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SIEBZEHN

Ich brauchte frische Luft. Und eine Pause von der Menge und dem Lärm. Und so süß Dacian auch war, ich musste auch für einen Augenblick weg von ihm.

»Wartest du hier auf mich?« Ich lächelte ihn an und fuhr mir mit der Hand durch das Haar, um es noch voller und üppiger wirken zu lassen. Er war offensichtlich so vernarrt in mich, dass er wohl fast alles tun würde, worum ich ihn bat.

»Ich komme mit dir«, erklärte er und machte Anstalten, mir zu folgen.

»Nein«, widersprach ich mit fester Stimme.

Er blieb stehen, trat einen Schritt zurück und sah mich verletzt an.

»Bitte«, fügte ich mit sanfterer Stimme hinzu, obwohl es mir widerstrebte. »Ich brauche nur einen Moment für mich. Ich werde im Handumdrehen zurück sein, das verspreche ich dir.«

Er nickte zögernd und ließ mich gehen. Und obwohl ich am liebsten gerannt wäre, zwang ich mich dazu, mir langsam meinen Weg durch die Menge der Partygäste zu bahnen und zur Tür hinauszugehen.

Ich lehnte mich gegen die Brüstung des Balkons, legte meinen Kopf in den Nacken, genoss die Nacht und hoffte, dass die kühle Luft ein kleines Wunder bewirken und mir helfen würde, meine Verwirrung und alle diese merkwürdigen Gefühle, die in meinem Inneren an mir nagten, zu bewältigen.

Ich hatte alles, was sich ein Mädchen wünschen konnte, und trotzdem fehlte mir irgendetwas, von dem ich nicht wusste, was es war.

Ich sah zum Himmel hinauf und hielt Ausschau nach Sternbildern. Kassiopeia und Draco entdeckte ich sofort, aber Andromeda fand ich nicht.

»Andromeda ist dort rechts.«

Ich erstarrte und rechnete damit, Dacian neben mir zu sehen, doch es war ein Fremder.

»Woher hast du gewusst, dass ich nach Andromeda Ausschau halte?« Ich betrachtete sein dichtes braunes Haar, seine strahlend grünen Augen und das merkwürdige grüne Objekt, das er sich zwischen die Zähne geklemmt hatte.

»Weil Andromeda dein Lieblingssternbild ist.« Er lächelte und kam einen Schritt näher.

»Und woher willst du das wissen?«, fragte ich gereizt.

»Gute Frage.« Er nickte und tat so, als würde er nachdenken. »Woher könnte ich das wissen?« Er kam noch näher, bis er dicht neben mir stand. »Denk nach, Riley. Schließ deine Augen, blende alles um dich herum aus und denk scharf nach. Woher könnte ich das wissen? Versuch dich zu erinnern.«

»Ich … ich weiß es nicht …« Ich sah mich um und bedauerte plötzlich meine Entscheidung, allein nach draußen gegangen zu sein. »Und warum nennst du mich Riley?«

»Weil das dein Name ist.«

»Mein Name ist Aurelia«, widersprach ich, aber der Zweifel in meiner Stimme war nicht zu überhören.

»Tatsächlich?« Er schob das grüne Ding zwischen seine Vorderzähne und starrte mich durchdringend an.

»Hör zu, ich weiß nicht, was du …« Mir blieben die Worte im Hals stecken, weil ein wunderschöner gelber Hund auf mich zulief, aufgeregt mit seinem buschigen Schwanz wedelte und mir begeistert die Finger ableckte. »Wer ist das?« Ich war nicht sicher, ob ich mich von der Aufmerksamkeit des Tiers geschmeichelt fühlen sollte, oder ob es mich nicht eher anekelte, so abgeschlabbert zu werden.

»Das ist Buttercup, dein Hund, und er freut sich riesig, dich zu sehen. Du warst eine lange Zeit weg, Riley. Viel zu lange. Wir haben uns beide große Sorgen um dich gemacht.«

»Sorgen? Um mich? Warum solltet ihr euch Sorgen um mich machen?«

»Weil ich …« Der Fremde hielt inne und zwang sich dazu, einen Moment zur Seite zu schauen, bevor er fortfuhr: »Weil es mein Job ist, mich um dich zu kümmern.«

»Dein Job? Was bist du – mein Schutzengel oder so etwas?« Der Gedanke brachte mich zum Lachen.

»Ich bin dein Führer. Nicht ganz dasselbe, aber einige Ähnlichkeiten gibt es schon.«

»Hast du eine Ahnung, wie verrückt sich das anhört?« Ich schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich sollte ich schnell zu dem Fest zurückkehren.

Aber aus irgendeinem Grund brachte ich es nicht fertig.

Ich blieb einfach wie angewurzelt stehen.

»Nur weil sich etwas verrückt anhört, ist es deshalb nicht weniger wahr.« Er senkte den Kopf und sah durch seine dichten Wimpern zu mir auf. »Manchmal muss man einfach Vertrauen haben, alles beiseiteschieben, was man vor sich sieht, nicht auf das achten, was andere Menschen einem sagen, und sich auf das konzentrieren, was man tief in seinem Inneren spürt. Und auf das hören, was einem das eigene Herz sagt.«

Ich schaute zwischen dem Fremden und dem Hund hin und her und wandte mich zum Gehen, doch der Klang seiner Stimme hielt mich zurück. »Du siehst toll aus, Riley. Wirklich.«

Mein Atem beschleunigte sich, und mir lief ein Schauer über den Rücken.

»Ich kann verstehen, warum du dich entschieden hast, hierzubleiben. Als ich dich das erste Mal so sah, ist mir die Luft weggeblieben.« Er schüttelte den Kopf und fuhr sich nervös mit der Hand über das Kinn. »Und jetzt kann ich nur hoffen, dass du dich nicht an diese Worte erinnern wirst, wenn ich einen Weg gefunden habe, dich von hier wegzubringen.«

Ich drehte die Ringe an meinen Fingern und konnte meinen Blick nicht von ihm lösen. Ich prägte mir die Worte sorgfältig ein – ich spürte, dass sie viel bedeutungsvoller waren, als es im Augenblick schien. Und ich war sicher, dass ich mich irgendwann danach gesehnt hatte, sie zu hören, obwohl ich keine Ahnung hatte, wer dieser Junge war.

Oder wusste ich es doch?

Ich war mir plötzlich nicht mehr sicher.

»Du weißt, dass das alles nicht echt ist, oder?« Seine Stimme klang sanft, und seine Augen verrieten mir, dass er es gut mit mir meinte. »Du weißt, dass du das akzeptieren musst – du musst deinen Weg von hier weg finden. Du kannst all das und noch viel mehr haben. Eigentlich befindest du dich bereits auf gutem Weg dorthin. Du musst nur Geduld haben, Riley. Das wird alles noch kommen, das verspreche ich dir. Alles, was du dir wünschst, kannst du im Hier und Jetzt haben – dazu musst du nicht hierbleiben.«

Das Kribbeln, das ich bei seinen Worten spürte, verflog schnell. Er täuschte sich. Ich musste hierbleiben. Davon hing alles ab, was ich jetzt war. Er hatte keine Ahnung, wovon er sprach.

»Hör zu«, begann ich mit verächtlicher Stimme und sah ihm in die Augen. »Ich weiß nicht, wer du zu sein glaubst, aber …«

»Mein Name ist Bodhi.« Er nickte und deutete dann auf das Tier. »Ich bin dein Führer, Buttercup ist dein Hund, und du bist nicht Aurelia, sondern Riley. Eine zwölfjährige Seelenfängerin, die im Hier und Jetzt zuhause ist. Du besuchst Rom im Rahmen eines Auftrags. Du sollst einen Gladiator namens Theocoles finden und ihn dazu überreden, die Brücke zu überqueren. Du stammst nicht aus dieser Zeit. Das ist nicht dein Zuhause. Diese Leute sind nicht deine Freunde. Und im wahren Leben siehst du nicht so aus wie jetzt. Du bist tot. Und es wird allmählich Zeit, dass du dich von hier losreißt und zurückkommst.«

Tot?

Tot!

Ich schloss meine Augen und drängte die aufsteigenden Tränen zurück, dir mir über die Wangen zu laufen drohten. Ich raffte mein Kleid, schüttelte den Kopf und sah ihn wieder an. »Nein! Nein«, rief ich, aber meine Stimme klang müde, gebrochen und wenig überzeugt. »Ausgeschlossen. Du musst jetzt gehen – sofort. Und nimm deinen …« Ich schluckte und bedauerte meine Worte, noch bevor ich sie ausgesprochen hatte. Aber ich hatte keine Wahl. Ich sehnte mich verzweifelt danach, bei Aurelia zu bleiben, und je länger sie blieben, umso schwieriger würde das werden. »Nimm deinen stinkenden Köter mit, sonst rufe ich um Hilfe und lasse euch beide hinauswerfen.«

Der Hund schaute mich aus zusammengekniffenen Augen an und klemmte seinen Schwanz zwischen die Hinterbeine, als er hörte, wie ich ihn als stinkenden Köter bezeichnete. Obwohl mich der Anblick traurig stimmte, entschuldigte ich mich nicht dafür. Ich musste die beiden loswerden und wieder hineingehen. Mein Leben als Aurelia hing davon ab.

»Riley, bitte …«

Bodhi, der Fremde, der vorgab, mein Führer zu sein, streckte die Hand nach mir aus, berührte mich, packte mein Handgelenk und bat mich, mit ihm zu kommen. Und beinahe hätte ich nachgegeben. Doch dann erschien Messalina wie aus dem Nichts, und neben ihr stand Dacian.

»Gibt es ein Problem?« Sie kniff zornig die Augen zusammen.

Ich wand mich aus Bodhis Griff und rieb die warme Stelle, wo seine Finger gelegen hatten, als könnte ich es kaum erwarten, die letzte Spur von ihm zu entfernen.

»Alles in Ordnung«, erwiderte ich und stellte mich neben Dacian. »Er hat sich auf die falsche Party verirrt und mich mit jemandem verwechselt, aber jetzt weiß er Bescheid. Er weiß, dass ich nicht das Mädchen bin, nach dem er sucht, und er und der Hund werden von hier verschwinden. Das stimmt doch, oder?«

Ich sah Bodhi in die Augen und hielt seinem Blick stand. Das Herz wurde mir schwer, ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, und ich musste gegen den Drang ankämpfen, den beiden hinterherzulaufen, als er sich zum Gehen wandte und den Hund mit sich zog.

Messalina lächelte zufrieden, als die beiden verschwunden waren, und ließ mich sofort mit Dacian allein. Wir starrten in den weiten Nachthimmel und deuteten auf unsere Lieblingssternbilder – einschließlich des einen, das er nach mir benannt hatte. Und es dauerte nicht lange, bis er seine Augen schloss, sich zu mir vorbeugte und mich küsste.