ACHTZEHN
Als Theocoles stürzte, wurde es im Kolosseum ganz still.
Ich warf einen Blick zu Dacian hinüber und sah, dass er ein langes Gesicht machte und ihm der Mund offen stand. Messalina hinter mir war offensichtlich die Einzige von uns allen, die es nicht fertigbrachte, die Szene zu beobachten.
Als Theocoles sich auf die Seite rollte und mit seinem Blick Messalina suchte, richtete sich die Menge sofort gegen ihn und rief im Chor: »Töten!«
Und als Urbicus sein Schwert hob und auf die Zustimmung des Imperators wartete, als Messalina bereits geflohen war, weil sie nicht noch einmal zuschauen konnte, wie ihr Geliebter niedergemetzelt wurde – und als ein Fremder auftauchte und Augenkontakt mit mir suchte –, ließ ich Dacians Hand fallen. Ich lief los, sprang nach unten und kämpfte mich durch die Menge zur Mitte der Arena, angetrieben von einer Kraft, von der ich nicht gewusst hatte, dass ich sie besaß.
»Theocoles!«, rief ich. Mir war bewusst, dass ich schnell handeln musste. Ich konnte meine Zeit nicht damit verschwenden, mich ihm vorsichtig zu nähern. »Theocoles! Halt!«
Ich ließ mich neben ihm auf die Knie fallen. Sein Gesicht verriet, wie schockiert er war, als er seinen grauenhaft zugerichteten Körper mit abgeschlagenem Kopf betrachtete.
Ich wiederholte alles, was ich ihm bereits gesagt hatte, aber wie schon vorher konnte ich nicht zu ihm durchdringen.
»Ich werde ihre Gunst gewinnen!«, rief er. »Sie werden mich wieder verehren!« Er erhob sich, griff nach seinem Helm und setzte ihn wieder auf. »Ich werde nicht in Vergessenheit geraten! Man wird sich an mich erinnern! Ich werde ihre Bewunderung noch einmal gewinnen!«
Er hob sein Schwert und seinen Schild auf, und ich wollte ihn gerade erneut ansprechen, als Messalina hinter mir auftauchte. »Du bist zäher, als du aussiehst. Für ein junges Mädchen deines Alters bist du erstaunlich widerstandsfähig.« Sie betonte jedes einzelne Wort, und ich wusste, ohne an mir herunterzuschauen, dass der Zauber verflogen war.
Ich war nicht mehr die hinreißende Aurelia – ich war wieder die dürre, magere, kleine Riley Bloom. Und ich verschwand beinahe in dem blauen Seidenkleid, das auf wenig schmeichelhafte Weise an meinem Körper hing. Messalina schüttelte den Kopf und schnalzte bedauernd mit der Zunge.
»Was würde Dacian dazu wohl sagen?«, fragte sie sich laut.
Dacian.
Ich seufzte. Sicher würde er gar nichts sagen, wenn er mich so sähe. Wahrscheinlich würde er mich in diesem Zustand gar nicht erkennen. Auf keinen Fall würde er quer durch den Raum auf mich zukommen, um mich kennen zu lernen, geschweige denn ein Sternbild nach mir benennen. Und er würde schon gar nicht versuchen, meine Hand zu halten und mich zu küssen.
Aber dann fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf. Er war so erschreckend, dass ich zögerte, ihn laut auszusprechen.
Schließlich zwang ich mich widerstrebend dazu. »Ich weiß es nicht, Messalina. Was würde Dacian denn sagen?« Ich legte einen Finger an mein Kinn, verzog die Lippen und tat so, als würde ich ernsthaft darüber nachdenken. »Ich schätze, er würde genau das sagen, was du dir für ihn ausdenken würdest, denn schließlich ist er deine Kreation, richtig? Ebenso seelenlos wie die Gäste deiner nicht enden wollenden Party. So seelenlos wie die römischen Aristokraten, die sich in der Loge deines Onkels versammelt haben.« Ich sah sie mit festem Blick an, um ihr zu zeigen, dass ich mich nicht unterkriegen ließ, auch wenn die Erkenntnis, dass mein Freund eine Fälschung war, möglicherweise wehtat. »So seelenlos wie alle hier – außer dir und mir und natürlich Theocoles.«
»So denkst du also darüber?« Ihre Stimme war leise und sanft.
Ich zuckte die Schultern. Ich meine, ich war mir nicht ganz sicher und ich hatte keine Beweise dafür, aber es schien mir eine gute Theorie zu sein.
»Mir fehlt unsere Freundschaft«, sagte sie, ohne weiter darauf einzugehen und ohne meine Worte zu bestätigen oder abzustreiten. »Du und ich – wir waren wirklich gute Freundinnen, oder?« Sie lächelte versonnen. »Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß, das musst du mir glauben.«
»Du hast mich verzaubert!« Ich schüttelte den Kopf und konnte kaum fassen, was sie gerade gesagt hatte. »Du hast mich mit einem Bann belegt. Und jedes Mal, wenn ich versuchte, mich davon zu befreien, hast du mir mit der Hand über die Stirn gestrichen und mich wieder in diesen Bann gezogen!«
»Ach ja? Und?« Sie zuckte die Schultern. »Willst du etwa behaupten, du hättest dich nicht amüsiert?«
Ich presste meine Lippen aufeinander. Natürlich hatte ich mich amüsiert. Ich hatte mehr Spaß gehabt, als ich zugeben wollte. Ich hatte mich so wohlgefühlt, dass ich beschlossen hatte, hierzubleiben und meine Rolle weiterzuspielen, sogar nachdem es Bodhi und Buttercup gelungen war, mich wachzurütteln.
Messalinas Welt war verlockend und verführerisch – sie erlaubte mir, mein eigenes Märchen zu leben. Ich konnte das Leben führen, von dem ich schon immer geträumt hatte – ein Leben mit tollen Partys, hübschen Kleidern und einem süßen Prinzen an meiner Seite. Wenn ich unter ihrem Bann geblieben wäre, hätte ich eine lange Zeit sehr glücklich sein können. Vielleicht sogar für immer und ewig. Ich hätte natürlich denselben Tag immer wieder erlebt und gar keinen Unterschied bemerkt.
Ihre Welt war angenehm und bequem, aber alles war viel zu leicht zu haben. Es hatte etwas für sich, wenn man Geduld haben und sich für etwas anstrengen musste.
Es hatte etwas für sich, einen Traum auf die altmodische Weise zu verwirklichen – indem man sich etwas tatsächlich verdiente.
»Es muss nicht aufhören, verstehst du?« Sie hob lächelnd ihre Hand. »Du bist die kleine Schwester, die ich mir immer gewünscht habe. Wir können ganz leicht wieder dorthin zurückkehren. Ein Wort von dir, und schon ist alles wieder wie gehabt.«
Mein Pony klebte an meiner Stirn, und es war mir peinlich, wie schlaff das Oberteil meines Kleids an meinem Körper herunterhing – das waren zwei gute Gründe, um meine Zustimmung zu geben, ganz zu schweigen von einer Menge anderer, die mir dazu auch noch einfielen. Ich müsste es lediglich zulassen, dass sie mir mit ihrem Finger über die Augenbrauen strich, und schon wäre ich wieder im siebten Himmel. Aber so verführerisch das auch war, ich wiederholte mein Nein. Ich setzte eine strenge Miene auf und kniff die Augen zusammen, damit sie sah, dass ich es ernst meinte. »Und außerdem habe ich schon eine Schwester, und eines Tages werden wir wieder zusammen sein. Im Augenblick genügen mir die Erinnerungen an sie.« Die Erinnerungen und die gelegentlichen Besuche im Aussichtsraum, ganz zu schweigen vom Traumland. Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf Theocoles. »Du weißt, dass ich einen Auftrag zu erledigen habe. Du weißt, dass ich hier bin, um zu ihm durchzudringen und um ihm zu helfen, weiterzuziehen.«
»Und du weißt, dass ich das nicht zulassen kann«, entgegnete sie und sah mich ernst und bedauernd an.
»Dann befinden wir uns anscheinend in einer Pattsituation«, meinte ich und beobachtete, wie sie sich von mir abwandte und ihre Aufmerksamkeit auf Theocoles richtete.
Sie kehrte zurück zu einer Szene, die sich vor vielen Jahrhunderten abgespielt hatte – zu dem Moment, in dem Theocoles fassungslos hinter seiner eigenen Leiche herging, die aus der Arena geschleift wurde.
»Es ist noch nicht vorbei!«, rief ich ihr nach. »Ich werde nicht aufgeben, bis ich meinen Auftrag erledigt habe!«
Meine Worte fielen auf taube Ohren, und der Gladiator und seine Freundin verschwanden hinter den großen Eisentoren.