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SIEBENUNDZWANZIG

In dem Moment, als ich vor Dacian stand, fuhr mir sofort ein Gedanke durch den Kopf: Wow, er hat sich stärker verändert, als ich dachte!

Mein zweiter Gedanke war: Aber er ist immer noch süß. Voll süß, supersüß – und er sieht so aus, als wäre er in meinem Alter. Welche Erleichterung!

Dann war er eben nicht so selbstbewusst. Na und?

Und nicht so adelig und vornehm, wie zu dem Zeitpunkt, an dem ich ihn kennen gelernt hatte. Na und?

Ich für meinen Teil war froh, dass er nicht nach meiner Hand griff und sich verbeugte, um sie zu küssen, sondern mir stattdessen zuwinkte und »Hey« sagte.

Aber das lag wahrscheinlich daran, dass er nicht wirklich der Sohn eines römischen Senators war, der in den vergangenen Jahrhunderten sein altes Leben nicht hatte loslassen wollen. Das war nur eine Rolle, in die er gedrängt worden war.

Wie sich herausstellte, war er Seelenfänger – genau wie ich.

»Tatsächlich?« Ich konnte es kaum glauben und hatte Schwierigkeiten, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Außer Bodhi hatte ich noch keinen anderen Seelenfänger kennen gelernt, und ich war begeistert. Somit hatten wir schon etwas gemeinsam.

Er nickte, und sein Haar fiel ihm dabei in die Augen. Offensichtlich war es ihm peinlich, das zuzugeben. »Hast du mich wirklich für einen echten Togaträger gehalten?«

Ich nickte lachend. »Ja, zumindest am Anfang. Später war ich davon überzeugt, dass du nur eine Fälschung warst.«

Er blinzelte und wusste nicht recht, wie er das verstehen sollte.

»Du weißt doch, dass Messalina all diese Partygäste manifestiert hatte? Nun, ich dachte, du wärst einer von ihnen. Ich hielt dich für ein seelenloses Wesen und war fest davon überzeugt, dass sie dich nur erschaffen hatte, um mich abzulenken.« Ich zuckte die Schultern. »Wie auch immer – wie lange hast du festgesteckt?«

Er seufzte, wandte seinen Blick ab und schob seine Hände tief in seine Hosentaschen. »Sehr, sehr lange. Zumindest hat es sich so angefühlt. Ich kann es nicht genau sagen.«

»Und was hat dich herausgeholt?«, fragte ich. Ich hatte das noch nie beobachten können und war wirklich neugierig.

Hatte die Welt sich aufgelöst, als Theocoles und Messalina sie verlassen hatten – oder bestand sie weiter? Streiften immer noch andere Seelenfänger durch diesen traurigen, schrecklichen Ort, verloren in einer längst vergangenen Zeit? Da ich meine Mission beendet hatte, würde ich das wohl nie erfahren.

Dacians Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Du«, sagte er.

Ich neigte den Kopf zur Seite und war mir fast sicher, dass ich mich verhört hatte.

Aber bevor er die Gelegenheit hatte, das Wort zu wiederholen, kam Bodhi zu uns. »Ein paar von uns planen eine Gondelfahrt. Seid ihr dabei?«

Ich schaute Dacian an, und er erwiderte meinen Blick, bevor wir beide wie aus einem Munde und im gleichen Tonfall antworteten »Okay!« und dann gemeinsam in Gelächter ausbrachen.

In Bodhis Augen lag ein Funkeln, das ich nicht deuten konnte. »Großartig«, meinte er. »Ihr könnt euch eine Gondel mit uns teilen. Vier Leute und Buttercup haben sicher darin Platz.«

Obwohl ich mich auf eine Gondelfahrt freute, warf ich ihm einen misstrauischen Blick zu.

Bodhi wollte nie Zeit mit mir verbringen.

Eher das Gegenteil war der Fall. Er versuchte immer, mich loszuwerden, um Zeit mit seiner Freundin verbringen zu können. Und da sich meine Geburtstagsparty dem Ende zuneigte, fiel es mir schwer zu glauben, dass er tatsächlich mit mir, Dacian und meinem Hund abhängen wollte, wenn er die Gelegenheit hatte, mit Jasmine eine der romantischsten Städte der Welt zu erkunden.

»Ich dachte, es könnte Spaß machen«, sagte Bodhi und fuhr mit der Hand durch die Luft, als er meinen skeptischen Blick sah. »Aber vielleicht habe ich mich geirrt. Kein Problem, wir suchen uns eine eigene Gondel.«

Er wandte sich zum Gehen, als mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss. Vielleicht versuchte Bodhi gar nicht, mich zu kontrollieren, mich zu überwachen oder ständig zu beobachten. Vielleicht versuchte er einfach, freundlich zu mir zu sein, mich besser kennen zu lernen, ein wenig mehr Zeit außerhalb unseres Seelenfängerjobs mit mir zu verbringen und ein wenig Spaß zu haben, jetzt, da ich ein Teenager war und wir uns altersgemäß näher waren. Vielleicht hatte ich mich bereits so sehr daran gewöhnt, keine Freunde zu haben, dass ich nicht mehr wusste, wie man sich Freunden gegenüber benahm.

»Warte!« Ich trat einen Schritt nach vorne und packte ihn am Ärmel. »Ich würde sehr gern mitkommen – das hört sich gut an.« Ich nickte und bemühte mich, ihm zu zeigen, dass ich es ernst meinte.

Ich wandte mich wieder an Dacian, um zu sehen, ob er damit einverstanden war, und als er nickte, meine Hand nahm und seine Finger mit meinen verschränkte, spürte ich, wie meine Wangen heiß wurden.

Bodhi war diese Geste nicht entgangen. Er hob die Augenbrauen und sah nachdenklich zwischen Dacian und mir hin und her. »Dann lasst uns gehen. Das Boot wartet schon!«

Wir verließen den wunderschönen Palast in einer langen Prozession – eine Reihe von Geistern schlüpfte durch eine alte, verschlossene Tür und wanderte durch ein Gewirr von engen Gassen zu einem Platz, wo die Gondeln verankert waren.

Plötzlich hielt Bodhi mich auf und bat Dacian und Jasmine, weiterzugehen – wir würden gleich nachkommen. Dann zog er mich in eine kleine Boutique. »Ich möchte dir etwas zeigen.«

Ich starrte ihn verblüfft an – ich hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. Ich meine, ja, die Klamotten, die hier verkauft wurden, waren alle sehr schick, aber für mich gab es keinen Grund, welche einzukaufen, da ich mir neue Kleidungsstücke nach Lust und Laune selbst manifestieren konnte. Außerdem gefiel mir das, was ich gerade trug. Ich hatte schon so viel ausprobiert, dass ich nicht auf der Suche nach etwas Neuem war.

Er schob mich vor einen bodenlangen Spiegel. »Schau hinein«, forderte er mich auf, und ich folgte.

Ich sah eine blonde Pferdeschwanzfrisur, hellblaue Augen, Wangenknochen, die ein wenig ausgeprägter waren, als ich sie in Erinnerung hatte – und die daher meine Nase nicht mehr ganz so knubbelig wirken ließen! –, und einen Oberkörper, der nicht mehr ganz so eingefallen wirkte. Tatsächlich wölbte sich mein T-Shirt leicht nach vorne.

Okay, vorwölben war vielleicht nicht das richtige Wort dafür – eher eine kleine Übertreibung. Aber zum ersten Mal fiel der Stoff nicht in sich zusammen, das kann ich mit Sicherheit sagen. Und ja, der Anblick machte mich stolz.

Aber wie sich herausstellte, war das nicht das, worauf Bodhi mich aufmerksam machen wollte. Er deutete auf mein Glühen.

»Warum hast du es abgelegt?« Er sah mich eindringlich an, um zu begreifen, warum ich das getan hatte, obwohl mir mein Glühen so viel bedeutete.

»Ich wollte mich anpassen.« Ich zuckte die Schultern und ließ gespannt den Blick über mein Spiegelbild gleiten. »In Messalinas Welt besaß niemand ein Glühen. Aber, ehrlich gesagt, hat die abgeschwächte Form nach meinem Besuch im Traumland mich auch ständig daran erinnert, wie sehr ich versagt hatte – und welchen weiten Weg ich noch vor mir habe.«

»Und jetzt?« Bodhis Stimme klang ruhig und sanft, wenn auch ein wenig drängend.

»Und nun scheine ich auf einem guten Weg zu sein.« Ich grinste und betrachtete mein starkes grünes Glühen. Es erinnerte mich an die Farbe von Bodhis Glühen an dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegneten und an dem er mein Führer wurde – ein Ereignis, das den Verlauf meines Lebens im Hier und Jetzt gründlich verändert hatte.

Messalina hatte ich es zu verdanken, dass ich einen guten Einblick in die Zukunft bekommen hatte. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, wozu ich fähig war. Ebenso wie Bodhi. Und obwohl ich noch nicht wusste, was die Zukunft mir bringen würde, wusste ich, dass es eine Zukunft für mich gab. Davon war ich überzeugt.

Eine Sache hatte sich allerdings geändert – ich hatte es nicht mehr so eilig, dorthin zu gelangen. Ich lief nicht mehr darauf zu. Stattdessen hatte ich beschlossen, jeden Tag so zu genießen, wie er kam. Wie die alten Römer sagten: Carpe diem! Nutze den Tag!

»Bist du glücklich?«, fragte Bodhi, und ein Blick in seine Augen sagte mir, dass ich ihm jetzt keine flapsige Antwort geben oder einfach nur die Schultern zucken durfte. Mir war klar, wie ernst er diese Frage meinte.

Ich hielt einen Moment inne, um meine Gedanken zu ordnen. Ich schwankte zwischen einer tief greifenden und einer simplen Antwort, doch bevor ich mich entscheiden konnte, kam Buttercup in den Laden. Er stürmte auf mich zu, packte mein Hosenbein und zerrte mit seinen Zähnen daran.

»Die Boote warten. Kommt ihr zwei?« Jasmine sah ein wenig besorgt zwischen uns hin und her.

Ich nickte und ließ mich lachend von Buttercup nach draußen ziehen, wo Dacian wartete. Seine Hand griff nach meiner, und ich warf einen Blick über meine Schulter und sah Bodhi in die Augen. »Ja«, erwiderte ich. »Die Antwort auf deine Frage lautet ja. Ich war noch nie so glücklich wie jetzt.«