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VIERZEHN

Möchtest du?« Dacian deutete auf eine große Platte mit Süßigkeiten, die ein Diener vorbeitrug.

Aber ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Lust auf Süßigkeiten. Stattdessen sehnte ich mich nach frischer Luft und dem Nachthimmel und wollte einfach nur von hier weg.

»Ich würde gern für eine Weile nach draußen gehen.« Meine Stimme klang hell und mädchenhaft, aber zugleich auch ernst. »Ich denke, ich brauche ein wenig frische Luft.«

Dacian nickte und bot mir seinen Arm an. Als ich mich bei ihm untergehakt hatte, führte er mich durch eine Reihe überfüllter Räume, bis wir schließlich auf einem Balkon standen, der zu der Arena hinausführte, in der die Gladiatoren tagsüber trainierten.

»Schau dir nur alle diese Sterne an!« Ich legte den Kopf in den Nacken, und meine kunstvoll drapierten Locken fielen mir bis zur Taille, als ich die Weite des prächtigen Himmels betrachtete.

»Kennst du die Sternbilder?«, fragte Dacian.

Ich erwiderte lächelnd, dass ich zwar die meisten von ihnen kannte, mich aber freuen würde, wenn er sie mir zeigen würde.

»Nun gut, dann lass uns mal sehen …« Er blinzelte in die Dunkelheit. »Gleich hier ist Kassiopeia.« Er deutete nach oben und bewegte dann langsam seinen Finger weiter. »Und dort drüben befindet sich natürlich Draco, der Drache. Und wenn ich mich nicht irre, liegt rechts daneben die Große Aurelia.«

»Die Große Aurelia?« Ich schüttelte lachend den Kopf. »Und wann genau wurde dieses Sternbild entdeckt? Ich höre zum ersten Mal davon.«

»Oh, das gibt es tatsächlich, glaub mir.« Als er lächelte, schimmerten seine weißen Zähne, und in seinem süßen Gesicht bildeten sich tiefe Grübchen. Und ich hatte das Gefühl, als flatterten unzählige Schmetterlinge in meinem Bauch. »Wie kann ich dir das beweisen?«

Die Frage hing zwischen uns in der Luft. Er flirtete mit mir und forderte mich spielerisch heraus, und ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte. Aber wenn ich nicht irgendetwas unternahm, nichts erwiderte, den Blick senkte oder zurückwich, dann würde Dacian mich küssen, das war mir klar.

Und ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das wollte – doch ich war mir auch nicht sicher, ob ich diese Gelegenheit verpassen wollte. Möglicherweise war es meine einzige Chance, einen Kuss von ihm zu bekommen.

Er rieb seine Lippen aneinander und legte seine zitternden Finger auf meinen Arm, bevor er die Augen schloss und sich zu mir vorbeugte. Ich blieb wie erstarrt vor ihm stehen und bemühte mich, kein einziges Detail zu verpassen – später würde ich mir alles noch einmal ganz genau durch den Kopf gehen lassen wollen, das wusste ich.

Ich nahm das Gelächter in der Ferne und das Rascheln meines Kleides wahr, als Dacian seine Hand von meinem Arm zu meiner Taille gleiten ließ und mich näher zu sich heranzog. Und bevor ich noch auf mehr achten konnte, hatten seine Lippen meinen Mund bereits gefunden. Er drückte sie kurz darauf – einmal, zweimal – und zog seinen Kopf dann rasch wieder zurück.

Dacian grinste, legte seinen Arm um mich und schaute wieder hinauf zu den Sternen. Zwischen uns breitete sich ein Schweigen aus, das schon bald so weit schien wie der Himmel. Aber anstatt es so schnell wie möglich zu brechen, ließ ich zu, dass es sich weiter ausbreitete. Wir würden noch genug miteinander reden, und im Augenblick war ich entschlossen, die Stille so lange wie möglich zu genießen.

»Schau!« Dacian deutete aufgeregt mit dem Finger nach oben in den Himmel. »Da ist die Kleine Aurelia! Direkt rechts neben der Großen Aurelia! Glaubst du mir jetzt?« Unsere Blicke trafen sich, und ich sah in seinen Augen das Gleiche, das ich tief in meinem Inneren ebenfalls empfand.

Wir mochten uns – das ließ sich nicht leugnen.

Ich wandte meinen Blick ab. Plötzlich war ich schüchtern und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fragte mich, ob ich ihn damit aufziehen sollte, dass es ihm nicht gelungen war, sich anständig zu benehmen, und dass der kurze Kuss, den wir getauscht hatten, ausreichte, um meine Drohung wahrzumachen und einen Gladiator herbeirufen zu lassen. Aber ich entschied mich dagegen. Ich befürchtete, er könnte mich ernst nehmen und mich daher nie wieder küssen – und das wollte ich nicht riskieren.

»Ist dir kalt?« Er strich mit einer Hand über meinen Arm, um mich zu wärmen.

»Ein bisschen.« Ich zuckte die Schultern. Es war mir nicht bewusst gewesen, dass ich zitterte, bevor er es erwähnt hatte.

Er sah mich an, und sein Blick wirkte leicht verschleiert, so als würde er mich wieder küssen wollen. Doch als er sich mir näherte, fiel mir etwas Glitzerndes, Leuchtendes ins Auge, etwas Eindrucksvolles, was in hoher Geschwindigkeit über den Himmel schoss.

Und als ich meinen Kopf drehte, um es besser sehen zu können, beugte sich Dacian vor, um mich zu küssen. »Schau doch, eine Sternschnuppe …«, rief ich in dem Moment, als wir mit unseren Nasen zusammenstießen.

Wir traten beide erschrocken und peinlich berührt zurück und brachen dann in ein unkontrollierbares Gelächter aus. Wir bogen uns vor Lachen, konnten uns kaum mehr auf den Beinen halten und hoben beide unsere Hände ans Gesicht, um zu prüfen, ob wir uns verletzt hatten. Dieser Anblick führte zu einem erneuten Lachanfall, der uns beide außer Gefecht setzte.

Bis unser Gekicher von einer Stimme unterbrochen wurde. »Hi. Äh, es tut mir leid, wenn ich euch störe, aber ich habe gehofft, dass ihr mir vielleicht helfen könntet.«

Ich drehte mich um und ließ meine Hand fallen, als ich den Fremden vor mir sah. Ich ließ meinen Blick über die braune Haarsträhne gleiten, die über seine Augenbrauen bis zu auffällig grünen, von dichten Wimpern umrahmten Augen fiel. Dann musterte ich seine merkwürdige, fremdartige Kleidung, die deutlich zeigte, dass er nicht von hier stammte. Dazu gehörte auch ein Paar klobige Schuhe, das sich in keiner Weise mit den Riemchensandalen aus Leder vergleichen ließ, die alle anderen Jungen und Männer hier trugen. Als ich meinen Blick wieder nach oben wandern ließ, bemerkte ich, dass er auf einem absonderlichen grünen Objekt herumkaute, das aus seinem Mundwinkel ragte. Es ließ ihn noch merkwürdiger aussehen, als er ohnehin wirkte. Alles an ihm war seltsam – und trotzdem konnte ich meinen Blick nicht von ihm abwenden, so sehr ich mich auch bemühte.

Dacian stellte sich vor mich, als wollte er mich beschützen  – eine nette Geste, die ich aber eigentlich ein wenig übertrieben und unnötig fand. »Und wobei brauchst du Hilfe?« Er musterte den Fremden fast ebenso gründlich, wie ich es getan hatte.

»Ich bin auf der Suche nach … einer Freundin.« Die Stimme des Fremden klang zurückhaltend und vorsichtig. »Ich bin in gewisser Weise für sie verantwortlich, und ich habe mich gefragt, ob ihr sie vielleicht gesehen habt. Sie ist zwölf Jahre alt, nicht sehr groß für ihr Alter, blond und hat blaue Augen. Und ihr Name ist …«

Ich schaute dem Fremden in die Augen und wusste nicht recht, was ich davon halten sollte, wie er mich fixierte.

Schockiert.

Und ungläubig.

Er schien mich nicht nur direkt anzusehen, sondern durch mich hindurchzuschauen, sozusagen über mich hinaus. Ich hatte keine Ahnung, was er wahrnahm, aber irgendetwas hatte anscheinend sein Interesse geweckt.

»Riley?« Seine Stimme kippte, und das grüne Ding fiel ihm aus dem Mund und landete auf dem Boden. Er kam vorsichtig auf mich zu und blieb stehen, als Dacian vor ihm warnend die Hand hob.

»Bis hierher und nicht weiter.« Dacians Stimme hatte einen drohenden Unterton. »Bei uns bist du falsch, also solltest du besser weitergehen.«

Falls der Fremde ihn gehört hatte, ignorierte er ihn einfach. Und obwohl er nicht weiter auf mich zukam, starrte er mich vollkommen verblüfft und fasziniert an. »Riley? Riley Bloom? Sagt dir der Name etwas?«, fragte er.

Meine Wangen wurden heiß, als ein vertrautes Gefühl in mir aufstieg, und obwohl ich wusste, dass ich wegschauen sollte, brachte ich es nicht fertig. Ich blieb wie angewurzelt stehen.

»Wie ich schon sagte«, mischte Dacian sich ein und ging einen weiteren Schritt auf den Fremden zu. »Du bist auf der falschen Feier gelandet. Hier gibt es keine  … Riley Bloom.« Er brachte den Namen nur schwer über die Lippen. »Es wird Zeit, dass du dich wieder auf den Weg machst.«

Der Fremde schaute zwischen uns hin und her und hielt dann so lange meinen Blick fest, dass ich mich unwillkürlich krümmte.

Der Fremde bemerkte, dass Dacian sich anspannte und seine Hände zu Fäusten ballte. »Keine Sorge, ich werde verschwinden«, sagte er. Und als er sah, dass Dacian seine drohende Haltung nicht änderte, wandte er sich zum Gehen und warf dabei einen Blick über seine Schulter. »Zumindest fürs Erste.«