grüne Welle auf dem Monitor. »Ihr startet«, stellte er fest.

Will drehte sich zu seinen Gefährten um. »Gentlemen, Ladies«, verkündete er. »Wir starten nach Solaris. U-N-V Eins-Drei-Sieben wartet. Translokation in...?« Er sah Macintyre fragend an.

»Fünf Minuten«, erwiderte der junge Ingenieur.

»... In fünf Minuten«, wiederholte Will lauter. Er deutete auf die Cockpits. »Aufsitzen«, befahl er.
Sam sah zu, wie die sechs Piloten in ihre Cockpits stiegen und die Abdeckungen schlossen. Während die Kanzeldächer mit lautem Knall zufielen, ging Andrea die Reihe entlang und vergewisserte sich, daß sie sicher verschlossen waren. Die beiden Cockpits, die Sams Position am nächsten lagen - ›Calamity Jane‹ und ›Privateer‹ -, blieben leer und offen.
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit den Beobachtungsschirmen zu. Wie erwartet, waren zwei der Ansichten in der oberen Zeile unverändert und zeigten weiter leere Cockpits. Auf den sechs anderen konnte sie Will und sein Team bei den Vorbereitungen für die Simulation beobachten, die Macintyre für sie vorbereitet hatte. (Wie hat Will sie genannt - ›Solaris‹? Und ›U-N-V Eins-Drei-Sieben‹?) Die acht Monitore in der unteren Zeile schienen jetzt ebenfalls eingeschaltet zu sein -gelegentlich flackerten sie -, aber noch zeigten sie nichts.
Andrea hatte sich neben John an die Konsole gesetzt. Sie bewegte die Hände über Tasten und Knöpfe, wohl, um neue Systeme zu starten. Macintyre stand in der Nähe und blickte ihr ab und zu über die Schulter, mischte sich aber nicht ein. Er lehrt sie an, verstand Sam plötzlich. Er bleibt nahe genug, um sie herauszuboxen, wenn sie in Schwierigkeiten gerät, aber ansonsten muß sie selbst klarkommen.
Wie um ihre Annahme zu bestätigen, legte Macintyre für einen Augenblick die Hand auf Andreas Schulter und sagte dann: »Ich möchte, daß du die Translokation diesmal selbst durchführst.«
Sie sah zu ihm hoch, und Sam konnte die Zweifel in ihrem Gesicht lesen. Aber Macintyre lächelte beruhigend auf sie hinab. »Du weißt, was du tust, Andrea. Ich möchte, daß du sie in...« - er blickte auf die Digitaluhr in der Konsole - »...zwei Minuten und 25 Sekunden durchschickst. Okay?«
Andrea zögerte, dann nickte sie. Sam beobachtete, wie sie tief durchatmete und sich dann wieder zur Konsole umdrehte. Sie drückte noch ein paar Knöpfe und behielt die sich verändernden Datenanzeigen im Blick. Dann griff sie nach dem Auslegermikro, das vor ihr aufragte, und zog es zu sich. »Team Alpha bitte einchecken.« Ihre Stimme klang sicherer als zuvor, als habe ihre neue Verantwortung sie bereits verändert.
»Alpha One, Check.« Die Stimme des Führungspiloten drang aus einem erhöht angebrachten Lautsprecher. Auf dem äußersten linken Monitor sah Sam Will lächeln. »Bereit, wann immer du soweit bist, Andrea.«
»Alpha Two, Check.«
»Alpha Three, Check.«
Nacheinander checkten alle sechs Piloten ein. Andrea nickte zufrieden. Sie drückte einen weiteren Knopf, und eine neue Riege von Anzeigen leuchtete vor ihr auf. »Telemetrie okay«, verkündete sie. »UFT-Cockpits online.« (In ihrem Versteck blinzelte Sam überrascht. Das sind die ›UFT-Cockpits‹? Dann steht ›UFT‹ wohl doch nicht fiir Einheitliche Feldtheorie.)
»Wie sehen die Wellenformen aus?« fragte Andrea. »Irgendwelche Abweichungen?«
»Keine«, erwiderte der asiatische Techniker. »Wir haben hier drüben alles synchron.«
Andrea nickte. Sam konnte die Anspannung spüren. »Stufe zwei«, verkündete Andrea. »Primäres Induktanzsystem stetig bei zwei Milliarden Volt.« (Was? dachte Sam benommen.) »Koordinaten bestätigen.«
Wieder kam die Antwort von John. »Eingegeben und erfaßt. Wir zielen auf die Berge außerhalb von Rolandsfeld.«
»Mitgekriegt, Alpha One?«
»Copy, Control.« Will lachte wie ein Freibeuter, der soeben einen ungeschützten Kauffahrer entdeckt hatte. »Wir werden unseren Spaß haben.«
Plötzlich mischte sich Macintyre ein. »Seht euch vor, Will«, warnte er. »Das hier sind erst präliminäre Tests. Du weißt, wie das mit neuen Technologien ist...«
Will lachte schallend auf. »Keine Bange, Dad«, gab er zurück. »Ich bring den DeSoto in einem Stück nach Hause zurück.«
Macintyre schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
Andrea preßte eine weitere Reihe von Knöpfen. »Rückholkriterien bestätigen.«
»Standard-Rückholkriterien, Control«, antwortete Will.
»Start der Automatiksequenz«, verkündete Andrea, als sie den letzten Knopf eindrückte. »Induktanzfelder stabil. Gerüstsystem erhält Energie.«
Samantha rutschte unbehaglich in ihrem Versteck umher. Sie konnte fühlen, daß etwas vorging. Die Härchen in ihrem Nacken entwickelten ein Eigenleben. Ihre Zähne schienen zu brummen, und das Bild vor ihren Augen wurde undeutlich. Aber diese körperlichen Auswirkungen beunruhigten sie weniger als ein anderes ›Gefühl‹ - sofern ›Gefühl‹ das richtige Wort für etwas war, das sie nicht mit ihren gewöhnlichen fünf Sinnen fühlte, sondern... anders. Der ganze gewaltige Saal schien von einem neuen Klang widerzuhallen, jenseits der Wahrnehmung des menschlichen Ohrs, auf einer Frequenz, die irgendwie sympathetische Schwingungen in ihrer Seele auslöste. Irgend etwas wird geschehen. Etwas Wichtiges.
»Gerüst auf voller Energie«, stellte Andrea knapp fest. »Stetig bei zwei Milliarden Volt, ein Gigahertz.« Sam bemerkte, daß Andrea, Macintyre und John die Hände vor die Augen nahmen. Warum...?
Sam keuchte vor Schmerz, als eine lautlose Lichtexplosion sie erfaßte. Sie ließ sich tiefer in die Schatten fallen. Durch die Schmerzen hindurch fühlte sie ein seltsames Vibrieren im Kern ihres Daseins, als sei die harmonische Frequenz, die zuvor jene seltsame Vibration ihrer Seele ausgelöst hatte, auf eine höhere Oktave gesprungen.
»Translokation erfolgreich.« In Andreas Stimme lag ein deutlicher Unterton von Zufriedenheit. »Willkommen auf Solaris Sieben, Ladies and Gentlemen.«
Gegen einen unvernünftigen Drang ankämpfend, die Flucht zu ergreifen, davonzurennen, zwang Sam sich wieder vor. Aus weinenden Augen blickte sie hinüber zu den Cockpitreihen.
Nur die beiden vordersten Einheiten waren noch zu sehen. Die sechs anderen Gerüste waren leer.