17

Sie war geblendet.
Einen langen, schrecklichen Augenblick lang
konnte Samantha nichts sehen. Es war keine Dunkelheit. Dunkelheit war eine Eigenschaft, die ein Etwas
voraussetzte, das sie besaß. Das hier war etwas völlig
anderes - die absolute Abwesenheit jeder wie auch
immer gearteten visuellen Wahrnehmung. Sie glaubte sich wimmern zu hören, war sich dessen aber nicht
sicher.
Die Blindheit wurde noch durch das Gefühl des
Fallens verschlimmert. Ein schwindelerregendes, auf
urinstinktmäßiger Ebene entsetzliches Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Das Cockpit
stürzt ab wie ein Aufzug, dessen Kabel gerissen sind,

stammelten ihre Gedanken, aber gleichzeitig wußte
sie, daß das nicht stimmte. Sie stürzte, ja, aber...was
hat Fred Noonan in seinem Tagebuch geschrieben?
»...dieser ›Sturz‹ ging in eine Richtung, von deren
Existenz ich nie etwas geahnt hatte...«
Genau dieses
Gefühl hatte sie jetzt auch.
Das Nichts verschlang sie für weniger als eine Sekunde, aber die Orientierungslosigkeit, die das mit
sich brachte, hielt sehr viel länger an. So plötzlich,
wie er über sie hereingebrochen war, verschwand der
Eindruck des Stürzens wieder, und Sam sah um sich
herum wieder die Cockpitkabine - ein Eindruck, der
plötzlich beruhigend, fast vertraut war.
»Dooley One.« Andreas Stimme klang seltsam -
nicht nur verzerrt. Es war eher eine Art Phasenverschiebung. »Alles in Ordnung?«
Sam sah hinunter auf ihre Hände und stellte fest,
daß sie zitterten. Sie packte Knüppel und Gashebel
fester, und das Zittern verschwand. »Alles okay,
Control«, antwortete sie, konnte ein Beben in der
Stimme dabei jedoch nicht unterdrücken. »Äh... nur
eine kleine Unregelmäßigkeit bei der Translokation,
das ist alles.«
»Unregelmäßigkeit? Was für eine Unregelmäßigkeit?«
»Momentane Instabilität, das ist alles«, versuchte
Sam die Situation zu retten.
»Auf meinen Anzeigen war nichts zu sehen«, konterte Andrea. In ihrer Stimme lag eine Spur von -
Mißtrauen?
»Na, es hatte auch keine Auswirkungen. Jetzt ist
alles stabil.«
Andreas Antwort war ein unverbindliches
»Hmm«.
Ich muß aufpassen, dachte Sam. Wenn sie entdeckt, daß ich eine Betrügerin bin, kann sie diesem
Ausflug ein jähes Ende machen. Also habe ich wahrscheinlich wenig Zeit.

Sie sah auf den Hauptschirm des Cockpits. Das
Bild war blaß und verwaschen. Nach einer kurzen
Suche fand sie die Kontrast- und Helligkeitsregler
und justierte den Schirm neu.
Es war dasselbe Gelände, das sie bereits auf den Monitoren im Kontrollstand gesehen hatte: eine öde Wüstenei aus zerfurchtem Lehmboden, die in der Ferne zu einem Mittelgebirge führte. Durch das tiefhängende Wolkendach schien wäßriges Licht. Wie Will und sein Team vorhin, schien sie konstante 50 bis 60 Fuß über dem Boden zu hängen. Sie schloß für einen Augenblick die Augen und versuchte, ein Gefühl für das Fahrzeug zu bekommen - oder was es auch immer war, das sie steuerte. Eine schwache Vibration drang durch Cockpitboden und Sitz, ihr Rückgrat hinauf bis in die Schädelknochen, das fast unmerkliche Brummen eines Motors im Leerlauf. Sie spürte nichts von dem starken, niedrig-frequenten Beben, das sie mit einem Helikopter in Verbindung
brachte.
»Dooley One, wie lautet Ihre Mission?« fragte
Andrea plötzlich. Diesmal war das Mißtrauen in ihrer
Stimme unverkennbar.
Sams Augen flogen auf. »Einfache Erkundung,
Control«, erwiderte sie so gelassen wie möglich.
»Ich hab mir nur kurz die Gegend angesehen.« Ich
sollte wohl besser was tun.
Sie zentrierte den Knüppel, überprüfte das Spiel der Ruderpedale und schob
den Gashebel vorsichtig nach vorne.
Sie keuchte laut auf, als das Fahrzeug nach vorne
ruckte. Das war weder die gleichmäßige Beschleunigung eines Flugzeugs noch der kontrollierte Sturz
eines Kopters, diese Bewegung war... völlig anders.
Sie war ungleichmäßig, ruckend, stoßartig.
Mein Gott, das ist real! Das Fahrzeug ruckte vorwärts, und zum erstenmal drang klare, absolute Gewißheit bis in ihren Geist durch und erfaßte sie vollständig. Das ist keine Simulation. Das kann keine
Simulation sein. Ich bin ...
irgendwo anders. Ich bin
›transloziert‹.
Innerhalb eines Sekundenbruchteils
stürzten all ihre Hypothesen in sich zusammen, gaben sich als das zu erkennen, was sie in Wirklichkeit
waren: kindische Rechtfertigungen und Ausflüchte,
Versuche, die Wirklichkeit zu verdrängen. Sie hörte
einen Laut, der eine Mischung aus bitterem Lachen
und Wimmern war - und erkannte, daß er aus ihrem
Mund kam. In ihrem Innersten kannte sie endlich die
Wahrheit. Sie war körperlich an einen anderen Ort
versetzt worden (in eine andere Zeit?).
»Dooley One, bitte melden.«
Sams Piloteninstinkt griff ein und unterdrückte die
Angst, die sie zu lähmen drohte. Es schien beinahe,
als sei eine Stahlwand herabgefallen, die ihren Verstand gegen die Gefühle abschottete. In ihrer Magengrube tobte es noch immer, ihr Puls raste, ihre Kehle
schien wie zugeschnürt... aber sie hatte sich in der
Gewalt. Ihre Gedanken waren kalt, emotionslos - kristallklar und präzise. Mann, dachte sie, was steht mir
für ein Nervenzusammenbruch bevor, wenn ich erst
loslasse...

Sie lächelte kühl zu der Videokamera hoch. »Dooley One an Control.« Ihre Stimme war kühl und berufsmäßig. »Empfange Sie bei fünf. Alle Kontrollen
grün, alles in Ordnung.«
Andrea zögerte. Als sie schließlich antwortete, konnte Sam hören, daß ihr Mißtrauen nachgelassen hatte. »Roger, Dooley One. Halten Sie mich auf dem
laufenden.«
»Geht klar.« Sam blickte auf den Tacho, während
sie den Gashebel um ein winziges Stück weiter vorschob. Ein gelber Anzeigebalken kroch die Skala hinauf und hielt bei ›50‹ an. Zeit, herauszufinden, was
dieses Baby bringt,
stellte sie fest. Langsam bewegte
sie den Hebel weiter vor, bis die Geschwindigkeitsanzeige die 70 erreichte.
Die Bewegungen ihres Gefährts veränderten sich
drastisch. Es wankte immer noch unregelmäßig vorwärts, aber jetzt war ein rhythmisches Hämmern hinzugekommen, dessen Vibrationen stark genug waren,
ihre Zähne aufeinanderschlagen zu lassen, wenn sie
die Kiefer locker ließ. Die Schläge kamen etwa jede
Sekunde - beinahe wie die Schritte eines schnell
marschierenden Menschen.
Zögernd drückte sie den
Gashebel weiter nach vorne, bis der Tacho auf 80
stand. Wie sie es fast erwartet hatte, nahm die Geschwindigkeit der harten, die ganze Kabine durchschüttelnden Schläge zu. Was könnte das bedeuten?
fragte sie sich. Die Vibrationen waren ganz offensichtlich kein Harmonieeffekt, wie sie zunächst vermutet hatte. Dazu waren sie zu stark und präzise. Sie streckte die Finger der rechten Hand und faßte
den Knüppel fester. Mal sehen, wie dieses Ding sich
in der Kurve macht.
Vorsichtig drückte sie den
Knüppel nach links.
Das Bild auf dem Hauptschirm geriet augenblicklich in Bewegung, und die Szenerie verschob sich
nach rechts. Sie brachte den Knüppel wieder in die
Mitte. Die Bewegung zur Seite hörte auf. Okay, ich
habe gedreht...

Aber nein, erkannte sie plötzlich, sie hatte das
Fahrzeug nicht gedreht. Irgend etwas stimmte nicht
mit dem Bild auf dem Monitor, und es dauerte ein
paar Sekunden, bis sie erkannte, was es war. Parallaxe und Perspektive waren falsch, die Bewegung
stimmte nicht mit der Blickrichtung überein. Ihr
Fahrzeug bewegte sich weiter in die alte Richtung;
nur ihr Blickwinkel hatte sich verändert. Wie bei jemandem, der vorwärts geht, und dabei den Kopf
nach links dreht. Oder einem Panzer, der den Geschützturm dreht, ohne den Kurs zu ändern.
(Konnte
es sein, daß sie eine Art Panzer fuhr?) Sie senkte den
Kopf und betrachtete das, was sie für die Radar- oder
Gefahrenanzeige hielt. Tatsächlich, stellte sie fest,
der dreieckige Sektor - der Schußwinkel? - war um
etwa 20 Grad zur Oberkante verschoben. Daran
orientiert, bewegte sie den Knüppel nach rechts, bis
ihr Blickfeld wieder mit der Bewegungsrichtung
übereinstimmte.
Der Knüppel dreht also meinen... meinen was?
Meinen Geschützturm? In dem Fall mußten die Pedale die Bewegungsrichtung kontrollieren. Sie drückte
das linke Ruderpedal sanft nach unten und beobachtete zufrieden, wie sich das Bild auf dem Schirm verschob. Ja, sah sie, diesmal stimmte alles; sie drehte
das Fahrzeug. (vor ihrem inneren Auge sah sie einen riesigen Panzer, der gewaltige Staubwolken empor
schleuderte, während er über die Ebene donnerte.) Bleibt noch eines... Vorsichtig zog sie den Knüppel nach hinten. Wenn das hier ein Panzer ist, dürfte
gar nichts passieren, oder?

Trotz ihrer hervorragenden mentalen Kontrolle erschreckte sie, als das Cockpit nach hinten kippte -
wie bei einem Flugzeug, das zum Steigflug ansetzt.
Auf dem Bildschirm sank der ferne Horizont an den
unteren Rand des Bildes. Ihre Höhe über dem Boden
blieb jedoch unverändert, stellte sie gleichzeitig fest.
Zum erstenmal bemerkte sie einen Cursor - nein,
korrigierte sie, ein Fadenkreuz - in der Mitte des
Schirms. Bis dahin hatte es auf dem Horizont gelegen, und wahrscheinlich hatte sie es deshalb nicht
gesehen. Jetzt aber zeichnete es sich deutlich vor
dem grauen Himmel ab. Sie zentrierte den Knüppel
wieder und fühlte, wie das Cockpit sich zurück in die
Horizontale senkte. O Mann... Ich habe keinen
Schimmer, was ich hier mache.

»Dooley One.« Andreas krachende Stimme ließ
sie zusammenzucken. »Telemetrie zeichnet mehrere
Bogies auf 94 Grad relativer Position. Können Sie
das bestätigen?«
Bogies? Sam senkte den Blick auf die Gefahrenanzeige.
Ja, da waren sie - zwei seltsame kantige Symbole
im oberen rechten Quadranten, etwa auf halbem Weg
zwischen Mittelpunkt des Schirms und äußerem
Rand. Welchen Maßstab benutzt die Anzeige? fragte

Sam sich plötzlich. Sie suchte den Schirm ab, konnte aber nichts entdecken, das nach einer Maßstabsangabe aussah. Sieht aus, als wäre das einer der Punkte, die vorausgesetzt werden. Hätte sie in einem Falcon gesessen, wäre ein Blip an dieser Stelle der Gefahrenanzeige 15 nautische Meilen entfernt gewesen. Aber das hier ist kein Falcon, erinnerte sie sich.

»Dooley One?«

»Roger, Control«, stellte sie ruhig fest. »Zeichne zwei Bogies.«
»In welcher Entfernung, Dooley One?«
Mußte die Frage wirklich sein...? »Rücke zur näheren Überprüfung vor«, erwiderte Sam, ohne auf Andreas Frage einzugehen.
»Sie befinden sich auf einer Erkundungsmission, oder?« fragte die Technikerin in scharfem Ton. »Es ist nicht vorgesehen, daß Sie Kontakt aufnehmen.«
»Ich rücke zur näheren Überprüfung vor«, erwiderte Sam entschieden. Sie drückte das rechte Ruderpedal nach unten und drehte ihr Fahrzeug in einem weiten Bogen nach rechts. Der Wendekreis stinkt, stellte sie fest.
Sie zog den Gashebel zurück und verlangsamte auf etwa 50. Wie erwartet wurde der Wendekreis kleiner.
Auf dem Radarschirm verschoben sich die beiden kantigen Bogies in Richtung Oberkante, als Sams Ausrichtung sich veränderte. Noch befanden sie sich nicht innerhalb des keilförmigen Schußwinkels, aber es konnte nur noch Sekunden dauern. Dann werden wir ja sehen...

»Dooley One.« Diesmal lag ein unverkennbarer Befehlston in Andreas Stimme. »Sie haben keine Erlaubnis zur Kontaktaufnahme. Brechen Sie die Aktion augenblicklich ab und bereiten Sie sich auf die Rückholung vor.«

»Negativ, Control. Ich mache nur, was Macintyre mir aufgetragen hat.«
Eine andere Stimme - diesmal eine männliche drang aus dem Lautsprecher, und Sam zuckte zusammen. Sie fühlte, daß ihr Gesicht wie das eines bei einer Lüge ertappten Kindes schamrot anlief. »Ms. Dooley, hier spricht Ernest Macintyre. Brechen Sie die Aktion ab und schalten Sie das System aus, bevor Sie sich umbringen. Wir holen Sie zurück.«
Wut brach aus Sams Brust hervor und überwand ihre Scham und Angst. Den Teufel wirst du, Mac! Ich habe noch nicht genug herausgefunden. Sie sah sich verzweifelt im Innern des Cockpits um. Es mußte irgendwo ein paar Kontrollen für die Telemetrieverbindung zum Kontrollsystem bei Generro Aerospace geben.
»Rückholtranslokation... in fünf... in vier...« Andreas Stimme hallte in ihren Ohren wie ein Countdown zur Katastrophe. »... In drei...« Sam geriet in Panik.
Da waren sie! Ein kleiner Satz Kippschalter auf der Konsole unterhalb des Gashebels. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kontrollen des Cockpits waren diese beschriftet: TELEMETRIE, PEILZEICHEN und KOMM. Verzweifelt kippte sie die ersten beiden auf Aus.
»... In zwei...« Andreas Countdown stoppte, und die Technikerin keuchte. »Sie hat ihr Peilzeichen abgeschaltet, Mac.«
»Dooley, Sie wissen nicht, was Sie da tun«, bellte Macintyre. (Ganz recht, Mac, antwortete Sam in Gedanken mit einem trockenen Lächeln.) »Das ist kein Spiel. Wir haben schon Leute verloren... und das mit aktivem Peilsender.«
»Leute wie meinen Vater?«
Sie hatte es vor allem gesagt, um Zeit zu gewinnen, aber Macintyres Antwort ließ sie für einen Augenblick vor Schock erstarren. »Korrekt, Dooley. Und wenn Sie ihm keine Gesellschaft leisten wollen, schalten Sie Ihren Peilsender wieder ein.« Sam hörte ein Wummern - anscheinend hatte Macintyre seine Hand über das Mikro gelegt. Sein nächster Satz war so leise, daß sie ihn kaum verstehen konnte. »Andrea, auf Manuell gehen. Hol den Peilsender wieder hoch.«
»Das braucht Zeit.«
»Wir haben keine Zeit. Beweg dich.« Die Hand wurde anscheinend weggezogen, und Macintyres Stimme kam wieder klar und deutlich über die Verbindung. »Dooley. Samantha. Sam... Bitte. Drehen Sie ab und lösen Sie sich von den Kontaktobjekten. Wenn Sie außer Reichweite sind, schalten Sie den Peilsender wieder an, und wir versuchen, Sie unverletzt zurückzuholen. Okay?«
Mit einem verächtlichen Schnaufen warf Sam auch den dritten Kippschalter um. Der Lautsprecher verstummte. »Die Unterhaltung wurde ohnehin langweilig«, murmelte sie.
Dad...? Er ist auf so einer Mission gestorben...?
Nimm dich zusammen, Dooley,
herrschte sie sich an und verdrängte jeden Gedanken daran aus ihrem Bewußtsein. Darüber kannst du später nachdenken... Wenn es ein Später gibt.
Während sie sich mit Andrea und Macintyre auseinandergesetzt hatte, hatte Sams Instinkt sie das Fahrzeug zurück auf geraden Kurs bringen lassen. Jetzt aber zog sie den Gashebel noch weiter zurück und legte es in eine enge Rechtskurve. Die fernen, durch den Nebel kaum wahrnehmbaren Berge glitten über den Hauptschirm, so wie die beiden Bogies über die Gefahrenanzeige unter ihm. Der erste Blip kam in den Schußwinkel der Anzeige...
Und sie fühlte, wie ihre Kinnlade herabfiel, als der Bogie auf dem Bildschirm auftauchte.
Trotz allem, was sie schon hatte herausfinden können, hatte Sam erwartet, eine Art Hubschrauber im Tiefflug über der Ebene zu sehen. Statt dessen...
Statt dessen sah sie zwischen den Nebelschwaden eine Gestalt - eine humanoide, aufrecht gehende Gestalt. Einen Augenblick drehte ihr Maßstabsgefühl durch wie ein Kreiselkompaß. Sie schüttelte den Kopf. Wenn das ein Mensch ist...
Aber es war kein Mensch - das erkannte sie im nächsten Augenblick, und wieder wurde ihr Maßstabsgefühl grundlegend erschüttert. Die Gestalt vor ihr ging zwar aufrecht, und sie war auch grob humanoid, aber sie war eben kein Mensch. Ihre Linien waren kantig, rechtwinklig - technisch. Metallflächen funkelten in einem durch die Wolkendecke fallenden Dämmerlicht. Was sie zunächst für Arme gehalten hatte, waren Waffen, mit riesigen, klaffenden Mündungen anstelle von Händen. Die Füße entsprachen krallenartigen Monstrositäten auf metallischen ›Beinen‹ von der Breite einer Telefonzelle. Der Kopf, der 50 Fuß oder mehr über dem Boden hing, war - nun, sie konnte nicht sagen, was er war - eine Art Sensorplattform? Das Ganze wirkte wie ein Roboter - ein riesiger, brutaler Roboter aus irgendeinem billigen, kitschigen Science-Fiction-Film.
Nur waren alle Roboter, die sie je in der FernsehNachtschiene gesehen hatte, schwerfällige, unbeholfene Gebilde gewesen, die Mühe hatten, überhaupt von der Stelle zu kommen. Das Ding da hat ein Scheißtempo drauf! Seine Beine pumpten wie die eines Langstreckenläufers und bewegten den titanenhaften Mechanismus mit einer kaum faßbaren Geschwindigkeit vorwärts. Eine gewaltige Staubwolke zog wie ein Hahnenschwanz hinter ihm her.
Der Roboter - diese Bezeichnung hatte sie ihm zumindest in Gedanken gegeben - stürmte nicht geradewegs auf sie zu. Statt dessen bewegte er sich beinahe auf einem parallelen Kurs.
Aber nicht lange. Scheinbar in Reaktion auf ein Signal, das ihr entgangen sein mußte, änderte er die Richtung und drehte in einem riesigen Wendekreis. Als sie die Bewegungen verfolgte, wurde Sam klar, wie gewaltig diese Maschine war. Er muß mindestens 50 Tonnen wiegen, erkannte sie. Und er rennt...
Bevor er seine Drehung beenden konnte, zuckten vier rubinrote Lichtstrahlen über Sams Bildschirm und hart an dem laufenden Roboter vorbei. Heiliges Kanonenrohr! Laser - riesige Laser... Die Strahlbahnen verschwanden, dann blitzten sie wieder auf. Diesmal erwischte eine den Robot am Torso. Sam zuckte zusammen, als dicke Metallbrocken - Panzerung? - abgesprengt wurden und wie Schrapnell zu Boden stürzten.
Der Torso des Zielroboters drehte sich, bis er zurück in die Richtung blickte, aus der er gekommen war. Sam schloß ihre Drehung ab, und der Blickwinkel des Hauptschirms - das ist es, was das Keilsegment auf der Radaranzeige repräsentiert, erkannte sie - erfaßte jetzt auch den zweiten Bogie. Es war ebenfalls ein Robot von ähnlicher Größe wie der erste, aber etwas anderer Bauart. Diese Maschine schien weniger humanoid als die andere, und auf ihren ausladenden Schultern ragten große, offene Kastenaufsätze empor. Im schwachen Licht glaubte Sam, Reihen roter Spitzkegel in den Kästen ausmachen zu können. Raketenlafetten ...?
Der Torso des ersten Roboters beendete die Drehung. Sam sah, wie er die Arme hob und mit seinen Waffen zielte. Rubinrotes Licht - so hell, daß die Strahlen wie solide Farbbalken wirkten - zuckte durch den Staub, flackerte wie ein Blitzlichtgewitter und war verschwunden. Aus dem wuchtigen rechten Arm des Roboters brach mit lautem Donnerschlag ein Strahl azurblauen Lichts - die Farbe von Tscherenkoffstrahlung, dachte Sam.
Gott im Himmel, die versuchen einander zu killen!
Sam riß den Gashebel bis zum Anschlag zurück, und ihr Magen drohte sich zu überschlagen, als ihr Fahrzeug - ist das womöglich auch einer dieser Riesenroboter...? - hart abbremste und zum Stehen kam. Sie schloß die Augen und versuchte, das mechanische Blutvergießen auf dem Bildschirm zu ignorieren. Sie fühlte plötzlich ein verzweifeltes Verlangen, von hier zu verschwinden, zu fliehen - all das abzublocken, was um sie herum geschah, an einen Ort zurückzukehren, an dem die gewöhnlichen, vertrauten Naturgesetze galten... Selbst wenn dieser Ort nur in ihrem Geist existierte. Die Geräusche und Eindrücke der Umgebung schienen zu verblassen. Wie aus einer gewaltigen Entfernung fühlte sie die Muskelbewegungen, mit denen sie ihre Beine an den Brustkorb zog, den Kopf in den Schutz der Oberschenkel senkte...
Nein!
Nein! Dooley, du... darfst... nicht... aufgeben!
Mit der ganzen Kraft ihres Willens kämpfte sie gegen den überwältigenden Drang - das Verlangen - an, sich zu einem Ball zusammenzurollen und die Außenwelt aus ihrem Bewußtsein zu verbannen. Du mußt das durchhalten, Dooley! Gottverdammt! Es gibt keinen einfachen Ausweg. Denk an den Fischadler, Dooley. Volles Risiko.

Zögernd, schmerzhaft langsam, streckte sie ihren Rücken, schob die Beine wieder in den Freiraum unter den Armaturen, stellte die Füße auf die Ruderpedale. Sie zog die Schulterblätter nach hinten, strich sich die Haare aus den Augen. Bleib dran, Dooley. Sie atmete tief ein, hielt die Luft an, so lange sie konnte, dann ließ sie sie leise entweichen. Noch einmal... und wieder. Das Gefühl der Entfernung, der Losgelöstheit, nahm ab - Gott sei's gedankt, auch wenn es nur eine kleine Hilfe ist, dachte sie sarkastisch. Sie ballte die Fäuste. Die Anspannung in den Unterarmen hatte eine beruhigende Wirkung. Ja, sie hatte ihren Körper wieder unter Kontrolle. Sie unterdrückte ein Schaudern und sah wieder auf den Bildschirm.

Die Situation hatte sich weiterentwickelt - oder vielleicht war ›verschlimmert‹ ein passenderer Ausdruck -, während sie gegen den Verrat ihres Körpers angekämpft hatte. Zwei weitere der gigantischen Roboter waren von irgendwo außerhalb des Schirms auf das Kampffeld getreten, und alle vier Kampfmaschinen waren in einem Nahkampf ineinander verkeilt, bei dem sprichwörtlich ›die Fetzen flogen‹. Die Luft war erfüllt vom Staub, den die donnernden Metallfüße aufschleuderten, und die Sichtweite hatte sich auf weit unter eine Meile verringert. Lanzen rubinroten Lichts zuckten und blitzten durch den Dunst, brannten die Panzerung von jeder Fläche, die sie trafen, und zerstörten seltener ganze unidentifizierbare Mechanismen in Sekundärexplosionen. Die azurblauen Strahlen waren sehr viel seltener als die Laserschüsse, schienen aber bei einem Treffer erheblich mehr Schaden anzurichten. Sam zuckte zusammen, als sie einen der blauen Blitze einen Roboterarm sauber abtrennen sah.

Mein Gott... Diese Dinger können eine furchtbare Menge an Schaden einstecken, erkannte sie. Und nicht weniger austeilen. O Mann, was könnte eines von diesen Dingern mit einem Panzerzug machen? Sie erinnerte sich an die Cockpitreihen bei Generro Aerospace. Ganz zu schweigen von acht!

Auf dem Schirm hatte sich eines der Robotmonster in Sams Richtung gedreht. Ein Bombardement von Laserstrahlen blitzte auf und sprengte breite Furchen in den Boden - nur wenige Meter vor ihrem Fahrzeug entfernt. Als wäre dieser Angriff ein stummes Zeichen gewesen, stellten die drei anderen Roboter ihr Feuer ein und wendeten sich schwerfällig in ihre Richtung.

Heilige Scheiße! Dooley, es wird Zeit, daß du deinen Arsch in Sicherheit bringst... Als sie den Gashebel voll nach vorne stieß und auf das linke Ruderpedal stampfte, zuckte eine weitere Lasersalve um sie herum auf. Ein hartes, metallisches Krachen hallte durch ihr Cockpit, und die Rückenlehne schlug gegen ihre Nierengegend. Shit, ich bin getroffen! Plötzlich leuchtete die untere, mit SCHADEN gekennzeichnete Anzeige des Armaturenbrettes auf. Sie sah die schematische Darstellung eines gedrungenen, kantigen, aber grob humanoiden Roboters. (Das fahre ich...?) Der größte Teil der Vektorlinien, die seine Silhouette formten, war grün. Das untere rechte Viertel des Torsobereichs jedoch leuchtete gelb, und die obere Sektion des rechten Beins strahlte orangerot.

Der Tachobalken kletterte die Skala empor, und Sams Fahrzeug - mein Riesenroboter - bewegte sich in einer weiten Kurve nach links. Die vier anderen Roboter glitten auf dem Bildschirm nach rechts und waren bald darauf ganz außer Sicht. Auf der Gefahrenanzeige waren sie jedoch noch zu sehen, und sie schienen sie zu verfolgen. Das Cockpit wurde wieder durchgeschüttelt, und gleich noch einmal. Lauter Explosionsdonner peitschte durch ihre Trommelfelle. Gelbe, orangerote und blutrote Flecken tanzten über das Schadensdiagramm. Die machen mich fertig.

Sie stellte fest, daß es etwas zutiefst Beunruhigendes hatte, Leuten, die auf sie schossen, den Rücken zuzukehren. Selbst als ihre Geschwindigkeit auf 90 stieg und sie die Entfernung zu ihren Verfolgern auf der Gefahrenanzeige wachsen sah, konnte sie die Angst und das Gefühl der Bedrohung nicht abschütteln - ebensowenig wie die überwältigende Notwendigkeit zu sehen, was hinter ihr geschah. Als sie die Drehung beendet hatte und weiter beschleunigte, zog sie den Steuerknüppel hart nach rechts. Das Bild auf dem Monitor und der Keilausschnitt auf der Gefahrenanzeige drehten sich rapide. Nachdem sie die anderen Roboter beobachtet hatte, wußte sie, was jetzt geschah: der Torso ihres Robots drehte sich in der ›Hüfte‹ nach hinten, während er weiter mit höchster Beschleunigung geradeaus hastete. Ihre vier Verfolger kamen bald in Sicht, und sie brachte den Knüppel zurück in die Mitte. Die Drehbewegung stoppte.

Die Ansicht auf dem Monitor war alles andere als beruhigend. Der Boden schien unter ihr wegzufallen. Es war, als würde sie einen Wagen mit Höchstgeschwindigkeit die Straße hinunterjagen und dabei über die Schulter nach hinten sehen. Sie versuchte, ihr Unbehagen so gut es ging unter Kontrolle zu halten, und konzentrierte sich auf ihre Verfolger.

Sie waren acht-, neunhundert Yards hinter ihr. Drei von ihnen fielen zurück, aber einer - die Einheit mit den Raketenlafetten auf den Schultern - schien ihr an Geschwindigkeit ebenbürtig. Oh-oh...

Das Cockpit ruckte und bebte wieder - diesmal nicht von einem Treffer. Sam hatte niemand feuern sehen. Sie riß den Steuerknüppel wieder nach rechts. Als der Torso sich drehte, erkannte sie mit eisigem Schreck, wo das Problem lag. Sie hatte die zerklüfteten Ausläufer des Gebirges erreicht. Und das hieß, sie hetzte mit einem weit über zehn Meter hohen, 50 Tonnen schweren Roboter in ein mit Schluchten, Flußbetten und Felsblöcken übersätes Gebiet. Sie schauderte, als sie sich vorstellte, ihr Roboter könnte
- bei 90 Stundenkilometern - über einen Felsen stolpern. Sie hatte keine andere Wahl: Sie zog den Gashebel zurück und behielt die Augen auf den Armaturen, während die Geschwindigkeit sackte.

Ihre vier Verfolger wurden keineswegs langsamer, wie sie sofort feststellte. Sie jagten mit weiten Schritten näher. Beam mich hoch, Scotty, dachte sie inbrünstig. Am schönsten ist es zu Hause, am schönsten ist es zu Hause... Sie streckte die Hand aus und legte die drei Kippschalter - TELEMETRIE, PEILZEICHEN und KOMM - zurück auf EIN. Ein panisches Stimmengewirr brach aus dem Lautsprecher und ließ sie fast taub werden.

»... abgeschaltet. Ich kann von hier aus kein...« »... einer Rettungsmannschaft?«
»Die Gerüste sind nicht auf multiple Temporärkompensation eingepegelt. Das dauert mindestens eine Stunde...«

»Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt...«

Sam erkannte zwei der Stimmen: Macintyre und Andrea Wallinger. Die anderen waren ihr unbekannt. »He«, rief sie. »Ich wäre jetzt soweit, wann immer ihr es einrichten könnt.«

Das Stimmengewirr verstummte, als habe jemand einen Schalter umgelegt. Dann hörte sie Macintyres Stimme. »Dooley, Ihre Kommverbindung ist wieder online.«

Sag bloß, Sherlock, wollte sie antworten. Aber sie hielt den Mund.
»Wie ist Ihr Status?«
»Delta Sierra, Control«, antwortete Sam und schaffte es, ihre Stimme halbwegs beherrscht klingen zu lassen. »Und es wird mit jedem Augenblick schlimmer.« Hastig klärte sie Macintyre über die Verfolger und die Schadensanzeige auf ihrer Konsole auf. »Wenn Sie mich jetzt hier rausholen wollen, mache ich Ihnen keine Schwierigkeiten«, beendete sie ihren Bericht. »Ich bin bereit für meine Medizin.«
Macintyre antwortete nicht sofort, und plötzlich schien Eiswasser durch Sams Adern zu fließen. »Ich befürchte, so einfach ist das nicht, Samantha«, stellte er leise fest. »Wie weit sind die Bogies entfernt?«
»Vielleicht eine halbe Meile, und sie kommen schnell näher. Wieso ist es nicht so einfach, Macintyre? Ich habe mein Peilzeichen wieder eingeschaltet.« »Mag sein, daß es wieder arbeitet, aber wir brauchen eine gewisse Zeit, um es mit unseren Geräten zu synchronisieren.« Er schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. »Haben Sie irgendeine Ahnung davon, wie komplex die physikalischen Prozesse sind, um die es hier geht?«
»Um ganz ehrlich zu sein, ist mir das im Augenblick scheißegal, Macintyre«, bellte sie. Sie geriet allmählich in Panik, und es wurde immer schwieriger, die Beherrschung zu behalten. »Wir können fachsimpeln, solange Sie wollen, nachdem Sie mich, zum Teufel, hier rausgeholt haben!«
»Keine Panik, Dooley. Hier ist Will Zdebiak.« Sie erkannte die Stimme des Chefpiloten der Mission, die sie beobachtet hatte. »Mac arbeitet daran. Er sagt, er kann Sie in...« - seine Stimme wurde leiser, als er sich abwandte - »Sechzig, Mac?« Er kam zurück ans Mikrofon. »...In sechzig Sekunden erfaßt haben. Geben Sie mir noch mal Ihren Status durch.«
Sams Blick erfaßte den Bildschirm und alle Anzeigen. Ein Teil der gelben Bereiche auf dem Schadensdiagramm waren orange oder sogar rot geworden. Was bedeutet das? Brenne ich...? Sie ballte die Fäuste um Steuerknüppel und Gashebel, bis die Sehnen in ihren Unterarmen schmerzten. Dann lockerte sie den Griff, zwang die Muskeln, sich zu entspannen, und fühlte die Anspannung aus ihrem Körper fließen. Als sie antwortete, überraschte der ruhige Tonfall ihrer Stimme sie selbst. »Okay, Control. Ich bin am Rand der Berge und komme jetzt in unzugängliches Terrain.«
»Nicht weitergehen, Dooley«, unterbrach Will. »Die Mechdatamodelle, die wir benutzen, sind erstklassig für flachen Boden, aber auf unebenem Gelände fliegen die Balancealgorithmen mit Düsenantrieb zum Fenster raus. Verstanden?«
»Sie meinen, ich könnte Gänseblümchen riechen.«
»Korrekt. Und in einem 50-Tonnen-BattleMech einen Kopfstand zu versuchen ist nicht gerade das, was der Onkel Doktor verschrieben hat, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Ein Teil von Sams Verstand - der Teil, der nicht mit ihrem unmittelbaren Überleben beschäftigt war - registrierte Wills Mitteilung zur späteren Auswertung. Mech, dachte sie. BattleMech. Also so heißen diese Dinger. »Wenn ich das richtig verstehe, gilt diese Einschränkung nicht für die Banditen?« stellte sie trocken fest.
»Das ist korrekt«, bestätigte der Pilot. »Kommen sie immer noch näher?«
»Zwei halten sich zurück«, teilte sie ihm nach einem Blick auf den Bildschirm und die Radaranzeige mit. »Die beiden anderen rücken weiter vor, aber sie sind erheblich langsamer geworden.«
»Gut.« Sie hörte raubtierhafte Zufriedenheit in der Stimme des Mannes. »Sie wissen nicht so recht, was sie von Ihnen halten sollen. Haben Sie schon das Feuer erwidert?«
»Womit?« fragte sie.
Will kicherte. »Ach, mit dem üblichen«, stellte er fröhlich fest. »Autokanonen. Laser. Raketen. Partikelprojektorkanonen. Sie wissen es vielleicht nicht, aber Sie sitzen auf einem recht beeindruckenden Arsenal, Dooley.«
»Beeindruckend genug, um vier Mechs zu Schrott zu schießen?«
»So beeindruckend nun auch wieder nicht.«
Hätte mich auch gewundert, dachte sie zynisch.
»Sie sollten denen etwas zu denken geben«, führte Will weiter aus. »Nennen wir es Unterdrückungsfeuer. Um uns etwas mehr Zeit zu verschaffen, in der wir Ihr Peilzeichen erfassen und Sie da rausziehen können. Okay?«
»He, ich bin für jeden Vorschlag dankbar.«
Der Pilot lachte wieder. Sam stellte sich vor, wie seine stahlgrauen Augen amüsiert funkelten. »Ich erkläre es Ihnen Schritt für Schritt«, beruhigte er sie. »Sie haben wahrscheinlich schon bemerkt, daß der Steuerknüppel Ihr Fadenkreuz kontrolliert.« Sie grunzte eine Zustimmung. »Haben Sie Ihre Waffen rekonfiguriert?«

»Wie denn?«
»Stimmt. Okay, in dem Fall liegt alles - und ich meine wirklich alles - auf dem Pistolenabzug. Sie brauchen nur das Fadenkreuz auf ein Ziel zu ziehen - zum Beispiel den nächsten Mech - und den Auslöser durchzudrücken. Ihre Betriebstemperatur wird in die Stratosphäre steigen, aber da wir Sie jeden Augenblick da rausgeholt haben dürften, brauchen Sie sich deswegen keine grauen Haare wachsen zu lassen. Alles klar?«
Sam zuckte die Achseln. »Den Versuch ist es wert. Und treten Sie Macintyre für mich in den Hintern, okay?«
»Noch fünfundvierzig Sekunden, Samantha.« Das war Macintyres Stimme. An ihrem Tonfall erkannte sie, daß der junge Ingenieur sie aufzumuntern versuchte, aber es gelang ihm nicht. Beim letztenmal hat er sechzig Sekunden gesagt... und das war vor über einer Minute. Das ist wie ein ›2-Minuten-Drill‹ beim Football.
Nur einer der feindlichen BattleMechs rückte noch vor, und selbst der hatte sich dramatisch verlangsamt. Will hatte recht, erkannte sie: Die Verfolger wußten mit ihr nichts anzufangen und wollten nicht kopfüber in eine unhaltbare Situation oder womöglich sogar einen Hinterhalt stürmen. Aber selbst mit Gehgeschwindigkeit würde der vorderste Mech sie in dreißig Sekunden erreicht haben. Sie wischte die schweißnasse Rechte am Oberschenkel ab, dann griff sie wieder den Steuerknüppel.
Sie zwang sich, das Schwanken zu übergehen, mit dem der Torso ihres Mechs sich drehte. Der Knüppel war überraschend leichtgängig, und es kostete sie ein, zwei Sekunden, das Fadenkreuz über die ausladende Silhouette des näher kommenden BattleMechs zu ziehen. Als sie das Ziel anvisiert hatte, blinkte auf dem Schirm eine Entfernungsangabe auf. Dreihundertfünfzig Meter. Das ist nah genug, Bürschchen. Sie spannte sich an und drückte den Feuerknopf.
Der Lärm, der durch ihr Cockpit brandete, war unglaublich. Es war eine Kombination aus dem Kreischen von Schnellfeuer-Maschinengewehren, dem Wummern einer Waffe mit viel niedrigerer Feuergeschwindigkeit, aber größeren Projektilen, dem unverwechselbaren Seufzen sich entladender Akkumulatoren und einem Donnerschlag, als sei ein Blitz in das Kanzeldach gefahren. Sams Ohren klingelten unter dem Eindruck dieser Essenz moderner Kriegsführung.
Auf dem Bildschirm verschwand der feindliche Mech in einem flammenden Inferno. Laser schälten metallische Haut und Panzerung ab. MG-Salven blitzten und tanzten über die Facettenkanten des Mechkopfes. Ein azurblauer Blitzschlag ließ den Boden unter den Füßen des Ziels explodieren und schleuderte Tausende Pfund Staub und Erde in die Luft. Eine Sekunde später loderten über den gesamten Mechrumpf verteilt rote Feuerblumen auf, als eine Raketensalve ihr Ziel erreichte. Sekundärdetonationen zuckten. Rauch breitete sich zu einem von roten Flammen durchzogenen schwarzen Wolkenball aus, in dem der BattleMech völlig verschwand.
»Herr im Himmel...«, keuchte Sam. Sie konnte die Gewalt der Feuerkraft nicht fassen, die sie gerade ausgelöst hatte. Sie zog den Auslöser kein zweites Mal durch, sondern starrte nur wie gebannt auf den Schirm und wartete, daß sich der Rauch verzog und die Trümmer ihres Ziels freigab.
Sie kreischte fast vor Entsetzen, als der feindliche Mech aus der Qualmwolke auf sie zumarschierte. Er war offensichtlich beschädigt. Der gesamte Kopf war rußgeschwärzt, und im Torso klafften mehrere Löcher, durch die das Strebenwerk der internen Rumpfstruktur sichtbar war. Der rechte Arm hing in einem so seltsamen Winkel herab, als sei der Ellbogen zerschmettert. Aber er stand noch aufrecht, und er kam näher. So zugerichtet, wirkte er noch bedrohlicher als vor ihrem Angriff.
»Mac!« schrie sie und konnte die beginnende Hysterie in ihrer Stimme selbst erkennen. »Ich will hier weg, Mac.«
»Noch dreißig Sekunden, Samantha.«
Die beiden offenen Kästen auf den Schultern des feindlichen Mechs spien weißen Rauch. Ein Dutzend kleine, dicke Raketen - weiß, mit grellroten Sprengköpfen - schossen aus den Rohren, sechs aus jeder Lafette. Sie sah sie kurz zittern, dann hatten sie offensichtlich ihr Ziel erfaßt und jagten in kerzengerader Linie heran.
»Ich habe keine drei Sekunden, Mac. Raketen im Anflug.« Sie sah die Projektile näher kommen. Sie zogen überraschend dünne Kondensstreifen hinter sich her. Sie stählte sich für den Einschlag...